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Der Tempel der Drachen
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Der Tempel der Drachen

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Der Tempel der Drachen

Die Legende von Arcana 2

Fantasy-Roman von Frank Rehfeld

Der Umfang dieses Buchs entspricht 324 Taschenbuchseiten.

Aylon wächst wohlbehütet in Cavillon, dem Stammsitz des Magierordens Ishar, in der Obhut des Magiers Maziroc auf. Wer seine Eltern sind, soll er endlich nach seiner Magierweihe, die in wenigen Monaten stattfinden wird, erfahren. Zuvor begibt er sich mit seinem Ziehvater nach Maramon, um das Leben außerhalb der Klostermauern kennenzulernen. Dort trifft Aylon die mutige Vingala Laira, die ihn bittet, ihre Gefährtin Areda vor dem Opfertod durch die Drachenpriester zu retten. Derweil setzt der undurchsichtige Magier Larmoun mithilfe von Magie und geschützt durch die grausamen Hornmänner alles daran, den Drachenkult wieder aufleben zu lassen. Um Areda zu befreien, reiten Aylon, Laira und der rätselhafte Gaukler Floyd zum Tempelberg - aber noch etwas Stärkeres, Fremdartiges, das von seinem Geist Besitz zu ergreifen scheint, zieht Aylon auf magische Weise zu dem Drachentempel ...

LanguageDeutsch
Release dateMay 27, 2019
ISBN9781386567929
Der Tempel der Drachen

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    Der Tempel der Drachen - Frank Rehfeld

    Der Tempel der Drachen

    Die Legende von Arcana 2

    Fantasy-Roman von Frank Rehfeld

    Der Umfang dieses Buchs entspricht 324 Taschenbuchseiten.

    Aylon wächst wohlbehütet in Cavillon, dem Stammsitz des Magierordens Ishar, in der Obhut des Magiers Maziroc auf. Wer seine Eltern sind, soll er endlich nach seiner Magierweihe, die in wenigen Monaten stattfinden wird, erfahren. Zuvor begibt er sich mit seinem Ziehvater nach Maramon, um das Leben außerhalb der Klostermauern kennenzulernen. Dort trifft Aylon die mutige Vingala Laira, die ihn bittet, ihre Gefährtin Areda vor dem Opfertod durch die Drachenpriester zu retten. Derweil setzt der undurchsichtige Magier Larmoun mithilfe von Magie und geschützt durch die grausamen Hornmänner alles daran, den Drachenkult wieder aufleben zu lassen. Um Areda zu befreien, reiten Aylon, Laira und der rätselhafte Gaukler Floyd zum Tempelberg - aber noch etwas Stärkeres, Fremdartiges, das von seinem Geist Besitz zu ergreifen scheint, zieht Aylon auf magische Weise zu dem Drachentempel ...

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

    © by Author

    © dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Prolog

    Wie eine Vision schälte sich die Dämmerschmiede aus den Dunstfetzen, die rauchigen Fingern gleich aus den Nebelschründen aufstiegen; ein bizarrer, unwirklich anmutender Schatten, der hinter den grauen Schleiern zu tanzen schien und nur widerwillig feste Gestalt anzunehmen begann.

    Der Mann mit der Wolfsmaske vor dem Gesicht blieb einen Moment stehen, um das Bild in sich aufzunehmen. Unzählige Male war er bereits hier gewesen, und doch faszinierte ihn der Anblick jedes Mal erneut so stark, wie am ersten Tag. Vielleicht, dachte er, weil es ihm in all den seither verstrichenen Jahrhunderten nicht gelungen war, das Geheimnis zu ergründen, das diese Ort im absoluten Nichts umgab; so wenig, wie es ihm jemals gelingen würde. Niemand wusste, wer die Dämmerschmiede erbaut hatte. Sie existierte seit Äonen von Jahren, das Relikt einer lange vergangenen und vergessenen Epoche; eine kosmische Burg, die so unwirklich und gleichzeitig real wie alles andere hier war. Möglicherweise war sie nur eine gestaltgewordene Illusion, ebenso wie die kristallene, in den Farben des Regenbogens funkelnde Brücke, auf der er stand.

    Obwohl nicht der leichteste Wind wehte, schien ein kalter Hauch den Mann zu streifen. Unheimliche, fremdartige Laute drangen aus der Tiefe der Nebelschründe an sein Ohr und erinnerten ihn daran, dass es nicht ungefährlich war, sich länger als nötig hier aufzuhalten. Die Brücke war mehr als nur irgendein Viadukt, der über irgendeine Schlucht führte. Sie bildete einen Pfad zwischen den Welten, und so rätselhaft die sternenlose Schwärze war, die sich anstelle eines Himmels darüber spannte, so unergründlich blieben die Mysterien, die sich am Grund der Schründe unter dem wogenden Nebel verbergen mochten.

    Der Mann setzte seinen Weg fort. Ein enttäuschtes Seufzen und Wispern verklang in der Leere hinter ihm. Auch als er sich der Dämmerschmiede weiter näherte, vermochte er sie nicht deutlicher zu sehen, ihm blieb nur die flüchtige Vision eines unermesslich großen Bauwerks - voller aus sich selbst heraus strahlender Kuppeln, filigraner Türmchen und kühn geschwungener Brücken, doch sobald er es genauer zu betrachten versuchte, schien es sich seinen Blicken immer wieder zu entziehen. Auch seine Magie versagte gegenüber den hier herrschenden Kräften, die zu begreifen er sich nicht einmal die Mühe machte. Die gewohnten Gesetze von Raum und Zeit verloren an diesem Ort ihre Gültigkeit, und wer sich allzu intensiv damit beschäftigte, dessen Verstand würde sich verwirren.

    Die Brücke endete vor einem weit geöffneten Portal, und der Mann betrat die Dämmerschmiede. Wie bei ihrer äußeren Form, trogen ihn auch in ihrem Inneren seine Wahrnehmungen. Die Halle schien endlos sein, aber die Perspektiven verschoben sich ständig, sodass er nicht mit Sicherheit zu sagen wusste, wo die Realität endete und die Trugbilder begannen.

    Er wurde bereits erwartet. Eine hünenhafte Gestalt mit wallenden schwarzen Haaren und einem edel geschnittenen Gesicht trat ihm entgegen.

    Charalon, der Ewige, der tiefer als jeder andere in die Geheimnisse der Magie vorgedrungen und dabei auf Dinge gestoßen war, die ihn gestärkt und verändert hatten. Der Legende nach hatten die Götter selbst ihm den Weg über die Regenbogenbrücke gewiesen und ihm den Auftrag erteilt, den Orden der Ishar zu gründen. Aber er hatte in seiner Wissbegier an Mächte gerührt, die sich nicht ungestraft heraufbeschwören ließen, und einen hohen Preis dafür bezahlen müssen. Er war zu einem Gefangenen der Dämmerschmiede geworden, ein körperloses Gespenst, dazu verdammt, bis ans Ende aller Zeiten ihre Geheimnisse zu hüten.

    Sei gegrüßt, Bruder Wolf, sagte er mit volltönender Stimme, die so wenig wirklich wie sein ganzer Körper war. Er bot eine imposante Erscheinung, die durch seine eng anliegende silberne Kleidung und den schwarzen Umhang noch betont wurde, aber es war nur eine durch seinen Geist erschaffene Illusion.

    Der Mann mit der Maske schaute sich nach den anderen elf Magiern des Inneren Zirkel um, doch obwohl er befürchtet hatte, als Letzter einzutreffen, konnte er sie nirgendwo entdecken.

    Sie wissen nichts von diesem Treffen, ich habe nur dich gerufen, erwiderte Charalon, der seinen fragenden Blick bemerkte. Ich weiß, das ist ungewöhnlich, aber ich möchte etwas mit dir allein besprechen. Wir sind unter uns, du brauchst dein Gesicht also nicht zu verbergen.

    Der Mann nahm die Wolfsmaske ab und schlug auch die Kapuze seines Mantels zurück. Es geht um Aylon, vermutete er.

    Charalon nickte. Ich finde, es ist an der Zeit, dass er die Weihe erhält.

    Aber er ist noch ein halbes Kind. Seine Ausbildung ist längst nicht abgeschlossen.

    Was ihm noch fehlt, ist in erster Linie Erfahrung, er muss lernen, sich aus eigener Kraft in der Welt zu behaupten. Am besten wäre es, er würde für eine Weile nach Maramon gehen. Ich habe seine Entwicklung aufmerksam verfolgt, und er scheint mir reif genug für die Magierweihe.

    Unschlüssig drehte Bruder Wolf die Maske in den Händen. Warum diese plötzliche Eile?, erkundigte er sich. Es kommt doch auf ein oder zwei weitere Jahre nicht an.

    Wenn es nur um die Weihe ginge, dann nicht, aber ich habe noch etwas anderes mit Aylon vor. Dank seiner Begabung könnte er meinen Reif bergen.

    Der Reif? Niemand ...

    Glaub mir, ich habe mir diesen Schritt gründlich überlegt. Aylon wäre aufgrund seiner Herkunft als Einziger in der Lage, das Siegel zu umgehen.

    Und wenn nicht, sprechen wir sein Todesurteil!

    Auch das ist möglich, räumte Charalon ein. Doch uns bleibt keine andere Wahl, als es zu riskieren, das weißt du so gut wie ich. Die Lage auf Arcana verschlimmert sich immer mehr. Wir dürfen den Reif nicht mehr länger versteckt halten. Sorge dafür, dass Aylon ihn aus der versiegelten Kammer holt. Er wäre ein würdiger Träger.

    Aber das bedeutet auch, ihn in Geheimnisse einzuweihen, die seit Jahrhunderten gehütet werden, wandte der Mann ein. Dieses Wissen könnte seinen Geist überfordern. Er wird in die verbotete Zone gehen müssen.

    Das ist unvermeidlich. Aber er ist intelligent und stark. Sofern ihn nicht das Siegel vernichtet, wird ihm nichts passieren.

    Der Mann schwieg. Schließlich nickte er zögernd. Ich fürchte, du hast recht, auch wenn es mir nicht gefällt. Ich werde alles Nötige veranlassen.

    Kurz darauf machte er sich über die Regenbogenbrücke auf den Rückweg in seine Welt. Stille senkte sich wieder über die Dämmerschmiede und ihren zu ewigem Leben verdammten Hüter; Stille und Einsamkeit.

    Cavillon

    Aylon blinzelte und schirmte seine Augen instinktiv mit der Hand ab, als er ins Freie trat. Das Licht war nicht wirklich grell, nicht mehr um diese Zeit, aber nach dem Halbdunkel in Mazirocs Arbeitszimmer dauerte es einen Moment, bis seine Augen sich daran gewöhnt hatten. Die Sonne war bereits tief gesunken und hatte begonnen, sich rötlich zu färben. Es sah aus, als würden die dreieckigen Zinnen der Türme mit spitzen, schwarzen Zähnen an ihr nagen. Der Tag war so warm gewesen, wie es sich für den Spätsommer gehörte, aber mit dem Einbruch der Dämmerung wurde es merklich kühler. Die Luft roch nach Reif und Nebel, und der Biss des Windes wurde so kalt, dass Aylon sein Gewand fester um den Körper schlang. Der Herbst würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, das vermochten auch die Klarheit der Luft und die noch grünen Bäume und Büsche nicht mehr zu verbergen, und - wie stets hier im Norden Arcanas - würde es ein rauer, stürmischer Herbst werden, gefolgt von einem noch grimmigeren Winter. Lange, dunkle Monate voller Schnee und Eis, in denen das Leben in Cavillon noch trostloser als während des übrigen Jahres zu werden versprach.

    Wo bleibst du?, riss Mazirocs barsche Stimme ihn aus seinen Gedanken. Der übergewichtige Magier hatte bereits den Fuß der Treppe erreicht und winkte ungeduldig. Sein schlohweißes Haar und der ebenfalls weiße Vollbart wurden vom Wind zerzaust.

    Leichtfüßig folgte Aylon ihm die Stufen zu einem der zahlreichen Innenhöfe Cavillons hinab, wo einige seiner Altersgenossen sich damit vergnügten, einem Spunk nachzujagen. Mit magischen Sperren verstellten sie dem kleinen, aber wieselflinken Tier alle Auswege und trieben es so immer mehr in die Enge. Aylon spürte ihre schwache, noch in der Entwicklung begriffene Magie. Als er an ihnen vorbeiging, hielten sie in ihrem Spiel inne und musterten ihn schweigend. Ihre Gesichter zeigten keine Reaktion, doch in ihren Augen las Aylon eine fast einheitliche Palette von Gefühlen: Zweifel und Unsicherheit, Abneigung und Feindseligkeit und - was am Schlimmsten war - bei einigen sogar Furcht. Auch nach all den Jahren, in denen ihm - und auch ihnen - genug Zeit geblieben war, sich aneinander zu gewöhnen, war es ihm nicht gelungen, sich mit seiner Andersartigkeit abzufinden. Immer noch tat es ihm weh, überall auf Ablehnung zu stoßen; nicht nur bei den Kindern und Jugendlichen, sondern sogar bei vielen der erwachsenen Magier.

    Während er zu Maziroc aufschloss, tastete Aylon mit seinem Geist nach einer der unsichtbaren Sperren und beseitigte sie; gleichzeitig trieb er den Spunk in diese Richtung, sodass das Tier durch einen Mauerriss entkam. Die kleine Rache bereitete ihm eine grimmige Befriedigung. Die Jugendlichen schauten ihm verärgert nach, einige mit unverhohlener Wut, doch keiner wagte es, etwas zu sagen.

    Sie fürchten mich, wandte sich Aylon bitter an seinen Lehrmeister. Wenn sie könnten, würden sie mich aus Cavillon verbannen.

    Aber das können sie nicht, denn du gehörst genauso hierher, wie jeder von ihnen, sagte Maziroc mit Nachdruck. Deine Begabung ist eben fremd für sie. Solange sie dich nicht mental wahrnehmen können, bist du für sie ein Niemand, und das ist ihnen unheimlich. Dir würde es umgekehrt nicht anders ergehen, wenn du ehrlich bist.

    Vielleicht. Aylon zuckte mit den Schultern. Vermutlich hatte Maziroc recht, aber er wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Jeder Magier vermochte einen anderen anhand seiner Ausstrahlung zu erkennen, einer geistigen Aura, die sich gleich den Wellen ausbreitete, wenn man einen Stein in einen Teich warf. Selbst normale Menschen besaßen sie, wenngleich etwas schwächer. Auch Aylon hatte sich daran gewöhnt, sie wie ein leises Rauschen in seinen Gedanken wahrzunehmen, während er selbst in dieser Hinsicht von Geburt an völlig stumm war. Als Kind hatte es ihm Spaß gemacht, dies auszunutzen, um sich an andere heranzuschleichen und sie zu erschrecken, aber schon bald hatte er begonnen, dieses Phänomen nicht als besondere Begabung zu betrachten, wie Maziroc es tat, sondern als einen Fluch, dem er nicht entrinnen konnte.

    Auch äußerlich unterschied er sich von den anderen. Da er es leid war, sich bei ihnen anzubiedern, trug er sein braunes Haar aus Trotz länger als allgemein üblich. Es fiel ihm bis über den Nacken und bot ihnen weiteren Anlass zum Spotts, zumal auch sein Gesicht von fast mädchenhafter Zartheit und sein Körper schlanker und weniger muskulös als der vieler anderer war. Seine oft melancholische Stimmung verlieh seinen Augen- und Mundwinkeln einen sehnsuchtsvollen, fast traurigen Zug. Und seine Augen selbst - sie waren die meiste Zeit so grün wie die aller Magier, aber wenn er nicht aufpasste, verloren sie ihre Farbe und wurden braun, als wäre er ein normaler Mensch.

    Wohin gehen wir?, fragte er, doch er erhielt keine Antwort. Ungeduldig folgte er Maziroc durch die unzähligen Gassen und Straßen Cavillons, über Höfe, Plätze und Parks. Das aus weißem Marmor errichtete Bauwerk schien mehr eine Stadt, als ein Kloster zu sein, undurchschaubar selbst für den, der hier aufgewachsen war; ein gewaltiges, kompliziertes Labyrinth, das ganz zu erforschen ein Menschenleben nicht ausreichen würde. In Wahrheit war es von beidem etwas; und mehr. Cavillon war der Stammsitz des Ordens, eine Oase des Friedens für jeden Ishar, gleichzeitig ein Zentrum und die Schule für magische Forschungen.

    Für manche auch eine Schule für Einsamkeit, ergänzte er in Gedanken. Immerhin aber war seine Isolation auch Anlass für ihn gewesen, sich umso leidenschaftlicher mit seinem Studium zu befassen. Falls man ihn noch in diesem Jahr der Magierweihe für würdig erachten sollte, wäre er mit seinen erst achtzehn Jahren der vermutlich jüngste Ishar, den es in der Geschichte des Ordens je gegeben hatte.

    Je weiter sie gingen, desto mehr verloren die Gebäude von ihrem Glanz, der Marmor wurde stumpf und nahm eine schmutzig graue Farbe an. Die nun immer rascher hereinbrechende Dunkelheit verstärkte diesen Eindruck noch. Die Sonne war bereits vollends hinter dem Horizont versunken, um ihrem nächtlichen Bruder zu weichen, der langsam hinter den Bergen hervorkroch.

    Aylon war noch nie hier gewesen, aber er hatte Andeutungen über diesen Teil Cavillons gehört. Das ... ist die verbotene Zone, murmelte er.

    Nein. Der Magier schüttelte den Kopf. Hier noch nicht. Aber wir werden sie gleich erreichen.

    Überrascht blieb Aylon stehen. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, was die Worte wirklich bedeuteten. Wir werden hineingehen? Seine Augen glänzten vor Aufregung. Es gab wohl kaum jemanden in Cavillon, der nicht schon wilde Spekulationen angestellt hatte, was es mit der verbotenen Zone auf sich hatte. Die Aussicht, dass gerade er möglicherweise mehr über dieses streng gehütete Mysterium erfahren würde, verschlug ihm fast den Atem, gleichzeitig jedoch erschreckte ihn die Beiläufigkeit, mit der Maziroc über die Verletzung dieses Tabus sprach. Niemand darf sie betreten, erinnerte er ohne sonderliche Überzeugung.

    Maziroc lächelte; flüchtig und ohne eine Spur von Humor. Ich schon, denn ich war einer derjenigen, die dieses Verbot einst erließen. Ich kenne die verbotene Zone und ihre Gefahren, und ich weiß, wie man sich vor ihnen schützt. Sein Blick wurde zwingend. Aber ich warne dich. Dieser Besuch wird für dich einmalig bleiben, und du wirst Dinge erfahren, die für immer dein Geheimnis bleiben müssen. Hast du das verstanden?

    Aylon hatte das Gefühl zu schrumpfen und von dem scharfen Blick des Magiers durchbohrt zu werden. Er nickte hastig. Selbst wenn er sich im Recht wähnte, war es ihm schon immer schwergefallen, seinem Lehrmeister zu widersprechen. Allein durch seine starke Persönlichkeit und die bestimmende Art seines Auftretens überwältigte Maziroc jeden, mit dem er sprach; seine Leibesfülle und die kraftvolle Stimme unterstrichen seine unterschwellige Autorität.

    Nach einigen Sekunden unbehaglichen Schweigens räusperte sich Aylon. Was ist eigentlich so gefährlich an der verbotenen Zone, wenn sie doch zu Cavillon gehört? Und was werden wir dort machen?

    Wir werden nicht lange dort bleiben, antwortete Maziroc ausweichend.  Doch ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, und dabei brauche ich deine Hilfe. Wenn wir erst einmal dort sind, wirst du auch begreifen, warum das Betreten der Zone verboten wurde.

    Aylon fragte sich, um was für eine Aufgabe es sich handeln mochte, dass sein Lehrmeister ausgerechnet seine Hilfe und nicht die eines anderen Magiers dafür benötigte, doch er wusste, dass er vorläufig keine Antwort darauf bekommen würde. Wenn Maziroc es ihm sagen wollte, dann hätte er es von sich aus getan, und wenn nicht, dann hatte es auch keinen Sinn, ihn zu drängen.

    Sie gelangten an eine mehr als doppelt mannshohe Mauer und gingen ein Stück daran entlang, bis der Magier vor einer kleinen, aber äußerst stabil aussehenden Pforte stehen blieb. Er zog eine silberne Rune aus der Tasche und schob sie anstelle eines Schlüssels in das Schloss. Mit einem leisen Klicken sprang die Pforte auf. Bleib dicht hinter mir, dann kann dir nichts passieren. Die Rune schützt uns. Und wundere dich nicht, wenn du ein seltsames Kribbeln verspürst. Wir werden einen magischen Schirm durchqueren.

    Aylon bückte sich. Hinter der Pforte war nichts als Schwärze zu erkennen. Darum bemüht, sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, folgte er dem Magier durch die Öffnung. Das Kribbeln, vor dem ihn Maziroc gewarnt hatte, war kaum zu spüren, und vielleicht hätte er es nicht einmal bemerkt, wenn er nicht bewusst darauf geachtet hätte, dafür erschreckte ihn etwas anderes umso mehr. Für einen Moment glaubte er, den Boden unter den Füßen zu verlieren und von der Schwärze aufgesogen zu werden. Ihm wurde schwindelig, aber noch bevor er das Gefühl richtig wahrnehmen konnte, hatte er die Pforte bereits durchquert.

    Verwundert schaute er sich um. Was er sah, war völlig anders als alles, was er erwartet hatte. Die Mauer umfasste ein vom Mondlicht beschienenes Areal, das zu groß war, um es mit Blicken völlig zu erfassen. Darin erhob sich wie ein finsterer, gedrungener Klotz ein gleichfalls riesiges Bauwerk. Einst mochte es eine beeindruckende Festung gewesen sein, aber das musste bereits eine Ewigkeit zurückliegen. Nun war es nur noch eine Ruine; eine gewaltige Ruine zwar, aber dennoch kaum mehr als ein Schutthaufen. Zumindest sah es von außen so aus. Von ungläubigem Staunen erfüllt, ließ Aylon seinen Blick über die zerklüftete Fassade schweifen. Regen und Wind hatten daran genagt und deutliche Spuren hinterlassen. Die Zeit hatte die zyklopischen Außenwälle zerfressen; sie waren von Rissen durchfurcht und vielfach geborsten, an mehreren Stellen sogar ganz in sich zusammengebrochen. Wie zum Hohn stand das Eingangsportal noch an seinem Platz, während die Mauer zu beiden Seiten nur mehr ein von Unkraut überwucherter Haufen aus Geröll war.

    Aylon verstand nicht viel vom Kriegshandwerk, dennoch war auf den ersten Blick zu erkennen, dass die Festung nicht allein ein Opfer der Jahrhunderte geworden war. Diese hatten sicherlich zu ihrem Verfall beigetragen, aber zuvor war sie geschleift worden. Die Spuren einer gewaltsamen Eroberung waren unverkennbar.

    Fasziniert trat er auf das Portal zu. Aus der Nähe konnte er sehen, dass die meisten Gebäude ein Raub von Flammen geworden waren. Die Mauern waren pockennarbig und vom Ruß geschwärzt. Vereinzelt hoben sich verkohlte Balken wie dunkle Skelettfinger gegen den Sternenhimmel ab. Die Nacht war klar und wolkenlos, und der Mond schien hell, aber trotzdem hatte sich hinter den ausgefranst wirkenden Fensterhöhlen tiefe, von huschenden Bewegungen erfüllte Finsternis eingenistet. Aylon hatte das Gefühl, von unsichtbaren Augen angestarrt zu werden. Ein eisiger Schauer lief über seinen Rücken und sein Herz schlug schneller. Er war längst nicht mehr so begierig wie noch vor ein paar Minuten darauf, mehr über das Geheimnis der verbotenen Zone zu erfahren. Was auch immer es mit der Ruine auf sich haben mochte, sie flößte ihm Unbehagen ein. Mehr noch: Angst. Zugleich schlug ihn die Fremdartigkeit der Umgebung aber auch in ihren Bann und er trat noch ein paar Schritte weiter vor.

    Der Boden unter seinen Füßen bestand aus unnatürlich grauem Schlamm, in dem sich ölig glänzende Pfützen gebildet hatten. Ein fauliger Gestank stieg daraus auf. Plötzlich bewegte sich der Boden, wurde von schlangenförmigen Wellen durchfurcht, als ob etwas unter dem Morast rasend schnell herankriechen würde. Ein schriller, verzerrter Schrei ertönte, fremdartiger als alles, was Aylon je gehört hatte.

    Auch er schrie und wich mit zwei weiten Sätzen an Mazirocs Seite zurück. Die Bewegungen hörten auf; der Boden war wieder so trügerisch glatt wie zuvor.

    Was ... ist das?

    Das ursprüngliche Cavillon, erklärte Maziroc. Das, was noch davon übrig ist. Nur wenige wissen davon, und noch weniger haben es je mit eigenen Augen gesehen. Es wurde bereits vor mehr als einem Jahrtausend zerstört.

    Die Damonen?, erkundigte sich Aylon verwirrt.

    Ja, wenigstens zum Teil. Sie haben Arcana schon einmal überfallen, damals, als die Ishar und Vingala noch einen gemeinsamen Orden bildeten. Niemand wusste, woher sie kamen. Auch damals brachen sie plötzlich aus einer Weltenbresche hervor und begannen damit, das Land zu unterjochen. Die Menschen hielten sie für Dämonen, weil sie den Höllenkreaturen glichen, von denen die Prediger sprachen, und auch wenn sie in Wahrheit keine waren, prägte sich der Name ein. Maziroc machte eine kurze Pause. Er atmete ein paarmal tief durch, bevor er fortfuhr: Mit vereinten Kräften gelang es den Hexen und Magiern, dem Elben, Zwergen und sogar Barbarenkriegern, die Damonen zurückzuschlagen und die Weltenbresche wieder zu verschließen, doch Cavillon sank in Schutt und Asche. Erst viel später wurde es an gleicher Stelle wieder aufgebaut, größer und prächtiger als zuvor. Du wirst es jetzt vielleicht noch nicht verstehen, aber auch wenn seine Unbesiegbarkeit nur ein Mythos ist, ist er dennoch wichtig, unendlich wichtig. Erst diese Legende verleiht Cavillon seinen Glanz und den Menschen Hoffnung.

    Aber ...

    Du fragst dich, warum die Ruine nicht abgerissen wurde, nicht wahr? Nun, ursprünglich sollte sie als Mahnmal erhalten bleiben. Dann aber erkannten wir, dass uns der Krieg ein noch viel schlimmeres Erbe hinterlassen hatte. In seinem Verlauf waren Kräfte heraufbeschworen worden, die seit Äonen schliefen, und die auch wir wir nicht mehr zu bezwingen vermochten. Dunkle Mächte, Nachtmahre, die älter und furchtbarer noch als die Damonen sind. Der Hass, der Schmerz, das Morden ... Sie nahmen durch die von uns selbst freigesetzte Magie Gestalt an und ergriffen von diesem Ort Besitz. Das Gesicht des Magiers nahm einen gequälten Ausdruck an. Er schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, schien ein Ruck durch seine Gestalt zu gehen und er straffte sich. Komm, wir haben etwas zu erledigen. Die Rune schützt uns zwar, aber trotzdem sollten wir nicht länger als nötig hierbleiben. Wir müssen in die Katakomben unter der Ruine. Glücklicherweise sind sie noch weitgehend unversehrt erhalten.

    Aylon nickte beklommen. Mazirocs Worte hatten mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, aber er schwieg. Später würden sie noch genügend Zeit zum Reden haben. Schon was er bis jetzt gehört hatte, versetzte dem Weltbild, das man ihn von Kindheit an gelehrt hatte, solche Risse, dass es ihm schwerfiel, alles aufzunehmen und zu begreifen.

    Durch das Portal gelangten sie auf einen ehemaligen Hof und betraten eines der Gebäude. Maziroc entzündete zwei Fackeln und gab Aylon eine davon. Sie gingen einen halb verschütteten Korridor entlang und erreichten eine steinerne, steil in die Tiefe führende Treppe. Ein Schwall feuchter, modriger Luft schlug ihnen entgegen. Die Stufen mündeten in eine Halle, von der wiederum mehrere Treppen abzweigten. Weißlicher Salpeter glitzerte wie ein bizarres, kunstvolles Gespinst an den Wänden. Auch hier lagen überall Schutt und Geröll, aber wie Maziroc gesagt hatte, waren die Verwüstungen längst nicht so schlimm, wie an der Erdoberfläche.

    Mit wachsender Beklemmung folgte Aylon dem Magier in die unterirdische Steinwelt, durch ein labyrinthartiges Gewirr verwinkelter Treppen und alptraumhaft gekrümmter Korridore tiefer in den Leib der Erde hinab. Er begriff nicht, wie sich Maziroc hier zurechtfinden konnte, aber der Magier fand seinen Weg mit traumwandlerischer Sicherheit, ohne auch nur ein einziges Mal zu stocken oder gar stehen zu bleiben, um sich zu orientieren. Es schien, als wäre er schon zahlreiche Male hier gewesen. Anfangs versuchte Aylon, sich den Weg einzuprägen, doch schon nach ein paar Minuten verlor er vollends die Orientierung. Manchmal hatte er den Eindruck, als würde sich das Labyrinth allen Naturgesetzen zum Hohn verändern. Dann

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