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Von verschlungenen Wegen und geheimen Welten
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Von verschlungenen Wegen und geheimen Welten
Ebook401 pages5 hours

Von verschlungenen Wegen und geheimen Welten

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Von verschlungenen Wegen und Geheimen Welten

Phantastischen Erzählungen von Hendrik M. Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 353 Taschenbuchseiten.

Dieses Buch enthält folgende Erzählungen:

-Verlorene Gelegenheiten kommen nicht zurück ...

-Der alte General

-Balthasars Basar

-Wissen und nicht wissen

-Der Ring, der Wünsche erfüllt

-Mein Freund, der Zwerg

-Seelenloser Engel

-Die Anhalterin

-Morgen gehen wir sterben....

-Preisnachlass wegen Geisterbefall

-Verschlungene Wege

-Das blutige Gold der Kowaja-Berge

-Der Spiegel der Wahrheit

-Gefangener

-Gespräche mit Kain

-Der Besucher

-Eroberer der Galaxis: Der Tod im Blut

LanguageDeutsch
Release dateMay 29, 2019
ISBN9781386069409
Von verschlungenen Wegen und geheimen Welten

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    Von verschlungenen Wegen und geheimen Welten - Hendrik M. Bekker

    Von verschlungenen Wegen und Geheimen Welten

    Phantastischen Erzählungen von Hendrik M. Bekker

    Der Umfang dieses Buchs entspricht 353 Taschenbuchseiten.

    Dieses Buch enthält folgende Erzählungen:

    -V erlorene Gelegenheiten kommen nicht zurück ...

    -Der alte General

    -Balthasars Basar

    -Wissen und nicht wissen

    -Der Ring, der Wünsche erfüllt

    -Mein Freund, der Zwerg

    -Seelenloser Engel

    -Die Anhalterin

    -Morgen gehen wir sterben....

    -Preisnachlass wegen Geisterbefall

    -Verschlungene Wege

    -Das blutige Gold der Kowaja-Berge

    -Der Spiegel der Wahrheit

    -Gefangener

    -Gespräche mit Kain

    -Der Besucher

    -Eroberer der Galaxis: Der Tod im Blut

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

    © by Author

    © Cover by Author

    © dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Verlorene Gelegenheiten kommen nicht zurück ...

    Karl Gordes saß gemütlich in seiner kleinen Küche. Er setzte die blau-weiße Teetasse ab und sah zur Uhr. Er fluchte laut und pustete die Kerze im Stövchen unter der Kanne aus. Dann sprang er auf und zog sich eine Jacke an. Während er das Haus verließ, schloss er noch schnell seine Wohnungstür ab und machte sich dann auf den Weg die Große Straße entlang. Es war die Haupteinkaufsstraße seiner Stadt. Er bog in eine Seitenstraße ein, in Richtung des alten Drogeriemarktes. Die Kette war pleite gegangen, seitdem hatte sich kein neuer Investor finden können. Dort fanden seit einiger Zeit kleinere Auktionen von Haushaltsauflösungen statt. Viele Leute hatten heutzutage keine Erben mehr und auf diese Weise konnte noch Geld für die Beisetzung gesammelt werden. Die Stadt hatte das Projekt begrüßt und unterstützte es mit der Überlassung einer ungenutzten Immobilie. Karl ging gerne zu den Auktionen.

    Er hoffte auf den ein oder anderen Glückstreffer bei der Auktion. Außerdem genoss er es, sich die Leute anzusehen, die boten. Seitdem Jakob Hinrichs diese Auktionen regelmäßig durchführte, waren sie vom Geheimtipp zu einer regionalen Attraktion geworden. Ob ältere Leute, die Eiche-rustikal-Möbel bevorzugten, oder Studenten der örtlichen Hochschule, die sich preiswert aber hochwertig einrichten wollten, bis hin zu Hausfrauen, die einfach nur ein Schnäppchen machen wollten, alles war vertreten. Es erinnerte ihn an die Flohmärkte, auf denen er mit seinem Vater früher immer gewesen war. Es war ein geschäftiges munteres Treiben voller Fremder und doch interessanter Leute. Als Karl den kleinen, ehemaligen Drogeriemarkt betrat, hatte die Auktion schon angefangen. Er ließ sich am Eingang ein Schild mit Nummer geben und setzte sich ins Publikum. Gut drei Dutzend Menschen waren anwesend, für einen Donnerstagabend eigentlich ziemlich gut.

    Wer ein Gebot abgab, hob das Schild. Durch die Nummer war klar, wer die Person war und man brauchte nur zu sagen, was man bereit war zu zahlen. Wer nicht bar oder mit Karte zahlen konnte, da er das Geld nicht besaß, bekam den ersteigerten Gegenstand auch nicht ausgehändigt. Dann wurde er beim nächsten Mal erneut versteigert.

    Gerade kam ein verzierter fünfzig Jahre alter Schreibtisch unter den Hammer. Er erinnerte an den Bauhausstil der goldenen Zwanziger.

    Dann kam ein Spiegel. Dieser Spiegel gefiel Karl sofort. Dabei war er nicht besonders auffällig gearbeitet, er war nicht einmal offenkundig wertvoll.

    Doch Karl war sich ziemlich sicher, dass es ein mittelalterliches Stück sein konnte. Das hier war auf jeden Fall ein solide gearbeitetes Stück mit hohem Alter.

    So was hatte einen gewissen Wert bei Sammlern und durchaus auch bei Museen. Ansonsten konnte er es immer noch jemandem verkaufen, der auch glaubte, dass es alt und wertvoll war.

    Dazu kam, dass der Spiegel einen Holzrahmen hatte. Holz ließ sich C14-datieren und so das wahre Alter ziemlich genau feststellen. Kohlenstoff-14-Atome kamen in jedem Lebewesen vor und wenn man aufhörte einen Stoffwechsel zu haben, weil man tot war, zerfiel es langsam. Daraus ließ sich das Alter bestimmen, oft auf wenige Jahre genau. Karl hatte zum Glück einen Studienkollegen, der sich mit der Ausrüstung der Universität ein wenig dazu verdiente. Solche Altersnachweise waren gern gesehen in den höheren Antiquitätenhändlerkreisen. Auch mancher Kunde, der mehr des Prestiges wegen ein altes Stück kaufte, als weil er wirklich Ahnung hatte von Antiquitäten, wollte so einen Nachweis.

    „Der folgende Spiegel von Fritz Jakobs wurde im Haus vorgefunden. Es ist möglicherweise ein Erbstück, das der verstorbene Herr Jakobs hinterließ. Das Alter wurde von einem Fachmann auf mehrere hundert Jahre geschätzt. Leider gibt es keine klar datierbaren Verzierungen. Der Spiegel ist ohne Holzwurm, ohne Sprung und solide gearbeitet. Er hat kein Hersteller- oder Werkstattzeichen. Ich erwarte die Gebote", begann der Auktionator. Er war nicht ganz bei der Sache. Bei Stücken, die er für wirklich wertvoll hielt, wurde er deutlich enthusiastischer. Karl kannte das schon. Das hier war mehr das Standardprogramm.

    Karl machte ein faires Angebot. Nicht allzu viel, aber doch einen vernünftigen Preis.

    Zu seiner Überraschung bot ein etwas älterer Mann mit ihm. Er hatte ihn schon einige Male gesehen, immer wieder bot er für Gegenstände. Manches Mal bot er ziemliche Summen, um Dinge zu bekommen. Nach welchem Muster er das tat, wusste Karl nicht. Möglicherweise war er Antiquitätenhändler. Er wusste nur, dass er sich „Herr ten Dornan" nennen ließ. Der Mann überbot ihn, viermal in Folge. Karl zögerte erst, dann bot er weiter mit. Langsam ging es Karl nicht mehr nur um den Spiegel, es ging auch ums Gewinnen. Der Mann ging immer einige Euro über seinen Betrag! Irgendwann reichte es Karl. Hier ging es jetzt ums Prinzip! Er bot einen Betrag hundert Euro über dem aktuellen Angebot. Ein Raunen ging durch den Raum. Der andere Mann schien im Kopf zu rechnen, dann war alles vorbei. Karl hatte gewonnen! Der Mann ging nicht mit. Karl seufzte zufrieden und überlegte dann, ob es wirklich sinnvoll gewesen war. Doch für langes Nachdenken blieb keine Zeit, die nächsten Angebote kamen. Nach mehreren interessanten Stücken, bei denen er überboten wurde, entschied er sich, dass es genug war. Er ging zur Abholstelle und zahlte den gebotenen Preis für den Spiegel. Er hatte das Geld in bar dabei. Am Abend würde man ihn liefern.

    Später am Abend saß Karl vor dem Fernseher und sah sich die Sportschau an. Irland hatte gegen Deutschland gespielt, kein berauschendes Ergebnis für die Deutschen. Zumindest nicht, wenn man das vorher an den Tag gelegte Selbstvertrauen mit beachtete. Es klingelte an der Haustür.

    Karl schlurfte zur Tür. Ein freundlich lächelnder Mann im Trainingsanzug begrüßte ihn.

    „Moin, hier is‘ Ihr Paket, nech. Haben Sie heute ja ersteigert, Karl Gordes, nech?"

    Karl nickte.

    „Dann unterschreiben Sie mal hier, nech", sagte der Mann im Trainingsanzug und reichte Karl ein Formular. Karl überflog es, es war eine Empfangsbestätigung. Er kannte das Formular schon, es war nichts Anstößiges daran. Nach dem Unterschreiben reichte er es dem Mann zurück. Daraufhin holte der Mann im Trainingsanzug ein großes Paket aus seinem VW-Bulli und trug es ihm in den Flur.

    „So, viel Spaß, nech", sagte der Mann und war auch schon verschwunden. Karl kam gar nicht dazu, ihm einen Fünfer in die Hand zu drücken und ihn zu bitten, den Spiegel nach oben zu bringen.

    Er seufzte. Wieder einmal war die Welt zu schnell für ihn.

    Zuallererst räumte er im oberen Stockwerk seines Reihenhauses im Flur ein Stück der Wand leer, dann machte er sich daran, den Spiegel nach oben zu schaffen. Sein Rücken machte ihm seit einiger Zeit zu schaffen, zu viel Büroarbeit, zu wenig Bewegung, sagte der Arzt.

    Stufe für Stufe brachte er mühsam den Spiegel nach oben. Er hängte ihn in sein Lesezimmer. So nannte er den großen Raum voller Bücher im zweiten Stock seines Reihenhauses.

    Er lebte alleine dort und empfing selten Besuch. Es war nicht so, dass er kein Interesse an anderen Menschen oder einer Partnerin gehabt hätte, es hatte sich nur nie ergeben.

    Oft, wenn er versuchte Bindungen aufzubauen oder aufrecht zu halten, scheiterte er. So vermied er sie irgendwann, um auch den Schmerz zu vermeiden.

    Im Lesezimmer hängte er den Spiegel auf. Er war schön gearbeitet und bereits für die Auktion gesäubert worden.

    Karl nahm sich vor, ihn ein paar Tage hängen zu lassen, bevor er entschied, was er mit ihm tat. Immerhin war er ziemlich teuer gewesen. Er kochte sich einen neuen Tee und setzte sich aufs Sofa im Lesezimmer. Dabei machte er das Radio an. Irgendein Sender, bei dem die ganze Zeit geredet wurde.

    Anschließend nahm er sich ein Buch und begann zu lesen.

    Er mochte das Gerede des Radios im Hintergrund. Es gab ihm das Gefühl, dass es Leben im Haus gab.

    Während er las, griff er immer wieder nach seiner Tasse. Dann klirrte es, als er sie verfehlte und sie umstürzte.

    Er fluchte, sprang auf und eilte in die Küche, um etwas zum Aufwischen zu holen.

    Während er den Tee vom Linoleum damit aufwischte, fiel ihm etwas Seltsames auf.

    Er ließ das vollgesogene Küchenpapier liegen und trat zum Spiegel.

    Erst jetzt begriff er, was ihn stutzig gemacht hatte.

    Der Raum war der Gleiche wie der, in dem er stand. Nur war Karl nicht zu sehen.

    Er ging ins Badezimmer und sah in den Spiegel. Dort war er, so wie er sich kannte.

    Er zog ein paar Grimassen. Sein Spiegelbild tat es ihm gleich.

    Dann trat er erneut vor den Spiegel im Lesezimmer. Immer noch war dort kein Spiegelbild.

    Er trat näher heran und hauchte dagegen. Es bildete sich kein Fleck, wo sein Atem die Oberfläche berührte.

    Dann beugte sich Karl so weit vor, dass seine Nasenspitze den Spiegel berühren musste.

    Doch sie tat es nicht. Da war kein Spiegel, es war vielmehr wie beim Fassen durch einen Fensterrahmen.

    Er schrak zurück.

    Dann hängte er den Spiegel ab und lehnte ihn an die Wand.

    Vorsichtig machte er einen Schritt hindurch und kletterte auf die andere Seite.

    Der Raum war der gleiche, selbst der Spiegel lehnte dort, wo er es eben getan hatte. Der einzige Unterschied war, dass der Raum verkehrt herum war. Was links stand, war rechts und umgekehrt.

    Er sah sich um.

    „Schatz?, fragte eine brünette Frau, die im Türrahmen zum Lesezimmer stand. „Ist dir nicht gut?

    Karl fand keine Worte. Diese Frau, er kannte sie! Es fiel ihm nur nicht mehr ein woher. Sein Blick wanderte ihre Silhouette hinab, über ihr einladendes tief ausgeschnittenes Dekolleté hinab zu ihrer Hüfte.

    „Ähm", setzte er an. Dann fiel es ihm ein. Er hatte sie schon mal getroffen. War das im Studium? War das eine Frau, mit der er sich mal verabredet hatte?

    „Komm her, sagte sie und trat zu ihm, da er sich nicht bewegte. Sie duftete nach irgendwelchen Blumen, doch er wusste nicht, was für welche. Ihm gefiel der Duft. „Wenn dir nicht nach reden ist, ist das auch in Ordnung, flüsterte sie ihm ins Ohr.

    Es klingelte, laut und drängend. Karl öffnete die Augen und sah sich um.

    Er lag alleine in seinem Bett, in Boxershorts und Socken. Erneut betätigte jemand die Türklingel. Wieder drückte dieser jemand mehrmals, was dem Klingeln etwas Forderndes gab.

    Karl stand auf und zog seine Jeanshose an. Wer auch immer ihn störte, musste mit seinem nackten Oberkörper vorliebnehmen.

    An der Tür war ein älterer Mann in einem Anzug, über dem er einen Kurzmantel trug. Er deutete eine Verbeugung an.

    „Guten Tag, Herr Gordes, sagte der Mann. „Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie gestern einen Spiegel bei einer Auktion ersteigert haben?

    „Hmm", brummte Karl.

    „Hätten Sie Interesse, den Spiegel zu verkaufen?"

    „Sie sind dieser andere, der mitgeboten hat", stellte Karl fest, der das Gesicht plötzlich einzuordnen wusste.

    „Balthasar ten Dornan, ja. Ich habe großes Interesse an diesem Spiegel."

    „Tja, der ist aber gerade nicht zu verkaufen", stellte Karl patzig fest. Was fiel diesem Kerl ein? Wer von den Auktionsveranstaltern hatte dem seine Privatadresse gegeben?

    „Sie haben sich gar nicht meinen Preis angehört", stellte Balthasar ruhig fest. Karl begann die Tür zu schließen.

    „Werde ich auch nicht."

    Bevor sie ins Schloss fallen konnte, schob Balthasar ten Dornan seinen Fuß dazwischen. Karl hörte, wie der Mann scharf einatmete.

    „In Ihrem und meinem Interesse sollten Sie mich anhören, stellte Balthasar fest. „Dieser Spiegel ist der Tod seines Besitzers.

    „Ach was, auf einmal ist er verflucht, wenn man nicht verkaufen will?", erwiderte Karl.

    „Ich beschäftige mich damit, solche Dinge aus dem Verkehr zu ziehen. Der Spiegel erahnt Ihre Wünsche und ...", setzte Balthasar erneut an, doch Karl drückte seinen Schuh zur Seite und zog die Tür zu.

    Er ging zum Frühstück. Das Klingeln des Fremden ignorierte er einfach, bis dieser aufgab. Er schüttelte den Kopf. Erst dieser seltsame Traum und dann so ein schlechter Verlierer, der ihm Blödsinn erzählte.

    Er wusste noch, dass er vor dem Einschlafen durch den Spiegel getreten war und den Abend mit dieser hinreißenden Frau verbracht hatte, seiner Ehefrau, wie sie sagte. Er seufzte. Es war einer der realistischsten Träume seit Langem gewesen und dabei auch einer der besten.

    Wobei, das mit dem Spiegeltreten kam ihm bekannt vor. Ob er das schon mal bei Stephen King gelesen hatte? Dessen Bücher hatte er früher gerne und immer wieder gelesen. Da musste sein Unterbewusstsein die Inspiration her haben.

    Karl ging nochmal ins Lesezimmer und sah sich den Spiegel an. Dabei beugte er sich vor und packte mit der Hand darauf. Er fühlte die Kälte des Spiegels und seine Finger hinterließen deutliche Fettflecken.

    Zufrieden lächelte er. Was für ein mieser Antiquitätenhändler, der Leuten mit Geschichten Angst machen will.

    Karl sah auf die Uhr und fluchte. Er beeilte sich, um pünktlich zur Arbeit zu kommen und verließ das Haus.

    Als er später abends nach Hause kam, fand er an seiner Haustür die Karte von Balthasar ten Dornan vor. Er hatte sie in den Briefkastenschlitz gesteckt.

    Karl warf sie in den Müll und machte es sich mit einem Teller Dosenravioli in seinem Lesezimmer gemütlich.

    Während er so den Stimmen im Radio lauschte, dachte er noch einmal über den Spiegel nach. Noch immer lehnte er an der Wand.

    Er stellte die Schale ab und trat vor den Spiegel.

    Als er sich vorbeugte, war dort kein Spiegelbild zu sehen.

    Er atmete scharf ein.

    Das kann nicht sein, ging es ihm durch den Kopf.

    Er reckte den Kopf hinein. Tatsächlich, wie ein Fenster, überlegte er.

    Erneut kletterte er hindurch und sah sich um. Das Lesezimmer sah ganz anders aus. Es waren viele Dinge dort, die dort nicht sein sollten. Die persönliche Note von jemand anderem, ging es ihm durch den Kopf.

    Dann rief jemand nach ihm. Es war eine Frauenstimme. Er ging die Treppe hinab und fand dort eine Frau vor, mit flammenden roten Locken. Sie half einem kleinen Jungen beim Ausziehen seiner Winterstiefel. Dabei berichtete er ihr mit gewichtiger Miene von seinem Schultag.

    „Schatz, ist irgendwas?", fragte die Frau. Diese Frau kannte er. Es war eine Kollegin, die er vor einigen Jahren mal zum Essen eingeladen hatte. Eine freundliche Dame, die er sehr anziehend gefunden hatte. Aber er hatte sich wohl nicht richtig um sie bemüht und so war sie irgendwann in eine andere Abteilung versetzt worden und der Kontakt abgebrochen.

    Einige Wochen später saß Balthasar ten Dornan auf einem der billigen Klappstühle bei einer Auktion.

    „Wir haben hier einen Spiegel, in sehr gutem Zustand. Er wurde von seinem Vorbesitzer erst kürzlich erworben und es handelt sich um ein sehr altes Stück", begann der Auktionator sein neuestes Stück anzupreisen.

    Balthasar hob seine Nummer und rief eine Zahl. Der Spiegel musste aus dem Verkehr gezogen werden. Diesmal durfte ihn niemand überbieten. Karl Gordes hatte ihm nicht geglaubt. Der Spiegel ernährte sich von der Lebenskraft der Menschen und zeigte ihnen dafür, was sie sich wünschten. Die Illusion war perfekt und so versanken die Menschen immer tiefer, bis von ihnen nicht mehr übrig blieb als ausgemergelte Hüllen.

    Ein anderer überbot Balthasar. Balthasar hielt dagegen, doch der Fremde zog die Stirn ärgerlich in Falten und verdoppelte den Preis. Balthasar ten Dornan fluchte. So viel Geld hatte er nicht dabei ...

    ENDE

    Der alte General

    Zehn nach halb neun . Damit ist der Chef definitiv zu spät. Mir soll es recht sein. Vermutlich hat Herr Dr. Fernh irgendwas Wichtigeres zu tun.

    Ich stehe auf von der Bank in unserem provisorischen Pausenraum.

    „Sollen wir?", frage ich in die Frühstücksrunde. Eine obligatorische Reaktionssekunde passiert erst mal gar nichts. Dann ernte ich das erste langsame Nicken.

    Wir haben schließlich auch ohne den Chef alle was zu tun. Wir, das meint eine bunt gemischte Truppe, die hier für die Stadtarchäologie arbeitet: Praktikanten von der Universität, die hier erste Erfahrungen sammeln, zwei Ehrenamtliche, die hier mal reinschnuppern, und die Hand voll Leute, die uns „echten" Archäologen vom Arbeitsamt zugeteilt wurde. Deren Arbeitskraft ist nämlich preiswerter als alles von Leuten machen zu lassen, die das studiert haben.

    Aber naja, auch die Stadt muss sehen, wo ihr Geld bleibt.

    Ich bin nach dem Chef hier die Nummer zwei, also muss ich jetzt mal für Bewegung sorgen.

    Wir schnappen uns Spaten und Eimer, Schaufeln und ein Radio.

    Wir wissen alle, was zu tun ist. Da muss nicht viel erklärt werden. Auf einer Vierzig-Quadratmeter-Fläche müssen wir die ein Meter siebzig tiefe Grube nochmal um dreißig Zentimeter abtiefen. Eigentlich dachten wir, wir sind schon auf der richtigen Höhe. Aber jemand hatte sich verrechnet. Dreißig Zentimeter klingt nicht viel, ist aber eine ganze Menge bei der Fläche.

    Fehler passieren, genauso wie man unvorhergesehene Dinge findet. Bomben im zweiten Weltkrieg haben manchmal Krater in die Erde gefressen, oder wir finden Rohrleitungen oder Stromkabel, die nirgendwo verzeichnet sind, manchmal noch mit Strom drauf. Alles schon vorgekommen. Aber Gott sei Dank ist das hier keine Notgrabung, wo uns Bauarbeiter und Bauherren im Nacken sitzen. Wir sondieren hier nur für einen Grundstückseigentümer, wie tief er bei seinen Baumaßnahmen gehen kann. Hier in der Innenstadt kann man dabei allerhand finden und solange kein Bauplan ansteht, hat man auch keine großen Geldverluste, weil alle warten müssen.

    Dazu können wir schon mal testen, ob wir die Relikte jüngerer deutscher Geschichte finden: Bomben, meist nur die Reste, manchmal aber auch Blindgänger.

    Irgendwer erzählte mal, das inoffizielle Motto der Minensucher der Bundeswehr wäre: „Wer suchet, der findet, wer drauftritt verschwindet."

    Das ist nur halb so witzig, wenn man mal die Schaufel in die Erde rammt und es ein sehr metallisches „klonk"-Geräusch gibt.

    Trotzdem ist die Gefahr natürlich doch eher geringer als in den meisten Indiana Jones-Filmen dargestellt. Es ist unumgänglich, über Archäologen zu reden, ohne den Vergleich heranzuziehen. Das muss jeder Student im Verlauf seines Studiums zu ertragen lernen. Einmal ist das ja witzig, aber irgendwann ...

    Ich beginne damit, die Erde, die Alex mir mit dem Spaten vorlockert, in die Eimer zu schippen. Es hat geregnet, der Boden ist lehmig und vollgesogen. Jetzt allerdings scheint die Sonne.

    Gehört halt alles dazu, wenn man was finden will. Ich will nicht wissen, wie anstrengend eine Grabung in Ägypten ist.

    Alex, oder Alexander Pilsner, lässt kurz den Spaten sinken.

    Ich und auch alle, die hier gerade die Graberei-Arbeit machen, wissen, was jetzt kommt.

    Aus seiner ausgebeulten Westentasche zieht er eine alte Holzpfeife mit kleinen Metallverzierungen.

    Dann schiebt er seine Schiebermütze auf seinen nach hinten gegelten, langsam lichter werdenden Haaren zurück und stopft die Pfeife genüsslich.

    Anschließend nimmt er Streichhölzer heraus und nach dem Stopfen der Pfeife wird sie erst mal genüsslich angezündet. Dass es ein Genus sein muss, zeigt sein völlig zufriedenes Lächeln.

    Uns steigt dabei immer nur der süßliche Tabakrauch in die Nase. Alex ist arbeitslos und hilft hier ehrenamtlich aus. Er ist sicher so um die vierzig mit einem wettergegerbten Gesicht, das ihn älter aussehen lässt.

    Dann geht die Schaufelei weiter.

    Lutz, einer der Praktikanten der Uni hier, nimmt einen vollen Eimer an. Irgendwer muss heute fragen, diesmal ist Lutz dran.

    „Alex, Laura ist doch neu hier. Erzählst du uns und ihr nochmal, wie du hierhergekommen bist?"

    Alexander erzählt gerne Geschichten, die sich zwar nie gegenseitig widersprechen, deren Wahrheitsgehalt ich aber mal dezent anzweifeln will.

    Alex pafft noch ein, zwei Mal genüsslich und lässt zwei kleine Wölkchen aufsteigen. Dann, die Pfeife noch im Mundwinkel, nimmt er seinen Spaten wieder auf und macht sich an die Arbeit.

    Erst denken wir schon, er wäre heute nicht in Stimmung und würde nichts erzählen.

    Doch dann beginnt er: „Es ist ja schon über hundert Jahre her, da wurde ich im schönen Staate Virginia in den jungen, Vereinigten Staaten von Amerika geboren. Aufgewachsen bin ich aber dann in Boston. Hat mich auch sehr geprägt, denk ich mal. Jedenfalls kam dann der große Krieg. Also der Krieg des Nordens gegen den Süden. Der Süden, wir, wurden da rein gezwungen."

    „Naja", sagt Laura, die neue Praktikantin, laut. Sofort ruhen alle Blicke auf ihr. Wir mögen Alex‘ Geschichten. Gerade bei solchen Gelegenheiten helfen sie, die Arbeit schneller zu erledigen.

    „Der Süden wurde doch nicht gezwungen", merkt sie nun etwas kleinlaut an. Alexander pafft erneut ein paar Wolken, bevor er fortfährt.

    „Geht so. Als Sohn Virginias war ich hin und her gerissen, für wen ich kämpfen solle", setzt er seine Geschichte fort.

    „Moment, so alt können Sie doch niemals sein", fährt Laura dazwischen.

    Entnervt schnaube ich.

    „Das fällt dir erst jetzt auf?, stelle ich fest. „Er erklärt das.

    Laura sieht mich skeptisch an.

    Alexander lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

    Ein paar kleine Wölkchen steigen auf, bevor er fortfährt.

    „Muss ja nichts erzählen", brummt Alexander, während er eine weitere Wolke aufsteigen lässt.

    „Damit die Neue ins Bild kommt, fange ich mal an mit dem Grund meines Hierseins. Wir belagerten eine kleine Stadt, die vom Norden besetzt war. Die Blauröcke hatten sich verschanzt in der Schule der Stadt. Wir saßen in den Gebäuden darum herum. Die Sonne brannte und auch in den Häusern war es so warm, dass die Uniform wie eine zweite Haut anklebte. Ich war seiner Zeit bereits General, General Alexander Pilsner. Trotz allem hatte ich nur einen Revolver. Der Süden war für diesen Krieg nicht so gut gerüstet wie der industrialisierte Norden. Wir belagerten also dreißig Mann in der Stadthalle mit gerade mal zwei Dutzend Konföderierten. Das allerdings wussten die Blauröcke nicht, weil ich die Jungs angewiesen hatte, Lärm für ein Bataillon zu machen."

    „Kommt jetzt die Hexe?", fragt Lutz mich, während er mehrere Eimer aus der Grube hochhievt. Ich nicke.

    „Dann geh ich mal pissen", entschuldigt er sich eloquent.

    Alexander ignoriert ihn geflissentlich in seinem Redefluss.

    „In dem Ort gab es viele Russen, die aus demselben Grund in die USA kamen, wie alle anderen auch: ein besseres Leben. Jeder der damals in die Staaten kam, ließ sich gerne bei Landsleuten nieder. So gab es immer mal Dörfer, in denen man kaum wen fand, der Englisch gut sprach. Die Hexe hieß jedenfalls Swara oder so, auf jeden Fall wurde sie mir so vorgestellt. Sie sollte uns segnen.

    War, muss ich gleich sagen, nicht meine Idee. Glaubte nicht an so einen Humbug. Die Anwohner wollten, dass wir so schnell es geht gewinnen. Möglichst, so nehme ich an, ohne viel kaputt zu machen. Außerdem ist der Kampf für die Freiheit so eine Sache. Alle finden ihre Freiheit toll und wenn sie bedroht ist, wird sie für manche erst wirklich wertvoll. Nur selbst für sie kämpfen, das ist es dann doch nicht jedem wert. Außerdem nach Möglichkeit nicht vor oder eigenen Haustür, sondern weit weg. So bist du als Soldat auch meist unbeliebt.

    Swara jedenfalls strich uns mit einer in irgendwas getunkten Feder über die Stirn und sprach dabei in ihrer Heimatsprache, oder wirres Zeug, ich kann kein Russisch. War schon älter, die Frau, man sah ihr aber die verblassende Schönheit an. Schwarze Augen, schwarzes Haar, und Haut, also meine ist mehr gegerbt worden durch die Sonne. Sie war sicher schon Jahre älter als ich, aber man konnte das nicht genau sagen. Sie hatte einfach irgendwas Besonderes an sich. Jedenfalls sind wir dann raus, haben uns verteilt. Jeder wusste, wo er sein sollte. Hexenwerk oder nicht, wir wollten das Ganze beenden und reinstürmen. Ich...", so geht es eine ganze Weile voran, wie er alleine mehre Gegner tötete. Laura hängt bei der Beschreibung des kurzen aber heftigen Gefechts genauso an seinen Lippen wie wir anderen. Seine Stimme ist einfach so, dass man ihr zuhören muss.

    „Ich warf ihm den leeren Revolver entgegen und duckte mich unter seinem Hieb weg. Ein fester Tritt von mir, und seine Familienplanung hatte sich erledigt. Dann war es vorbei. Keiner von denen stand mehr und wir hatten nur Steve und Peters verloren."

    „Wie aber kamst du her?", fragt Laura jetzt spitz.

    „Ich hab mich mit der Alten eingelassen", brummt er. Er pafft mehrere Wolken.

    „Eingelassen?", fragt Laura.

    „Ja, lautstark, sie war nicht so alt, wie du dir das vielleicht vorstellst", erwidert er und grinst anzüglich. Laura bekommt rote Ohren und wendet den Blick ab.

    „Dann hab ich den Fehler meines Lebens gemacht. Ich hab ihr den verdammten Ring geklaut. Ich war so fasziniert von ihm. Es war wie eine Stimme in meinem Kopf, die schrie, ich solle ihn mitnehmen. Als ich mich ein paar Tage später schlafen legte, war noch alles normal. Ich spielte mit dem Ring, hatte ihn am Finger, als ich einschlief. Als ich aufwachte, war ich hier."

    „Also ein magischer Ring?", fragt Lutz unnötigerweise.

    „Vermutlich", stimmt ihm Alexander zu.

    „Aber kannst du ihn nicht einfach anstecken und einschlafen und wieder zurückkommen?", fragt Laura.

    Alexander nickt.

    „Immer wieder, immer wieder", brummt er und pafft vor sich hin, während er mit der Schaufel Erde in den Eimer füllt.

    AM NÄCHSTEN TAG ERSCHEINT er nicht zur Arbeit. Da wir ihn lieb gewonnen haben, wundern wir uns schon am Ende der Woche. Schließlich sehen wir eine Schlagzeile in der Zeitung, die uns zu denken gibt:

    Mitvierziger aus von innen verschlossener Wohnung verschwunden. Alexander P., Hartz IV-Empfänger, war mehrere Tage nicht bei seinen Bekannten in der Kneipe erschienen. Daraufhin überredeten diese den Vermieter, seine Wohnung zu öffnen, bei der sich die Post im Postfach stapelte.

    Seine Wohnung war von innen verschlossen, seine Kleidung war noch da und seine Pfeife lag neben seinem Bett auf seinem Nachttisch. Er allerdings ist verschwunden.

    Die Polizei ermittelt.

    Von einem Verbrechen sei aber nicht auszugehen.

    Vielleicht ist er in

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