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Ebook542 pages6 hours

Outside

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About this ebook

Die Ermittlungsbehörden stehen vor einem Rätsel: weltweit werden auf unerklärliche Weise Wissenschaftler, Ärzte und Ingenieure entführt, aber weder gibt es Hinweise auf deren Verbleib, noch Geldforderungen.
Sonderermittlerin Patricia Cooper geht gemeinsam mit Bodyguard David Namarra der Sache nach, doch ihre Nachforschungen sind gefährlich. Ihr Gegner ist skrupellos und verfügt über ungeahnte Möglichkeiten. Schnell geraten die Ereignisse außer Kontrolle, infolge dessen beide eine Grenze überschreiten, von der es offenbar kein Zurück mehr gibt. Bald werden sie von der Wahrheit auf eine Weise eingeholt, die weit außerhalb ihrer bisherigen Vorstellungskraft liegt.
LanguageDeutsch
PublisherTWENTYSIX
Release dateJan 18, 2018
ISBN9783740756932
Outside
Author

Oliver Reiche

Oliver Reiche, Jahrgang 1965, arbeitet als Projektleiter in der Bau- und Immobilienbranche. Nebenbei schreibt er Romane oder Drehbücher, betätigt sich als Jugendleiter in einem Fußballverein oder gönnt sich Miniauszeiten in seinem Kleingarten. Er lebt mit seiner Familie in Dresden. Von ihm sind bereits die SF-Kurzgeschichtensammlung `Primus´ sowie die Romane `Outside´ und `Mr. Neboc´ verfügbar.

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    Book preview

    Outside - Oliver Reiche

    Das Buch:

    Es ist der Job von Sonderermittlerin Patricia Cooper, Entführungen zu verhindern. Als jedoch ein Ingenieur trotz Überwachung fast direkt vor ihrer Nase spurlos verschwindet, ist sie ratlos. Zwar steht ihr mehr oder weniger ungewollt Bodyguard David Namarra zur Seite, aber ihr Gegner ist skrupellos und verfügt über ungeahnte Möglichkeiten. Schon bald geraten die Ereignisse außer Kontrolle. Beide überschreiten eine Grenze, von der es offenbar kein Zurück mehr gibt - ihr Schicksal scheint besiegelt. Doch so leicht geben sie nicht auf, und vielleicht verbirgt sich hinter ihrem neuen Aufenthaltsort auch viel mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist.

    Der Autor:

    Oliver Reiche, geboren 1965, Bauingenieur, war einige Zeit selbstständiger Unternehmer. Mittlerweile arbeitet er als Projektleiter für ein international tätiges Bauunternehmen. Nebenbei schreibt er Science-Fiction-Romane, Kurzgeschichten, Gedichte oder Drehbücher. Er lebt mit seiner Familie in Dresden.

    Weitere Informationen unter: www.oliver-reiche.de

    Für meine Mutter,

    ruhend in der Tiefe meines Herzens.

    Für meinen Vater,

    der nie den Mut verloren hat.

    Inhaltsverzeichnis

    Erster Teil: Abschied

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Zweiter Teil: Erwachen

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Dritter Teil: Erinnerung

    06. Juli 1889

    29. August 1889

    25. September 1889

    11. Oktober 1889

    27. Oktober 1889

    19. November 1889

    09. Dezember 1889

    28. Dezember 1889

    05. Januar 1890

    18. Januar 1890

    17. April 1890

    24. September 1890

    14. Januar 1891

    1. März 1891

    6. März 1891

    13. März 1891

    25. März 1891

    07. April 1891

    27. Mai 1891

    10. Oktober 1912

    15. Oktober 1912

    28. Dezember 1912

    03. Juli 1915

    09. Oktober 1922

    24. September 1929

    12. November 1929

    22. März 1937

    25. Juni 1937

    29. Mai 1941

    12. November 1946

    08. November 1949

    22. Dezember1964

    21. Dezember1965

    10. August 1967

    09. Juli 1970

    13. Oktober 1972

    15. Juni 1979

    06. Juli 1989

    27. Mai 1990

    24. April 1999

    30. Dezember 1999

    02. August 2002

    09. Mai 2005

    23. Juni 2007

    16. Februar 2011

    07. Februar 2012

    16. August 2014

    25. Dezember 2014

    02. April 2015

    11. November 2015

    17. Mai 2016

    04. Juli 2016

    Erster Teil:

    ABSCHIED

    1 - 1

    „Darf ich fragen, was mit Ihrer Hand geschehen ist, Sir?" David Namarra wies auf die verbundene Hand seines Gegenübers, einen dreiundachtzigjährigen, zerknitterten Greis in einem zu großen Anzug und zerwühlten Haaren. Dieser sah Namarra durch seine leicht schief sitzende Brille an, während zwischen den beiden Männern, die sich in der Bibliothek gegenüberstanden, ein dünner Keil aus Licht leuchtete, in dem feine Staubpartikel einen gemächlichen Tanz aufführten.

    „Ein Unfall, nichts weiter", murmelte der alte Mann widerwillig, wobei er grüblerisch seine umwickelte linke Hand betrachtete.

    Aus den erschöpft wirkenden Gesichtszügen seines Arbeitgebers entnahm Namarra, dass sich dahinter eine unerfreuliche Geschichte verbarg. Er schüttelte den Kopf und sah auf Alan Rosenthal herab, der ihm gerade bis zu den Schultern reichte. „Es sieht nicht aus wie `nichts weiter'", widersprach er mit leicht tadelnder Stimme.

    „Es war im Nachhinein gesehen einfach keine gute Idee, die Hecke hinter dem Gewächshaus heute Vormittag selbst verschneiden zu wollen. Ich bin mit der Schere abgerutscht. Ein Schnitt quer über den Handrücken, vielleicht zwei oder drei Zentimeter lang. Und bevor Sie fragen: Ja, es hat geblutet, jede Menge sogar. Aber zum Teufel, der Wildwuchs hat mich einfach gestört. Es klang fast so trotzig wie bei einem kleinen Kind, das sich ungerecht behandelt fühlt. „Aber da es keine lebensgefährliche Verletzung ist, werde ich Ihnen wohl noch eine Weile erhalten bleiben.

    „Das freut mich. Hat sich Lisa darum gekümmert?"

    Rosenthal hielt Namarra demonstrativ die bandagierte Hand vor dessen Gesicht. „Sieht es aus, als hätte ich sie selbst verbunden?"

    Namarra besah sich den Verband genauer. Die Wunde schien fachmännisch versorgt zu sein. Wieso der reiche alte Mann der Versuchung erlegen war, die widerspenstige Brombeerhecke selber zu verschneiden, anstatt diese Arbeit an den Gärtner zu delegieren, würde vermutlich sein Geheimnis bleiben. Sicher stellte die Verletzung jedoch nicht den eigentlichen Grund dar, warum ihn Rosenthal um ein kurzes Gespräch in der Bibliothek gebeten hatte, die man zumindest für eine einzelne Person - fast schon verschwenderisch ausgestattet hätte nennen können.

    In dieser ruhten einige seltene Erstausgaben, doch es reihten sich noch zahllose weitere, in Leder gebundene, auf den ersten Blick völlig gleich aussehende Exemplare aneinander. Andere Werke wiederum sahen ehrfurchtgebietend und majestätisch aus, als beinhalteten sie altes, geheimnisvolles Wissen. An manchen Tagen wirkten die Bücher, als würden sie von den dicken, verstaubten Regalböden in drei Metern Höhe geringschätzig herabsehen ob der Unwissenheit derjenigen, die achtlos an ihnen vorbeigingen. Die Luft in der Bibliothek war trocken und hinterließ einen merkwürdigen Geschmack auf der Zunge, als kostete man mikroskopische Bestandteile der langsam verbleichenden Druckerschwärze.

    David Namarra fand das alles mehr als erstaunlich. Seit seiner Anstellung vor elf Jahren als Bodyguard hatte er seinen Arbeitgeber, Alan Rosenthal, kein einziges Buch lesen sehen. Weder in dessen Bibliothek, dem Garten oder Gewächshaus, einem weiteren Rückzugsort des Millionärs. Mittlerweile wagte Namarra sogar die Behauptung, dass der alte Mann sich auch Zeit seines gesamten Lebens davor nie etwas aus Literatur gemacht hatte.

    Aus irgendeinem Grund jedoch erinnerte Namarra der längliche, mit den literarischen Werken der Menschheitsgeschichte vollgestopfte Raum mehr an eine eigenwillige Kathedrale als an einen privaten Büchersaal. Das mochte mit an den drei farbig und kunstvoll ornamentierten Spitzbogenfenstern liegen, die das Licht in den verschiedensten Schattierungen der Regenbogenfarben streuten und damit eine weiche, zauberhafte Atmosphäre schafften. Zugleich gaben sie dem Bereich etwas Erhabenes, was weit über seine funktionelle Nutzung hinausging.

    „Aber wir sind nicht hier wegen einer läppischen Verletzung", unterbrach Rosenthal die Gedanken Namarras. Der alte Mann hob mit der gesunden Hand vorsichtig den Deckel einer schlichten Holzkiste ab, die neben ihm auf einem Lesetisch stand. Dann entnahm er dieser ebenso behutsam einen in Styroporkügelchen eingebetteten kleinen Gegenstand, um ihn David Namarra entgegenzuhalten.

    „Was sagen Sie als Laie: sind zwei Millionen Dollar zu viel für dieses Schmuckstück? Han-Dynastie."

    Erst jetzt erkannte Namarra, dass es sich um eine schlanke Vase handelte, die vielleicht zwanzig Zentimeter hoch sein mochte. Um sie herum wand sich ein winziger, filigran gearbeiteter Drache. Trotzdem sah die Vase für Namarra aus wie eines von den kitschigen Schreibtischnippes für fünf Dollar, in die man Stifte stecken konnte. Zudem das Wort `Han-Dynastie' für ihn nur nebulöser Natur war. Er vermutete dessen Ursprung in China, doch es verbanden sich damit keine tiefer liegenden Kenntnisse über einen genauen Ort, eine Epoche oder die Bedeutung. Aber er war lernfähig. Die vielen Stunden, die er in den letzten Jahren als Bodyguard des jüdischen Millionärs in der Nähe von wohlhabenden und auch gebildeten Leuten verbracht hatte, zeigten Wirkung. „Han-Dynastie, sagten Sie? Unglaublich! Ist es aus einer Serie oder ein Einzelstück?"

    Rosenthal nickte bedächtig, ergriffen von der unerwarteten Fachkenntnis seines Beschützers. Er hielt die Vase in das Regenbogenlicht, als würde er ihr ein Bad in der Sonne gönnen, dann wandte er sich milde lächelnd Namarra zu. „Ernsthaft? Glauben Sie wirklich, ein Alan Rosenthal kauft aus einer Serie? Entweder kaufe ich die gesamte Serie oder lasse es ganz. Das hier ist ein zertifiziertes Einzelstück, die Preise sind seit geraumer Zeit stark im Aufwärtstrend. Vermutlich kann ich sie in zehn Jahren für den fünffachen Preis verkaufen."

    Namarra unterließ es tunlichst, Rosenthal darauf hinzuweisen, dass dieser in zehn Jahren dreiundneunzig Jahre alt wäre und sehr wahrscheinlich andere Probleme haben würde, als den gewinnbringenden Verkauf von chinesischem Porzellan zu organisieren. „Da haben Sie wieder mal ein gutes Händchen bewiesen", lobte er seinen Arbeitgeber stattdessen.

    „Ein tolles Stück Arbeit. So viel Kunstfertigkeit. So viel Geschichte. Es lag mir am Herzen. Rosenthal legte die Vase andächtig in die Holzkiste zurück, bevor er sich wieder Namarra widmete. Dabei hielt er die Finger leicht ineinander verschränkt, als würde er beten wollen. „Das ist ein gutes Stichwort. Es gibt noch etwas, dass mir am Herzen liegt.

    Soweit sich Namarra erinnern konnte, betraf die letzte Herzensangelegenheit von Rosenthal die Bibliothek und damit ihn als Bodyguard persönlich, wenn auch nur indirekt. Er besaß die ausdrückliche Erlaubnis Rosenthals, die umfangreiche Bibliothek nach freiem Ermessen zu nutzen – einen sorgsamen Umgang mit den Raritäten vorausgesetzt. Obgleich Namarra ab und an wirklich Zeit in dem fast schon sakralen Raum verbrachte, las er nie ein einziges Buch. Vielmehr genoss er die Ruhe, die fast vollkommene Stille, die tief in ihn eindrang und verborgene Spannungen in seinem Inneren besser löste, als es eine Massage vermocht hätte. Manchmal wurde er dabei nachdenklich, dann dauerte es meistens nicht lange, bis Erinnerungen auf ihn einstürzten, auf die er nicht den geringsten Wert legte.

    Rosenthal schien sich zu freuen wenn er Namarra die Bibliothek besuchen sah, doch dieser sagte ihm nie, dass er der Fülle der niedergeschrieben Dinge wenig abgewinnen konnte. Seine Philosophie in dieser Hinsicht bestand darin, dass alles, was es zu wissen galt, im Bedarfsfall nur einen Mausklick entfernt bei Wikipedia lagerte.

    „Wie Sie wissen, habe ich in den letzten Jahren nicht viele nennenswerte Reisen durchgeführt. Daher wird das jetzt in doppelter Hinsicht eine Überraschung für Sie sein."

    Sofort wurde Namarra hellhörig. Genaugenommen hatte Rosenthal in der ganzen Zeit, in der er für ihn arbeitete, nur vier Reisen unternommen, die diese Bezeichnung auch verdienten. In den letzten elf Jahren war Rosenthal lediglich zwei Mal nach New York sowie einmal je nach Buenos Aires und Vancouver geflogen. Immer begleitet von David Namarra und Lisa. In allen Fällen verliefen die Reisen, die nie länger als zehn Tage dauerten, glatt und ereignislos – zumindest aus der Sicht eines Leibwächters. Allerdings lag der letzte dieser Ausflüge auch schon wieder sechs Jahre zurück. Rosenthal vertrat seit geraumer Zeit den Standpunkt, dass jeder, der etwas von ihm wollte, gefälligst zu ihm kommen sollte. „Sollte ich mich vielleicht nicht doch hinsetzen?"

    Rosenthal wischte die flapsige Bemerkung seines Leibwächters mit einer müden Handbewegung weg. „Um es kurz zu machen: Ich fliege in vier Tagen nach Mumbai. Ich nehme nur Arne Sjöberg mit. Und Lisa natürlich."

    Damit hatte Namarra nicht gerechnet, nicht einmal ansatzweise. Alan Rosenthal plante einen Ausflug nach Indien. Einmal um die halbe Welt, obwohl er ständiger medizinische Betreuung bedurfte, obwohl er die letzten sechs Jahre nicht aus Kalifornien herausgekommen war. Die Sache war rätselhaft, was konnte Rosenthal so weit weg wollen? Das Einzige, was Namarra zu Mumbai einfiel war der Begriff `Diamanten'. Dagegen sprach, dass der alte Mann sich nie etwas aus Edelsteinen und Schmuck gemacht hatte, was möglicherweise der Abwesenheit einer Frau in den letzten dreißig Jahren im Leben Rosenthals geschuldet war. Die Welt des Millionärs bestand aus Immobilien, Kunstgegenständen und Geschäftsbeteiligungen. Woher also kam mit einem Mal dieser Sinneswandel? „Darf ich fragen ob Sie beabsichtigen, Diamanten zu erwerben?", erkundigte sich Namarra neugierig.

    Rosenthal zögerte ein paar Sekunden. „Mir liegt ein Angebot für ein bezauberndes Set vor, welches allerdings zeitlich limitiert ist. Wie ich jedoch schon erwähnte, hängt mein Herz daran, daher muss ich wohl oder übel über meinen Schatten springen."

    Namarra nickte verständnisvoll, obwohl seine Gedanken durcheinanderwirbelten. „Und Sie nehmen Sjöberg mit, das habe ich doch richtig verstanden?"

    „Haben Sie ein Problem damit?" Rosenthal sah ihn durch seine dicke Brille an wie einen seltenen Käfer.

    Verdammt, ja, natürlich hatte er ein Problem damit. „Nun ja, begann Namarra nachdenklich, „immerhin sind Sie dann mit wertvollen Edelsteinen unterwegs. Vielleicht sollte Sie deshalb jemand mit einer etwas längeren Berufserfahrung begleiten. Sjöberg ist erst seit einem halben Jahr bei uns. Von der Versuchung gar nicht zu reden. Nichts gegen Arne, wohlgemerkt. So richtig passten die Dinge nicht zueinander, weil sie nicht zu Rosenthal passten. Das Ganze war schwierig zu verstehen.

    „Das mag ja alles sein, Namarra, aber ich habe bereits gründlich darüber nachgedacht und eine Entscheidung getroffen. Die Tickets und das Hotel sind gebucht. Die paar Tage ohne mich überstehen Sie schon."

    Es schien zwecklos, den alten Mann umzustimmen zu wollen. Namarra überlegte, woraus die Entscheidung wirklich resultierte: spielte der Altersstarrsinn eine Rolle oder blendete Rosenthal das Diamantenangebot derart, dass er solch eine seltsame Entscheidung traf? Schon die Motivation zum Kauf der chinesische Vase war fast unerklärlich, doch was zum Teufel wollte sein Chef mit einem `bezaubernden Diamantenset'?

    Aber immer, wenn sein Arbeitgeber von einer getroffenen Entscheidung sprach, erwies sich dies dann auch tatsächlich als der letzte Stand der Dinge, ob nun sinnvoll oder nicht. Manche Dinge konnte man nicht ändern, und das hier gehörte dazu.

    Er musste mit Arne Sjöberg reden, vielleicht wusste der schwedische Neuzugang Einzelheiten, die die Sache in einem anderen Licht erscheinen lassen würden. Namarra überlegte, wie er dabei am diskretesten vorgehen konnte. Er besaß kein Interesse daran, Rosenthal als lächerlichen, halb dementen Greis dastehen zu lassen, falls dessen Information über den Diamantenkauf etwas beinhaltete, was vielleicht völlig anders gemeint war.

    Rosenthal bediente fast jedes im Umlauf befindliche Klischee eines eigensinnigen, reichen Juden, aber dennoch schätzte ihn Namarra. Der Millionär spendete viel Geld an Wohltätigkeitsorganisation, kümmerte sich um seine Angestellten und war - zumindest soweit Namarra das beurteilen konnte - fair zu seinen Geschäftspartnern. Ab und an sogar war der alte Mann auch zu einem Spaß aufgelegt.

    Abgesehen davon hatte Namarra eine Menge zu verlieren, sollte die weitere Kommunikation aus dem Ruder laufen. Er bezog ein übertrieben gutes Gehalt und residierte auf dem Anwesen in einem einhundert Quadratmeter großen Gästehaus in einer Lage, um die ihn Banker und Anwälte beneidet hätten. Er besaß zudem den fast unschlagbaren Bonus, dass Rosenthal im vertraute - das Ergebnis zweier durch sein Eingreifen glimpflich verlaufener Überfälle und einer umsichtigen Karriereplanung.

    Das alles hatte im dritten Jahr seiner Tätigkeit für Rosenthal dazu geführt, dass acht Hektar große Grundstück an strategisch wichtigen Stellen mit Kameras zu bestücken und eine neue Sicherheitstechnik zu installieren. Alles mündete im sogenannten `Bunker', ein mit Technik und Bildschirmen vollgestopfter Raum, zu dem Namarra einen Schlüssel verwahrte. Der andere Schlüssel lag bei Rosenthal im Schreibtisch und staubte dort unbenutzt ein, da Rosenthal sich nicht im Mindestens für Technik jeglicher Art interessierte. Der Millionär hatte die Kosten für das gesamte Sicherheitspaket in Höhe von fast vierhunderttausend Dollar achselzuckend bezahlt. Manchmal fragte sich Namarra, warum er nicht einfach gelogen, Rosenthal eine deutlich höhere Summe gesagt und den Rest abgezweigt hatte.

    Sjöberg erwies sich als keine Hilfe. Im Gegenteil, er bestätigte Namarras Verdacht, dass dieser den Job mit völlig falschen Vorstellungen angenommen hatte.

    „Ich wüsste nicht, dass in meinem Arbeitsvertrag etwas von Mumbai steht", nörgelte der junge Schwede.

    „Dann sollten Sie ihn noch einmal gründlich durchlesen. Der entsprechende Passus steht ziemlich weit hinten: `Nach Erfordernis erfolgt der Personenschutz weltweit'. Das schließt so ziemlich jeden Ort in Indien mit ein."

    „Ja. Aber ein Riesendrecksnest wie Mumbai? Und er hat mir noch nicht einmal gesagt, was er dort will."

    Das wiederum fand Namarra erstaunlich, weil diese Informationen die Basis dafür darstellte, dass Leute wie er ihren Job vernünftig durchführen konnten.

    „Wenn Sie wollen, ich tausche gern. Und überhaupt: warum nimmt er eigentlich nicht Sie mit?", jammerte Sjöberg weiter.

    Das hätte Namarra auch gern gewusst. „Er ist der Chef und muss seine Entscheidungen nicht begründen. So einfach ist das. Ich schlage vor, Sie beschäftigen sich langsam mit der Thematik. Das ist kein Todesurteil, sondern eine Chance. Sehen Sie es als Ihre erste große selbstständige Aufgabe."

    Sjöberg trottete davon, während Namarra ihm kopfschüttelnd hinterher sah. Ein sechsundzwanzig Jahre alter, kraftstrotzender Wikinger, der lief, als würde er zu seiner eigenen Hinrichtung gehen. Der Schwede erwies sich zwar als ausgezeichneter Schütze, aber viel mehr schien es dann doch nicht zu sein. So lange Rosenthal jedoch in letzter Konsequenz alle Personalentscheidungen selbst traf, würde es immer wieder zu solchen Situationen kommen.

    Sjöbergs Aussage bestärkte ihn jedoch in der Seltsamkeit der Angelegenheit und machte ihm gleichzeitig klar, dass es höchste Zeit war, mit Lisa zu reden. Sie wohnte in einem Zimmer im Haupthaus und war Rosenthals Krankenschwester, Sekretärin, Seelentrösterin und Begleiterin in Personalunion. Sie sah allenfalls durchschnittlich aus, besaß jedoch eine anbetungswürdige Figur. In unregelmäßigen Abständen - meist wenn beide etwas getrunken hatten - gingen sie zusammen ins Bett.

    Namarra lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, platzierte seine Füße lässig auf dem Schreibtisch, verschränkte die kräftigen Hände hinter dem Nacken und versuchte, sich einen Reim auf die ganze Geschichte zu machen.

    1 - 2

    Wie ein metallenes, Nahrung suchendes Insekt aus einer anderen Welt schwebte der schwarzglänzende Hubschrauber flüsternd über dem Highway. Im Inneren der Maschine befanden sich neben den beiden Piloten noch Patricia Cooper und Robert Sheckley. Letzterer war zur Überraschung der Bundesagentin erst in letzter Minute eingestiegen, nachdem er sich als hochrangiger Vertreter der Homeland Security ausgewiesen hatte. Er war ein korpulenter, kurzatmiger Mann, der sich wichtig gab. Die Frau schenkte ihm dennoch kaum Aufmerksamkeit, denn seit nunmehr vierzig Minuten wechselte ihr Blick zwischen einem Bildschirm im Hubschrauber und dem Tablet in ihrer Hand hin und her.

    Das Objekt ihrer Beobachtung war in beiden Fällen dasselbe: ein Taxi, das weit unter dem riesigen Insekt träge im dahinfließenden Verkehr mitschwamm. Es befand sich auf dem Weg zum L.A. International Airport.

    Bislang hatte Sheckley nur stumm aus dem Fenster gesehen, doch plötzlich berührte er Cooper mit einem seiner dicken Finger am Arm, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie wandte ihren Bick kurz von dem Tablet - auf dem zwei kleine rote Punkte nervös blinkten - und sah ihn fragend an.

    „Noch höchstens fünfzehn Minuten bis zum Airport. Denken Sie es kommt noch etwas dazwischen, bevor er dann in sein Flugzeug steigt?"

    Durch die hervorragende Schalldämmung des Helikopters, die fast keine Geräusche der Rotoren ins Innere ließ, verstand Cooper ihn völlig problemlos.

    Sie zuckte mit den Schultern. „Selbst wenn: er trägt einen nicht lokalisierbaren Transponder im Oberarm. Laut Eigenwerbung des Herstellers könnten wir ihn damit noch auf dem Grunde des Mariannengrabens in einem Betonbunkern mit fünf Meter dicken Mauern orten. Er geht also auf keinen Fall verloren."

    Sheckley nickte zufrieden. „Erzählen Sie mir etwas über ihn. Warum glauben Sie, kommt gerade er in Frage?"

    Sie seufzte innerlich. Natürlich verfügte Sheckley über die Berechtigung, solche Dinge fragen, schließlich hatte die Heimatschutzbehörde ein Recht darauf zu wissen, was mit den Staatsgeldern, die sie und ihr Team ständig zur Überwachung verpulverten, im Detail geschah. Andererseits erhielt die Homeland Security in regelmäßigen Abständen Berichte, die exakt die Antworten auf diese Fragen enthielten. „Ethan Kendrick, 64 Jahre alt. Sein Unternehmen hat die Errichtung einer hochtechnisierten Brücke in China geplant. Er persönlich soll die nächsten drei Jahre den Bau beaufsichtigen. Ein international hoch gehandeltes Prestigeprojekt der Chinesen mit entsprechendem Renommee und Vergütung. Also ist er erst einmal auf unsere Liste gekommen und wir haben ihn durchgecheckt. Das ist die Standard-Vorgehensweise. Dabei haben sich im Umfeld von Kendrick Auffälligkeiten ergeben. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die betreffende Person keine Ahnung, dass wir sie überprüfen. Erst danach treten wir an die Person heran und machen auf das Gefährdungspotenzial aufmerksam."

    Erneut nickte der dicke Mann neben ihr. „Die weltweit erste Brücke, die Strom erzeugt. Ich habe davon gehört." Sheckley kratzte sich am Kinn und sah wieder hinaus.

    Der Tross der Fahrzeuge näherte sich einer Ampelkreuzung.

    „Wie weit weihen Sie die Leute eigentlich ein? Und nach welchen Kriterien treffen Sie Ihre Auswahl?"

    Auch wenn sie die Berechtigung der Fragen akzeptierte, nervte sie der Zeitpunkt. „Wir können es gar nicht riskieren, jemanden detailliert einzuweihen. Eine so effiziente und glänzend strukturierte Organisation, deren Fehlerrate offensichtlich bei null Prozent liegt – zumindest ist in den letzten Jahren keine der verschwundenen Personen, deren Entführung wir der mysteriösen Gruppe zuschreiben, je wieder aufgetaucht. Wenn sich das herumspricht oder die Presse davon Wind bekommt … gar nicht daran zu denken. Also erzählen wir nur das Allernötigste." Ein gewisser Grad an unangemessener Bewunderung schwang in Coopers Worten mit, als würde sie jemanden Respekt zollen, der hervorragende Arbeit leistete.

    Dabei erwies sich die Bandbreite der Vermissten an sich als nicht besonders groß. Je nachdem, in welcher Gruppierung man die Verschwundenen zusammenfasste, handelte es sich vorwiegend um Ärzte, Naturwissenschaftler und Ingenieure. Dies wäre bei der Vielzahl der Menschen, die weltweit einfach so von der Bildfläche verschwanden, niemanden wirklich aufgefallen. Bis ein FBI-Anwärter im Rahmen einer Studie die merkwürdige Veränderung, die absolut nicht in das übliche Schema der sonstigen Vermisstenanzeigen passte, bemerkte. Weitere Nachforschungen ergaben, dass es sich meistens um Koryphäen auf ihrem jeweiligen Fachgebiet handelte oder zumindest um Personen, die durch ihre Arbeit im Focus der Öffentlichkeit standen.

    „Und was die Auswahl betrifft, fuhr sie fort, „Wir versuchen so viele Verbindungen wie möglich herzustellen. Wer wurde bisher entführt? Was für ein Fachgebiet? Wo sind die Kontaktpunkte zu anderen Fachgebieten oder Projekten? Wie sind letztere dotiert? Welche wissenschaftlichen Projekte stehen aktuell im Fokus der medialen Öffentlichkeit? Der Entwurf der Brücke zum Beispiel ist ziemlich futuristisch und ausgiebig durch die Medien gegangen. Verdichten sich irgendwelche Anzeichen? In der Summe dieser Dinge treffen wir eine Entscheidung, wen wir überwachen und wen nicht.

    „Okay. Sheckley winkte kurz ab. „Aber ich persönlich glaube nicht, dass jemand Verwendung für einen Brückenbauingenieur hat. Ich rede also von verschwendeten Steuergeldern.

    Sie musste zugegeben, dass sie tief in ihrem Inneren die gleiche Befürchtung hegte. Aber nichts desto trotz mussten sie jeden Strohhalm ergreifen, der sich ihnen bot.

    Sie dachte flüchtig daran, wie man sie vor drei Jahren, zu ihrer großen Verwunderung, in das Team des nordamerikanischen Krisenstabes geholt hatte. Weder verfügte sie über Erfahrungen in Bereich Entführungen, noch besaß sie ein gesteigertes Interesse daran, ständig quer durch das Land zu fliegen. Offensichtlich jedoch brachte sie das richtige Gespür für diese Tätigkeit mit, denn bereits nach zwei Jahren wurde sie zur Einsatzleiterin des Büros berufen.

    Und jetzt saß sie festgeschnallt in einem Hubschrauber und beobachtete ein Spielzeugtaxi, während eine schwenkbare und hochauflösende Kamera die Geschehnisse unter ihnen aufnahm.

    Die roten Punkte auf dem Tablet in ihrer Hand kamen jetzt zum Stillstand. Ethan Kendrick und seine Sicherheitseskorte, die nun in einigem Abstand zu ihm mit vielen anderen Fahrzeugen an einer Ampelkreuzung anhielten. Hinter dem Taxi stand ein großer Truck, der, bedingt durch den Sichtwinkel aus dem Hubschrauber, das kleinere Fahrzeug mit dem Ingenieur darin nur zur Hälfte den Blicken freigab.

    Auf der Ampelkreuzung zwischen den nun still stehenden Fahrzeugen bewegten sich zwei Männer. Soweit sie das auf dem Bildschirm erkennen konnte, boten diese Zeitungen zum Verkauf an. Einer der Männer ging zu dem Taxi in dem Ethan Kendrick saß und verschwand damit gänzlich im Sichtschatten des Trucks. Die zwei Personenschützern in ihrem unauffälligen Jeep standen ungefähr dreißig Meter hinter dem Gegenstand ihrer Observation, eingeklemmt zwischen anderen wartenden Autos.

    Die Situation unterschied sich in nichts von hunderttausend ähnlichen, die ununterbrochen auf der ganzen Welt vor dieser Art Kreuzung stattfanden. Und doch läutete in ihrem Kopf eine kleine nervige Alarmglocke, meldete ihre Intuition Bedenken an.

    Die abrupte Zunahme von unwahrscheinlichen Wahrscheinlichkeiten, wie sie es nach einer Simulation im Studium genannt hatte. Sie wusste, dass das ein wenig nach Douglas Adams klang und konnte es noch nicht einmal im Einzelnen definieren, aber die ganze Sache gefiel ihr nicht.

    Der Mann mit der Zeitung kam wieder in ihr Blickfeld.

    Der links abbiegende Verkehr von der anderen Seite der Kreuzung zog vor den wartenden Autos vorbei.

    Plötzlich brach das Taxi seitwärts aus, rumpelte über den Bordstein, fuhr ein Stück auf den Fußweg und reihte sich dann rücksichtslos aber gekonnt in die Autoschlange ein. Zwei Fahrzeuge hinter dem Taxi krachten daraufhin ineinander und blockierten halbseitig die Fahrbahn, so dass sich der Verkehr zurückstaute. Das Taxi mit Ethan Kendrick darin drängte auf die Überholspur und beschleunigte.

    Patricia Cooper brüllte in ihr Headset. „Sie sind ausgebrochen! Sie fahren Richtung Industriegebiet! Vorsprung ungefähr einhundert Meter! Los, los, los!"

    Die Information war einzig und allein für die Sicherheitsleute auf der Straße bestimmt, doch der Pilot reagierte ebenfalls, er ließ die Maschine etwa sinken und nahm die Verfolgung auf.

    Auf dem Tablet entfernten sich die beiden blinkenden Punkte, die Signale von dem Chip in Ethan Kendricks Oberarm und dem Transponder an dem Fahrzeug der Observation, rasch voneinander.

    Der Hubschrauber befand sich jetzt genau über der Ampelkreuzung, die nun ein einziges Chaos aus sich gegenseitig behindernden und hupenden Autos darstellte. Cooper sah, wie ein Fahrzeug ein ganzes Stück hinter dem Truck kurz rangierte und dann ebenfalls auf den Fußweg fuhr. Die Sicherheitseskorte. Deren Fahrer blieb auf dem menschenleeren Fußweg, bog rasant um die Kurve, wobei er mit dem Heck des Wagens ein Verkehrszeichen rammte. Dann beschleunigte er ebenfalls. Der Vorsprung des Taxis betrug jetzt mindestens vierhundert Meter, doch zumindest der Hubschrauber holte schnell auf.

    Cooper fragte sich, ob und in welchem Umfang der Taxifahrer seine Verfolger bemerkt oder er einen Hinweis erhalten hatte. Wusste er, dass er von zwei Stellen aus beobachtet wurde, dass man seine Bewegungen aufzeichnete? Seine einzige Chance bestand darin, einen Tunnel oder eine Tiefgarage zu erwischen, aber beide Dinge würden hier draußen im Industriegebiet kaum zu finden sein. Was auch immer er ab jetzt unternahm, seine Flucht war fast aussichtslos.

    Sie informierte mit ruhiger Stimme die Polizei und die Flughafenbehörde. Selbst wenn Ethan Kendrick jetzt schon nicht mehr lebte, der Taxifahrer gehörte ihr.

    Unvermittelt bog das Taxi schlingernd in eine Einfahrt ein, fuhr eine kurze Steigung hinauf und raste dann an mehreren Hallen vorbei. Der Hubschrauber flog jetzt in eine Höhe von zwanzig Meter ein paar Meter hinter dem Taxi her. Es gab keinen Grund mehr, Versteck zu spielen.

    Die Sicherheitsleute von Kendrick in ihrem grauen Geländewagen hatten mächtig aufgeholt und befanden sich jetzt ebenfalls an der Einfahrt.

    In einiger Entfernung vermeinte Cooper das Jaulen von Polizeisirenen zu hören.

    Das Taxi fuhr mit voller Geschwindigkeit direkt auf eine einzeln stehende große Halle zu. Plötzlich öffnete sich das einzige doppelflügelige Tor des Gebäudes wie von Zauberhand, das Taxi schoss fast ungebremst hindurch und verschwand in der Dunkelheit. Sekunden darauf schloss sich das Tor wieder.

    Cooper wies den Hubschrauberpiloten an, über dem Gebäude in der Luft stehen zu bleiben, denn dieser Standort bot den besten Rundumblick. Sollte jemand versuchen aus der Halle zu flüchten, würden sie dies sofort bemerken. Rings um den Industriebau bildeten aneinandergereihte Betonplatten einen einfachen aber breiten Fahrweg, so dass selbst ein großer Truck diesen bequem umrunden konnte.

    Ihre Erfahrungen mit Verfolgungsjagden beruhten auf zwei lächerlichen Übungen, aber dennoch beschlich sie angesichts der jetzigen Situation ein ungutes Gefühl. Ob guten oder schlechten, den meisten Dingen wohnte eine gewisse Logik inne. Doch das hier passte nicht zusammen, es war zu seltsam. Wieso flüchtete jemand an einen Ort, der sich so wunderbar umstellen ließ und keine Fluchtmöglichkeit bot? Sie wusste, dass Verbrecher nicht immer rational handelten, aber der Entschluss der Entführer, sich hier zu verstecken, entsprang ganz offensichtlich keiner spontanen Entscheidung. Möglicherweise bestand die Lösung darin, dass es sich um eine unterkellerte Halle mit Verbindungstunneln zu anderen Gebäude handelte. Nach einer kurzen Überlegung jedoch verwarf sie die Wahrscheinlichkeit für diese Variante.

    Die Sicherheitsleute hielten dreißig Meter vor der Halle, blieben jedoch in ihrem Fahrzeug sitzen. „Was machen wir jetzt?", fragte der Fahrer Cooper über Funk an.

    „Wir warten auf die Polizei. Sie steigen aus und verschanzen sich hinter dem Jeep. Behalten Sie das Tor im Auge, bereiten Sie sich auf einen Schusswechsel vor", antwortete sie ihm.

    Dann wies sie den Piloten an: „Wir sehen uns die Rückseite der Halle an. Aber wir bleiben in der Luft."

    Der Pilot steuerte den Hubschrauber gekonnt, bis sie die Rückfront der Halle überblickten und auch endlich wieder die Betonflächen zu beiden Seiten komplett einsehen konnten. Ein großes zugemauertes Tor stellte die einzige Unterbrechung in der schlichten Rückfront dar. Der Pilot ließ den Hubschrauber wieder steigen, gerade rechtzeitig um zu bemerken, dass vier Polizeifahrzeuge in einigem Abstand vor der Halle ankamen.

    Die Polizisten hielten kurz Rücksprache mit den zwei Sicherheitsleuten, dann fuhr eines der Polizeifahrzeuge zur Rückseite der Halle, während der Pilot den Hubschrauber behutsam hinter den drei wartenden Polizeifahrzeugen landete.

    Zwei Meter neben dem etwas breiteren Tor, durch das das Taxi gerast war, befand sich eine stählerne Tür, die, ebenso wie das wesentlich größere Tor, schon vereinzelt Roststellen aufwies. Die bewaffneten Polizisten benötigten mit dem richtigen Werkzeug lediglich eine halbe Minute, um sie gewaltsam zu öffnen. Sich gegenseitig Deckung gebend, drangen die Männer zielstrebig in das Innere der Halle vor. Bereits nach wenigen Minuten kam einer der Polizisten aus dem Gebäude zu Cooper, die neben der Tür gewartet hatte. Er sah sie mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. „Das Areal ist gesichert. Dort drin ist niemand. Das ganze Ding ist ein hohler Vogel. Bis auf das brennende Taxi natürlich."

    Das Gebäude erwies sich als über vierzig Meter lange Halle, in der, auf der rechten Seite und eine Fläche von vielleicht fünfzig Quadratmetern einnehmend, so etwas wie ein einstöckiger Büro- und Sanitärtrakt eingebaut war. In einer Höhe von sechs Meter ließen umlaufend angebrachte und verschmutzte Fenster, die sämtlich mechanisch bedient werden konnten, Zwielicht in das Innere. Einige davon waren angelehnt, andere verschlossen oder mit zerbrochenen Scheiben. In dem Gebäude fand sich kein Eingang zu einem Keller, ansonsten verfügte es nur über die drei bekannten Zugänge, von denen man jenen an der Rückfront aus unbekannten Gründen zugemauert hatte.

    Vertrocknete Blätter lagen verstreut auf dem Boden, alles wirkte abgestanden. Augenscheinlich wurde das gesamte Bauwerk schon längere Zeit nicht genutzt.

    Fast an der Mitte der Halle stand das Taxi mit geöffneten Türen und Kofferraumklappe, innen und außen bedeckt mit weißem Löschschaum, der nun rapide in sich zusammenfiel. Der unangenehm beißende Geruch nach verbranntem Kunststoff hing unverrückbar in der Luft. Ethan Kendrick und der Taxifahrer befanden sich nicht mehr in der Halle, so viel stand fest. Ebenso wie die dritte Person, denn es war offensichtlich, dass jemand das Hallentor manuell von innen geöffnet und wieder geschlossen hatte.

    Ein Blick in den verrußten Kofferraum verriet Cooper, dass das Gepäck von Kendrick ebenfalls fehlte.

    „Ich verstehe das nicht, sagte sie aufgewühlt, nachdem sie ihrem Vorgesetzten Landon Farmer am Telefon die Situation detailliert geschildert hatte. „Die hatten ein Zeitfenster von, ich weiß nicht, fünf oder sechs Minuten? Wir haben das gesamte Areal einsehen können. Es ist einfach nicht möglich, dass drei oder mehr Personen unerkannt entkommen sind.

    „Wenn es nicht möglich ist, hat Ihr Team zwangsläufig etwas übersehen", kam es von Farmer hart zurück.

    Sie biss sich auf die Lippen. Das war wie eine verdammte Zaubershow von Copperfield. Nur kam ihr der Verdacht, dass Ethan Kendrick nicht wieder auftauchen würde. Sie sah zu Robert Sheckley hinüber, der die Show aus sicherer Entfernung beobachtete und ebenfalls telefonierte.

    „Wie auch immer: Ich schicke Ihnen die Spurensicherung. Irgendetwas muss es geben, irgendeine Spur werden wir finden. Das ist immerhin mehr, als wir bisher hatten."

    „Ihr Wort in Gottes Ohr. Patricia Cooper stand an den Helikopter gelehnt, das Handy in ihre Hand fühlte sich heiß an. „Da ist noch etwas. Ihr Blick fiel auf das Tablet, das jetzt nutzlos auf einem Sitz lag.

    „Ach ja?"

    „Der Sender von Ethan Kendrick ist nicht mehr zu orten."

    Farmer schwieg ein paar Sekunden. „Zufall. Vielleicht hat er auch einen gezielten Schlag auf den Arm bekommen, sagte er schließlich. „Oder ein wie auch immer gearteter elektrischer Impuls hat das Ding lahmgelegt. Sollten die Entführer von unserer Überwachung gewusst haben, können wir zudem nicht mit Sicherheit ausschließen, dass das nicht auch für den Sender gilt. Unter Umständen ist Ihr Team doch nicht so wasserdicht, wie wir alle denken.

    Sie verkniff sich die Bemerkung, dass die Wahl ausschließlich ihm oblegen hatte. Handverlesene spezialisierte Teamplayer, wie er es nannte.

    Möglichweise hatte Farmer über seine eigenen Worte nachgedacht. „Vielleicht ist es auch nur ein Defekt. Das ist teure Technik, also ist sie auch empfindlich. Aber wir kümmern uns darum", lenkte er ein.

    Sie rang sich ein bitteres Lächeln ab. „Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als sich Kendrick anscheinend in Luft auflöst, versagt sein Sender? Die Wahrscheinlichkeit lässt sich sicherlich berechnen, aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass sie verschwindend gering sein dürfte."

    „Sie und Ihre Wahrscheinlichkeiten", wandte Farmer bissig ein.

    „Wie Sie wissen, habe ich früher am MIT genau diesen Kram studiert. Einer der Gründe, warum man mich ins Team geholt hat. Ich denke, ich kann das also ganz gut beurteilen."

    ___

    Das gesamte Team von Patricia Cooper, Farmer inbegriffen, ging die Kameraaufzeichnungen über diesen Zeitraum durch, die der Techniker bereits ein Dutzend Mal vor- und zurück gespult sowie einzelne Segmente davon mit einem Zeitstempel versehen hatte.

    „Sechs Minuten und achtunddreißig Sekunden, sagte Cooper schließlich. „Das ist die exakte Zeitspanne zwischen dem Schließen des Hallentors und der Mitteilung des Polizisten an mich, dass sich in der Halle niemand befindet.

    „Im gesamten Zeitablauf gibt es eine Lücke von siebzehn Sekunden, resümierte Landon Farmer mit schwerer Stimme. „In diesen wenigen Sekunden hat die Kamera des Hubschraubers zwar die Halle, nicht aber einen kleinen Teil des umliegenden Areals aufgenommen. Das könnte die Lösung sein.

    Cooper sah Farmer irritiert an. „Gut, es fehlen ein paar Sekunden. Wenn Sie jedoch genau hinsehen werden Sie feststellen, dass dieser nicht einsehbare Teil nur über eine Stelle in der Außenwand zugänglich gewesen wäre, an der sich keine Tür befindet."

    „Die könnten durch ein geöffnetes Fenster geklettert sein, warf ein anderes Mitglied ihres Teams nachdenklich ein. „Aber sicher, pflichtete Patricia Cooper sarkastisch bei.

    „Die sind in der Halle eine sechs Meter hohe Wand emporgekrabbelt, haben sich danach abgeseilt und sind anschließend über einen zehn Meter breiten Betonstreifen gerannt. Zum Schluss klettern sie dann über einen fast zwei Meter hohen Zaun. Vermutlich zu dritt, wohlgemerkt, mit dem Koffer von Kendrick in der Hand. Und das ausgerechnet in exakt den siebzehn Sekunden, in denen wir sie nicht sehen konnten? Sie sah die Männer kopfschüttelnd an: „Selbst wenn es physisch möglich wäre: Ich glaube nicht an Zufälle dieser Art. Nebenbei gesagt, haben wir auch weder ein Seil oder eine Leiter gefunden oder eine andere Behelfsmöglichkeit, um die sechs Meter Höhe zu überbrücken.

    „Ich gebe ja zu, dass es etwas dünn ist. Aber es ist momentan die einzige Wahrscheinlichkeit, die wir haben", stellte Farmer fest.

    Cooper setzte zu einer Erwiderung an, der Farmer zuvor kam.

    „Ich weiß, vier Jahre MIT. Aber trotzdem. Oder Sie liefern uns eine andere Erklärung."

    Es gab keine andere Erklärung, nur unbefriedigende Varianten, die allesamt einer näheren Betrachtung nicht standhielten: so konnte Ethan Kendrick aus dem Wagen gestoßen wurden sein. Dagegen sprach, dass Kendrick dies bei ungefähr achtzig Kilometern in der Stunde vermutlich nicht überlebt und dies sicherlich einen weiteren Verkehrsstau verursacht hätte, der den Verfolgern aufgefallen wäre. Eine weitere Option war die einer Übergabe von Ethan Kendrick an ein anderes Fahrzeug. Aber auch ein solcher Vorgang hätte exakt in den einzigen zwanzig Sekunden, die der Hubschrauber das schnell fahrende Taxi nicht vor der Kamera hatte, stattfinden müssen. Von einer derart zufälligen Präzision hielt sie überhaupt nichts.

    Selbst wenn Ethan Kendrick unterwegs abhandengekommen war und der Wind mit boshafter Zufälligkeit die Hallentür genau zum richtigen Zeitpunkt geöffnet hatte, blieb immer noch die Person übrig, die mit dem Taxi bis in die Halle gefahren war. Jemand, der sich offenbar unsichtbar machen konnte - und das war absurd.

    Abgesehen davon log ihr Tablet nicht. Sie hat die letzte Standortbestimmung von Kendrick durchgeführt, als das Taxi in der Halle verschwand. Ihr Schützling war in der Halle gewesen, dafür konnte sie

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