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Soziale Marktwirtschaft weiter denken: Bausteine für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
Soziale Marktwirtschaft weiter denken: Bausteine für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
Soziale Marktwirtschaft weiter denken: Bausteine für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
Ebook360 pages3 hours

Soziale Marktwirtschaft weiter denken: Bausteine für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung

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Die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft gewährleisten, dass wirtschaftliches Wachstum und sozialer Ausgleich Hand in Hand gehen. Bis heute sind sie unangefochten. Aktuell steht dieses wirtschaftspolitische Erfolgsmodell jedoch vor größeren Herausforderungen als je zuvor: Globalisierung, Digitalisierung, demographische und soziale Ungleichgewichte, Kriege und populistisch-autoritäre Regime verändern die Welt rasant.
Wie gehen Politik, Verwaltung und Wirtschaft mit diesen neuen, unberechenbaren und krisenhaften Situationen um? Was ist zu tun, um die Soziale Marktwirtschaft wirklich zukunftsfähig zu machen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Bertelsmann Stiftung in einer Reihe von Projekten – mit Blick auf Deutschland, mit Blick auf Europa, mit Blick auf die Welt. Die Publikation "Soziale Marktwirtschaft weiter denken" bündelt die Erkenntnisse aus dieser Arbeit.
LanguageDeutsch
Release dateJan 23, 2018
ISBN9783867938419
Soziale Marktwirtschaft weiter denken: Bausteine für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung

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    Soziale Marktwirtschaft weiter denken - Verlag Bertelsmann Stiftung

    Tofing.

    Soziale Marktwirtschaft heute: Wo stehen wir?

    Herausforderungen und Handlungsfelder für eine zukunftsfähige Soziale Marktwirtschaft

    Thieß Petersen, Armando García Schmidt

    Will man das deutsche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem mit einem Schlagwort beschreiben, so bietet sich dafür nur ein Begriff an: die Soziale Marktwirtschaft. Prägend für dieses System ist eine Kombination aus wirtschaftlicher Leistung und sozialem Ausgleich. Die Soziale Marktwirtschaft ist gekennzeichnet durch die Freiheit der Märkte, Privateigentum und den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Gütern und Dienstleistungen. Dies gewährleistet eine hohe wirtschaftliche Dynamik und einen hohen materiellen Wohlstand. Gleichzeitig basiert die Soziale Marktwirtschaft auf einem Steuer- und Transfersystem, das den gesellschaftlich erwirtschafteten Wohlstand möglichst gerecht unter allen Bürgern verteilen soll. Kurz gefasst verbindet die Soziale Marktwirtschaft wirtschaftliche Stärke mit sozialer Gerechtigkeit und soll Wohlstand für alle möglich machen.

    Dieser Beitrag skizziert zunächst die zehn aus unserer Sicht wichtigsten langfristigen Entwicklungen, die die Funktionsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland vor erhebliche Herausforderungen stellen. Anschließend beschreiben wir zehn politische Handlungsfelder, auf denen aus unserer Sicht Anpassungen erforderlich sind, um die Soziale Marktwirtschaft in dem Sinne zukunftsfähig zu machen, dass sie das Versprechen Wohlstand für alle dauerhaft erfüllen kann. Die Analysen und Empfehlungen ergeben sich zu einem großen Teil aus den in den weiteren Beiträgen dieses Buches vorgestellten Arbeitsergebnissen der Projektarbeit der Bertelsmann Stiftung.

    1.Zehn Herausforderungen für die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft

    1.1Demographische Entwicklung

    Die globale demographische Entwicklung wird in den nächsten Jahrzehnten einen erheblichen Anstieg der Weltbevölkerung mit sich bringen. Nach Berechnungen des Population Reference Bureaus (2017) ist mit einem Anstieg der Weltbevölkerung von rund 7,5 Milliarden Menschen im Jahr 2017 auf knapp 9,9 Milliarden im Jahr 2050 zu rechnen. Diese Zunahme um 30 Prozent ist jedoch regional sehr unterschiedlich verteilt. Während die Bevölkerung in den USA, in Asien und vor allem in Afrika wächst, kommt es in den meisten europäischen Ländern zu einer Stagnation der Bevölkerungszahlen oder sogar zu einem Bevölkerungsrückgang (siehe Tabelle 1).

    Tabelle 1: Entwicklung der Weltbevölkerung zwischen 2017 und 2050

    Quelle: Population Reference Bureau 2017: 8–18 und eigene Berechnungen

    Begleitet wird diese Entwicklung von einer steigenden Lebenserwartung und damit einer Alterung der Bevölkerung. Die Alterung der Bevölkerung betrifft alle Nationen, vor allem aber die industriell hoch entwickelten Volkswirtschaften. So steigt der Anteil der Menschen, die 60 Jahre und älter sind, nach Berechnungen der Vereinten Nationen (UN) weltweit von 14 Prozent im Jahr 2015 auf 26 Prozent im Jahr 2050. In Europa steigt der Anteil von 24 auf 34 Prozent, für Asien wird ein Anstieg von zwölf auf 25 Prozent berechnet (vgl. UN 2015: 8–9, 27). Das Niveau Asiens liegt damit zwar unter dem europäischen, aber die Verdoppelung des Anteils verdeutlicht, dass die Alterung in Asien schneller stattfindet als in Europa.

    In Deutschland ist der demographische Wandel dadurch gekennzeichnet, dass die Bevölkerungszahl schrumpft und die Bevölkerung immer älter wird. Nach der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2015 wird die Bevölkerungszahl von gegenwärtig rund 82 Millionen Menschen – je nachdem, wie viele Menschen aus dem Ausland nach Deutschland ziehen – bis zum Jahr 2050 auf 72 bis 76 Millionen zurückgehen (vgl. Statistisches Bundesamt 2015: 45–46). Die Bevölkerungsvorausberechnung des Wegweisers Kommune der Bertelsmann Stiftung macht deutlich, dass sich regionale Disparitäten im Zuge dieser Entwicklung verschärfen werden. In wirtschaftlich prosperierenden urbanen Zentren wird die Bevölkerung stark wachsen. Für Frankfurt am Main und für München wird jeweils eine Bevölkerungszunahme von mehr als 14 Prozent zwischen 2012 und 2030 errechnet. In den ländlichen Räumen, vor allem des Ostens, schrumpft die Bevölkerung in den kommenden Jahren dafür zum Teil drastisch. So werden Kommunen wie Hoyerswerda oder Bitterfeld bis 2030 mehr als ein Viertel ihrer Bevölkerung verlieren (Bertelsmann Stiftung 2015a; siehe Abbildung 1).

    Die Bevölkerung schrumpft nicht nur, sie wird auch älter. Der Anteil der Menschen, die 65 Jahre und älter sind, macht momentan rund 21 Prozent aus. Nach Japan (27 %) und Monaco (24 %) hat Deutschland damit die drittälteste Bevölkerung der Welt (vgl. Population Reference Bureau 2017: 13–14). Bis 2050 wird der Anteil der Personen dieser Altersgruppe auf 30 bis 32 Prozent ansteigen (vgl. Statistisches Bundesamt 2015: 45–46). Selbst die gegenwärtige Zuwanderung von Flüchtlingen kann den Trend der gesellschaftlichen Alterung nicht umkehren, sondern bestenfalls abmildern (vgl. Statistisches Bundesamt 2016).

    Wenn die geburtenstarken Jahrgänge – also all jene, die zwischen Mitte der 1950er- und Mitte der 1960er-Jahre geboren sind – das Rentenalter erreichen, bedeutet dies extreme Verwerfungen für das deutsche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Vor allem die gesellschaftliche Alterung stellt das Land vor einen hohen Anpassungsdruck. Folgende Herausforderungen ergeben sich daraus:

    •Bei den beitragsfinanzierten Systemen der sozialen Sicherung trifft eine sinkende Zahl von Beitragszahlern auf wachsende Anforderungen an die Leistungen der sozialen Sicherung, vor allem in den Bereichen der Altersversorgung, des Gesundheitswesens und der Pflege.

    •Die gesellschaftliche Alterung führt mit Blick auf die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte zu einem Rückgang der Einnahmen, der auf tendenziell steigende Ausgaben trifft (Pensionen, Renten, Gesundheitsausgaben, Pflege). Dies schränkt die staatlichen Handlungsspielräume ein. So gehen beispielsweise die staatlichen Möglichkeiten zur Finanzierung dringend notwendiger Zukunftsinvestitionen – etwa im Bereich der Bildung – zurück. Gleichzeitig erhöht die gesellschaftliche Alterung die Gefahr einer wachsenden Staatsverschuldung mit zunehmenden Generationenkonflikten.

    Abbildung 1: Relative Veränderung der Bevölkerung in Deutschland (Kreise und kreisfreie Städte) in Prozent, 2012–2030

    Quelle: Bertelsmann Stiftung, Wegweiser Kommune, 2015

    •Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme hat die gesellschaftliche Alterung zur Folge, dass immer weniger Menschen ein Bruttoinlandsprodukt erarbeiten, das sie mit einer wachsenden Zahl von altersbedingt nicht mehr erwerbstätigen Personen teilen müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass die gesellschaftliche Alterung einen dämpfenden Einfluss auf die Produktivität und die gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit hat und so das Wirtschaftswachstum schwächt (vgl. Lindh, Malmberg und Petersen 2010). Unter sonst gleichen Umständen führt das zu einer Verringerung des Bruttoinlandsprodukts je Erwerbstätigem und je Rentner, also zu einer Verringerung des Bruttoinlandsprodukts pro Einwohner und damit zu einem Rückgang des realen individuellen Wohlstands.

    •Die demographische Entwicklung verschärft regionale Disparitäten. Die Bevölkerung und die wirtschaftliche Aktivität werden sich immer stärker in städtischen Zentren konzentrieren, während der ländliche Raum schrumpft. Hier wie dort werden sozial und wirtschaftlich relevante Veränderungsprozesse mit dieser Entwicklung einhergehen. Grundsätzlich wird es schwieriger, den Anspruch annähernd gleicher Lebensbedingungen in der gesamten Fläche des Landes einzulösen. Schon heute sind die sozialen Gegensätze in prosperierenden Städten durch hohe Lebenshaltungskosten schärfer konturiert als auf dem Land. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass Menschen in ländlichen Räumen, in denen Infrastruktur nicht mehr erhalten oder sogar zurückgebaut wird, sich zunehmend als Verlierer wahrnehmen.

    •Schließlich ist zu befürchten, dass sich der jetzt schon bestehende Fachkräftemangel verstärken wird, wenn die gut ausgebildeten Babyboomer-Generationen das Rentenalter erreichen und es demographisch bedingt nicht genügend qualifizierte Menschen gibt, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

    1.2Globale Erwärmung und Klimawandel

    Eine größere Weltbevölkerung wird ihren materiellen Konsum erhöhen. Die Produktion von mehr Gütern und Dienstleistungen sowie die dafür erforderlichen Transportleistungen bedeuten einen zunehmenden Verbrauch an Rohstoffen und Energie, was wiederum einen größeren Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen zur Folge hat. Dies bewirkt einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur und des Klimawandels (vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen Petersen 2008).

    Damit werden auch die negativen Folgewirkungen des Klimawandels zunehmen: der Anstieg des Meeresspiegels, die Zunahme des Überflutungsrisikos, die Zunahme von Wetterextremen wie Hitzewellen, Dürren, Stürmen, Überflutungen etc., ein Massensterben von Tier- und Pflanzenarten, die zunehmende Gefahr von Waldbränden, ein stärkerer Insektenbefall und die Ausbreitung von Krankheiten, die von Insekten übertragen werden (Malaria, Borreliose), die Ausbreitung hitzebedingter Krankheiten (z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen) sowie die Versauerung der Ozeane.

    Neben diesen direkten Konsequenzen hat der Klimawandel auch eine Reihe indirekter Folgewirkungen, die primär sozialer und ökonomischer Natur sind. Dazu gehören unter anderem eine Verschärfung der Diskrepanz zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und damit eine Bedrohung für die internationale Sicherheit, eine weltweite Verschlechterung der Gesundheitssituation (hitzebedingte Erkrankungen, Verbreitung von Krankheiten, die mithilfe von Überträgern verbreitet werden), klimabedingte Migrationsbewegungen (Flucht vor Naturkatastrophen, Wasserknappheit, Wüstenausbreitung und einem steigenden Meeresspiegel) sowie eine Zunahme des Sterbens von Tier- und Pflanzenarten mit den entsprechenden Produktionseinbußen in der Landwirtschaft. Auch diese Phänomene werden im Zuge des voranschreitenden Klimawandels zunehmen.

    1.3Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen

    Angesichts der zukünftig wachsenden Weltbevölkerung ist davon auszugehen, dass der weltweite Ressourcenverbrauch weiter steigen wird. Schon in der Vergangenheit ist der weltweite Verbrauch der meisten natürlichen Ressourcen stark angestiegen, in der Regel stärker als die Zahl der Weltbevölkerung. Ursache hierfür ist der Umstand, dass im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums auch die Menge der pro Einwohner konsumierten Güter zunimmt und darüber hinaus die Ressourcenintensität der konsumierten Güter steigt. Damit werden die nicht erneuerbaren Ressourcen zunehmend knapp. Da diese Ressourcen jedoch die Grundlage der menschlichen Existenz sind, hat ihre Verknappung gravierende Folgen. Exemplarisch lässt sich dies am Beispiel der Wasserknappheit verdeutlichen: Wassermangel führt zu Ernteeinbußen, Nahrungsmittelknappheit und Hungersnöten, zu Produktionseinbußen im Bereich der industriellen Produktion und schließlich zu vermehrten Konflikten um Wasser (siehe Abbildung 2).

    Der weltweit steigende Ressourcenverbrauch stellt in Kombination mit der Begrenztheit der nicht erneuerbaren Ressourcen eine enorme Herausforderung für das gesamte Wirtschaftssystem dar. Gegenwärtig basiert die wirtschaftliche Wertschöpfung – sowohl in den entwickelten als auch in den nicht entwickelten Volkswirtschaften – auf der Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen, allen voran der fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle. Auch wenn das genaue Volumen der weltweit noch verfügbaren und menschlich nutzbaren Öl-, Gas- und Kohlevorkommen unbekannt ist, kommen wir nicht um die Erkenntnis herum, dass uns diese Ressourcen mittel- oder langfristig ausgehen. Damit aber geht die Basis der traditionellen wirtschaftlichen Wertschöpfung verloren.

    Abbildung 2: Wasserversorgung der Weltbevölkerung im Jahr 2005 verglichen mit dem Jahr 2025

    Hinweis: Weltbevölkerung 2005: 6,5 Milliarden; Weltbevölkerung 2025: 7,9 Milliarden (mittlere Projektion); Wasserknappheit: verfügbares erneuerbares Süßwasserangebot pro Kopf und Jahr liegt zwischen 1.001 und 1.666 m3; Wassermangel: Süßwasserangebot pro Kopf und Jahr beträgt 1.000 m3 oder weniger.

    Quelle: Statista auf Grundlage von Daten der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung

    1.4Voranschreitende ökonomische Globalisierung

    Die voranschreitende ökonomische Globalisierung beschreibt eine immer engere wirtschaftliche Verflechtung aller Staaten der Welt durch den zunehmenden Austausch von Gütern und Dienstleistungen, Kapital, Technologien und Arbeitskräften. Die so verstandene Globalisierung hat grundsätzlich positive Wachstumseffekte für die beteiligten Volkswirtschaften (siehe hierzu auch den Beitrag »In einer veränderten Weltwirtschaft« in diesem Buch).

    Allerdings profitieren nicht alle beteiligten Länder und Menschen gleichermaßen:

    •Die internationale Arbeitsteilung und die damit verbundenen grenzüberschreitenden Handelsaktivitäten führen in den entwickelten Industrienationen dazu, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) aller beteiligten Volkswirtschaften steigt. Gleichzeitig produziert diese Form der Globalisierung in jedem Land neben Gewinnern auch Verlierer. In den Industrienationen sind dies die Arbeitskräfte, vor allem gering qualifizierte Personen sowie die Beschäftigten in Sektoren, die in besonderem Maße in Konkurrenz mit Schwellenländern (vor allem China und osteuropäischen Volkswirtschaften) stehen.

    Tabelle 2: Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in US-Dollar-Kaufkraftparität, sortiert nach der prozentualen Veränderung

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