Cultural Studies - Ein politisches Theorieprojekt: Ausgewählte Schriften 3
By Stuart Hall
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Reviews for Cultural Studies - Ein politisches Theorieprojekt
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Cultural Studies - Ein politisches Theorieprojekt - Stuart Hall
1994.
Die Formierung eines Diaspora-Intellektuellen
¹
Interview mit Stuart Hall. Die Fragen stellt Kuan-Hsing Chen
KHC: In deinen jüngsten Arbeiten über »Rasse« und Ethnizität ist der Begriff der Diaspora zentral – es ist einer der entscheidenden Orte, von denen aus die Frage nach der kulturellen Identität gestellt wird. Zuweilen hast du Elemente deiner eigenen Diaspora-Erfahrung sehr überzeugend eingesetzt, um bestimmte theoretische und politische Problematiken zu untersuchen.² Was mich interessiert, ist, wie die verschiedenen historischen Entwicklungen (trajectories) deine Diaspora-Erfahrungen und deine intellektuellen und politischen Positionen geformt haben.
SH: Ich bin in Jamaika geboren und in einer Familie der Mittelklasse aufgewachsen. Mein Vater hat die meiste Zeit seines Lebens damit verbracht, in der United Fruit Company zu arbeiten. Auf jeder Stelle, die er hatte, war er der erste Jamaikaner, der je befördert wurde; vor ihm waren diese Stellen vor allem von Leuten besetzt, die von der Leitung in den USA heruntergeschickt wurden. Es ist wichtig, die »Klassenfraktionen« und die »Farbfraktionen« zu verstehen, aus denen meine Eltern kamen. Sowohl die Familie meines Vaters als auch die meiner Mutter gehörten zur Mittelklasse, aber sie kamen aus sehr verschiedenen Klassenformationen. Mein Vater gehörte zur farbigen unteren Mittelklasse. Sein Vater hatte eine Apotheke in einem armen Dorf auf dem Lande, außerhalb Kingstons. Die Familie war ethnisch sehr gemischt – afrikanisch, ostindisch, portugiesisch, jüdisch. Die Familie meiner Mutter hatte eine sehr viel hellere Hautfarbe; wenn du ihren Onkel gesehen hättest, hättest du ihn für einen englischen Auswanderer gehalten, fast weiß, oder was wir das »lokale Weiß« nannten. Sie wurde von einer Tante adoptiert, deren Söhne – einer ein Anwalt, einer ein Arzt – in England ausgebildet worden waren. Sie wuchs in einem schönen Haus auf einem Hügel auf, das über dem kleinen Besitz lag, von dem die Familie lebte. Meine Familie setzte sich also kulturell aus dieser unteren, jamaikanischen Mittelklasse zusammen, die vom Land kam und von dunkler Hautfarbe war und aus der hellhäutigen Fraktion, die sich auf England und auf die Plantage orientierte.
Was also in meiner Familie von Anfang an kulturell ausgetragen wurde, war der Konflikt zwischen dem lokalen und dem imperialen, kolonisierten Kontext. Diese beiden Klassenfraktionen standen im Gegensatz zur Mehrheitskultur der armen jamaikanischen schwarzen Menschen: sie hatten ein ausgeprägtes Klassen- und Hautfarbenbewusstsein und identifizierten sich mit den Kolonisatoren.
Ich war das schwärzeste Mitglied meiner Familie. Eine Geschichte darüber wurde immer als Witz erzählt: meine Schwester, die sehr viel heller war als ich, schaute nach meiner Geburt in die Wiege und sagte: »Wo habt ihr denn das Coolie-Baby her?« »Coolie« ist in Jamaika ein Schimpfwort für einen armen Ostinder, der als das Unterste vom Untersten galt. Mein Schwester hätte also nicht gesagt: »Wo habt ihr das schwarze Baby her?«, denn es war undenkbar, dass sie einen schwarzen Bruder haben könnte. Aber sie bemerkte doch, dass ich eine andere Farbe hatte als sie. Das ist in Mittelklasse-Familien in Jamaika sehr üblich, weil sie ein Produkt von Verbindungen zwischen afrikanischen Sklaven und europäischen Sklavenhaltern sind und sie daher Kinder verschiedenster Schattierungen hervorbringen.
In meiner Familie hatte ich also immer eine Identität als Außenseiter, derjenige, der nicht reinpasste, der schwärzer war als die anderen, »der kleine Coolie«, etc. Und diese Rolle spielte ich konsequent durch. Meine Schulfreunde, die alle von guten Mittelklasse-Familien kamen, aber schwärzer waren als ich, wurden zu Hause nicht akzeptiert. Meine Eltern meinten, ich würde mir nicht die richtigen Freunde aussuchen. Sie haben mich aufgefordert, mich mit Jugendlichen aus Familien anzufreunden, die mehr zur Mittelklasse gehörten, die eine hellere Hautfarbe hatten, aber ich tat es nicht. Stattdessen habe ich mich emotional von meiner Familie distanziert und mich mit meinen Freunden woanders getroffen. Während meiner Jugendzeit habe ich ständig diese kulturellen Räume ausgehandelt.
Mein Vater wollte, dass ich Sport treibe, dass ich in die Clubs eintrat, in denen er war. Aber ich dachte immer, dass er selbst eigentlich nicht so recht in diese Welt passte. Er erhandelte sich seinen Weg in diese Welt. Er wurde von den Engländern geduldet. Ich konnte sehen, wie sie ihn paternalistisch behandelten. Das hasste ich am meisten. Nicht nur, dass er zu einer Welt gehörte, die ich zurückwies, ich konnte einfach nicht verstehen, warum er nicht sah, wie sie ihn verachteten. Ich sagte ihm in Gedanken: »Merkst du denn nicht, dass die in dem Club denken, du seiest ein Eindringling?« Willst du mich da drin haben, damit ich genauso gedemütigt werde?«
Weil meine Mutter auf einer jamaikanischen Plantage aufgewachsen war, glaubte sie, sie sei praktisch »Englisch«. Sie hielt England für das Mutterland, sie identifizierte sich mit der kolonialen Macht. Sie hatte Ziele für uns, ihre Familie, die wir materiell nicht erreichen konnten, aber sie versuchte sie kulturell zu verwirklichen.
Was ich sagen will ist, dass ich die klassischen kolonialen Spannungen als Teil meiner persönlichen Geschichte lebte. Meine eigene Formierung und Identität entstand zu einem großen Teil aus der Zurückweisung des dominanten individuellen und kulturellen Modells, das mir als Vorbild vorgehalten wurde. Ich wollte mir nicht, wie mein Vater, meinen Weg in die US-amerikanische oder englische Geschäftswelt der Auswanderer erbetteln, und ich konnte mich nicht mit dieser alten Plantagenwelt identifizieren, die ihre Wurzeln in der Sklaverei hatte, von der meine Mutter aber als dem »goldenen Zeitalter« sprach. Ich fühlte mich viel eher als unabhängiger jamaikanischer Junge. Aber wo war der Raum für diese Subjektposition in der Kultur meiner Familie?
Dies ist die Periode, in der die jamaikanischen Unabhängigkeitsbewegung sich entwickelte. Als junger Schüler war ich sehr dafür. Ich wurde ein Antiimperialist und identifizierte mich mit der jamaikanischen Unabhängigkeit. Aber meine Familie war nicht dafür. Sie identifizierten sich nicht einmal mit dem Wunsch der nationalen Bourgeoisie nach Unabhängigkeit. Sie waren in dieser Hinsicht sogar anders als ihre eigenen Freunde, die, als der Übergang zur nationalen Unabhängigkeit begann, dachten, »Mindestens werden wir an der Macht sein«. Meine Eltern, besonders meine Mutter, bedauerte das Ende dieser alten kolonialen Welt mehr als alles andere. Es gab eine riesige Kluft zwischen ihren Zielen für mich und meiner eigenen Identität.
KHC: Du meinst also, dein Impuls zur »Revolte« sei aus der jamaikanischen Situation entstanden? Kannst du das ausführen?
SH: Als ein kluger, vielversprechender Schüler wurde ich politisiert; ich war interessiert an dem, was politisch vor sich ging, insbesondere an der Formung jamaikanischer politischer Parteien, dem Entstehen der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung nach 1938, dem Beginn der nationalistischen Unabhängigkeitsbewegungen nach Kriegsende: alle diese Entwicklungen gehörten zur postkolonialen oder dekolonisierenden Revolution. Nach Kriegsende begann Jamaika sich in Richtung Unabhängigkeit zu entwickeln. Kluge Jugendliche wie ich und meine Freunde, Jugendliche verschiedener Hautfarbe und aus verschiedenen sozialen Positionen, waren in diese Bewegung involviert, wir identifizierten uns damit. Wir freuten uns auf das Ende des Imperialismus, darauf dass Jamaika sich selbst regieren würde, auf die Autonomie für Jamaika.
KHC: Wie war deine intellektuelle Entwicklung in jener frühen Zeit?
SH: Ich ging in eine kleine Grundschule und später auf eines der großen Colleges. Jamaika hatte eine Reihe von großen Mädchen- und Jungenschulen, die weitgehend nach dem Muster der englischen Privatschulen organisiert waren. Wir machten die englischen Gymnasialprüfungen, bekamen das normale Zeugnis der Cambridge School und machten die A-level-Prüfungen. Es gab keine lokalen Universitäten, wenn man also zur Universität gehen wollte, musste man ins Ausland, nach Kanada, die Vereinigten Staaten oder England. Das Curriculum war nicht lokalisiert. Nur in meinen letzten beiden Jahren auf der Schule lernte ich etwas über die karibische Geschichte und Geographie. Es war eine sehr »klassische« Erziehung; sehr gut, aber sehr formal und akademisch. Ich lernte Latein, englische Geschichte, englische Kolonialgeschichte, Europäische Geschichte, Englische Literatur, etc. Aber wegen meines politischen Engagements interessierte ich mich auch für andere Fragen. Um ein Stipendium zu bekommen, musste man über 18 sein und ich war ziemlich jung, also machte ich die letzte A-level Prüfung zweimal. Ich verbrachte drei Jahre in der sechsten Klasse. Im letzten Jahr begann ich T.S. Eliot, James Joyce, Freud, Marx, Lenin und einiges an Literatur drum herum sowie moderne Lyrik zu lesen. Ich las mehr als in der normalen, engstirnigen, akademischen, britisch orientierten Erziehung üblich. Aber ich wurde doch sehr wie ein Mitglied der kolonialen Intelligenz geformt.
KHC: Kannst du dich an irgendeine Person erinnern, die damals dein Denken beeinflusst hat?
SH: Es gab nicht eine einzelne Person, es gab eine ganze Reihe davon und sie halfen mir in zweierlei Hinsicht. Erst einmal vermittelten sie mir ein starkes Selbstbewusstsein, dass Gefühl, dass ich akademisch leistungsfähig war. Als Lehrer identifizierten sie sich mit den entstehenden nationalistischen Tendenzen. Obwohl sie sehr akademisch waren und sehr auf England orientiert, waren sie sehr offen für die aufkommende nationalistische Karibische Bewegung. Deshalb lernte ich eine ganze Menge von ihnen. Ein Lehrer aus Barbados, der am Codrington College studierte, brachte mir Latein und alte Geschichte bei. Ein schottischer ehemaliger Fußballer aus Corinth brachte mich dazu, in meiner Abschlussprüfung in Geschichte eine Arbeit über aktuelle moderne Politik zu schreiben. Sie handelte von der Nachkriegsgeschichte, dem Krieg und der Zeit danach, was offiziell nicht unterrichtet wurde. Zum ersten Mal lernte ich etwas über den kalten Krieg, die russische Revolution, amerikanische Politik. Ich begann mich für internationale Politik und für Afrika zu interessieren. Er machte mich mit einigen politischen Texten bekannt – obgleich das hauptsächlich geschah, um mich gegen gefährliche marxistische Ideen zu »immunisieren«. Ich verschlang sie. Ich war Mitglied einer Stadtbücherei, die sich »Institute of Jamaica« nannte. Wir konnten Samstag morgens dorthin gehen und lasen Bücher über Sklaverei. Das machte mich mit der karibischen Literatur bekannt. Ich fing an, karibische Schriftsteller zu lesen. Meistens las ich sie alleine, versuchte sie zu verstehen und ich träumte davon, eines Tages Schriftsteller zu werden.
Der Krieg war für mich sehr wichtig. Während des Krieges war ich ein Kind; der Krieg war die alles beherrschende Erfahrung. Ich war mir dessen sehr bewusst. Ich spielte Kriegsspiele und lernte viel darüber, wo diese Orte sich befanden und was es für Orte waren. Ich lernte etwas über Asien, indem ich den US-amerikanischen Krieg auf den Philippinen verfolgte. Ich lernte etwas über Deutschland. Ich folgte den Berichten über die historischen und tagespolitischen Ereignissen während des Krieges. Wenn ich daran zurückdenke, so lernte ich eine Menge einfach dadurch, dass ich auf die Landkarten schaute, die es über den Krieg gab, über die Invasion im fernen Osten und bei den Kriegsspielen mit meinen Freunden. (Ich war oft ein deutscher General und trug ein Monokel!)
KHC: Wie wichtig war Marx oder die Tradition der marxistischen Literatur?
SH: Ich las Texte von Marx – das Kommunistische Manifest, Lohnarbeit und Kapital; ich las Lenin über Imperialismus. Das war für mich mehr im Kontext des Kolonialismus wichtig, als um etwas über den westlichen Kapitalismus zu erfahren. Klassenfragen waren in den politischen Diskussionen über Kolonialismus in Jamaika natürlich präsent. Die Frage der Armut, das Problem der ökonomischen Entwicklung, usw. Viele meiner jungen Freunde, die zur gleichen Zeit zur Universität gingen wie ich, studierten Ökonomie. Ökonomie wurde für die Antwort auf die Frage der Armut gehalten, die Länder wie Jamaika als Konsequenz des Imperialismus und des Kolonialismus erlebten. Ich war vom Standpunkt der Kolonie an der Frage der Ökonomie interessiert. Wenn ich zu jener Zeit ein Ziel hatte, dann nicht, Geschäftsmann zu werden wie mein Vater, sondern Anwalt: Anwalt zu werden war in Jamaika schon der üblichste Weg in die Politik. Oder ich könnte Ökonom werden. Aber ich war mehr an Literatur und Geschichte interessiert als an Ökonomie.
Als ich siebzehn war, bekam meine Schwester einen schweren Nervenzusammenbruch. Sie hatte ein Verhältnis mit einem jungen Studenten, der aus Barbados nach Jamaika gekommen war. Er kam aus der Mittelklasse, war aber schwarz, und meine Eltern erlaubten die Beziehung nicht. Es gab einen riesigen Familienkrach und sie flüchtete daraus in einen Zusammenbruch. Plötzlich wurden mir die Widersprüche der kolonialen Kultur klar, wie man als Individuum die koloniale Abhängigkeit von Farbe und Klasse durchlebt und erlebt und wie einen dies als Subjekt zerstören kann.
Ich erzähle diese Geschichte, weil sie sehr wichtig ist für meine persönliche Entwicklung. Sie hat für mich die Grenzen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten für immer aufgehoben. Ich habe etwas über Kultur gelernt: dass sie einerseits zutiefst subjektiv und persönlich ist und zugleich eine Struktur, die man lebt. Ich sah wie alle diese abwegigen Erwartungen und Identifikationen, die meine Eltern auf uns, auf ihre Kinder, projizierten, meine Schwester zerstörten. Sie war das Opfer, auf ihr lasteten die widersprüchlichen Ambitionen meiner Eltern in dieser kolonialen Situation. Seitdem kann ich nicht mehr verstehen, warum Leute denken, diese strukturellen Fragen seien nicht mit der Psyche verknüpft, mit Emotionen und Identifikationen. Denn für mich sind diese Strukturen Dinge, die man lebt. Ich meine nicht nur, dass sie persönlich sind, das auch, aber sie sind auch institutionalisiert, sie haben wirkliche strukturelle Eigenschaften, die dich zerbrechen, die dich zerstören.
Das war eine sehr traumatische Erfahrung, weil es damals kaum psychiatrische Hilfe in Jamaika gab. Meine Schwester bekam von einem Arzt eine Reihe von Elektroschock-Therapien, von denen sie sich nie vollständig erholt hat. Sie ist danach nie von zu Hause weggegangen. Sie hat meinen Vater gepflegt bis er starb, sie hat meine Mutter gepflegt bis sie starb. Sie hat meinen Bruder, der blind wurde, gepflegt, bis er gestorben ist. Das war eine furchtbare Tragödie, die ich mit ihr durchlebte, und ich entschied, dass ich das nicht ertragen wollte. Ich konnte ihr nicht helfen, ich konnte sie nicht erreichen, obwohl ich verstand, was das Problem war. Ich war siebzehn, achtzehn.
Aber diese Erfahrung verdichtete meine Gefühle über den Raum, in den meine Familie mich stellen wollte. Ich würde dort nicht bleiben, Ich würde mich davon nicht zerstören lassen. Ich musste raus. Ich hatte das Gefühl, dass ich dorthin nie mehr zurückkehren konnte, weil mich das vernichten würde. Wenn ich Schnappschüsse von mir als Kind und als Jugendlicher anschaue, dann sehe ich das Bild einer depressiven Person. Ich will nicht sein, was sie sind, aber ich weiß nicht, wie ich jemand anders sein kann. Und das alles deprimiert mich. Das ist der Hintergrund, der erklärt, warum ich schließlich auswanderte.
KHC: Hast du seitdem eine sehr enge Beziehung zu deiner Schwester aufrecherhalten, hast du dich, psychoanalytisch gesprochen, mit ihr identifiziert?
SH: Nein, das habe ich nicht. Obwohl dieses ganze System ihr Leben zerstört hat, hat sie nie rebelliert. Also habe ich sozusagen an ihrer Stelle rebelliert. Ich bin aber auch schuldig, weil ich sie zurückgelassen habe, sie musste damit fertig werden. Ich beschloss auszuwandern, um mich selbst zu retten. Sie blieb.
Ich ging 1951, und bis 1957 wusste ich nicht, dass ich nicht zurückkehren würde; ich hatte nie wirklich die Absicht, zurückzugehen, aber das wusste ich nicht. In gewisser Weise kann ich jetzt darüber schreiben, weil ich am Ende eines langen Weges stehe. Nach und nach fing ich an zu begreifen, dass ich ein schwarzer Westinder war, wie jeder andere auch, ich konnte mich dazu verhalten, ich konnte von dieser Position aus, aus ihr heraus schreiben. Es hat eine sehr lange Zeit gedauert, bis ich so schreiben konnte, persönlich. Zunächst konnte ich darüber nur analytisch schreiben. Wenn man so will, habe ich fünfzig Jahre gebraucht, um zu Hause anzukommen. Das Problem war nicht so sehr, dass ich irgendetwas zu verheimlichen hatte. Es war der Raum, den ich nicht besetzen konnte. Ich musste lernen, diesen Raum einzunehmen.
Es wird vielleicht deutlich wie diese Formierung – diese ganze destruktive Kolonialerfahrung gemacht zu haben – mich auf England vorbereitete. Ich werde nie vergessen, wie ich hier landete. Meine Mutter brachte mich her – mit meinem Fellhut, meinem Mantel und meinem Seemannskoffer. Sie brachte mich, wie sie dachte, auf dem Bananenschiff »nach Hause« und lieferte mich in Oxford ab. Sie übergab mich dem erstaunten Collegediener und sagte: »Dies ist mein Sohn, sein Koffer, seine Sachen. Pass auf ihn auf.« Sie lieferte mich mit Unterschrift und Siegel ab, brachte mich dorthin, wohin ihr Sohn ihrer Meinung nach schon immer hingehört hatte – nach Oxford.
Meine Mutter war eine unglaublich dominante Person. Meine Beziehung zu ihr war eng und antagonistisch. Ich hasste das, wofür sie stand, was sie für mich zu repräsentieren versuchte. Aber wir hatten alle eine enge Bindung zu ihr, weil sie unser Leben dominierte. Sie dominierte das Leben meiner Schwester. Hinzu kam, dass mein Bruder, der älteste, der sehr schlecht sehen konnte, schließlich blind wurde. Von frühester Kindheit war er sehr von meinen Eltern abhängig. Als ich geboren wurde, war dieses Muster der Mutter-Sohn-Abhängigkeit fest etabliert. Sie versuchte es mit mir zu wiederholen, Als ich begann, meine eigenen Interessen und meine eigenen Auffassungen zu haben, entstand der Antagonismus. Gleichzeitig war die Beziehung intensiv, weil meine Mutter immer sagte, ich sei die einzige Person, die mit ihr kämpft. Sie wollte mich beherrschen,