Vom Konflikt zum Kreis: Von der strafenden zur wiederherstellenden Gerechtigkeit
By Linus Botha
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Linus Botha
Jahrgang 1976. Erlernte Berufe: Zimmermann, Bauingenieur. Berufstätig in der Sozialarbeit und Diankonie, engagiert in der Seelsorge und Beratung.
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Book preview
Vom Konflikt zum Kreis - Linus Botha
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1.0 Ich schäme mich!
1.2 „Reintegrative Shaming"
1.3 „Reintegrative Shaming" & Gefängnisseelsorge
1.4 Adam und Eva
1.5 Umgang mit Scham
2.0 Restorative Justice - ein Definitionsversuch
2.1 „Restorative Justice - „to make things right
2.2 „Restorative Justice" - ein Beziehungsparadigma
2.3 „Restorative Justice" - ein spiritueller Weg
2.4 Täter-Opfer-Mediation - ein Definitionsversuch
2.5 „Restorative Justice" und Täter-Opfer-Ausgleich
3.0 Versöhnungskommission in Südafrika
3.1 Unsere Sprache verrät unser Denken
3.2 Strafen hat seinen Preis
3.3 Indigene Traditionen von Gerechtigkeit
3.4 Christliche Traditionen von Gerechtigkeit
3.5 „Restorative Justice" in Norwegen
3.6 Neues Paradigma „Restorative Justice"
3.7 Das „Säulen"-Modell
4.0 Methoden des „Restorative Justice"
4.1 „Conferences"
4.2 Der Mediationsprozess
4.3 Prinzipien für Mediationsprozesse
4.4 „Gewaltfreie Kommunikation"
4.5 Dialektisch-Behaviorale-Therapie (DBT)
4.6 Das Problem „Dritte Säule – „Community
4.7 Anknüpfungspunkte
5.0 Vom Konflikt zum Kreis
5.1 Der Kreis – ein Urphänomen
5.2 Der Status Quo
5.3 Ein neuer – alter Weg
5.4 Kreisverfahren im Strafvollzug
5.5. Ein Ausblick
5.6 Quellen
5.7 Schlusshinweis
Vorwort
Zu der Entstehung dieses kleinen Büchleins ist es gekommen, weil ich auf der Suche nach Alternativen im Umgang mit Gewalt, Schuld, Strafe und Gerechtigkeit bin. Aufgrund mehrerer persönlicher und familiärer Anknüpfungspunkte gehe ich seit meiner Jugend mit dem Thema Gewalt, Schuld und Gerechtigkeit, bzw.
Wiedergutmachung um. Während meines Studiums zum Diakon, im Rahmen von ethischen Vorlesungen und Diskussionen bekam ich weitere Impulse zum Themenkomplex. Ich war und bin seit längerem auf der Suche nach praktischen Modellen einer neuen Gerechtigkeit, nicht im Sinne einem allein auf Rache, Vergeltung und Bestrafung basierenden Umgang mit Schuld und Vergebung.
Auf meiner Suche bin ich auf verschiedene angewandte Modelle gestoßen, die auf dem Ansatz der wiederherstellenden, versöhnenden Gerechtigkeit basieren.
Einige dieser Modelle möchte ich im Folgenden versuchen, darstellen mit ihren Möglichkeiten und Grenzen.In der täglichen Auseinandersetzung mit Moral und Ethik in meiner Tätigkeit im Sozialen Bereich, wurde ich immer wieder durch Dialoge angeregt und begann zu Schreiben.
1.0 Ich schäme mich!
Walter Wink beschreibt eine interessante Rechtspraxis eines Naturvolk, den Negrito: Wenn jemand dort einem anderen Schaden zufügt, seine Hühner stiehlt oder das Haus des Nachbarn anzündet oder was auch immer, dann wird die Person, die das getan hat, in der Mitte eines Kreises gestellt, umringt von den Menschen, die diese Person kennen. Und sie verbringen einen ganzen Tag damit, dass jeder Einzelne aus der Gruppe dieser Person erzählt, durch welche wundervollen Dinge, die sie getan hat, sein Leben bereichert wurde. Das müssen Sie sich mal vorstellen. Es geht hier um einen Verbrecher, und die erzählen ihm, was er an Schönheit in das Leben eines Mitmenschen gebracht hat. Diese Rechtspraxis hat ein Menschenbild vor Augen, das aus der Vorstellung entstanden ist, dass es unserer menschlichen Natur entspricht, dass wir, wenn wir mit uns verbunden sind, nichts lieber tun als zum Wohlergehen anderer beizutragen.Zitiert nach Marshall B. Rosenberg, Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. Kann ein Mensch das aushalten? Ich kann mir nur vorstellen, dass dem Deliquenten die Schamesröte ins Gesicht steigt.
„Ich schäme mich!" – Ich habe etwas Unrechtes getan und es war irgendwie nicht (ganz) richtig. Ich habe eine Grenze überschritten – die Grenze des Normalen, der Werte. Ich habe anderen geschadet – andere weisen mir Schuld zu: Ich schäme mich! Jeder Mensch wird sich ein Gefühl vergegenwärtigen können, bei dem er am liebsten im Boden versunken wäre – Sorge und Angst, den Blicken anderer ausgesetzt zu sein. Er sieht sich in eine Situation versetzt, aus der er sich befreien möchte – untermalt durch körperliche Reaktionen (Erröten, Herzklopfen usw.).
Ich habe das Beispiel der Negrito in ein Rollenspiel für den Religions-unterricht an einer Gemeinschaftsschule im Rahmen eines Projekttages zum Thema „Antigewalt" umgewandelt. Hier bildeten wir kleine Gruppen. Ein Gruppenmitglied setzte sich in die Mitte; die anderen sagen 10 Minuten nur Gutes über diese Person. In der Auswertung wurde deutlich, wie schwer es dem/der in der Mitte war, diese 10 Minuten auszuhalten. Es geht um Scham, die so geweckt wurde. Erstaunlich: Wir schämen uns, Gutes zu hören! Lieber Kritik - lieber das, was wir gefehlt haben! Erstaunlich: Aber im Grunde glaube ich, dass wir das Gute über uns deswegen nicht hören wollen und können, weil wir uns letztlich unserer Fehler, unseres Herkommens, unseres sozialen Status oder unserer Erfahrungen schämen - Scham der Opfer! Aber auch: Scham der Täter! Soziale Scham: Soziale Scham ist das Gefühl, das an Konfliktpunkten zwischen Individuum und Gesellschaft entsteht, also zwischen den eigenen Wünschen und den Erwartungen der Gesellschaft.
„Wenn wir uns schämen, fühlen wir uns ‚wie überfallen’ oder überrascht. Wir empfinden uns als unfähig, unzulänglich, minderwertig, hilflos, schwach, machtlos, wertlos, lächerlich, gedemütigt oder gekränkt. Die Beziehung zu Mitmenschen wird schlagartig abgebrochen; unsere Aufmerksamkeit und Wahrnehmung richtet sich stark auf uns selbst. S. Marks, Scham - die tabuisierte Emotion, Düsseldorf 2009, S. 37 Ich schäme mich vor Verriß, Geringschätzigkeit, Kritik, Gesten der Überlegenheit, Spott, Schuldzuweisungen, soziale Stigmatisierung. Ich habe Angst, lächerlich gemacht und bloßgestellt zu werden oder einen Korb zu erhalten – erniedrigt, gedemütigt oder verachtet zu werden. Der strafende Blick, das verächtliche Stirnrunzeln, das demütigende Wort, der spöttische Ton, das hämische Kichern - ich habe Angst vor Demütigung -
an den Pranger gestellt" zu werden und viele Menschen ergötzen. Früher war der Pranger eine integrative Strafform: am Pranger stand man ein paar Tage, dem Spott anderer preisgegeben, aber um dann doch wieder in das Gemeinwesen eingegliedert zu werden. Das zeugt von einer hohen Integrationskraft damaliger Dörfer und Städte - heute ist da anders: der Pranger ist das Internet bzw. die Medien, die den Deliquenten vernichten wollen - alles andere als Integration! Vor allem in totalitären Machtkonstellationen, in denen die Opfer den Tätern ausgeliefert sind, kommt es zu solchen Situationen. Die Peiniger bestimmen über die Art und Dauer der Demütigungen.
Fast jeder kennt die Bilder aus Abu Ghraib. Erlebnisse, die sich bei den Opfern ins Gedächtnis einbrennen und ein Trauma auslösen.Traumatische Ereignisse sind zum einen geprägt von körperlicher Gewalt und Lebensgefahr, zum anderen sind es Ereignisse, in denen jemand existentiell seiner Daseinsberechtigung und seiner Würde beraubt wird. Insofern kann man eindeutig sagen, dass Beschämungssituationen als Folter eingesetzt werden.. Das kommt einer psychischen Vernichtung gleich und hat Trauma-Qualitäten. So etwas kann sich für den Rest des Lebens einbrennen. Das ist die Scham der Opfer, aber auch die Scham der Täter – er wird es heimzahlen durch seine Rache – durch sein Delikt. „Scham ist ein starkes, aber auch ein destruktives Gefühl. Ein starkes Gefühl in der Funktion als Schutz, als Zugehörigkeit oder als Integrität. In dieser Funktion sensibilisiert Scham „das soziale Individuum für die Meinungen und Empfindungen anderer und wirkt somit als eine Kraft für soziale Kohäsion.
aus Dr. Jens Léon Tiedemann, Die intersubjektive Natur der Scham, Dissertation : Freie Universität Berlin, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, 2007, S. 48 Scham hilft zu einer Haltung des Respekts anderen und sich selbst gegenüber. In der deutschen Sprache gibt e zwei Bezeichnungen für Scham (‚Schande’ und ‚Scham’). Das eine bezeichnet das „Beschämt-Sein", das andere bezeichnet eine Sensibilität für Scham, eine Art ‚Diskretion’, ‚Ehrfurcht’ oder ‚Takt’. Als starkes