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Das Regenpferd
Das Regenpferd
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Das Regenpferd

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About this ebook

Es ist ein heißer, trockener Sommer, in dem Paco das Fohlen in den Bergen findet. Am selben Abend kommt der langersehnte Regen. Und die Menschen im Dorf nennen das Fohlen von nun an "Regenpferd". Paco liebt sein Pferd über alles. Aber dann wird das Dorf überfallen und das Pferd gestohlen. Der Junge macht sich auf, um es zurückzuholen. Die Spur führt ihn quer durch Arizona zu einer Farm, wo sich das Regenpferd befinden soll. Aber es ist nicht mehr da. Carrie, die Tochter des Farmers, ist mit ihm verschwunden. Erneut macht sich Paco auf die Suche. Diesmal nicht nur nach dem Pferd, sondern auch nach Carrie, im Auftrag ihres Vaters. Denn Paco kennt das Land wie kein anderer...

Ein spannender, menschlich berührender Roman von Werner J. Egli, der 35 Jahre seines Lebens in Arizona verbracht hat, dem Land von Paco und Carrie – und ihrem geheimnisvollen Regenpferd.
LanguageDeutsch
PublisherARAVAIPA
Release dateFeb 7, 2018
ISBN9783038642114
Das Regenpferd

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    Das Regenpferd - Werner J. Egli

    Mackenzie

    1. Die Geburt

    »An einen Sommer wie diesen kann ich mich nicht erinnern«, sagte der alte Mann, und er hob eine Hand voll Erde vom Boden auf, und die Erde rieselte durch seine Finger und zerfiel zu Staub. Und als seine Hand leer war, öffnete er sie und zeigte sie dem Jungen, der dem Pferd Wasser gebracht hatte. Der Staub, der an seiner Hand kleben geblieben war, zeichnete die Faltenlinien hell, und der alte Mann hob seine Hand und berührte sie mit seiner Zunge, und dort, wo er sie berührt hatte, wurde ein Fleck seiner Haut sichtbar, umgeben von Staub. »Die Erde ist gut«, sagte er zu dem Jungen, der das Pferd beim Trinken beobachtete, »aber wenn es nicht bald regnet, werden wir alle sterben.«

    »Es wird regnen, Nanahe«, sagte der Junge. »Es geschah noch nie, dass es nicht geregnet hat.«

    »Nicht eine einzige Wolke ist am Himmel zu sehen«, zweifelte der alte Mann, ohne zum Himmel aufzublicken. »Oder hast du vielleicht während der vergangenen Tage auch nur eine kleine Wolke gesehen, Paco?«

    Der Junge suchte den Himmel ab. Leer und weiß wölbte er sich über dem knöchernen Antlitz des Landes, das seine Heimat war. Blass breitete es sich vor ihm aus, ein weites, zerfurchtes Wüstental, durch das sich das ausgetrocknete Bett des großen Flusses wand. Nur an seinen Ufern war ein Hauch von Grün zu erkennen, dort in der Niederung, wo die mächtigen Bäume aufragten, einige von ihnen schon beinahe kahl, andere, ihre Wurzeln tiefer im Boden, wo die Erde noch feucht war, mit weit ausladenden Kronen grüner Blätter. Die Luft flimmerte in der Hitze. Die fernen Berge, eine Kette dunkler Buckel am Horizont, bewegten sich wie Inseln in einem Meer, in dem sich Himmel und Erde vereinten.

    In der Schleife des Flusses, wo sich zwei Hügel aus der Ebene hoben, befanden sich die San-Angelo-Mission und das Dorf. Er konnte von hier aus die Kirche sehen, den kleinen Glockenturm, der das rote Ziegeldach überragte und die Umfassungsmauer mit dem Torbogen, von dem der Weg zwischen Äckern und Feldern hindurch zum Dorf führte.

    Kaum ein Schatten lag über dem weiten Land. Es war Mittag. Die Sonne glühte weiß vom Himmel. Selbst im Schatten der Felsen, in dem sich der Junge und der alte Mann niedergelassen hatten, hoch in den Hügeln über dem Tal, war die Hitze kaum zu ertragen. Das Pferd lag im Schatten, und sein Bauch hob und senkte sich bei jedem Atemzug, und sein Kopf ruhte auf dem blanken Fels, mit halb geschlossenen Augen, und manchmal, wenn es den Schmerz in seinem Leib verspürte, bewegten sich seine Nüstern, und es ließ ein leises Schnauben vernehmen.

    Irgendwo in der Nähe, in einer der tiefen Rinnen, die von den Felsklippen über die steilen Hänge hinunter ins Tal führten, blökte ein Schaf. Der alte Mann hob den Kopf. Er lauschte der Stimme des Schafes, und in seinem zerfurchten Gesicht zeigte sich die Sorge um seine Schafe und Ziegen, die er hierher gebracht hatte, weil die Quelle hier oben noch nicht versiegt war.

    Und hier hatte er das Pferd vorgefunden, eine Stute, die weder schön noch hässlich war, mit einem rostbraunen Fell voller Narben. Der alte Mann konnte sich nicht vorstellen, woher das Pferd gekommen war und wem es gehört hatte. Vergeblich suchte er in seinem Fell nach Spuren, wie sie von einem Sattel oder einem Zaumzeug hätten hinterlassen werden können. Das Pferd war nicht beschlagen, und es trug kein Brandzeichen wie die Pferde der Mission. Der alte Mann wusste nicht, was er mit dem Pferd anfangen sollte, und so holte er den Jungen her, und der Junge kümmerte sich um das Pferd, brachte ihm Wasser von einem Quelltümpel und gab ihm zu trinken. Der Quelltümpel befand sich in einer Felsnische, hoch über dem Abhang, unerreichbar für ein Pferd, das nicht klettern konnte. Selbst die Schafe und Ziegen des alten Mannes hatten Mühe, am steilen Fels Fuß zu fassen, aber der Durst trieb sie immer wieder aus den Arroyos, diesen tief ausgewaschenen Rinnen heraus, in denen sie tagsüber vor der Hitze Schutz suchten.

    Hier oben wehte ein leichter Wind, der kaum Kühlung brachte. Hier oben, hoch über dem Tal, flog manchmal ein Adler im Wind, der noch höher in den Felsen auf einem schmalen Vorsprung, wo eine einzelne, vom Wetter verkrüppelte Zeder aus einer tiefen Spalte wuchs, seinen Horst gebaut hatte. Das Pferd wurde jedes Mal unruhig, wenn es den Adler sah oder seinen Schrei vernahm, trotzdem, obwohl es hätte weglaufen können, zurück dorthin, woher es gekommen war, blieb es in der Nähe der Quelle. Und in der Nacht, wenn der alte Mann seine Schafe und Ziegen ins Tal hinuntertrieb, um sie in einer Koppel unterzubringen, suchte das Pferd Schutz im Mondschatten der Felswände, fraß vom spärlich dürren Gras, das an den Steilhängen wuchs, und wartete auf die Rückkehr des Jungen, der ihm Wasser und eine Hand voll Maisschrot bringen würde.

    Jeden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, kehrten der alte Mann mit seinen Schafen und Ziegen und der Junge aus der Mission zurück, und der Junge nahm sofort den leeren Eimer, den er am Abend zuvor jeweils voll zurückließ, kletterte mit ihm zum Quelltümpel hoch und füllte ihn erneut mit dem klaren kühlen Wasser, das glitzernd aus einer Spalte sickerte, über den Fels herunterlief und sich in einer kleinen Felsmulde sammelte.

    »Warum führst du das Pferd nicht hinunter zur Mission, Paco, wo du ihm vom Wasser in der Zisterne zu trinken geben könntest?«, fragte der alte Mann den Jungen einmal.

    »Es will nicht«, antwortete ihm der Junge. »Es will hier oben bleiben.

    »Und wie willst du das wissen, dass es hier oben bleiben will?«, fragte der alte Mann beharrlich weiter.

    »Es würde am Abend mit uns gehen, wenn es nicht hier oben bleiben wollte«, antwortete ihm der Junge.

    Und der alte Mann musste ihm Recht geben. Aus irgendeinem Grund, den weder er noch der Junge kannte, wollte das Pferd hier oben bleiben, und der alte Mann überlegte, warum das so war, aber er fand keine befriedigende Antwort auf seine Frage.

    Es war so, wie der Junge sagte.

    Und einmal würde es regnen. Möglich, dass es dann für viele Leute im Tal zu spät war. Möglich, dass die Quelle versiegte und der kleine Tümpel austrocknete und seine Schafe und Ziegen alle verdursteten. Möglich, dass der Mais auf den Feldern dann verdorrt war und die Vorratskammern leer blieben. Möglich, dass es dort, woher die Wolken kamen, keine Wolken mehr gab und dass der Wind vergeblich blies. Möglich, dass die Erde verbrannte und die Leute das Tal verlassen mussten, um eine neue Heimat zu finden.

    War das nicht schon einmal geschehen? Irgendwann in einer Vergangenheit, in die nicht einmal die Erinnerung des alten Mannes zurückreichte. Gab es nicht Ruinendörfer jenseits des Flusses, die langsam zu Staub zerfielen und von denen niemand wusste, wer sie einmal bewohnt hatte?

    »Nanahe!«

    Der alte Mann fuhr aus seinen Gedanken hoch. Da stand der Junge und zeigte nach Südosten. »Nanahe«, rief er, »schau, dort ist eine Wolke!«

    Der alte Mann kniff die Augen etwas zusammen und spähte in die Leere hinaus, und tatsächlich sah er, wie sich, nicht weit entfernt, über dem Tal, scheinbar aus dem Nichts, eine Wolke gebildet hatte, die weiß im Licht der Sonne leuchtete.

    Im Laufe des Nachmittags wurde aus der kleinen weißen Wolke eine große dunkle Gewitterwolke, die einen mächtigen Schatten über das Tal warf. Der alte Mann und der Junge sahen den Schatten größer und größer werden, und schließlich, gegen Abend, als die Sonne blutrot über dem Horizont stand, zuckten in der Wolke die ersten Blitze auf, und die Luft wurde bleiern schwer, und ein leises Grollen war zu hören, das irgendwo in der Unendlichkeit des Weltalls zu entstehen schien.

    Das Pferd hatte sich erhoben. Im letzten Licht der Sonne stand es auf einem Felsvorsprung. Sein Fell begann zu leuchten, und der Junge ging zu ihm und legte seinen Kopf gegen seinen Hals, während er es unter dem zottig herunterhängenden Mähnenhaar streichelte.

    »Dein Pferd ist ein merkwürdiges Pferd«, sagte der alte Mann. »Fast scheint es mir, als wäre es dein Pferd, welches diese Wolken hierher gebracht hat.«

    Der Junge lächelte, während er das Pferd streichelte, aber der alte Mann konnte es von dort, wo er stand, nicht sehen.

    Viele Leute aus dem Dorf kamen an diesem Abend zur Kirche, um zu beten. Eine lange Prozession bewegte sich über die staubige Straße, die vom Dorf zur Mission führte, unter dem Torbogen hindurch zur Kirche. Dort, im flackernden Licht der Kerzen, knieten sie in Reihen auf dem harten Lehmboden, dem Altar zugewandt und die Hände vor der Brust gefaltet. Mit gebeugten Köpfen beteten sie und baten um Regen, jedoch auch um Schutz vor dem herannahenden Gewitter. Paco befand sich in der Sakristei, und er knöpfte das Gewand, das sich Vater Ignacio übergeworfen hatte, auf dessen Rücken zu. Paco selbst trug ein knöchellanges Gewand, und er hatte das Haar in der Mitte sorgfältig gescheitelt, und seine Fingernägel waren sauber. Barfuß folgte er Vater Ignacio aus der Sakristei in die Kirche, in der er zuvor alle Kerzen angezündet hatte. Es war dunkel draußen, und leiser Donner grollte durch das Tal, und die Luft in der Kirche roch betäubend nach Weihrauch.

    Der alte Mann befand sich nicht unter denen, die sich in der Kirche versammelt hatten. Paco hatte ihn überhaupt noch nie in der Kirche gesehen, nicht einmal in ihrer Nähe. Während er Vater Ignacio bei der Messe assistierte, dachte er an den alten Mann, und er betete im Stillen für ihn, in der Hoffnung, dass ihm der Allmächtige sein heidnisches Leben verzeihen und ihm alle seine Sünden nachsehen würde. Aber Paco dachte auch an das Pferd, das er dort oben unter den Felsklippen zurückgelassen hatte, und er betete für das Pferd, in der Hoffnung, dass der Allmächtige es in dieser Nacht beschützen würde, auch wenn es vielleicht tatsächlich nur ein Biest ohne Seele war.

    »Dominus vobiscum«, sagte Vater Ignacio, den Kelch mit dem Wein hochhaltend.

    »Et cum spiritu tuo«, wollte Paco antworten, aber ein berstendes Krachen, das die dicken Lehmmauern der Missionskirche erbeben ließ, riss ihm die Worte von den Lippen. Das Gewitter war nahe. In den kleinen bemalten Fenstern der Kirche leuchteten Blitze auf.

    Sobald die Messe vorbei war, verließen die Leute hastig die Kirche und eilten in das Dorf zurück, wo sie sich in ihren kleinen Hütten sicher glaubten. Paco half Vater Ignacio, das Gewand auszuziehen, entledigte sich selbst seines Umhanges und trat durch die Seitentür hinaus in den kleinen Friedhof. Ein starker Wind fegte Staub von den Grabhügeln. Es war so dunkel, dass Paco kaum bis zur Umfassungsmauer sehen konnte. Er blickte zum Himmel hinauf. Nicht ein einziger Stern leuchtete dort oben. Von einem Blitz geblendet, wandte sich Paco ab. Er ging in die Sakristei zurück. Dort kniete Vater Ignacio vor dem kleinen Schrein der heiligen Mutter Gottes und betete den Rosenkranz. Paco ging durch die Kirche, löschte die Kerzen in den Wandhaltern und auf dem Altar. Nur diejenigen, die vor dem Seitenaltar brannten, wo die liegende Statue des heiligen Franziskus aufgebahrt war, ließ er brennen. Er verließ die Kirche durch den Hauptausgang und lief die Straße hinunter bis zur Hütte des alten Mannes. Dort klopfte er an die Tür.

    Der alte Mann machte ihm auf. Er war bis auf sein Lendentuch nackt. Das grausträhnige Haar hing ihm ungekämmt vom Kopf, und er hatte einen Zigarettenstummel im Mund, der nicht mehr brannte.

    »Ich habe dich erwartet, Paco«, sagte der alte Mann. »Du warst in der Kirche, und du hast gebetet, dass uns das Gewitter nur Regen bringt und nicht ein Unglück, stimmt‘s?«

    »Ja. Das stimmt. Beim letzten Unglück ist einer im Fluss ertrunken.«

    »Und jetzt willst du nach deinem Pferd sehen?«

    »Ja.«

    »Ich soll dich begleiten, weil ich die Pfade dorthinauf kenne?«

    »Es ist stockdunkel.«

    »Die Geister sind unterwegs.«

    »Vor ihnen fürchte ich mich nicht. Ich bin ein Christ.«

    »Gut für dich, Paco. Aber was soll ich tun, wenn sie uns auflauern? Wenn ich in meinem Alter noch zu beten anfangen würde, wäre das ein Frevel, für den ich todsicher in die Hölle käme.«

    »Es ist nie zu spät, ein Christ zu werden, Nanahe.«

    »Das behauptet dein Priester.« Der alte Mann schlurfte durch die kleine Hütte zu seinem Lager, auf dem seine Kleider lagen. Er zog ein Hemd an, ein Paar Hosen, die an den Knien aufgerissen waren, und seine Mokassins. »Dein Priester hat keine Ahnung von nichts, Paco«, sagte er, zurrte den Ledergürtel zusammen, sodass es ihm in der Taille eng war, während die Hemdstöße über seine Hose herunterhingen. »Weißt du, warum ich deinen Priester trotzdem bewundere? Ich bewundere ihn, weil er trotz seines Unwissens so viele von uns dazu gebracht hat, an seinen Gott zu glauben. Ich glaube aber, dass man ihn eines Tages für irgendein Übel, das uns widerfährt, verantwortlich macht, und dann möchte ich nicht in seinen Schuhen stecken, mein Junge.«

    »Er besitzt keine Schuhe, Nanahe«, wandte Paco ein. »Er geht barfuß oder in Sandalen.«

    Der alte Mann nahm eine Kerosinlaterne von einem Regalbrett, das an der Wand angebracht war, vergewisserte sich, dass genug Kerosin drin war, und schraubte den Docht höher, bevor er ihn anzündete.

    »Komm, Paco, dann wollen wir nach deinem Pferd sehen«, sagte er.

    Paco, der bei der Tür stand, öffnete sie. Der Wind riss sie ihm beinahe aus der Hand. Er zog den Kopf ein und kniff die Augen etwas zusammen. Der alte Mann trat hinter ihm aus dem Haus. Er machte die Tür zu und hob die Laterne. In ihrem Licht sahen sie, wie Wolken von Staub über den Dorfplatz wirbelten. Nirgendwo brannte ein Licht. Ein Hund lag im Schutz einer Lehmhütte und blickte ängstlich herüber. Der Wind heulte. Der alte Mann hob den Arm, um sein Gesicht zu schützen. Die Lampe in der anderen Hand hochhaltend, ging er Paco voran.

    Es begann zu regnen. Schwere Tropfen prasselten auf den alten Mann und auf Paco nieder. Der alte Mann blieb am steilen Hang stehen, lehnte sich in den Wind und in den Regen. Über seine Schulter blickte er zurück zu Paco, der sich einige Schritte hinter ihm befand.

    »Was mir an deinem Christentum nicht gefällt, Paco, ist, dass immer wir Heiden an einem Unglück schuld sind. So wird es wohl auch dieses Mal sein.«

    Paco blieb stehen. Der Anstieg hatte ihn außer Atem gebracht. Seine Beine waren ihm so schwer geworden, dass er sich am liebsten hingeworfen hätte, um sich auszuruhen.

    »Was ist mit dir, Paco?«, fragte der alte Mann spöttisch, während er Paco mit der Laterne in das Gesicht leuchtete. »Dein Leben in der Mission hat dich schlapp gemacht.«

    »Deine Eltern müssen Bergziegen gewesen sein, Nanahe«, keuchte Paco, nicht ohne Bewunderung für die Kraft und Ausdauer, mit denen der hagere Körper des alten Mannes ausgestattet war. Fast achtzig Sommer zählte er, aber im Dorf gab es nur wenige, die mit ihm im Bergland lange Schritt halten konnten, und man sagte von ihm, dass er früher, als Junge, mit Pferden um die Wette gelaufen sei.

    Sie gingen weiter. Der Gewittersturm hatte sich nun über das ganze Tal ausgebreitet, von einem Bergzug zum anderen. Er kam schnell und mit Gewalt. Seine Donnerschläge ließen die Erde erbeben. Ohne Unterlass zuckten Blitze auf, manchmal drei oder vier zur gleichen Zeit. Das berstende Krachen, mit dem sie in der Nähe einschlugen, betäubte Pacos Ohren. Er wagte es nicht mehr, zurückzusehen. Dichtauf folgte er Nanahe auf einem schmalen Pfad, der kaum zu erkennen war. Nur im Licht der Blitze leuchtete er auf, als wäre es Silber, das von den Felsen zu Tale floss.

    Als Paco einmal aufblickte, sah er schwarz die Umrisse der Felsenklippen vor sich aufragen. Bedrohlich sahen sie aus, wie das Bild einer Ruinenfestung aus dem Buch, aus dem ihm Vater Ignacio die Geschichte der Zivilisation lehrte, die Geschichte der Welt und ihrer Menschen.

    Es regnete nun stärker, und dann prasselte Hagel auf sie nieder, und sie suchten zwischen einigen Felsen Schutz, kauerten dicht beisammen nieder und machten sich klein. Paco betete im Stillen, während der Gewittersturm um ihren Unterschlupf herumtobte, als wollte er die Welt verschlingen.

    Das Pferd lag am Abhang. Es war tot. Der Blitz hatte es erschlagen. Es lag dort, mit dem Kopf hangabwärts, am Boden, der von Hagelkörnern bedeckt war. Der alte Mann leuchtete dem Pferd ins Auge, und das Auge war milchig blass, und am Kopf, vom linken Ohr ein Stück weit den Hals entlang, war das Fell verbrannt.

    Paco, der neben dem alten Mann am Abhang kniete, erhob sich. Geduckt stemmte er sich gegen den Sturmwind. Im Licht aufzuckender Blitze erspähte er das Fohlen. Es stand auf dünnen Beinen oben am Fuß der Felsklippen unter einem Überhang.

    »Dort oben ist es!«, rief Paco Nanahe zu, der sich nun hingesetzt hatte und mit dem Rücken am Leib des Pferdes lehnte. Er sah wild aus, der alte Mann mit seinem zerfurchten Gesicht, in dem dünne Haarsträhnen klebten. Paco zeigte in die Richtung, in der er das Fohlen gesehen hatte. Der alte Mann hob die Laterne. Ein Windstoß riss sie ihm beinahe aus der Hand. Die kleine Flamme verlöschte. Paco ließ sich auf alle viere nieder und kroch im Dunkeln den steilen Hang hinauf. Die Erde rutschte unter ihm weg, Steine kollerten den Abhang hinunter. In jedem Graben, in jeder noch so kleinen Rinne floss Wasser in die Tiefe. Pacos Hände und Füße fanden kaum mehr einen Halt, der nicht sofort nachgab. Büsche, an denen er sich festhalten wollte, lösten sich, als hätten sie keine Wurzeln. Paco spürte nicht, wie ihm die Dornen der Äste in die Hände drangen. Er blieb mit dem Hemd hängen und riss sich los. Kakteen bohrten sich mit ihren nadelspitzen Stacheln durch seine Kleider in seine Haut. Schließlich erreichte er den Fuß der Felsklippen. Blitze fuhren so dicht hinter ihm in den Hang, dass er sie zu spüren glaubte, bevor sie einschlugen. Das Fohlen lag jetzt am Boden und im Wasser, das von einem Felsvorsprung stürzte. Paco kauerte bei ihm nieder, zog sein Hemd aus und warf es über den mageren kleinen Körper, dessen Fell klitschnass war. Obwohl

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