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Galerie (Deutsche)
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About this ebook

Die Suche einer Frau nach der Wahrheit enthüllt ein dunkles Familiengeheimnis, das lange in Prags Nazi-Vergangenheit verborgen lag.

GEWONNENE AUSZEICHNUNGEN: Pinnacle Book Achievement Award, Herbst 2015 -- Bester Roman

FINALIST: Readers' Favorite Book Awards 2016 -- Historischer Roman

"Stellen Sie sich vor, Stephen King hätte Schindlers Liste geschrieben..." ~ Nikki

Jede Familie klammert sich an Geheimnisse, aber manche sind viel dunkler, gehen tiefer und berühren wundere Punkte als andere.

Vanesa Neuman ist die Tochter von Überlebenden des Holocaust und ihre Kindheit in der beengten Vertrautheit des südlichen Tel Aviv wird durch die unausgesprochenen Erlebnisse ihrer Eltern während des Krieges überschattet. Die Vergangenheit war für sie wie ein verschlossenes Buch... Bis ihr Vater stirbt und das Buch wortwörtlich aufgeschlagen wird. Vanesa muss nun um jeden Preis das Geheimnis des Tagebuchs, das sie erhalten hat, lüften - und das des geheimnisvollen Symbols darin.

Der Roman Galerie, der vor dem Hintergrund der Besatzungszeit der Nazis und des Jüdischen Museums von Prag - Adolf Eichmanns "Museum einer ausgelöschten Rasse" - spielt, ist ein tempogeladener historischer Roman in der Tradition von "Sarahs Schlüssel" von Tatiana De Rosnay. Vanesas Reise zur Erkenntnis führt sie vom Holocaust-Forschungszentrum Yad V'Shem in Jerusalem in die Gassen von Prag und in das ehemalige "Ghetto-Paradies" von Theresienstadt, und enthüllt ihr eine dunklere Familiengeschichte als sie es sich jemals hätte vorstellen können - ein seit mehr als einem halben Jahrhundert am Leben gehaltenes Geheimnis.

PERFEKT FÜR BUCHCLUBS: Ein Handbuch für Buchclubs findet sich am Ende des Romans.

[Anspruchsvolle Literatur, Historischer Roman, Thriller, Holocaust]

Evolved Publishing präsentiert einen packenden historischen Roman, der die Frage untersucht, wie der Holocaust Generationen später immer noch nachhallt, und wie auch tiefe Wunden des Verrats schließlich heilen können. [DRM-frei]

Übersetzer: Torsten Simon

 

LanguageDeutsch
Release dateFeb 8, 2018
ISBN9781622532193
Galerie (Deutsche)
Author

Steven Greenberg

Briefly…. I am a professional writer, as well as a full-time cook, cleaner, chauffeur, and work-at-home single Dad for three amazing teenagers. Born in Texas and raised in Fort Wayne, Indiana, I emigrated to Israel only months before the first Gulf War, following graduation from Indiana University in 1990. In 1996, I was drafted into the Israel Defense Forces, where I served for 12 years as a Reserves Combat Medic. Since 2002, I’ve worked as an independent marketing writer, copywriter and consultant. More than You Asked for…. I am a writer by nature. It’s always been how I express myself best. I’ve been writing stories, letters, journals, songs, and poems since I could pick up a pencil, but it took me 20-odd years to figure out that I could get paid for it. Call me slow. After completing my BA at Indiana University - during the course of which I also studied at The Hebrew University of Jerusalem and Haifa University - I emigrated to Israel only months before the first Gulf War, in August 1990. In 1998, I was married to the wonderful woman who changed my life for the better in so many ways, and in 2001, only a month after the 9/11 attacks, my son was born, followed by my twin daughters in 2004. In late 2017, two weeks before my 50th birthday, my wife passed away after giving cancer one hell of a fight. Since 2002, I’ve run SDG Communications, a successful marketing consultancy serving clients in Israel and abroad.

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    Book preview

    Galerie (Deutsche) - Steven Greenberg

    www.EvolvedPub.com

    ~~~

    GALERIE

    Copyright © 2018 Steven Greenberg

    Cover Artwork Copyright © 2018 Mallory Rock

    Innengestaltung von D. Robert Pease

    ~~~

    ISBN: 1622532198

    ISBN-13: 978-1-62253-219-3

    ~~~

    Redaktionsassistentin: Michelle Barry

    Leitender Redakteur: Lane Diamond

    Übersetzer: Torsten Simon

    ~~~

    eBook Lizenzhinweise:

    Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Erlaubnis in irgendeiner Weise benutzt, reproduziert oder weitergegeben werden, außer bei kurzen Zitaten in kritischen Artikeln und Rezensionen oder in Übereinstimmung mit Bundesgesetzen über eine angemessene Verwendung. Alle Rechte vorbehalten.

    Dieses eBook wir nur zu Ihrer persönlichen Verwendung lizenziert. Es darf nicht wiederverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Falls Sie dieses Buch mit jemandem teilen möchten, kaufen Sie bitte weitere Ausgaben für jeden Nutzer. Falls Sie dieses Buch lesen und es nicht gekauft haben oder es nicht für Ihre alleinige Nutzung gekauft wurde, schicken Sie es bitte an Ihren eBook-Händler zurück und kaufen Sie bitte eine eigene Ausgabe für sich. Danke, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren.

    ~~~

    Ausschluss:

    Dies ist ein fiktives Werk. Namen, Charaktere, Orte und Handlung sind Produkte der Fantasie des Autors, oder der Autor hat diese fiktiv benutzt.

    Enfold Me

    Galerie

    ~~~

    www.stevengreenberg.info

    Für Segev—den besten Reisebegleiter, Forscher, Redakteur, Handlungsberater und Sohn, den man nur haben kann.

    Contents

    Titelseite

    Copyright

    Widmung

    PROLOG

    BUCH I

    Kapitel 1 - Süße

    Kapitel 2 - Willkommen in Prag

    Kapitel 3 - Ein Schulmädchen aus Kladen

    Kapitel 4 - Hartnäckigkeit

    Kapitel 5 - Moe

    Kapitel 6 - Seelenlos

    Kapitel 7 - Notfallplan

    Kapitel 8 - Zvi

    Kapitel 9 - Etwas Zerbrochenes

    Kapitel 10 - Der Golem

    Kapitel 11 - Überprüfung

    Kapitel 12 - Theresienstadt

    Kapitel 13 - Die Lüge

    Kapitel 14 - Die Baracken

    BUCH 2

    Kapitel 15 - Schleusen

    Kapitel 16 - Respekt

    Kapitel 17 - Drückende Stille

    Kapitel 18 - Doppelter Erfolg

    Kapitel 19 - Resignation

    Kapitel 20 - Kunst

    Kapitel 21 - Die Straße der gelben Ziegel

    Kapitel 22 - Plan X

    Kapitel 23 - Das Leben an sich

    Kapitel 24 - Gegenseitige Interessen

    Kapitel 25 - Verrat

    Kapitel 26 - Galerie

    Kapitel 27 - Keine Fragen

    EPILOG

    Diskussionen für Buchclubs

    Danksagung

    Anhang

    Bibliografie

    Über den Autor

    Was kommt als Nächstes?

    Prag, 1943

    Trotz der feuchten Novemberkälte des Kellerraums war der Junge schweißgebadet. Er stieß seinen Atem keuchend wie Nebel hervor, als er hin und her schaukelte, sein Gesicht zwischen spindeldürre Knie gepresst, die aus seiner abgetragenen Hose wie zwei schwach leuchtende Straßenlaternen in einer ansonsten dunklen Allee hervortraten. Er hatte sich zu einem Ball zusammengezogen, indem er seine Beine mit seinen spindeldürren Armen so eng umschloss, dass sich die Spitzen seiner schmutzigen Finger weiß verfärbt hatten.

    Er hatte schon mehr gesehen, als ein Zwölfjähriger hätte sehen sollen, abgesehen davon, es selbst durchzumachen.

    Er erfasste die einzelnen Details der Szenerie, von denen viele für sich genommen schon vertraut waren: der Tisch, die flackernde nackte Glühbirne, die wie an einer Nabelschnur von der Decke hing, die scharfen und verschiedenartigen Werkzeuge seines Vaters.

    Das waren vertraute Bilder gewesen, aber als sein Vater zur Seite getreten war und nicht mehr länger das Sichtfeld des Jungen versperrte—da war das Gesamtbild unbegreiflich größer als die Summe seiner einzelnen Teile geworden. Da war ihm das Herz aus seiner dürren Brust gesprungen und hatte seinen in abgewetztem Leder steckenden Füßen befohlen, zu laufen, laufen, LAUF!

    Und er war gelaufen. Zurück zum leeren Kellerraum mit seinen Steinwänden, die im Sommer schwitzten und im Winter Kälte abgaben. Er hatte hier unten im Keller mehr Zeit verbracht, als das Wetter kälter, regnerischer und düsterer geworden war. Da es nicht mehr möglich war, draußen im kleinen, schmuddeligen Hinterhof des Gebäudes zu spielen, hatte er das weitgehend leer stehende Gebäude in seinen eigenen, persönlichen Spielplatz verwandelt. Von den Winkeln seines jetzigen unterirdischen Schlafplatzes bis hoch zu den Dachkammern, deren kleine Dachfenster, die perfekt miteinander übereinstimmten, einen Ausblick auf gelegentlich vorbeigehende Passanten auf der schmalen, gepflasterten Straße unterhalb boten—der Junge kannte das mit Kalkstein verkleidete Gebäude in- und auswendig.

    Jetzt näherte er sich immer mehr der Hauptabwasserleitung des Gebäudes, die eine immer wohltuende, schwache Wärme bot, solange er sich nicht an ihrem Ursprung aufhielt. Er durfte nicht in der Nähe der Werkstatt seines Vaters im zweiten Untergeschoss sein, was mehreren Stockwerken unterhalb seiner jetzigen Zuflucht entsprach. „Geh niemals durch diese Tür, verstehst du? Versprich es mir." Sein Vater hatte es ihn versprechen lassen, laut.

    Und er passierte nie die Metalltür mit dem eingravierten Symbol darauf, die zur hell erleuchteten Treppe führte, die sich steil nach unten wand. Jedoch fühlte er sich in seinem Alter von zwölf Jahren ohne andere Menschen in seiner Umgebung einsam und gelangweilt, ganz zu schweigen von seiner andauernden Neugierde. Er hatte nicht lange gebraucht, die breiten Luftschächte zu finden, durch die er sich heimlich durch das ganze Gebäude bewegen konnte, hinunter in den Keller, in dem er sich nun versteckte und sogar in das massive zweite Untergeschoss. Heute war die Tür zur Werkstatt offen gelassen worden—so unwiderstehlich—gerade weit genug, dass ein kleines Auge durch den Spalt hindurchsehen konnte ....

    Sein Atem verlangsamte sich und er hob zaghaft seinen braungelockten Kopf, öffnete zuerst ein Auge, dann das andere, und prüfte, ob seine Umgebung sicher war. Der kleine aus Stein gebaute Lagerraum war leer und er war alleine. Für den Moment.

    Er war in den ersten Monaten ebenfalls alleine gewesen. Vater hatte zwischen den langen Stunden in seiner Werkstatt und seinen anscheinend fortwährenden Angelegenheiten mit dem Mann, der mehrmals am Tag vorbeikam, keine Zeit für ihn gehabt. Der Mann erschien in seinem schwarzen Wollmantel, seinem Filzhut, Lederhandschuhen und dem silbernen Anstecker an seinem Revers, der das gleiche Symbol wie die Tür trug, königlich und aufrecht. Vater erwies dem Mann immer Respekt und Dankbarkeit und ließ den Jungen sich ebenfalls so verhalten, da der Mann Mutter zurückbringen würde, falls sie höflich waren und hart arbeiteten. Sie war in Theresienstadt zurückgelassen worden, blieb jedoch warm und in Sicherheit.

    Die Anfänge eines Lächelns zeigten sich auf den aufgesprungenen Lippen des Jungen. Zumindest bald würde er nicht mehr alleine sein. Mehr Leute würden kommen. Das taten sie immer. Er mochte es, sie kennenzulernen, diese neuen Leute. Sie waren nett und voller Hoffnung, und sie erzählten mit lustigen Akzenten Geschichten, die er manchmal nicht verstehen konnte, und sie hatten merkwürdige Kleidung und Gerüche an sich. Er stand auf, klopfte sich den Staub von seinem Hosenboden und ging in Richtung Tür.

    Als er den Raum verließ, drehte er sich um und sah zurück. Das Strahlen kindlicher Neugier begann gerade, sein dunkles Antlitz zu verfinstern. Er stellte sich den Raum wieder voll mit Stimmen, Gerüchen und Hoffnungen vor. Ja, dachte er, jetzt breit lächelnd, neue Leute würden alles so viel besser machen.

    Prag, Dezember 1991

    Eine klapprige Straßenbahn fuhr vorbei, ihr unlackiertes Metalldach passte nicht zu ihren rot getäfelten Seiten. Zwei Scheinwerfer spähten durch die frühe Dunkelheit wie schlangenartige Augen, als sie unter dem Gebäude hervorkam und an Vanesa Neuman vorbeifuhr. Von ihrem Sitzplatz im Schatten der vier Säulen der Salvatorkirche aus verschwand das Quietschen der Räder der Straßenbahn, von einer dünnen Schneedecke gedämpft, so schnell wie sie vorbeifuhr. Nur der beißende Geruch von Elektrizität vom Gewirr der Oberleitungen blieb zurück, als ob er die Erinnerung an ihn bewahren wollte.

    Denn Prag im Jahre 1991 war wie eine Erinnerung, sagte sie mir, noch bevor sie Tel Aviv verließ—und keine gute Erinnerung. Sie war nie zuvor in der Stadt gewesen und hatte nie vorgehabt, dorthin zu fahren. Sie hatte alles, was sie hören musste, über die Jahre hinweg von ihrem Vater gehört. Sie wusste, was sie wissen musste, und hatte nie das Bedürfnis verspürt, mehr über die Stadt zu erfahren. Ihr ganzes Leben lang hatte sie von der Schönheit Prags gehört. Prags Mystik, Prags ereignisreiche Geschichte, Prags atemberaubende Architektur, Prags heimtückischer Verrat und Prags langsamer Abstieg, ausgehend von Diskriminierung, über Verfolgung hinweg, hinunter zu unmenschlichen Sphären aus Elend, Schmerz und Tod.

    Nein danke, dachte sie. Kein Bedarf, diesen Ort zu sehen.

    Und dennoch war sie hier und, verdammt, es war spät. Sie muss am richtigen Ort sein, denn es gab nur eine Salvatorkirche in Prag, in der Straße Krizovnicka, gegenüber der prägenden Karlsbrücke. Er sollte sie genau hier treffen, im Schutz der massiven Säulen der Kirche, um 17 Uhr. Die teilnahmslosen Augen der sechs Marmorstatuen über Vanesa, in frischen Schnee gehüllt, sahen verächtlich auf sie hinab. Es war schon 17:30 Uhr und fast vollkommen Dunkel. Sie, und die Statuen, warteten immer noch.

    Tief in dunkle Mäntel und Schals gehüllt strömten Passanten vorbei. Die Straßenlampen flackerten weiterhin, wie auch die bunte Weihnachtsdekoration, die zwischen den Lampenpfosten aufgehängt war, und sie warfen auf gefährliche Weise Schatten in den Weg entgegenkommender Skodas.

    Vanesa zwängte sich tiefer unter den armseligen Schutz, den ihr die Säulen boten. Sie türmten sich wuchtig über ihr auf, ihre Bedrohlichkeit wurde durch die Urlaubsatmosphäre in der Stadt nicht gemindert. Sie zog ihren langen Wollmantel enger um ihre zierliche Figur und ihren Hut weiter über ihre Ohren herunter, was ihre dunklen Locken in verrückten Winkeln abstehen ließ. Sie schlotterte immer noch und stampfte halbherzig in einem verzweifelten Versuch, sich warm zu halten, mit ihren Stiefeln auf.

    Sie hatte nie wirkliche Kälte kennengelernt. In einem Leben im fast ganzjährigen Sonnenschein Tel Avivs war Kälte—zumindest beißende Kälte, wie die Dezemberluft in Prag—etwas Unbekanntes. Kälte in Tel Aviv kniff nur leicht. Die Kälte der Golanhöhen, die sie während ihres Wehrdienstes kennengelernt hatte, schnappte an dein Kinn und betäubte deine Ohrläppchen und Zehen. Die feuchte Kälte Jerusalems konnte einem tatsächlich in die Knochen kriechen. Die Kälte Prags klammerte sich jedoch fest und nagte an einem, wie ein Piranha, der in ein Aquarium eingetauchten Fingerspitzen nachjagt.

    Sie hatte nicht herkommen wollen, wie sie mir sagte, in dieses Land, in dem die Familie ihrer Eltern mehr als 500 Jahre lang gelebt hatte, in dieses Land, in dem ca. 85% der Juden ausgerottet worden waren, an Orten, von denen sie gelesen oder von denen sie aus leisem Geflüster auf Tschechisch, wenn ihr Vater mit Freunden oder Kunden in seinem Geschäft sprach, erfahren hatte.

    „Natürlich erinnere ich mich an Luba!, sprudelte es entweder aus ihm oder einem Freund heraus, wenn sie mit einer gerade festgestellten gegenseitigen Bekanntschaft konfrontiert wurden. Dieser Freude ging unvermeidlich ein verstehendes Zwinkern voraus, ein subtiles Nicken in ihre Richtung und ein Senken der Augen, wenn der eine oder andere wissend die Worte flüsterte—normalerweise „Auschwitz, jedoch manchmal „Maly Trostenets, „Sobibor, „Izbica oder einfach nur „die Transporte.

    Sie war nicht aus einem Wunsch heraus nach Prag gekommen, sondern aus einem Bedürfnis heraus—ein Bedürfnis, das sie dazu brachte, an dieser eisigen Straßenecke zu warten, um sich mit einem Mann zu treffen, den sie nur durch Onkel Tomas kannte, und dessen rasselnde, gebieterische Stimme sie nur kurz bei einem verrauschten Auslandstelefonat gehört hatte. Sie musste dem Geschenk ihres Vaters auf seinem Sterbebett einen Sinn geben, die riesige Leere füllen, die sein Leben während des Krieges war. Sie musste diesem Mann, der sie nach dem Tod ihrer Mutter aufgezogen hatte, ein Gesicht geben—ein Gesicht, das nicht vom hellen Sonnenschein Tel Avivs beleuchtet wurde, sondern eher vom selben verlöschenden wintergrauen Licht Böhmens, das gerade nun ihr Gesicht beschien.

    Sie seufzte. Ihre Hauptkontaktperson in Prag zeigte sich nicht und ließ sie als einsame Schauspielerin in einer langsam verblassenden Straßenszenerie zurück.

    Eine Straßenbahn rumpelt vorbei, erzählte sie sich selbst in einem Versuch, ihre Langeweile zu bekämpfen und die Kälte zu vergessen. Eine kaputte Straßenlaterne flackert. Touristen gehen langsam über die Karlsbrücke, dicht gefolgt von Künstlern, die ihre Waren in clever entworfenen Wagen hinter sich herziehen. Eine weitere Straßenbahn, dieses Mal mit einem quietschenden Rad. Einsatz: mehr Autos. Einsatz: Fußgänger. Ein Junge auf einem Fahrrad kommt und rutscht im ungleichmäßig verteilten Schnee aus. Immer weniger Fußgänger jetzt. Endlich, nach einem quälend langsamen Ausblenden, gehen die Lichter aus, auf der Straße wird es still. Der Vorhang fällt.

    Um 18:15 Uhr gab sie auf und drehte sich um, um den halben Kilometer zu ihrem Hotel am Altstädter Ring zurückzugehen. Auf halbem Weg die Straße Platnerska hinunter konnte sie schon die ungleichmäßigen Zwillingstürme der Kirche St. Nikolaus sehen, die über den restlichen Gebäuden und kahlen Bäumen hervorlugten. Ihre Schritte, gelegentlich auf Stellen festgetretenen Schnees quietschend, hatten angefangen, in der verlassenen Straße widerzuhallen.

    Anders als in Filme, wie sie mir später erzählte, hatte sie keine anderen Schritte gehört. Sie hatte nie eine schattenhafte Gestalt ausgemacht, die ihr folgte, hatte nie einen verdächtigen Wagen mit einer Gestalt mit dunklem Hut gesehen, die verstohlen in ihre Richtung sah, als sie vorbeifuhr. In dem einen Moment ging sie einfach nur und im nächsten wurde sie in die Allee gezogen.

    Zwei Männer, beide kahl, beide in hohen, schwarzen, militärisch aussehenden Stiefeln ergriffen sie. Einer stank nach Knoblauch, der andere nach Alkohol, wahrscheinlich Wodka. Als sie von der Straße weg waren, ergriff sie Knoblauch von hinten, fixierte ihre Arme auf dem Rücken, sein widerlicher Atem in ihrem Nacken. Wodka legte eine kalte Hand über ihren Mund. Sie ignorierten ihre bemerkenswerten, jedoch vergeblichen Versuche sich zu wehren und zogen sie tiefer in die Allee hinein und durch einen niedrigen Eingang hindurch, in etwas, was dem widerlichen Gestank nach zu urteilen ein Müllraum sein musste. Eine Metalltür fiel ins Schloss und schnitt abrupt alle Reste der Geräusche der Stadt ab, die über Vanesas stummem Kampf hörbar gewesen waren.

    Als ihr Vater ihr gesagt hatte, dass ihre Mutter gestorben war, eines nachts einsam in der Sterilität des Sourasky Medical Center in Tel Aviv, hatte Vanesa nicht geweint. Sie hatte auch nicht bei der Beerdigung geweint, ebenfalls nicht während der Schiv‘a—der traditionellen siebentägigen Zeit der Trauer. Sie war nie ein „emotionales Mädchen" gewesen, wie sie mir sagte, weil sie es immer gewusst hatte—und häufig daran erinnert wurde—dass, was auch immer sie momentan bekümmerte, im Vergleich mit den Erfahrungen ihrer Eltern verblasste. Welches Recht hatte sie, ein Mädchen, das immer etwas zum Anziehen und zu essen hatte, sich gegenüber zwei Überlebenden des Holocaust zu beklagen ... über irgendetwas? Wer war sie schon, über ein verlorenes Spielzeug zu trauern, eine angestoßene Zehe, eine Beleidigung, auch über einen einzelnen Todesfall, da ihre Kindheitserinnerungen genauso von den Geistern der Vergangenheit ihrer Eltern bevölkert wurden wie von den Lebenden?

    „Also focht ich seit frühester Jugend epische Kämpfe mit Tränen aus", sagte sie. Sie hatte gewonnen, es war jedoch ein Pyrrhussieg gewesen. Die Tränen wollten nicht mehr zurückkommen wenn sie erst einmal besiegt waren, nicht einmal, wenn sie gebraucht wurden.

    Nur Onkel Tomas hatte es geschafft, der trockenen Quelle der zwölfjährigen Vanesa ein paar Tränentropfen zu entlocken. Onkel Tomas, mit seinem Wollmantel, der in jenen Tagen immer irgendwie nach Aas gerochen hatte, und der verblassenden blauschwarzen Nummer auf seinem Unterarm, die sie sich vor langer Zeit gemerkt hatte—A-25379. Seine steife germanische Art war, wie sie glaubte, nur ein gefrorener Schutzpanzer, den die mediterrane Sonne noch nicht abgetaut hatte. Ihr Vater schien Onkel Tomas abwechselnd zu verachten und widerwillig zu bewundern, da er ihn immer auf Armabstand hielt, jedoch nie weiter weg. Trotz seines Familienstatus als nächster lebender Verwandter war Onkel Tomas nicht einmal ein wirklicher Verwandter, sondern eher der Geschäftspartner ihres Vaters, Mitbesitzer des beengten Ladens in der Straße Nahalat Binyamin im Arbeiterviertel Florentin im Süden Tel Avivs.

    Die Tränen waren auch nicht freiwillig zurückgekehrt, als ihr Großvater Jakub vier Jahre später starb. Man hatte ihn zusammengesackt über seiner Werkbank im schmuddeligen Hinterzimmer des Ladens gefunden, eine einzelne nackte Glühbirne spiegelte sich in seinem Schabewerkzeug aus Edelstahl, das er immer noch in einer Hand umklammerte, seine Stirn ruhte leicht auf seiner anderen Hand.

    Und wieder konnte sie nur in der Geborgenheit von Onkel Tomas‘ steifer Umarmung trauern, als ob er einen geheimen Schlüssel zu den Schleusen ihres Schmerzes hätte. Dankenswerterweise war er bei seinen Verpflichtungen als Torwächter immer gütig gewesen.

    Wenn ihre Eltern wie geschlossene Bücher waren, war ihr Großvater für Vanesa eine verschlossene Bibliothek gewesen, ein Sperrbereich, der durch bunt gestrichene Stahlgitter, dekorativ an ihrer Oberfläche, jedoch im Grunde bedrohlich, abgesperrt war. Vanesa hatte nie jemand stilleren kennengelernt, aber er lächelte immer herzlich, wenn sie nach der Schule auf ihrem Nachhauseweg im Laden vorbeikam, da sich die Wohnung der Familie nur ein Stockwerk darüber befand. Er sah von was auch immer er gerade schabte, dehnte oder schnitt mit einem zerstreut wirkenden Lächeln auf, als ob er etwas vergessen hatte und ihr Erscheinen auf angenehme Art sein Gedächtnis wachrüttelte—ein vager „Aha!"-Moment. Dann senkte er seinen Kopf, widmete sich wieder wortlos seiner Arbeit und ließ sie im Laden umherstöbern, bis sie die Bonbons, die er jeden Tag an anderen Orten versteckte, gefunden hatte.

    „So habe ich gelernt, sowohl im Laden, als auch in meinem Leben, an der Stille vorbeizusehen und das Gute zu finden", sagte sie mir.

    Jedoch gab es nichts Gutes in dem, was Wodka und Knoblauch Vanesa in jenem dunklen Müllraum in Prag antaten, wie es auch nichts Gutes am vorzeitigen Tod ihres Vaters im Alter von 60 Jahren, gerade sechs Monate zuvor, gab.

    Nichts Gutes, und noch immer keine Tränen.

    Prag, Dezember 1991

    Sie schleuderten Vanesa auf den kalten Betonboden. Sie glitt rückwärts über eine gefrorene Schicht Flüssigkeit, die aus dem Müll stammte, bis ihr Hinterkopf an eine dreckige Backsteinwand anschlug. Ein ungesundes Klonk ließ ihre Zähne aneinanderschlagen.

    Ihr Kopf wurde langsam wieder klar und eine bedrohliche Stille folgte. Ihre Augen passten sich dem Halbdunkel an und fingen Lichtstrahlen ein, die an der verrosteten Metalltür vorbeiglitten.

    Die beiden schwerfälligen Silhouette türmten sich über ihr auf. Das Licht fiel so hinter ihnen ein, sodass sie das Hakenkreuz sehen konnte, das auf einen Nacken tätowiert war, als er sich umdrehte. Keiner der beiden bemühte sich, sein Gesicht zu verbergen. Sie starrten sich an, als ob sie von ihrem bisherigen Erfolg sehr beeindruckt wären, aber sie schienen unsicher zu sein, was sie nun tun sollten. Knoblauch übernahm schließlich die Führung und sprach in akzentfreiem Tschechisch.

    „Also, Schlampe, Fräulein ... Er sah auf seine Handfläche, als ob er lesen wollte, was dort stand, entschied sich jedoch, es nicht auszusprechen. Er sah zur Unterstützung zur Seite und Wodka an, drehte sich wieder zu Vanesa, lächelte—dabei zeigte er eine große Zahl krankhaft schwarzer Zähne—und nahm eine fast formelle, rednerische Stimme an. „Oh ... willkommen in Prag, dem Juwel Böhmens. Als Teil des Willkommenspakets unserer Stadt für hier eindringende Fotzen wie dich, würden wir dir gerne bestimmte örtliche Regeln und Gebräuche näherbringen. Die allererste Regel ist, dass zu viel Neugier die Leute nerven kann. Er spuckte in ihre Richtung und drehte sich wieder zur Bestätigung zu Wodka.

    Wodka nickte weise, er rieb seine Hände vor unverhohlener Vorfreude.

    Vanesa drückte sich fester an die feuchte Kälte der Backsteinwand, die ihr ein wenig Beruhigung gab, einfach nur aus der Tatsache heraus, dass sie nicht groß, muskulös und bedrohlich war und keine Hakenkreuz-Tätowierung trug.

    Knoblauch fing an, seinen Gürtel auszuziehen, und sah mit lüsterner Befriedigung zu Wodka zurück. Da ihr Trotz nun durch deutlich sichtbare Angst verdrängt wurde, war er mit sich zufrieden und machte weiter. „... und Leute in Prag zu nerven, hat, historisch gesehen, ziemlich unangenehme Konsequenzen, wie du vielleicht weißt."

    „Prosim", stotterte sie auf Tschechisch. „Bitte ...."

    Als die beiden Männer Vanesa näherkamen verließ das verbleibende tiefschwarze Licht den übel riechenden Raum wie ein letzter feierlicher Atemzug.

    Wisconsin, 1981

    Als ich zum ersten Mal Vanesa Neuman traf, hatte sie mehr Fragen als Antworten und eine deutliche Bereitschaft sie zu stellen. Ich machte einmal den Witz, dass ihre wirklich unersättliche Neugier sie zu einer Art bodenlosem intellektuellem Krater machte, der alles verschlang, was hineingeworfen wurde. Sie lebte ihr Leben aus Fragen in einer Art Bewusstseinsstrom, bei dem eine Frage unausweichlich zur nächsten führte. Eine Diskussion über abblätternde Farbe konnte sich leicht in Platons Höhlengleichnis auflösen, zurück zum Innenleben von Moskitos führen, hinüber zur Begründetheit der Restaurantpreise dieses Abends schnellen und danach bei einem Teilgebiet mongolischer Falknerei enden.

    Mit den Jahren fiel Vanesas Frage-Antwort-Rate langsam ab. Wie Fanatiker, Technokraten, Taxifahrer und klinisch Geistesgestörte erhielt sie zu viele Antworten. Man schob ihre Fragen beiseite, als ob ihre intellektuelle Kapazität begrenzt gewesen wäre. Und sie entfernte sich immer mehr von mir.

    Nichtsdestotrotz verblasst der Einfluss mancher Menschen, die jemandes Lebensweg kreuzen, niemals vollständig. Im Sommer 1981, mehr als ein Jahrzehnt bevor ich das Wort „Galerie" überhaupt hörte, wurde Vanesa zu solch einem Menschen.

    Ich war ein ach-so-ernsthafter, neunzehnjähriger Universitätsstudent, der in einem Zeltlager in den Wäldern zwei Autostunden nördlich von Chicago als Betreuer für Kinder im High-School-Alter arbeitete. Das großzügige Gelände des Lagers schmiegte sich an den Rand eines immer noch bewaldeten, jedoch immer städtischer werdenden Gebiets, das ungewollt auf einer Seite entstanden war. Auf der anderen Seite erstreckte sich ein dichter Wald, in dessen Tiefen sich nicht einmal die abenteuerlustigsten Camper wagten. In östlicher Richtung umschloss das Gelände einen schlammigen See mit dort angefahrenem Sandstrand, der sich eines Rennboots und Katamarans brüstete, ganz zu schweigen von einer großen Anzahl an Kanus und Paddelbooten, die dafür bekannt waren, nur die Illusion von Bewegung zu vermitteln.

    Donna, die Herrin des Ufers, gebot über den See. Ihr Wort, unausweichlich mit einem trommelfelldurchbohrenden Pfeifen verstärkt, war endgültig—genauso endgültig, wie respektlos gemunkelt wurde, wie ihr gewaltiger Hintern, der angeblich ein kleines Kätzchen zerquetscht hatte, das die bedauerliche Entscheidung getroffen hatte, zufällig auf dem Hochstuhl der Rettungsschwimmer zu schlafen.

    Vanesa war eine richtige Sechzehnjährige, ein Mitglied in der ältesten Gruppe, bei der ich Mitbetreuer für eine der Jungenhütten war. Sie war in ihren Chucks 1,62m groß, kleiner und etwas molliger als die Madonna-Nachahmerinnen in ihrer Hütte. Aber man konnte das Feuer in ihr direkt spüren—durch die Art, wie sie einen ohne das kleinste Zögern ansah, ohne eine Spur von Selbstbewusstsein, mit der sie einen wie ein Bezirksstaatsanwalt befragte und dann wie ein Scharfrichter im Wilden Westen ihr Urteil fällte. Sie hatte eine gewisse Art, ihre dunklen, schulterlangen Locken herumzuwerfen, wenn sie stritt, ihre schmalbrüstige Gestalt einzudrehen, um jemanden anzugreifen, wenn sie sprach—als ob nicht nur ihr Geist, sondern ihr ganzer Körper ihren Standpunkt unterstreichen wollte.

    Ich verliebte mich direkt in sie und bin es bis zum heutigen Tage—weniger wegen dem, was sie wurde, als wegen dem, was sie immer noch für mich ist, natürlich eine Sechzehnjährige.

    Meine pickelgeplagten, hyper-hormongesteuerten, aber dennoch lobenswerterweise wenig erfahrenen Camper—es waren schließlich die 80er—wohnten für die Dauer jeder einmonatigen Zeltsaison mit meinem Mitbetreuer und mir in einer klapprigen Holzhütte. Die Hütte—der Zeltlagerprospekt nannte sie „rustikal"—hatte Fenster, die nur aus Fliegengittern bestanden, die ziemlich effektiv darin waren, die Moskitos in der Hütte zu halten, Lücken in den Bodenbrettern, die breit genug waren, allen Spinnen und sonstigem Ungeziefer Einlass zu bieten, und eine Tür, deren ungeheure Schwungkraft sie mit einem Knall zufallen ließ, der laut genug war, dem Finale der Ouvertüre 1812 zur Ehre zu gereichen.

    Da Teenager eben Teenager sind, mangelte es meinen Campern an Interesse an so ziemlich allem, außer Sport und Mädchen. Also fühlte ich mich in meiner Freizeit dazu hingezogen, mit den Camperinnen zu reden. Romatisch gesehen waren sie für mich strengstens tabu und ich hielt mich an die Regeln des Zeltlagers, aber welcher heterosexuelle Neunzehnjährige würde nicht die kriecherische Bewunderung, so ernst gemeint sie vielleicht auch war, eines Pulks von Mädchen, die sehr an Jungs interessiert waren, genießen?

    Vanesa drang nicht zum inneren Kreis der Intrigen der Mädchenhütte

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