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Gott ist größer: Muslime und Christen - Herausforderungen des religiösen Lebens
Gott ist größer: Muslime und Christen - Herausforderungen des religiösen Lebens
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Ebook185 pages2 hours

Gott ist größer: Muslime und Christen - Herausforderungen des religiösen Lebens

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About this ebook

Aus ihrer reichen Erfahrung berichtet Ilse Wellershoff-Schuur von den Möglichkeiten, wie verschiedene Religionen voneinander lernen können. Ihre Schilderungen legen Zeugnis dafür ab, wie Begegnungen von Menschen unterschiedlichen Glaubens zu einer gegenseitigen Bereicherung und zu einer neuen Form des Verständnisses und der Liebe zum Weg des anderen führen können.

"Dieses Buch ist keine Einführung im gewöhnlichen Sinn, keine Gebrauchsanweisung zum Thema Islam, kein Überblick über seine Entstehung, Praxis, Bedeutung oder gar eine Bewertung einer der großen religiösen Strömungen unserer Menschheit. Es geht um Perspektiven, Sichtweisen, um Begegnungen, um das Neue, das daraus entsteht, dass sich Menschen aus verschiedenen kulturellen und religiösen Umfeldern gegenseitig wahrnehmen, befragen und vielleicht auch in Frage stellen."
Ilse Wellershoff-Schuur
LanguageDeutsch
Release dateFeb 15, 2018
ISBN9783825161712
Gott ist größer: Muslime und Christen - Herausforderungen des religiösen Lebens

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    Gott ist größer - Ilse Wellershoff-Schuur

    Ilse Wellershoff-Schuur

    Gott ist größer

    Muslime und Christen –

    Herausforderungen des

    religiösen Lebens

    Inhalt

    Präludium

    Die Feuer-Parabel und ihr Umkreis

    Was ist Religion?

    Religiöse Erneuerung?

    Hauptteil

    »Näher als die Halsschlagader«

    Zuhören und Lernen

    Rechtleitung und Irrlehre

    Die Mutter des Buches

    99 Namen

    Erkenntnis und Bekenntnis

    Der innere Muezzin

    Intermezzo: Insch’allah!

    Fasten und Feiern

    Al-Hamdu-l’illah!

    Weltgemeinschaft der Muslime

    Das zweischneidige Schwert

    Am Ende

    Zurück zum Feuer

    Muslim werden, um Christ zu sein – oder umgekehrt?

    Anhang

    Die 99 Gottesnamen

    Beispiele für die Namen des Göttlichen in den Ritualen der Christengemeinschaft

    Glossar

    Verwendete Textausgaben

    Verwendete und weiterführende Literatur

    Dank

    Impressum

    Im Namen des barmherzigen Gottes!

    ¹

    Mit dieser Widmung stelle ich mein Tun in den Kontext der Entwicklung, wie sie vom Schöpfer des Menschen und der Welt gewollt ist.

    Am Anfang jeder Tat steht in der islamischen Tradition die erste Sure, al-Fatiha, die Eröffnungssure des Heiligen Koran, oder wenigstens ihre erste Zeile, als kurzes Gebet.

    Die Hoffnung auf Erhörung setzt das Leben der Menschen immer wieder in Bezug zur göttlichen Welt. Als Christin schließe ich mich diesem Gebet von Herzen an. Gleichzeitig schwingt das Gebet mit, das all mein Denken, Fühlen und Handeln begleitet – das paulinische Wort: Nicht ich, sondern der Christus in mir!

    Möge dieser Beginn eine Herausforderung sein, vielleicht für so manchen westlich-säkularen Leser anstößig im wahren Sinne des Wortes, befragungswürdig, anregend für neue Gedanken – und so eine Anregung zu einem eigenen lebendigen religiösen Leben, so wie es Goethe als Ideal sah, der sich als Heide, Christ und Muslim zugleich empfand!

    Talismane

    Gottes ist der Orient!

    Gottes ist der Okzident!

    Nord- und südliches Gelände

    Ruht im Frieden seiner Hände.

    Er, der einzige Gerechte,

    Will für jedermann das Rechte.

    Sei, von seinen hundert Namen

    Dieser hochgelobet! Amen.

    Mich verwirren will das Irren;

    Doch du weißt mich zu entwirren.

    Wenn ich handle, wenn ich dichte,

    Gib du meinem Weg die Richte.

    Ob ich Ird’sches denk’ und sinne,

    Das gereicht zu höherem Gewinne.

    Mit dem Staube nicht der Geist zerstoben,

    Dringet, in sich selbst gedrängt, nach oben.

    Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:

    Die Luft einziehn, sich ihrer entladen.

    Jenes bedrängt, dieses erfrischt;

    So wunderbar ist das Leben gemischt.

    Du danke Gott, wenn er dich presst,

    Und dank’ ihm, wenn er dich wieder entlässt.²

    Präludium

    Die Feuer-Parabel und ihr Umkreis

    Ich beginne mit einer Geschichte, die helfen soll, die Aufgabe dieser verschriftlichten Gedanken zu verdeutlichen. Dieses Buch ist keine Einführung im gewöhnlichen Sinn, keine Gebrauchsanweisung zum Thema Islam, kein Überblick über seine Entstehung, seine Praxis, seine Bedeutung oder gar eine Bewertung einer der großen religiösen Strömungen unserer Menschheit. Es geht um Perspektiven, Sichtweisen, um Begegnungen, um das Neue, das daraus entsteht, dass sich Menschen aus verschiedenen kulturellen und religiösen Umfeldern gegenseitig wahrnehmen, befragen und vielleicht auch in Frage stellen. Wie das gemeint sein kann?

    Es war im Jahre 2006, als der islamische Fastenmonat Ramadan und das jüdische Laubhüttenfest Sukkot zusammenfielen. Das ist nicht immer so, wie jeder weiß, der den islamischen und den jüdischen Kalender und die jeweiligen kosmischen Gesetze kennt, nach denen sie sich richten.

    Da ist einerseits der islamische Kalender, dessen Jahreszählung mit dem Jahr der Hidschra beginnt, als der Prophet Mohammed (Gottes Frieden und Segen über seiner Seele …³) aus seiner Heimatstadt Mekka nach Yathrib, das später Medina genannt wurde, auswanderte, um dort seine neue Offenbarung in den Dienst des Gemeinwesens zu stellen. Nach unserer Zeitrechnung war das im Jahre 622. Der islamische Kalender ist ein echter Mondkalender, das heißt, seine Monate beginnen mit dem Neumond und dauern dann bis zum nächsten Mondzyklus. Das Sonnenjahr ist aber länger als die sich so ergebenden 354 Tage, sodass die zwölf Monate im Verhältnis zu den Jahreszeiten jedes Jahr um fast einen halben Monat »zurückfallen«. So wandern die Feste durch das Jahr, was man chaotisch oder ungeordnet oder unrhythmisch finden kann, wenn man es nicht näher verstehen will. Eine andere Sicht liegt in der Erklärung, die ich einmal von einem islamischen Gelehrten bekam: So heiligen die Feste im Laufe der Zeit das ganze Jahr …

    Der Ramadan also fand 2006 im Herbst statt, in der Zeit, in die auch das jüdische Sukkot-Fest fällt. Das liegt immer im Herbst.

    Der jüdische Kalender ist ein kombinierter Sonnen- und Mondkalender. Durch einige unregelmäßig eingeschobene Schaltmonate bleiben die Monate und die sich nach ihnen richtenden Feste immer in etwa in derselben Jahreszeit. Der Stand der Sonne hat für sie eine Bedeutung. Das Passahfest gehört zum Frühling, das Neujahrsfest zum Herbst. Die Monate beginnen auch hier immer mit dem Neumond, im Gegensatz zu unserem gregorianischen Kalender, in dem sie zu reinen Abstraktionen geworden sind, die mit dem Lauf des Mondes nichts mehr zu tun haben. Unsere (römischen) Monate ermöglichen dadurch, dass das Kalenderjahr trotz der Gliederung in zwölf »Monate« ein reines Sonnenjahr werden konnte. Doch das nur am Rande.

    Sukkot und Michaeli liegen also immer im Herbst und haben dadurch miteinander zu tun. Die jüdischen Herbstfeste Rosch Haschana, Yom Kippur und Sukkot sind Feste, die in der Michaelizeit liegen, und wenn dann noch der Ramadan dazukommt, gibt es viel zu feiern dort, wo die Michaelizeit in irgendeiner Form noch oder wieder begangen wird. Das alte christliche Fest, der 29. September als Fest der Erinnerung an den Erzengel Michael, hat im Allgemeinen ja an Bedeutung verloren, aber im Umkreis anthroposophischer Initiativen und Einrichtungen gibt es eine Art neuer Michaelkultur, die anknüpft an das Individuelle, das neu ergriffene Bewusstsein, das Menschheitsbewusstsein im Gegensatz zum alten Gruppenhaften, wie es im Nationalen, Ethnischen, Stammesmäßigen oft noch lebt. Der frühere »Volksgeist« Michael, der in biblischer Zeit das jüdische Volk und später auch das deutsche inspirierte, ist heute zum Zeitgeist geworden⁴, ein Engel des weltweiten Menschheitsbewusstseins. Der Mensch kann heute – unabhängig von seiner Herkunft – eine neue, freie, selbst gewählte Geistigkeit, ein neues Verständnis der höheren Weltzusammenhänge suchen …

    Anfang Oktober 2006 war es also Ramadan, Michaeli und Sukkot, und in unserer Kulturbegegnungsstätte Bab l’il Insan – Sha’ar la Adam⁵ in Galiläa wurde deshalb ein großes gemeinsames Fest gefeiert. Es gab ein traditionelles gemeinsames Fastenbrechen in verschiedenen Laubhütten im Wald, ein Podiumsgespräch an unserem vielgeliebten Feuerplatz, und später sollte noch ein Theaterstück mit arabischen und jüdischen Akteuren folgen.

    In diesen Oktobertagen wurde es früh dunkel in Israel/Palästina, denn die Uhren waren schon auf Normalzeit zurückgestellt. Schon um kurz nach fünf ruft der Muezzin das Ende des Fastens aus. Es ist Zeit für das iftar, das tägliche Fastenbrechen. Im Ramadan wird jeden Tag gefastet, solange die Sonne am Himmel steht. Die Mahlzeit, die dann folgt, ist ein soziales Ereignis, das üblicherweise in den unterschiedlichsten Konstellationen begangen wird: in der Großfamilie, in Arbeitskollegien, unter den Kindergarteneltern. An jedem Tag isst man mit anderen Menschen zusammen. Und so hat dieser Monat etwas sehr Festliches: Das iftar isst niemand allein, entweder man lädt ein oder man ist eingeladen …

    An diesem Abend essen etwa hundert Menschen gemeinsam. In der Begegnungsstätte Shaar laAdam – Bab l’il Insan im Wald nahe dem Kibbuz Harduf⁶ feiern wir das Zusammenfallen der drei Feste. Wir empfinden es wie ein großes menschheitliches Fest, das hier gefeiert wird, und im Wahrnehmen all dessen, was bei den Menschen der verschiedensten Volksgruppen, Religionen, Traditionen und Kulturen lebendig ist, werden für so manchen der Mitfeiernden Aspekte des Michaelfestes neu beleuchtet. Wie trägt der Ramadan mit seinem Element der Willensschulung dazu bei, den Menschen vorzubereiten auf die Aufgaben, die anstehen? Erfahren wir im Laubhüttenfest nicht täglich, dass unsere irdische Heimat nur eine vorübergehende ist?

    Solchen Fragen wollten wir auf die Spur kommen, wenige Wochen nach dem Ende des Libanonkrieges, in einem Treffen zum Thema »Religion und Krieg«. Eigentlich hätte es heißen sollen: »Religion und Frieden«, aber das war einigen der Vorbereiter so unmittelbar nach dem Krieg zu watteweich. Hatten sie nicht gerade einmal wieder erlebt, dass Religion zu Krieg führen muss? Wer sind denn in dieser Gegend die Falken, wer die Tauben? Gerade die vermeintlich »Religiösen« schüren doch den Hass gegeneinander, egal, ob militante Siedler, die davon ausgehen, dass das Heilige Land von Gott nur ihnen versprochen wurde, oder Gotteskrieger der Hamas oder Hisbollah, die im Namen des Islam das Land von den Ungläubigen befreien wollen.

    Das Erste, was die drei Religionsvertreter von Islam, Judentum und Christentum auf dem Podium feststellen mussten, war allerdings genau das Gegenteil dieses oft und gern von weltlich eingestellten Menschen geäußerten Vorurteils: Was die Fundamentalisten aller Art Religion nennen, ist eben meist nicht wirklich religiös. Oft widerspricht fundamentalistische Ideologie den religiösen Offenbarungen sogar explizit. Die Fanatiker berufen sich auf eine göttliche Instanz, die nur ihnen recht gibt, vielleicht, um so eigene Frustrationen und mangelndes Selbstwertgefühl zu überspielen und ihre Gewalttaten mithilfe einer höheren Macht zu rechtfertigen. Ihr Glaube besteht zum größten Teil aus dem Gefühl, zu den »Guten« zu gehören, die die »Bösen« vernichten müssen. Eine solche Haltung, die wir Fundamentalismus nennen, gleich, welcher religiösen Prägung, zieht ihre stärkste Legitimation aus der Überzeugung, dass Gott es so und nicht anders gewollt hat. Damit lässt sich im politischen Geschäft vieles rechtfertigen, wie man vom »Deus lo vult«⁷ der Kreuzzüge im Ohr hat. Ein individueller Bezug zu Gott ist bei vielen Fundamentalisten ganz untergeordnet gegenüber der Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe, gegenüber der Tradition, dem Gesetz der (Volks-)Gemeinschaft.

    Wirkliche Religion im Sinne der Gesprächspartner an diesem Abend ist dagegen das individuelle Aufsuchen einer Verbindung zur göttlichen Welt. Was die drei Richtungen angeht, die hier miteinander Verständigung suchten, so ist eine ihnen gemeinsame Überzeugung die Schöpfung des Menschen als Gottes Bild, als eines Geschöpfes, das seinem Schöpfer nacheifern, ihm dienen, von ihm lernen, sich durch seine Hilfe entwickeln möchte. Shaar laAdam – Bab l’il Insan, das heißt auf Hebräisch beziehungsweise Arabisch: »Das Tor zum Menschen«, zum Menschsein, vielleicht noch besser: zum Menschwerden. Dieses Ziel eint die so verschiedenen Menschen, die sich hier treffen: den jüdischen Militär-Rabbi, den muslimischen Richter, den jungen israelischen Soldaten, der gerade noch Waldorfschüler war, die anthroposophischen Künstler, den arabisch-israelischen Rechtsanwalt, die Franziskaner-Nonnen, den christlich-arabischen Initiator des »Hauses der Hoffnung« in der arabischen Kleinstadt nebenan, den Regisseur, der um das neue, weltoffene Judentum kämpft, wie die Waldorflehrer, den Beduinen-Sheikh oder eben auch mich, die Pfarrerin der Christengemeinschaft aus Europa, die auf dem Podium sitzt, zusammen mit den geistigen Brüdern aus Judentum und Islam.

    Dabei entsteht aus der Frage eines jungen Menschen aus dem Publikum (war es ein Jude, Christ oder Muslim?) eine Geschichte, die schon oft erzählt wurde und die auch hier den Ausgangspunkt bilden soll für unsere Betrachtungen zu Islam, Christentum und religiöser Erneuerung: »Und jetzt, wo ihr euch so schön habt einigen können über all das Allgemeine, wüsste ich doch gern, wie ihr erklären könnt, dass es trotz allem eben verschiedene Religionen gibt. Eine von ihnen muss doch die Richtige sein?«

    Der muslimische Kadi, dessen Antwort wir eigentlich alle gekannt hätten (»Hätte Gott es gewollt, Er hätte euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht … Wetteifert darum in den guten Taten«⁸), lässt mir den Vortritt. Ich antworte plötzlich und unerwartet weder mit dieser Sure noch mit der Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise, die sich ja auch anbieten würde.

    Ich beschreibe viel mehr den Augenblick:

    Wie wir da um

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