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Schluss mit Sünde!: Warum wir eine neue Reformation brauchen
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Ebook127 pages1 hour

Schluss mit Sünde!: Warum wir eine neue Reformation brauchen

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Die Vokabel "Sünde" besitzt eine dunkle Kraft. Sie macht klein und sorgt dafür, dass man sich schmutzig fühlt. Das hat auch Martin Luther nicht verhindert. Klaas Huizing setzt dagegen: Wir sind der Sünde nicht ausgeliefert, Schluss damit!
Ein kluges Coaching durch die Geschichten des Alten und Neuen Testaments ermöglicht eine neue Reformation des Christentums.
LanguageDeutsch
PublisherKreuz Verlag
Release dateOct 13, 2017
ISBN9783946905196
Schluss mit Sünde!: Warum wir eine neue Reformation brauchen
Author

Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg.

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    Book preview

    Schluss mit Sünde! - Klaas Huizing

    Einleitung

    Das raumgreifende Pfingstwunder

    Heureka. Ich habe es gefunden. Mit diesem glückstrunkenen Ausspruch soll, nach einer von Plutarch und Vitruv überlieferten Anekdote, Archimedes von Syrakus schamfrei nackt durch die Stadt gelaufen sein, nachdem er in der Badewanne das später nach ihm benannte Archimedische Prinzip entdeckt hatte. Laut Wikipedia geht es um folgende Einsicht: »Der statische Auftrieb eines Körpers in einem Medium ist genauso groß wie die Gewichtskraft des vom Körper verdrängten Mediums.« |1|

    Heureka, der Name ist inzwischen Programm, denn Heureka heißt sinnigerweise auch das Hochschul-Entwicklungs- und Umbauprogramm: RundErneuerung, Konzentration und Ausbau von Forschung und Lehre in Hessen. Diesem Entwicklungsprogramm verdankt die altehrwürdige Universitätsstadt Marburg an der Lahn einen erstaunlichen Neubau: Viergeschossig schlängelt sich ein riesiges Gebäude durch Marburgs Unterstadt und bildet eine Blick- und Wegeachse zwischen der Elisabethkirche und dem Botanischen Garten. Zwischen Gott und Natur, zwischen Lehrhaus und Baumschule schiebt sich, wer auf die naheliegende Pointe nicht verzichten will, die Wissensschlange.

    Auf 18.000 Quadratmeter werden 2,5 Millionen Bücher präsent gehalten, daneben gibt es Gruppenarbeitsräume für vernetztes, interdisziplinäres Lernen und hinreichend Computerarbeitsplätze. Die Bausumme von 108 Millionen Euro fließt nach dem Entwurf des Darmstädter Architekturbüros Sinning in einen langgestreckten Baukörper, der mit der Umgebung augenzwinkernd kommuniziert: Die Höhe der umliegenden Gebäude definiert auch für die Universitätsbibliothek hübsch demütig das Maß, im Atrium wird die Sandsteinfassade der Elisabethkirche zitiert, die Außenhaut nimmt das Farbenspiel der Putzfassaden der Gründerzeitbauten auf. Eine gläserne Eingangshalle schneidet das mächtige Gebäude diagonal durch und erlaubt Blickverbindungen zwischen Elisabethkirche und Botanischem Garten. Die Vorsprünge der Atriumfassaden sollen, glaubt man der Homepage, die für Marburg typischen Fachwerkgassen zitieren und die Lesebalkone spielen mit der Optik der terrassierten Oberstadt. Urbanität simuliert das Atrium mit Cafeteria und vielen Sitzgelegenheiten. Dem Genius Loci wurde dank des Programms Heureka aufwendig gehuldigt.

    Konzeptskizze der neuen Universitätsbibliothek in Marburg.

    (Foto: Entwurf sinning architekten, Darmstadt)

    Visualisierung der neuen Universitätsbibliothek in Marburg.

    (Foto: Entwurf sinning architekten, Darmstadt; Visualisierung: agatastudio)

    Dieses raumgreifende Pfingstwunder tritt an gegen die gemütliche Verrohung vieler Universitätsstädte. Zugleich ist das Gebäude gegenläufig zum grassierenden Elitenbashing ein steingewordenes Lob der Bildung und ein vielstimmiges »Lob der Elite« |2|. Der gläserne Durchbruch soll als Einladung verstanden werden und versinnbildlicht die Idee der Barrierefreiheit: die leichte Zugänglichkeit als Inklusionsangebot auch für sogenannte bildungsferne Schichten. Durch den kräftigen Einsatz von Glas der Geste des Prunkens zu widerstehen, vielmehr mit negativer Opulenz zu punkten, gelingt freilich nur in Maßen: Der triumphalische Wissensbau ist auch ein Sperrriegel, der abschreckt.

    Wer soll das alles lesen, bitteschön? Bereits die gigantische Masse der gehorteten und präsentierten Bücher fasziniert und lässt schaudern gleichermaßen. Dieses Erhabenheits-Erlebnis provoziert prompt den Wunsch nach schneller Orientierung und Einfachheit. Geht das zusammen, und wenn ja, wie geht das zusammen?

    Die Wikipedia-Kultur macht Angebote zur Verschlankung in Zeiten zunehmender Unübersichtlichkeit bei gleichzeitiger Zeitnot, bietet aber nur verdichteten Wissensrapport, nicht das, was man von einem Buch im Idealfall auch erwartet: eine Herzensbildung und ein Sinnreservoir. Existenzielle Gründe für eine Verschlankung des Wissens sind mit Händen zu greifen. Wucherung, wohin man schaut. Die Informationsflut – auch von alternativen Wahrheiten – hat sich zu einem Tsunami entwickelt. Davon ist auch das religiöse Feld nicht ausgenommen. Auch hier herrscht ein harter Konkurrenzkampf und entsprechend eine Wucherung von Sinnfindungsangeboten. Welche Leistungskraft und Lebensdienlichkeit die christliche Religion besitzt, ist für viele potenzielle Leserinnen in der Wucherung der Angebote offenbar nicht erkennbar oder erscheint als Angebot unattraktiv, unverständlich und unzeitgemäß.

    Lässt sich aus 2,5 Millionen Büchern ein lebensdienliches Buch machen, vielleicht sogar nur ein Kurznarrativ, ein Florilegium an Weisheitssprüchen, ein Bändchen mit Beispielgeschichten, ein schmales Buch aus 95 Thesen – gerne sogar leicht zugänglich gemacht auf dem iPad?

    Vielleicht nicht zufällig steht diese Bibliothek von Alexandria reloaded im protestantisch geprägten Marburg, denn es ist die von Luther angeschobene Reformation, die die Idee eines niederschwelligen Leseparadieses auf den Weg brachte. Luthers totzitiertes Bonmot, er wolle dem Volk aufs Maul schauen, diente ihm selbst dazu, das Schrift-Deutsch massentauglich und kraftvoller zu machen, damit der künftige Leser und die künftige Leserin die biblia teutsch mit allen Sinnen aufnehmen konnte. Daraus entstand später Deutschland als Leseland. Diese Entwicklung war nur möglich, weil Luther der (religiösen) Wissenselite, die auf Latein schrieb und das Wissen eifersüchtig hortete und gegen die Massen abschottete, den Kampf ansagte. Er ist es auch gewesen, der gegen die Wucherungen der religiösen Texte mit dem von Melanchthon, dem Dauermitglied seiner Peergroup, geliehenen Weckruf Ad Fontes, Zu den Quellen, eine Verschlankung auf ein einziges Buch einklagte und in diesem Buch eine gleichermaßen einfache und befreiende, von allen Höllenängsten erlösende frohe Botschaft ausmachte: die Rechtfertigung aus dem Glauben. Diese Einsicht freilich hat im Gegenzug eine Flut an theologischen Texten – mal zustimmend, mal ablehnend – auf den Weg gebracht. 500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag herrscht erneute Unübersichtlichkeit. Wie lautet heute eine klare und einfache Botschaft? Ist der Wunsch nach einfachen und zugleich nicht flachen Botschaften in unserer komplexen Lebenswelt überhaupt noch zu erfüllen?

    Mein Essay hat sechs Teile. Ein erster Teil deutet in neuer Perspektive die Wissensgeschichte als eine Wellenbewegung von Wucherung und Verdichtung. Ein sich stetig ausweitender Großtext wird in unregelmäßigen Phasen durch außerordentliche Autoren auf ganz unterschiedlichen Feldern einer Verdichtung unterzogen: etwa durch Platon, durch Kallimachos, den Bibliothekar von Alexandrien, durch den römischen Aristokraten Caecus, den Parabelkünstler Jesus von Nazareth oder Martin Luther. Der Latinist Walter Wimmel hat in seiner kleinen Schrift Die Kultur holt uns ein diese Reduktionskünstler entdeckt und inventarisiert. Das Buch fand innerhalb der Wissensgesellschaft wenig Resonanz, wurde schnöde vergessen, auch meine Kopie des Buches versteckte sich in Ordnern, die ich bei einem der vielen Umzüge unkonzentriert entsorgte. Im Internet wurde ich erneut fündig. Es ist ein schmales Buch, dessen Zeit gekommen ist: Unsere Wissensgeschichte ist eine Geschichte von Wucherung und Verdichtung.

    Mit der reformatorischen Kernvokabel sola scriptura, allein durch die Schrift, ist eine religiöse Verdichtungsgröße gefunden, die jeden künftigen religiösen Großtext der Christentumsgeschichte immer wieder an einer kanonischen Verdichtung, der Bibel nämlich, letztgültig messen kann. Ich lese die Reformation als gigantische Verschlankungsgeschichte. Diese Verschlankungsgeschichte und den Verschlankungskünstler Luther will ich im zweiten Teil knapp skizzieren. Luther ist ein Elitenbasher von Format: Er besitzt Mut zur Wahrheit und richtet sich gegen Eliten und herrschende Meinungen. Der späte Michel Foucault, einer der Heroen der französischen Philosophie, hat diesen Mut zur Wahrheit, in der Antike unter dem Stichwort Parrhesia verhandelt, wiederentdeckt. Martin Luther ist ein Parrhesiast, ein angstloser Wahrsprecher, wie er im Buche steht.

    Ein dritter Teil hinterfragt die inhaltliche Lösung der Vereinfachung, die Luther angeboten hat. Seine Grundfrage war: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Diese Frage ist definitiv nicht mehr meine Frage – und wahrscheinlich gilt dieser abschlägige Bescheid für die meisten Menschen der Gegenwart, die nicht von Höllenängsten herumgeworfen werden, sondern wissen wollen, wie Leben gelingen kann, ohne sich überfordern zu müssen. Und damit verlieren auch die angebotenen Antworten auf die von Luther gestellte Frage, die lutherische Rechtfertigungslehre und seine Umwertung der sogenannten guten Werke für mich und meine Lebenswelt an unmittelbarer Überzeugungskraft. Im Hintergrund der lutherischen Theologie steht zudem ein unattraktives, pessimistisches Menschenbild: Der Augustinermönch Luther deutet den Menschen im Sinne Augustins als ein bereits bei der Zeugung durch die Sünde total korrumpiertes Wesen. Dieses sündenverbiesterte

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