Opa, der Lausbube. Anekdoten vom Loberstrand
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Book preview
Opa, der Lausbube. Anekdoten vom Loberstrand - Manfred Sacher
Perlenkette
Anekdoten vom Loberstrand
Unsere Stadt, eine Stadt wie tausend andere in unserer Republik.
Mit Geschäftsstraßen, Sehenswürdigkeiten, mit Dingen, die keiner braucht und die doch aufgestellt werden – über die alle sprechen, nicht immer nur Gutes, und doch bleiben sie stehen.
Vor allem aber mit Menschen wie du und ich. Mit Geschichten und Problemen, eben auch wie überall.
Und immer wieder taucht der Name Lober in den Geschichten und Episoden auf – ein Flüsschen, das sich durch unsere Stadt schlängelt. Mit seinen knapp vier Metern Breite nur ein Winzling, und doch war es früher ein Tummelplatz für uns Kinder. Ohne es wäre wohl so manche Geschichte nicht entstanden. Aber nicht nur der Fluss allein war es. Nein, auch die angrenzenden Auenwiesen luden und laden zum Spazierengehen, aber auch zum Herumtollen ein.
Man kann nicht sagen, ob der Lober zu ihnen gehört oder sie zu ihm. Auf jeden Fall passen sie gut zusammen.
In den Siedlungen unserer Stadt kann man die schönsten Geschichten erfahren.
Hier kennt jeder jeden, hier wird häufiger gefeiert und gestritten, sich vertragen und auf andere geschimpft.
Eben auch wie überall.
Und wenn man etwas Zeit mitbringt und es versteht zuzuhören, ohne aufdringlich zu wirken, kann man die schönsten Geschichten und Geschichtchen erfahren.
Nur aufschreiben sollte man sie schnell, denn sonst geht einiges davon unwiederbringlich verloren.
Opa Volkrand und sein Esel
Ich weiß noch ganz genau, wie das Fuhrunternehmen Gerber, heute ein großes Unternehmen mit einigen Trucks, angefangen hat.
Mit einem Esel und einem kleinen Pritschenwagen.
Der alte Opa Volkrand hatte den Esel stets gut im Griff. Aber manchmal war es auch umgekehrt. Man weiß ja, dass Esel ganz schön störrisch sein können. Doch Opa Volkrand wusste sich schon zu helfen, obwohl er ein Handikap hatte, und das war seine Schwerhörigkeit. Deshalb sprach er auch immer etwas lauter, was wiederum uns Kindern zugute kam. So wussten wir oft, was er vorhatte. Wie auch an jenem Tag.
Es war Ferienzeit. Wir Gören trieben uns auf der Straße herum, wussten nichts mit uns anzufangen. Zum obligatorischen Fußballspielen hatten wir heute keine Lust. Wir schauten uns gegenseitig an und verzogen die Mundwinkel. Keiner wollte sich bei dieser schon am frühen Morgen herrschenden Wärme unnötig bewegen.
Da drang die laute Stimme von Opa Volkrand an unsere Ohren. Sofort waren wir hellwach. Er rief seiner Tochter zu, dass er ins benachbarte Dorf fahren wolle, um einige Säcke Schrot für die Schweine vom Bauern zu holen.
Das war für uns genau das Richtige. Wir waren schon öfter mit ihm mitgefahren und haben ihm beim Beladen und Entladen geholfen.
Aber nicht deshalb sind wir mitgefahren, nein, das Schönste an so einer Fahrt war immer die Zeit, wenn er mit dem Bauern sein Schwätzchen abhielt und sein Bierchen trank. Dies nutzten wir dann, um in den Ställen und Scheunen herumzutoben.
Also auch diesmal nichts wie hin und gefragt, ob wir mitfahren dürften.
Der Opa hatte nichts dagegen.
Unser Ziel war wieder einmal das etwa einen Kilometer entfernt liegende Dorf Schenkenberg.
Nicht so weit weg und doch ging es uns wieder einmal viel zu langsam.
Der Esel schien nicht seinen besten Tag erwischt zu haben. Immer wieder schüttelte er seine langen Eselsohren und zuckelte gemächlich dahin.
Kurz vor dem Erreichen der Dorfgrenze ist die Straße etwas abschüssig. Ein guter Grund, den Esel etwas anzutreiben, dachten wir uns, da dieser unserer Meinung nach ja fast einschlief. Das musste er beim Opa abgeschaut haben, denn der hatte auch die Augen zu und machte ein Nickerchen.
Einer von uns sprang vom Wagen und holte einige kleinere Steinchen. Wieder auf dem Wagen bewarfen wir den Esel damit. Schon der zweite Wurf traf und zeigte Wirkung.
Der Esel war so erschrocken, dass er sich entgegen seiner Gewohnheit in eine für ihn unvorstellbare Geschwindigkeit versetzte.
Opa Volkrand, der so etwas von seinem Zugtier nicht gewohnt war, erschrak so sehr, dass er die Zügel losließ und sich mit beiden Händen festhielt.
Sie waren in ihrem Leben wohl noch nie so schnell gefahren.
Dann geschah es.
Die Zügel, die der Opa losgelassen hatte, wickelten sich um die Vorderachse des Wagens. Sie wurden kürzer und kürzer und zogen den Kopf des Esels mit aller Gewalt nach hinten. Das muss dem so wehgetan haben, dass er mit einem Ruck stehen blieb.
Jetzt trat die klassische Fliehkraft in Aktion. Wir Kinder kullerten auf der Pritsche nach vorn und kamen unter dem Sitz zum Liegen, holten uns blaue Flecke, die so nicht eingeplant waren. Auch Schmerzensschreie konnten wir nicht unterdrücken.
Schlimmer erging es aber Opa Volkrand.
Der konnte sich gar nicht mehr halten. Er machte plötzlich einen Satz nach vorn und landete auf dem Rücken seines sonst so friedlichen Esels.
An seinem Gesichtsausdruck konnten wir erkennen, dass der Aufprall nicht ganz schmerzfrei gewesen war.
„Du elendes, störrisches, unberechenbares Eselsvieh, dich hat wohl der Hafer gestochen. Dass du einfach mal so losrennst, das kann ich ja noch verstehen, aber dann plötzlich stehen zu bleiben, dass es mich vom Bock haut, das verstehe, wer will."
In dem Moment, wo er absteigen wollte, war es dem Esel scheinbar zu viel.
Er keilte nach hinten aus und schmiss Opa Volkrand über seinen Kopf auf die Straße.
Mit nicht enden wollenden Flüchen rappelte der sich auf, blitzte den Esel wütend an, griff nach dessen Ohr und biss vor Wut hinein.
Der Esel schrie vor Schmerz auf, konnte jedoch nicht weg, weil der Zügel seinen Kopf immer noch nach hinten zog.
Der Opa schien sich durch den Biss abreagiert zu haben. Außer einer großen Beule auf der Stirn konnten wir keine Verletzung an ihm feststellen.
Dann machte er sich daran, den Zügel von der Achse zu wickeln. Dazu musste er ihn erst einmal noch straffer anziehen.
Das wiederum gefiel dem Esel überhaupt nicht. Er keilte wieder nach hinten aus und traf dabei Opa Volkrand genau ins Hinterteil.
Mit einem Aufschrei machte der einen Satz und landete zum zweiten Mal unsanft auf der Straße.
Diesmal schien er sich stärker verletzt zu haben. Nicht nur, dass ihm sein Allerwertester fürchterlich schmerzte, nein, er klagte auch noch über sein rechtes Bein und die Schulter.
Vorsichtig legten wir ihn auf die Pritsche des Wagens, drehten das Gefährt um und brachten ihn nach Hause zu seiner Tochter.
Die bedankte sich bei uns und schimpfte auf ihren Vater, als sie alles erfahren hatte.
Dass wir eigentlich an allem Schuld waren, verschwiegen wir natürlich. Sie hat es bis heute nicht erfahren.
Der unschuldige Esel aber wurde kurze Zeit später gegen einen klapprigen alten Gaul eingetauscht.
Dadurch wurden auch wir für unser Verhalten bestraft, denn mit dem Mitfahren war es von nun an vorbei.
Kartoffeln stoppeln
„Hallo Kinder, bleibt in der Reihe liegen und rührt euch nicht, bis ich es euch sage", rief Mutter Martha ihren beiden Jungen zu.
„Ich sehe jemanden kommen, es könnte der Bauer sein. Bleibt mir bloß liegen."
Horst und Manfred, ihre beiden achtjährigen Zwillinge, wussten sofort, was die Stunde geschlagen hatte. Oft genug wurde es ihnen in letzter Zeit eingebläut. Nicht erst fragen oder widersprechen, einfach machen, was gesagt wird.
Angefangen hat alles mit der Reife der Frühkartoffeln.
Fast täglich ging der Großvater schon früh am Morgen aus dem Haus und kam gegen Mittag erst wieder zurück. Täglich schaute er sich auf den Feldern um, welche abgeerntet wurden. Vor allem Kartoffeln.
So kam er eines Tages mit der Nachricht nach Hause, dass zwischen Storkwitz und Zaasch auf einem Kartoffelschlag die Ernte im vollen Gange sei und es höchstens noch zwei bis drei Tage dauern würde, bis er abgeerntet wäre. Dann könnten sie stoppeln gehen.
Die Zwillinge schauten sich an. Was war denn das nun wieder? Bestimmt war es mit Arbeit und Schinderei verbunden. Darauf konnten sie verzichten.
Von nun an wurden ihnen die Verhaltensregeln für so einen Einsatz genauestens vermittelt.
Und das drei Tage lang. Was die beiden aber überhaupt nicht interessierte. Sie taten zwar so, als hätten sie alles verstanden, aber in ihren Köpfen spukten ganz andere Dinge herum.
Am dritten Tag kam der Großvater erst gegen Abend nach Hause. Mit lauten Worten verkündete er schon von der Tür her: „Morgen in aller Frühe geht es los!"
Jetzt brach Hektik unter den Erwachsenen aus. Die Großmutter flickte noch ein Loch in einem großen Sack. Die Mutter legte Sachen zurecht, und der Großvater kümmerte sich um den alten, schon etwas klapprigen Handwagen. Den hatte er mal aus der Aschengrube des Nachbarn gefischt.
Am anderen Morgen, so gegen fünf Uhr, klingelte der uralte Wecker, der alle unsanft aus dem Schlaf riss.
Die Erwachsenen sprangen aus den Federn, als hätten sie schon auf das Läuten gewartet.
Die Zwillinge kamen verschlafen, die Augen noch halb zu, quengelig in die Küche.
„Müssen wir denn auch schon aufstehen? Es ist ja noch fast