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Klaa Pariser Blut: Bohlans achter Fall
Klaa Pariser Blut: Bohlans achter Fall
Klaa Pariser Blut: Bohlans achter Fall
Ebook276 pages3 hours

Klaa Pariser Blut: Bohlans achter Fall

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About this ebook

Tom Bohlan findet seinen Kollegen Steininger neben Felicitas Maurers Leiche. Die schöne Staatsanwältin wurde auf brutalste Weise in ihrem Schlafzimmer erstochen. Im Schrank finden sich Aufnahmen ihrer Liebesnächte, doch einige Filme fehlen. Steininger kann sich an nichts mehr erinnern. Während die Mordkommission verzweifelt versucht, Licht ins Dunkle zu bringen, braut sich im Stadtteil Heddernheim weiteres Unheil zusammen. Die Prinzessin der Klaa Pariser Fastnacht wird ermordet. Der Tathergang gleicht dem Verbrechen an Felicitas Maurer frappierend. Doch wie hängen die beiden Morde zusammen? Und wie tief ist Steininger in all das verstrickt? Und wie hängt das alles mit einem Streit um die Zukunft der Fastnacht zusammen? Der achte Fall für Kommissar Tom Bohlan
LanguageDeutsch
PublisherLasp-Verlag
Release dateMar 14, 2017
ISBN9783961646517
Klaa Pariser Blut: Bohlans achter Fall
Author

Lutz Ullrich

Lutz Ullrich, studierte Politik und Rechtswissenschaften, schrieb für verschiedene Zeitschriften, betätigte sich in der Frankfurter Lokalpolitik und arbeitet heute als Rechtsanwalt in Frankfurt. Von ihm sind elf Krimis und ein historischer Roman über Willy Brandt erschienen.

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    Book preview

    Klaa Pariser Blut - Lutz Ullrich

    Zugänglichmachung.

    Prolog

    Überraschung zeichnete sich in Felicitas Maurers Gesichtszügen ab, als sie ihrem Besucher in die Augen sah. In Erwartung eines anderen war sie voller Vorfreude zur Wohnungstür gestürmt und hatte diese arglos geöffnet. Doch als Staatsanwältin war sie darin geschult, knifflige Angelegenheiten gekonnt zu meistern und unerwartete Situationen mit Professionalität zu überspielen. So dauerte es nur ein paar Sekunden, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Fahrig fuhr sie sich mit beiden Händen durch die dunklen Locken, die sie mit dieser Geste freilich nicht bändigen konnte. Widerspenstig fielen die Haare in ihre Ausgangslage zurück. Maurer musterte den Besucher mit einem durchdringenden Blick.

    »Du? Das ist eine echte Überraschung.«

    »Ich dachte, ich besuche dich mal«, sagte er mit einem breiten Lächeln. »Hier, die sind für dich.« Ungelenk zog er einen Blumenstrauß hinter dem Rücken hervor.

    »Vielen Dank«, entgegnete Maurer und nahm die ausgepackten Blumen genauso ungelenk entgegen.

    »Ist was?«, fragte der Besucher.

    »Nein, nein. Sie sind sehr schön. Ich bin überwältigt, vor allem weil du mir noch nie Blumen geschenkt hast.« Felicitas Maurer warf den Kopf in den Nacken und lächelte. »Komm rein!«

    Der Besucher folgte ihr und schloss im Vorbeigehen die Eingangstür.

    »Geh schon mal ins Wohnzimmer. Ich stelle die Blumen fix in eine Vase.«

    Der Besucher ließ den Rucksack, den er die ganze Zeit getragen hatte, auf den Boden fallen und entledigte sich seiner Jacke, die er auf einen freien Bügel hängte.

    »Eigentlich sollte ich sauer auf dich sein, nach deinem letzten Auftritt hier. Das war alles andere als die feine englische Art. Aber ich bin überhaupt nicht nachtragend.« Maurer stand mit der Vase in der Hand in der Mitte des Wohnzimmers. Ihr Besucher hatte sich auf die Sofakante gesetzt. Für einen Moment blieb ihr Blick an ihm hängen. Irgendetwas gefiel ihr nicht. Sie konnte nur nicht genau sagen, was es war. Vielleicht lag es daran, dass er nur auf der Kante saß, die Unterarme auf den Oberschenkeln abgestützt, so als wolle er gleich wieder aufspringen. Auch zog er die Schultern ein wenig zusammen, was auf eine innere Anspannung hindeutete. Wahrscheinlich war es das schlechte Gewissen, das ihn plagte, dachte Maurer und stellte die Vase auf dem Sideboard ab. Im selben Moment leuchtete das Display ihres Handys und erinnerte sie daran, dass sie genau in dem Moment einen Anruf hatte tätigen wollen, in dem es an der Tür geläutet hatte. Vorsichtshalber stellte sie das Telefon auf stumm und schob es neben die Blumenvase.

    »Du warst auch alles andere als nett zu mir«, sagte die Stimme in ihrem Rücken. Sie klang etwas belegt. Die Worte flossen nicht wie gewohnt aus seinem Mund.

    »Ich weiß nicht, was du meinst.«

    Sie drehte sich langsam um. Er saß immer noch in der gleichen Position auf dem Sofa. Leicht verkrampft, von innerer Anspannung gezeichnet.

    »Komm schon. Du brauchst mir nichts mehr vorzuspielen. Ich weiß Bescheid.«

    »Worüber?«

    »Als Staatsanwältin sollte man doch eigentlich wissen, dass man zur Videoüberwachung eine Genehmigung benötigt.«

    »Ach, das meinst du!« Maurer lächelte die Verlegenheit weg, die sie befiel. »Das ist doch nur eine Spielerei. Das solltest du nicht so ernst nehmen.«

    »Für mich ist es alles andere als das. Es gibt so etwas wie das Recht am eigenen Bild. Schon mal davon gehört?«

    »Ja, natürlich. Das weiß ich. Wenn du damit Probleme hast, dann lassen wir das in Zukunft.« Sie machte ein paar Schritte auf ihn zu. »So, und nun entspann dich mal. Du wirkst so verkrampft. Soll ich dir ein wenig den Rücken massieren?«

    Der Mann verharrte weiter in seiner Position, begann allerdings, mit dem rechten Fuß nervös zu wippen.

    Er stand offensichtlich unter enormem Druck. Sollte sie beunruhigt sein? Führte er etwas im Schilde? Felicitas setzte sich neben ihn und legte die Hände auf seine Schultern.

    »Ach komm, jetzt sei nicht so spießig. Ich habe dir nie etwas versprochen. Und ich mache dir auch keine Vorschriften. Das Leben ist zu kurz, um es nicht zu genießen.«

    Ihre Hände glitten über seine Schultern, kneteten sein Fleisch, lösten die Verspannungen. Sie konnte förmlich spüren, wie er lockerer wurde.

    »Komm, lass uns ins Schlafzimmer gehen«, sagte sie mit fester Stimme und fasste ihn an der Hand. Bereitwillig stand er auf und ließ sich aus dem Wohnzimmer führen. Als sie durch den Flur gingen, langte er nach dem Rucksack.

    Die Bewegung irritierte Felicitas, doch sie war sich ihrer Sache zu sicher, um auf der Hut zu sein. Der Gedanke daran, dass er womöglich das eine oder andere Spielzeug mitgebracht hatte, erregte sie.

    Sie ließ seine Hand erst los, als sie vor dem Bett standen. Den Rücken ihm zugewandt, knöpfte sie ihre Bluse auf. Als sie sich mit einem verführerischen Lächeln umdrehte und die Bluse zu Boden gleiten ließ, realisierte sie, dass sie einen folgenschweren Fehler begangen hatte. Ihr Lächeln gefror. Ihr Herz pulsierte in einer ungewohnt schnellen Frequenz. Das Metall der Messerklinge vor ihren Augen blitzte auf, bevor es sich äußerst schnell auf ihre Brust zubewegte und in ihr Fleisch einschnitt. Sie wollte laut aufschreien, doch der Schrei blieb ihr im Halse stecken.

    Sein Gesicht war voller Hass und Wut.

    Als das Messer in ihr Fleisch eindrang, kostete es ihn Überwindung, es wieder aus der Wunde herauszuziehen.

    Felicitas Maurer bäumte sich auf, schaffte es, ihre Hand schützend nach vorne zu strecken. Sie griff die messerführende Hand des Mannes und konnte verhindern, dass das Messer sich ein weiteres Mal in ihr Fleisch bohrte. Doch es war nur ein Aufschub. Der Mann umklammerte Maurers Handgelenk mit der freien Hand. Sie verlor die Kontrolle und musste für einen Moment loslassen.

    Als sie wieder zufasste, erwischte sie statt des Unterarms die Messerklinge, die sich schmerzvoll in ihre Handinnenfläche ritzte. Reflexartig löste sie die Umklammerung. Das Nächste, was sie spürte, war die Hand, die sich um ihre Kehle legte und erbarmungslos zudrückte. Und dann ein Knie, das ihr auf den Magen drückte. Ihr Atmen ging mehr und mehr in ein Röcheln über. Sie blickte in stechende Augen, die zornig hin und her flackerten. Ihre Hände gaben jeglichen Widerstand auf. Sie begann zu wimmern und um Gnade zu flehen. Ihr Instinkt signalisierte jedoch längst, dass dies ein sinnloses Unterfangen war. Die messerführende Hand schoss in die Luft. Das Metall der Klinge blitzte erneut vor ihren Augen. Dann hämmerte es wie die Nadel einer Nähmaschine auf ihren Körper ein. Immer wieder. Es dauerte nicht lange, bis Staatsanwältin Maurer das Bewusstsein verlor und ihre Seele in ein weißes Nichts entglitt.

    Als Jan Steininger wieder zu sich kam, saß er auf edlem Parkettboden, mit dem Rücken gegen einen Schlafzimmerschrank gelehnt. Er fühlte sich benommen und wusste für einen Augenblick nicht, wo er sich befand. Es kam ihm vor, als sei er aus einem langen, tiefen Schlaf erwacht. Er wischte sich mit den Händen über die Augen und hob den Kopf. Seit fast zehn Jahren war er jetzt Kommissar bei der Frankfurter Mordkommission. Längst hatte er sich zu einer festen Größe in Bohlans Team entwickelt, war vom Jungspund zum gewieften Ermittler gereift. Schon lange hatte er seine unbeholfene, manchmal etwas unsichere Art abgelegt. Seit einiger Zeit ging er regelmäßig zum Boxtraining. Dort hatte er Härte und Durchsetzungsvermögen erlernt, was ihm auch bei seiner täglichen Arbeit zugutekam. Doch etwas war an diesem Morgen anders als sonst. Ein mulmiges Gefühl breitete sich aus seiner Magengrube wie ein Virus in seinem Körper aus. Seine Hand strich durch das volle dunkelblonde Haar, als er den Blick, nichts Gutes ahnend, durch das Zimmer schweifen ließ.

    Hätte er nicht bereits auf dem Boden gesessen, er wäre mit Sicherheit nicht auf den Beinen geblieben. Was er sah, glich einem Schlachtfeld. Keine zwei Meter von ihm entfernt lag Felicitas Maurer in einer Blutlache.

    Es brauchte keine genauere Untersuchung, um festzustellen, dass sie tot war. Mehr als zwei Dutzend Einstiche auf den Körper überlebt niemand. Vor allem nicht, wenn der Körper dabei literweise Blut verliert. Fünf bis sechs Liter Blut hat ein erwachsener Mensch, abhängig von Größe, Gewicht und Geschlecht. Die schlanke Staatsanwältin mochte zu Lebzeiten vielleicht einen Liter weniger gehabt haben. Infolge der Verletzungen hatte sie bestimmt ein Viertel davon verloren. Außer der Lache unter der Leiche war der Raum mit Spritzern übersät. Auch ansonsten hatte der Täter ordentlich gewütet. Sämtliche Schubladen waren aus den Schränken und Kommoden herausgezogen. Die eine Hälfte des großen Schlafzimmerschrankes stand offen. Der Inhalt war herausgerissen und auf dem Boden verteilt.

    Steininger betrachtete seine Hände. Was er sah, löste ein Herzrasen aus und trieb ihm unvermittelt dicke Schweißperlen auf die Stirn. Seine Hände waren blutverklebt und das Gleiche traf auf sein vormals weißes Hemd zu.

    Hatte er etwa dieses Gemetzel angerichtet? War er ein Mörder? Wie hatte es dazu kommen können?

    Am ganzen Körper zitternd, richtete er sich auf und stürmte aus dem Zimmer. Er flüchtete. Bloß weg von diesem Ort.

    Das Bad lag direkt neben dem Schlafzimmer. Dorthin trieb es ihn. Er knallte die Tür zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Immer noch schlug sein Herz wie verrückt. Sein Atem ging gehetzt. Bitte lass das alles nur ein Alptraum sein! Jetzt schnell aufwachen und unter einer warmen, schützenden Decke liegen! Steiningers Wunsch wurde nicht erfüllt. Der Traum endete nicht. Er konnte nicht enden, denn er war bittere Realität.

    Was war geschehen? Diese Frage hämmerte durch seinen Schädel. Doch er konnte sich beim besten Willen an nichts erinnern. Und dann fiel ihm diese verdammte Videokamera wieder ein, die er im Schlafzimmer entdeckt hatte. Und die vielen DVDs mit Filmaufnahmen. Maurer hatte ihre Liebesnächte dokumentiert und auf Silberlingen archiviert. Schön sortiert nach irgendwelchen Nummern. Natürlich waren auch Dokumente der Nächte dabei, die er mit Felicitas verbracht hatte.

    Warum hatte sie das gemacht? War dies der Grund, dass er zum Mörder geworden war? Er wagte die drei Schritte zum Waschbecken und drehte den Hahn auf. Der Wasserstrahl schoss in das Designerbecken. Wie ein Verdurstender streckte Steininger die Hände nach vorn. Das Wasser färbte sich sofort knallig rot. Steininger griff nach der Seife, schrubbte panisch die Hände und anschließend das Waschbecken so lange, bis der letzte Rest Blut verschwunden war. Gierig trank er Wasser aus den Händen, bevor er den ganzen Kopf unter den Wasserstrahl hielt. Als er den Kopf anhob und in den Spiegel sah, erschrak er über das bleiche, schale Gesicht, das ihn anblickte.

    Er drehte den Wasserhahn wieder zu und verharrte einen Moment mit auf dem Waschtisch aufgestützten Händen. Was sollte er tun? Fluchtartig die Wohnung verlassen, sich aus dem Staub machen? Und dann? Auch wenn Steininger momentan komplett durch den Wind war, ein Dummkopf war er nicht. Im Laufe des Tages würde Maurers Fehlen in der Staatsanwaltschaft auffallen. Es würde nicht lange dauern, bis man ihre Leiche fand. Die ganze Wohnung war mit seinen Fingerabdrücken übersät, einmal abgesehen davon, dass er ihr Blut an den Fingern gehabt hatte. Die Spurensicherung würde mit Sicherheit auch seine Fingerabdrücke an Felicitas’ Leiche finden. Eine Flucht machte nur Sinn, wenn er sich sofort und für immer ins Ausland verabschiedete. Und das war keine Option. Bliebe noch, sich gleich zu stellen. Er könnte auf unzurechnungsfähig plädieren oder auf eine Handlung im Affekt. Maurer hatte ihn erpresst und er war ausgerastet. Wenn er sich nur an die Tat erinnern könnte. Doch dazu fiel ihm überhaupt nichts ein. Er hatte einen vollständigen Blackout. Oder nannte man das Hangover? Und dann kam ihm ein Gedanke, der alles veränderte. Wenn er Täter war, dann müsste er auch die Tatwaffe haben. Felicitas’ Körper war mit Messerstichen übersät. Er hätte also ein Messer bei sich haben müssen.

    1.

    Bohlan war noch niemals so schnell durch die Stadt gefahren. Er überquerte mehrere rote Ampeln, schaffte es an manchen Kreuzungen nur mit Mühe einen Unfall zu vermeiden und ließ unzählige wild hupende Autos hinter sich. Als er den Lupo am Osthafen zum Stehen brachte, wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Sein Puls lag weit über normal und sein Herz pumpte wie verrückt.

    Nach dem morgendlichen Anruf hatte er im Hausboot alles stehen und liegen lassen und war in Windeseile zu seinem Auto gehechtet. Er konnte noch nicht einmal sagen, ob er die Tür seines Bootes verschlossen hatte.

    Nur drei Worte hatten Chaos und Hektik ausgelöst.

    »Maurer ist tot.«

    Immer wieder hallte der Satz durch seinen Kopf, erfasste jeden Zentimeter seines Körpers und drückte alle anderen Gedanken zur Seite.

    »Maurer ist tot.«

    Er hatte die hübsche Staatsanwältin nie besonders gemocht.

    Sie war vor drei Jahren in Frankfurt aufgetaucht und hatte vieles durcheinandergewirbelt. In jede Ermittlung hatte sie sich eingemischt und ihn manches Mal zur Weißglut gebracht. Gut, in den letzten Monaten hatten sie sich zusammengerauft und einen Weg gefunden, professionell miteinander umzugehen.

    »Maurer ist tot«, donnerte es wieder durch sein Gehirn.

    Und dann war da noch ein zweiter Satz, der für noch mehr Unruhe sorgte: »Steininger ist am Tatort.«

    Bohlans junger Kollege Jan Steininger war den Reizen der Staatsanwältin von Anfang an erlegen. Irgendwann hatte Bohlan herausgefunden, dass die beiden miteinander ins Bett gingen. Steininger glaubte an die große Liebe. Bohlan war sich sicher, dass es die Staatsanwältin nur darauf abgesehen hatte, schneller an Ermittlungsinterna zu kommen. Wahrscheinlich lag die Wahrheit irgendwo dazwischen. Die Affäre der beiden hatte das Klima im Ermittlerteam vor die eine oder andere Zerreißprobe gestellt.

    »Maurer ist tot. Steininger ist am Tatort.«

    Es würde kein normaler Fall werden, so viel stand fest.

    Eine tote Staatsanwältin und ein Kommissar mit persönlichem Bezug zum Opfer. Das konnte nur Unheil bedeuten.

    Noch dazu, wenn ausgerechnet dieser Kommissar als Erster am Tatort auftaucht.

    Bohlan stieß die Wagentür auf. Reifen quietschten, eine Hupe schallte durch die Straßenschlucht. Der Mercedes, der gerade mit Mühe Bohlans Wagentür ausgewichen war, kam ein paar Meter weiter am Straßenrand zum Stehen. Der SUV war schwarz, hatte getönte Scheiben und einen kleinen Totenkopfaufkleber auf der Rückscheibe.

    »Hey, du Mattekopp, kannst nett uffbasse!?« Ein Mann, breit wie ein Bär, mit Glatzkopf und Goldkette, sprang aus dem Wagen und stürmte auf den Kommissar zu. Bohlan strich sich mit der Hand über den kahlen Kopf. Seine graubraunen Augen fixierten den Unruhestifter.

    »Du kannst doch nett die Tür uffrobbe! Um een Haar wär isch in disch ennoi gerauscht.«

    Das konnte heiter werden. Ein Choleriker am frühen Morgen war an und für sich schon nervraubend  genug – in seiner gegenwärtigen Verfassung aber einfach unerträglich. Bohlan donnerte die Wagentür zu, zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn dem anstürmenden Ungetüm entgegen.

    »Polizei. Im Einsatz!«

    Der Typ kam wenige Zentimeter vor Bohlans ausgestrecktem Arm zum Stehen und starrte auf die Karte. Sein Gesicht war rot vor Aufregung, seine Halsschlagader pulsierte wie wild. Doch der Anblick eines Polizeiausweises schien bei ihm wundersame Beruhigungskräfte in sich zu bergen. Binnen Sekunden wurde aus dem wild gewordenen Tiger ein zahmes Lamm, das vor der Obrigkeit kuschte. Der Mann hob entschuldigend beide Hände.

    »Des isch natürlisch ewes anneres. Isch wollt kan Erscher mache. Isch mach misch forrd!«

    Der Mann drehte sich um und schlich zu seinem Wagen zurück.

    Bohlan blickte ihm irritiert hinterher. Dass der Typ so schnell das Weite suchte, überraschte ihn. Er hätte mit mehr Gegenwehr gerechnet. Lautstarkes Gebabbel und Geschimpfe wäre das Mindeste gewesen. Und natürlich ein paar Hasstiraden.

    Kurz darauf fuhr der Mercedes betont langsam zurück auf die Straße. Sein Fahrer setzte sogar ordnungsgemäß den Blinker. Bohlan wandte sich dem Neubau zu, in dem Maurers Wohnung lag, und studierte die Namensschilder. Nach kurzer Suche fand er den Klingelknopf mit der Aufschrift »Maurer« und drückte zweimal drauf. Es dauerte eine Minute, bis die Haustür summend aufsprang. Bohlans Nervosität kehrte im selben Moment zurück, in dem er den Hausflur betrat. Was würde ihn erwarten? Auf welche Art und Weise hatte Maurers Leben geendet und welche Rolle spielte Steininger dabei?

    Doch zunächst wurde er vor ein ganz anderes Problem gestellt. In welche Etage musste er überhaupt? Sollte er die Treppenstufen emporsteigen und in jedem Stockwerk nach offenen Wohnungstüren Ausschau halten? Oder einfach laut nach oben rufen? Er entschied sich dazu, den Aufzugknopf zu drücken. Vielleicht befand sich im Aufzug ein Hinweis. Die Tür schob sich geräuschlos zur Seite. Bohlan trat ein und sah sich suchend um. Ohne Ergebnis. Dafür setzte sich eine Idee in seinem Kopf fest. Jemand wie Felicitas Maurer konnte nur oben wohnen. Alles andere hätte nicht ihrem Naturell entsprochen. Also drückte er den obersten Knopf. Die Tür surrte genauso geräuschlos wieder zu. Der Aufzug glitt lautlos wie ein Engel nach oben. Ob Felicitas Maurer von Engeln abgeholt worden war?, fragte sich Bohlan. Immerhin bedeutete ihr Name so erhabene Dinge wie Glück und Seligkeit. Oder war Maurer direkt in die Hölle gewandert, wo sie ihre Intrigen weiterspielen konnte?

    Bohlan setzte den Fuß in den Hausflur, von dem zwei Türen abgingen. Eine stand offen. Es blieb also keine Zeit, sich mit derart philosophischen Fragen zu beschäftigen. Er drückte Maurers Wohnungstür mit dem Ellenbogen auf.

    Abgesehen von dem markanten süßlichen Duft, den nur der Tod verströmen konnte, deutete nichts darauf hin, dass sich in der Wohnung ein Verbrechen ereignet hatte. Am ehesten bezeugte vielleicht die merkwürdige Stille, dass jede lebende Seele Reißaus genommen hatte. Wobei auch das nicht ganz stimmte, denn irgendwo musste schließlich Steininger stecken.

    »Jan!«, rief Bohlan in den leeren Flur. Doch außer dem leisen Echo seiner eigenen Stimme erfolgte keine Reaktion. »Jan!!!« Bohlans Stimme wurde lauter, während er einen Schritt nach dem anderen setzte und dabei vorsichtig durch die offen stehenden Türen in die Räume spähte, die er passierte. Sie wirkten nicht übermäßig aufgeräumt, aber keinesfalls verwüstet. Geschirr und Kleidung standen und lagen herum. Hier eine Flasche und Gläser, dort ein Oberteil. Die Blumen auf dem Sideboard wirkten frisch. Die Geschirrspülmaschine in der Küche blinkte. Bohlan näherte sich dem Ende des Flurs, als er ein leises Schluchzen vernahm, das lauter wurde, je dichter er dem Schlafzimmer kam. Die Tür stand offen und der Kommissar brauchte nicht lange, um die Szenerie zu erfassen.

    Felicitas Maurers lebloser Körper lag zusammengekauert auf dem Fußboden,

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