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Kultur des Performativen
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Kultur des Performativen

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Sprechen und Handeln im Deutschunterricht
Dieses ide-Heft ist Teil jener Themenreihe, die unterschiedliche Kulturen des Deutschunterrichts in den Blick nimmt: Nach dem Lesen (1/2006), dem Schreiben (1/2007), dem Hören (1/2008), dem Sehen (2/2012), dem Erinnern (2/2015) geht es hier nun um die Kultur des Performativen als eine – wie wir meinen – zentrale Dimension pädagogischen und didaktischen Handelns, die wesentliche Bereiche des Deutschunterrichts betrifft. Der Begriff des Performativen wird seit Ende des 20. Jahrhunderts quer durch unterschiedliche Disziplinen (u. a. Sprach- und Literaturwissenschaft, Philosophie, Soziologie, Theaterwissenschaft) verwendet und ist vor allem in den Kulturwissenschaften zu einem Schlüsselbegriff geworden, durch den auch eine Wende, der sogenannte "performative turn", eingeleitet wurde.
Follow! Follow! Follow! – Mit diesem performativen Akt wollen wir Sie zuletzt mit Nachdruck zur weiteren Lektüre dieses Heftes auffordern und zum kritischen Nachvollzug der einzelnen Beiträge ermutigen.
LanguageDeutsch
PublisherStudienVerlag
Release dateSep 27, 2017
ISBN9783706558907
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    Kultur des Performativen - ide - informationen zur Deutschdidaktik

    stefan.krammer@univie.ac.at

    Andreas Hudelist

    Performanz, Performativität und Performance

    Eine unvollständige Rekonstruktion

    In diesem Beitrag sollen die Begriffe Performanz, Performativität und Performance vorgestellt werden, indem ihre historische Genese nachgezeichnet und ihre Verwendung diskutiert wird. Ausgehend vom Begründer der Sprechakttheorie, John L. Austin, wird den unterschiedlichen Diskursen und »Theorien des Performativen« nachgegangen. Dazu stelle ich zentrale Positionen zur Diskussion und versuche, die nicht immer gleich verwendeten Termini begriffsgeschichtlich zu ordnen und zu klären. Der Beitrag bietet einen einführenden Überblick und stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

    _______________

    1. Einleitung oder »Ich erkläre euch hiermit …«

    Für Klaus W. Hempfer folgt das »Theoriefeld des Performativen« einer rhizomatischen Struktur, da es sich weder leicht umreißen noch auf einen Kern zurückführen lässt (vgl. Hempfer 2011, S. 13). Tatsächlich sind die Anwendungsgebiete, wie sich hier noch zeigen wird, sehr vielfältig und betreffen verschiedene Disziplinen. Daraus resultieren manchmal unterschiedliche Verwendungen bzw. Verständnisse der Begriffe. Zu Beginn der 1990er Jahre erlebte der Begriff performative einen Aufschwung und der performative turn wurde ausgerufen (vgl. Conquergood 1989, S.82 und Thompson Drewal 1991, S. 5).

    Dieser Beitrag soll auf den Spuren des performative turn in das Feld einführen, indem gängigen Begriffen in seinem Umfeld nachgegangen wird. Ausgehend vom Begründer der Sprechakttheorie John L. Austin werden Weiterführungen und Verwendungen von John R. Searle, Judith Butler sowie Erika Fischer-Lichte und Jon McKenzie vorgestellt. Dabei sollen die Differenzen und unterschiedlichen Praktiken des Gebrauchs herausgearbeitet werden. Nach der einführenden Beschreibung von Austins Sprechakttheorie werden die Termini Performanz, Performativität und Performance diskutiert.

    2. John L. Austins Sprechakttheorie

    Als der Philosoph John Langshaw Austin aus Oxford 1955 während seiner Gastprofessur an der Harvard University den Neologismus performative erschaffen hat, liegt die bewusste Auseinandersetzung mit einem linguistic turn noch ungefähr zehn Jahren in der Zukunft. Austin attestiert der Sprache eine performative Konstitution unserer Umwelt. Zuerst differenziert er zwischen konstativen und performativen Äußerungen. Mit konstativen Aussagen werden Beschreibungen über die Welt getätigt, die als wahr oder falsch bezeichnet werden können. Performative Äußerungen hingegen beziehen sich nicht auf wahrnehmbare Fakten, sondern stellen diese durch die Sprache erst her. Performativ meint hier also eine Handlung, die durch die Sprache zum Vollzug kommt. Zu Beginn war der Begriff für Sprechakte vorgesehen, schon bald wurde er verwendet, um Tätigkeiten beschreiben und erkennen zu können. Performative Äußerungen beziehen sich auch immer auf das Hier und Jetzt. Austins Beispiel »Ich taufe dieses Schiff auf den Namen Queen Elisabeth« steht nicht für eine Beschreibung dessen, was getan wird, sondern vollzieht die Taufe mit dem Aussprechen des Satzes. Es ist bei einer Hochzeit auch nicht die Unterschrift, sondern das Aussprechen des Satzes »Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau«, der die Eheschließung rechtskräftig macht. Sprechen und Handeln werden bei performativen Äußerungen eins. Wenn man aber die Aussage in die dritte Person Singular setzt, entsteht daraus ein Bericht und die Aussage ist deshalb nicht mehr als performativ zu verstehen. Gleich verhält es sich mit der Verwendung der Vergangenheit, die die Aussage zu dem Bericht eines vergangenen Ereignisses macht. Kommunikation und Handlung sind voneinander getrennt (vgl. Nestler 2011, S. 34).

    Austin war mit dieser dichotomen Auffassung von Sprache bald nicht mehr einverstanden und überarbeitete seine Theorie. So formulierte er später drei Dimensionen von sprachlichen Äußerungen: Lokution, Illokution und Perlokution. Wenn eine Aussage darauf überprüft werden kann, ob sie wahr oder falsch ist, kann sie der Lokution zugeordnet werden. Der gesprochene Satz folgt den Regeln der Grammatik und kann überprüft werden. Der illokutionäre Sprechakt vollzieht während des Aussprechens eine Handlung. Wie bei der performativen Dimension geht es hier nicht nur um eine Äußerung über einen Sachverhalt, sondern Sprechen und Handeln geschehen gleichzeitig. Die Perlokution meint eine Aussage, mit der jemand von etwas überzeugt wird. Das bedeutet, dass die Aussage nicht gleichzeitig eine Handlung vollzieht, sondern jemanden zeitversetzt zu einer Handlung bringen soll.1

    Während konstative oder lokutionäre Aussagen auf ihen Wahrheitsgehalt geprüft werden können, können performative sowie illokutionäre und perlokutionäre Äußerungen gelingen oder versagen (vgl. Austin 1986, S. 309). Letztlich bestimmt Austin jedoch zwei Regeln, die für performative Äußerungen unverzichtbar sind. Erstens: Die durch eine performative Äußerung zu vollziehende Handlung muss existieren und sozial akzeptiert sein. Zweitens: Die Äußerung muss durch den Kontext ermöglicht werden. Sybille Krämer betont, dass performative Äußerungen eben keine rein sprachlichen Ereignisse, sondern vielmehr soziale Handlungen sind (vgl. Krämer 2001, S. 141). Ekkehard König fast Austins Begriff des Performativen wie folgt zusammen: »Durch sprachliche Äußerungen einer spezifischen Form kann im Kontext (formaler und informeller) gesellschaftlicher Institutionen eine neue Wirklichkeit konstituiert werden. Damit steht ein bestimmter Gebrauch von Sprache und nicht ihre Struktur oder ihre Repräsentationsfunktion im Vordergrund.« (König 2011, S. 47)

    3. Kritik und Weiterführung

    3.1 Performanz: sprechen und handeln

    Ein Schüler John L. Austins ist der amerikanische Philosoph John Rogers Searle. Als Schüler war er von Austins Arbeiten sehr angetan, konnte aber keine zufriedenstellende Theorie über die Bedeutung des Neologismus performative finden. Wie kann man analytisch die Performativität von Sprache bestimmen? Searle betont die Wichtigkeit von Sprachregeln, die notwendig sind, um eine Aussage gelingen lassen zu können. Dabei hebt er – aufbauend auf Austins Überlegung – den illokutionären Sprechakt als zentrales Moment hervor und versucht, Regeln zu bestimmen, die einen illokutionären Sprechakt gelingen lassen: »Whenever a speaker utters a sentence in an appropriate context with certain intentions, he performs one or more illocutionary acts.« (Searle/Vanderveken 2005, S. 109) So führt er Austin systematisch weiter und baut seine drei Dimensionen sprachlicher Äußerungen auf vier aus.

    Als ersten Akt beschreibt Searle den Äußerungsakt, der Äußerungen nach den Regeln der Phonologie und Grammatik bestimmt. Als zweiten Akt führt er den (bei Austin nicht vorhandenen) propositionalen Akt ein. Dieser wird in zwei Teilakte gegliedert: den Referenzakt und den Prädikationsakt. Ersterer stellt eine Beziehung zur Welt her, indem die sprechende Person auf etwas in der Umwelt verweist. Letzterer weist dem Benannten eine Eigenschaft zu. Als dritten Akt übernimmt Searle den illokutionären Akt. Der vierte Akt ist ebenso wie bei Austin der perlokutionäre Akt. Die zum einen detailliertere Beschreibung von Sprechakten, aber auch die beschriebenen Rahmenbedingungen eines funktionierenden Sprechaktes zeugen von einer genauen Auseinandersetzung mit Austins Erbe der Sprechakttheorie. In der Tradition von Austin lässt es Searle nicht zu, alle Äußerungen als mögliche performative Sprechakte gelten zu lassen, wie es teilweise verallgemeinert verstanden wird (vgl. Smith 2003, S. 8).

    Hempfer kritisiert den inflationären Gebrauch des Performativen (vgl. Hempfer 2011, S. 26), insbesondere wenn, wie von Erika Fischer-Lichte behauptet, Theater die performative Kunst schlechthin sei (vgl. Fischer-Lichte 2002, S. 291). Dies wird von Uwe Wirth – zumindest aus sprachphilosophischer Sicht – problematisiert (vgl. Wirth 2002, S.39), jedoch gleich wieder relativiert, wenn er darauf verweist, dass bei Searle der »Begriff des Performativen in einen allgemeinen Begriff der Performance vorgenommen wurde, die zu einer nachgerade ubiquitären Ausweitung des Performanzbegriffs« (ebd.) führe. Searle verstehe »performance nicht als Inszenierung oder Aufführung, sondern im weitesten normalsprachlichen Sinn als Ausführung einer Handlung im Rahmen seiner handlungstheoretisch fundierten Sprechakttheorie, in der das Äußern eines Satzes die Ausführung (nicht: die Aufführung) eines illokutionären Aktes ist« (Hempfer 2011, S.14). Für Hempfer ist dieser Umstand besonders wichtig, da oftmals in der Diskussion Ausführung und Aufführung synonym verwendet werden. Er stützt sich dabei auf Searles bekannten Aufsatz »How Performatives Work«, in dem er schreibt: »On my usage, the only performatives are what Austin called ›explicit performatives.‹ Thus, though every utterance is indeed a performance, only a very restricted class are performatives.« (Searle 1989, S. 536) Es stimmt, dass Searle alle Äußerungen als performances bezeichnet, demnach sind Äußerungen aber automatisch weder Inszenierungen noch Aufführungen. Performance beschreibt hier das Ausführen einer Leistung und verdeutlicht Searles Vorhaben, den allgemeinen Handlungscharakter von Äußerungen von spezifischen performativen Äußerungen zu unterscheiden (vgl. Hempfer 2011, S. 14 f.).

    3.2 Performativität: der handelnde Körper

    Während bei Searle die sprachliche Ausführung einer Handlung betont wird, wird innerhalb der Performativität dem Körper die ausführende Leistung zugeschrieben. In Bezug auf Simone de Beauvoirs Aussage: »MAN kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Kein biologisches, psychisches, wirtschaftliches Schicksal bestimmt die Gestalt, die das weibliche Menschenwesen im Schoß der Gesellschaft annimmt« (Beauvoir 1987, S. 265; Herv. im Original), entwickelt die Philosophin Judith Butler eine Körpertheorie, die bekannte Rollenbilder von Frau und Mann hinterfragt und diese dadurch neu diskutiert. Die Geschlechterbezeichnungen Mann und Frau resultieren beide aus den Kategorien »sex« und »gender«, wobei sex das biologische und gender das sozial geprägte Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität meine. Für Butler wird das Geschlecht von den Personen kontinuierlich immer wieder und laufend aufgeführt. Eine Trennung in biologische und soziale Geschlechterkonstruktion kritisiert sie. Für sie ist weder sex noch gender eine natürliche Gegebenheit, sondern beides ist eine Konstruktion: »Vielmehr ist die Geschlechtsidentität die wiederholte Stilisierung des Körpers, ein Ensemble von Akten, die innerhalb eines äußerst rigiden regulierenden Rahmens wiederholt werden, dann mit der Zeit erstarren und so den Schein der Substanz bzw. eines natürlichen Schicksals des Seienden hervorbringen.« (Butler 1991, S. 60) In diesem Zusammenhang hat Geschlecht immer eine performative Dimension, die auf Sprechakten beruht. Denn zu sprechen bedeutet immer, etwas ausführen, oder anders formuliert, Wirklichkeit herzustellen: »Der zentrale Stellenwert der Heiratszeremonie in J. L. Austins Beispielen für Performativität legt nahe, daß die Heterosexualisierung der sozialen Bindung die paradigmatische Form für jene Sprechakte ist, die zustande bringen, was sie benennen.« (Butler 1995, S. 309) In ihrem Buch Körper von Gewicht zeichnet Butler nach, wie das binäre Geschlechtersystem Menschen in eine der beiden Richtungen drängt, um eine feste und von der Gesellschaft anerkannte Identität anzunehmen. Körperliche Handlungen sind für sie nicht zwingend intentional und schöpfen ihre wirklichkeitskonstituierende Kraft nicht aus den Gegensätzen richtig oder falsch, sondern aus Beglaubigungsstrategien (vgl. Klein/Göbel 2017, S. 13). Für Butler ist eben dieses Spiel zentral für den Prozess der Identität, der nie abgeschlossen ist. Für sie sind Identitäten stets dezentriert, setzen sich also ohne einen festen Kern zusammen, und ein Ort politischer Auseinandersetzungen (vgl. Hudelist 2017, S. 127): »Performativität wird nicht als der Akt verstanden, durch den ein Subjekt dem Existenz verschafft, was sie/er benennt, sondern vielmehr als jene ständig wiederholende Macht des Diskurses, diejenigen Phänomene hervorzubringen, welche sie reguliert und restringiert.« (Butler 1995, S.22) Bereits Beauvoir weist auf den Prozess hin, indem sie schreibt, dass man zur Frau wird. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen, sondern wird laufend aufrechterhalten. Die körperlichen Handlungen werden immer wieder neu erzeugt. Durch die Wiederholung und ihre Unterschiede wird der körperliche Akt erst als ein solcher anerkannt und als solcher interpretiert. Dabei sind die körperlichen Handlungen wie die sprachlichen Handlungen in ihrer sozialen Umwelt zu verstehen. Sie sind für Butler wirklichkeitserzeugend und greifen somit nicht auf bereits Vorhandenes zurück, sondern kreieren immer etwas Neues durch den Körper. Für sie gibt es keinen wahren Kern von Identität: »Meine These ist dagegen, daß es keinen ›Täter hinter der Tat gibt‹, sondern daß der Täter in unbeabsichtigter, veränderlicher Form erst in und durch die Tat hervorgebracht wird.« (Butler 1991, S. 209) Die Tat, die hervorgebracht wird, kann nur durch die Wiederholung existieren, jedoch muss sie nicht nur wiederholt und aktualisiert, sondern kann auch parodiert und verändert werden (vgl. König 2011, S. 49; Nestler 2011, S. 92). Durch die Möglichkeit, variierend und parodistisch zu handeln, ergibt sich ein Potential, wirklichkeitsverändernd und somit widerständig zu sein. Butlers breites Verständnis der Performativität hat dazu geführt, dass viele Nachbardisziplinen die Rolle der Performativität in ihren Forschungen untersucht haben.

    3.3 Performance: aufführen, darstellen und inszenieren

    Da die in den USA vorhandenen Drama und Dance Studies sehr textorientiert waren, bildeten sich parallel zur Genese des sprachphilosophischen Konzepts die Performance Studies. Diese verbinden anthropologische sowie soziologische Ansätze und bauen auf den Arbeiten von Victor Turner, Erving Goffman und Milton Singer auf: »Sie [Performance Studies] sind kultur- und sozialwissenschaftlich insofern von Bedeutung, als sich in ihnen das kulturelle Selbstverständnis einer Gemeinschaft, Ethnie, Klasse oder Nation dar- und ausstellt und dieses in der Durchführung der Performance für die Anwesenden körperlich erfahrbar, aktualisiert und beglaubigt – und damit konventionalisiert wird.« (Klein/Göbel 2017, S. 13) Damit wird die Schrift von ihrer dominanten Position als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand gestürzt und das Verständnis von Text erweitert. Kultur wird dadurch nicht mehr als ein Text verstanden, der sich aus Schriftlichkeit zusammensetzt. Kultur wird zu einem Begriff, der das Gewöhnliche im Alltag zusammenfasst. Der britische Kulturtheoretiker Raymond Williams hat in seinem Aufsatz »culture is ordinary« Kultur eben als gewöhnlich beschrieben und herausgearbeitet, dass die Tätigkeiten des Alltags Kultur erzeugen (vgl. Williams 2003, S. 6 f.). Ähnlich argumentiert Singer, der betont, dass sich Kultur zum einen laufend verändert und zum anderen aus einzelnen Phänomenen besteht, die dem Alltag entlehnt sind (vgl. Singer 1967, S. 5).

    Die Kultur des Alltags und ihre Aufführung sind es auch, die insbesondere den Soziologen Erving Goffman beschäftigen. Als Ende der 1950er Jahre das Buch Presentation of Self in Everyday Life von Goffman erscheint, wird in seiner Gesellschaftstheorie der Mensch an sich zu einem theatralen bzw. aufführenden Wesen erklärt.

    Eine Rolle, die im Theater dargestellt wird, ist nicht auf irgendeine Weise wirklich und hat auch nicht die gleichen realen Konsequenzen wie die gründlich geplante Rolle eines Hochstaplers; aber die erfolgreiche Inszenierung beider falscher Gestalten basiert auf der Anwendung realer Techniken – der gleichen Techniken, mit deren Hilfe man sich im Alltagsleben in seiner realen sozialen Situation behauptet. (Goffman 2008, S. 233)

    Goffman betont also, dass im sozialen Austausch durch Darstellungen soziale Wirklichkeit hergestellt wird. Hier zeigt sich aber, dass Aufführung nicht gleich Ausführung ist, sondern sich nur der realen Techniken bedient. Während das Theater zeitlich begrenzt ist und die SchauspielerInnen nach der Aufführung aus ihrer Rolle schlüpfen können, hat es der genannte Hochstapler deutlich schwieriger. Er muss immer den Kontext abschätzen und darf seine Rolle nur in Ausnahmefällen verlassen. In beiden Situationen versuchen die ProtagonistInnen bewusst bestimmte Erwartungen zu erfüllen und ihre Rolle so wirklichkeitsgetreu wie möglich aufzuführen. Im Alltag geschieht dieser Prozess zusätzlich auch unbewusst: »Wenn ein Einzelner vor anderen erscheint, stellt er bewußt oder unbewußt eine Situation dar, und eine Konzeption seiner selbst ist wichtiger Bestandteil dieser Darstellung.« (Ebd., S. 221) In ihrer Einführung in die Performativität betont die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte den Aufführungscharakter von Kultur, die bis in die 1980er Jahre die Metapher »Kultur als Text« bediente. In den 1990er Jahren kam die Metapher »Kultur als Performance« auf. Ihre Charakteristika sind

    die prinzipielle Unvorhersehbarkeit ihres Verlaufs; spezifische Ambivalenzen und die mit ihnen verbundene Fähigkeit, dichotomische Begriffssysteme als solche zu destabilisieren; die

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