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Heidi auf Speed
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Ebook192 pages2 hours

Heidi auf Speed

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About this ebook

Als sich 1990 im Bayerischen Wald die Schlagbäume öffnen, werden auch die Tore zur Hölle aufgestoßen. Heidi und ihre Freunde lernen Speed kennen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben, zieht Heidi aus der Provinz nach Regensburg und übernimmt den „Walfisch“, eines der ältesten Wirtshäuser der Stadt. Dann wittert sie den ganz großen Deal…
LanguageDeutsch
Release dateApr 16, 2018
ISBN9783954520909
Heidi auf Speed
Author

Dietmar Müller

Dr. Dietmar Müller ist Medienpsychologe, Journalist und Pilgerführer. Zwei Jahrzehnte lang arbeitete er vor allem für US-amerikanische Medienhäuser und Fernsehsender und reiste dafür Hundertausende Kilometer um die Welt. Heute lebt er freischaffend auf einem Anwesen in Niederbayern.

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    Book preview

    Heidi auf Speed - Dietmar Müller

    Niederbayern.

    Prolog

    Den schlimmsten Tag in meiner Laufbahn als Polizist, eigentlich waren es mehr eine Nacht und ein Tag, den habe ich im Sommer '92 oder '93 erlebt. Der hat mich auch aus der Bahn geworfen. Oder in die Bahn hinein? Schwer zu sagen. Jedenfalls gab es in dieser Nacht einen ganz bösen Verkehrsunfall. Auf der Höhe von Rosenhof war einem ungarischen Lastwagenfahrer die Ladung verrutscht. Vielleicht war er kurz eingenickt, vielleicht hatte er nach etwas gegriffen und das Lenkrad verrissen, im Nachhinein kann man das immer nur schwer verifizieren, wie genau das dann passiert ist. Jedenfalls geriet der LKW in Schlingerbewegungen und durchbrach schließlich die Leitplanke. Drei entgegenkommende Autos, zum Teil mit Familien drin, die gerade vom Plattensee oder woanders her aus dem Urlaub kamen, wurden direkt niedergewalzt. Da hatten wir locker sieben oder acht Tote auf einen Schlag, von den Schwerverletzten und den Folgeunfällen gar nicht zu reden.

    So etwas vergisst man nie. Die Kinder, das Blut und alles. Ich will da gar nicht ins Detail gehen, denn das war ja eigentlich Alltag für uns. Seit die Grenzen offen waren, hatte der Schwerverkehr explosionsartig zugenommen, auf der A3 und der A93 schepperte es damals täglich. Tut es heute auch noch, aber damals hatten wir ja noch Trabis und Ladas und gemeingefährliche Laster aus dem Ostblock auf den Straßen, sowas ist heute ja gar nicht mehr zulässig. Aber das war Alltag, wir haben uns nichts dabei gedacht.

    Gegen neun Uhr morgens hatten wir dann auch endlich Feierabend, der Hans und ich. Meinten wir zumindest, weil wir gerade am Gehen waren – eh viel zu spät, hätten wir mal besser pünktlich Schluss gemacht. Da kam die erste Meldung rein. Auf der Brücke über die Gleise, beim Ibis hatte es eine Karambolage mit Fahrerflucht gegeben. Kommt vor, das konnten die Kollegen auch selber machen. Als aber unmittelbar darauf die Meldung kam, dass es auf der Friedensstraße in Höhe Kumpfmühlerstraße nochmal gekracht hatte, also nur wenige hundert Meter weiter, wieder mit Fahrerflucht, da brannte es lichterloh in Regensburg und wir mussten uns unseren Feierabend in die Haare schmieren. Hans und ich also rein in den letzten Dienstwagen am Hof. Wegen dem Unfall bei Rosenhof und diesem Wahnsinn bei Abensberg standen buchstäblich null Einsatzkräfte mehr zur Verfügung – außer uns Helden. Ich muss an dieser Stelle ein weiteres Mal auf die chronische Unterfinanzierung der Polizei in Regensburg hinweisen, die sich auch auf diesen besagten Tag noch fatal auswirken sollte.

    Den Unfall beim Ibis nahmen bereits die Kollegen auf, der Hans und ich fuhren mit Karacho weiter zur Kumpfmühlerstraße. Auch da waren bereits Kollegen vor Ort. Fast gleichzeitig bekamen wir die Information, dass es vorne beim McDonalds, Autobahnausfahrt Königswiesen, ein weiteres Mal gescheppert hatte. Wir spurteten schnell die paar hundert Meter weiter, da sahen wir schon die Autos auf der Straße stehen. War zunächst gar nicht so wild, ein Auffahrunfall auf der Gegenseite mit etwa drei beteiligten PKWs, auf dem Bürgersteig vorm Zweirad Stadler, der gerade neu an der Kirchmeierstraße baute, stand ein demolierter Kleinwagen. Oben bei der Autobahneinfahrt schrie eine Frau, das war aber zunächst nicht genau zu verorten.

    Der Hans nahm den Auffahrunfall auf, ich kümmerte mich um den Kleinwagen. Der Halter war ein Theologiestudent, das weiß ich noch so genau, weil er sich ebenso vorstellte: »Guten Tag, ich bin der so und so und Theologiestudent.« Da dachte ich mir erstmal, dass der einen Vogel hat, aber wenn man gerade in einen Unfall verwickelt gewesen ist, dann kann man schon etwas durch den Wind sein. Der Student berichtete, dass er die Friedensstraße auswärts befahren hatte und an der Kreuzung Kumpfmühlerstraße an der Ampel, auf der rechten Spur, zum Halten gekommen war. Noch während des Haltevorgangs sei dann ein dunkler Sportwagen mit Volldampf an ihm vorbei, über die gesperrte Kreuzung ›geflogen‹, ja so sagte er.

    Der Sportwagen hatte unwahrscheinliches Glück, rauschte glatt durch, aber ein roter Kleinwagen von links, mit zwei älteren Damen darin, verriss vor lauter Schreck die Lenkung und prallte kaum gebremst gegen die Ampelanlage. Beide waren sie nicht angeschnallt gewesen und ungebremst auf das Lenkrad, beziehungsweise das Handschuhfach aufgeschlagen, was erhebliche Gesichtsverletzungen als Folge hatte. Beide wurden mit dem Sanka ins nahe Krankenhaus zu den Barmherzigen Brüdern transportiert und erholten sich nach ein paar Nasenkorrekturen ganz prächtig, bis eine der beiden eine Infektion erwischte und trotz umfangreicher Gabe von diversen Antibiotika verstarb. Sie konnte aber zur Zahl der Todesopfer an diesem Vormittag nicht hinzugezählt werden, weil ursächlich ja die Infektion für den Tod der Frau verantwortlich war.

    Der Student berichtete, dass er wie automatisch Gas gegeben hätte, als die beiden Damen gegen die Ampel geprallt waren, dem flüchtenden Wagen hinterher, was allerdings angesichts der müden Motorisierung seines Ford Fiestas nicht so schnell gegangen war, wie er sich erhofft hatte. Ich möchte an dieser Stelle ein weiteres Mal von solchen Heldentaten abraten – die Verfolgung von vermeintlichen Tätern ist alleinige Aufgabe der Polizei.

    Jedenfalls sei er dann zugegebenermaßen mit leicht überhöhter Geschwindigkeit an die nächste Ampel herangefahren, den Auffahrunfall auf der Gegenseite habe er da noch gar nicht wahrgenommen, als ihn der Sportwagen von Königswiesen kommend, seitlich touchiert habe. Er sei mit seinem Fiesta direkt auf den Bürgersteig geschubst worden – »Das hat einen riesen Schepperer getan«, hatte er gesagt. Und dann fing er an zu beten. Das Vater Unser und das mit der Maria. Da hab ich mir noch nichts gedacht, ein katholischer Theologiestudent mit Schock eben. Hab mir seine Papiere geben lassen und mir die Daten fürs Protokoll abgeschrieben. Aber als er mit dem Beten gar nicht mehr aufhören wollte, da hab ich ihn angeraunzt: »Jetzt hören's halt mit Ihrer scheiß Beterei auf!«, der junge Mann legte aber nur kurz den Kopf in den Nacken. Dann musste er niesen und rotzte sich in die Hand, wie man das halt so macht, und dann schaute er seine Hand ungläubig an und zeigte sie mir, und die war ganz rot, vom Blut, das er ausgeniest hatte.

    Zuvor hatte er über Schmerzen in der Seite geklagt. Kein Wunder, das andere Fahrzeug war direkt in seine Tür eingeschlagen, da hat er einen echten Bodycheck abbekommen. Und oben auf dem Kopf, etwa so an der linken Schläfe, da hatte er ein Hämatom, das war schon ein gscheiter Oschi, mehr als nur ein Hörnchen. Vermutlich war er beim Unfall gegen den Türholm geschlagen. Oder umgekehrt. Aber der Mann war jung und kräftig, richtig durchtrainiert. Ich hatte mir noch gedacht, dass das mal ein schöner Pfarrer werden würde. Schade eigentlich, der sah viel zu gut aus für das Zölibat.

    Jedenfalls hielt er mir die Hand hin, und aus seiner Nase floss jetzt deutlich wahrzunehmend ein richtiger Strahl Blut. Nur aus dem rechten Nasenloch übrigens, das werd ich auch nie vergessen. Und dann schaut er mich nochmal so an, als ob ich ihm jetzt helfen müsste, und dann knickt er auch schon ein. In den Knien, meine ich. Sackt zusammen wie ein … wie ein Sack Kartoffeln eben. Und ich hab noch gesagt »Lassens das mit Ihrer scheiß Beterei« und da liegt der Kerl vor mir. Meine erste Intention war es wegzulaufen. Paradox, nicht wahr? Als Polizist bin ich es gewohnt, hinzulangen, aber das war wie im Film, so unheimlich. Und dann liegt er da und blutet weiter.

    Ich gestehe, ich habe dann den präkordialen Schlag ausgeführt. Im Erste-Hilfe-Kurs das Jahr zuvor haben sie uns erklärt, dass wenn jemand einen Herzinfarkt hat, die ersten Sekunden entscheidend sind. Wenn man dann noch auf den Brustkorb haut, dann springt der Motor wieder an. Ich hab also völlig hirnrissig draufgehauen. War natürlich sinnlos. Später im Krankenhaus haben sie festgestellt, dass er einen Schädelbruch gehabt hat. Langsam aber sicher war dem das Hirn voll Blut gelaufen, deswegen wahrscheinlich auch das Gebete. War ja unheimlich – gibt mir den Führerschein und den Fahrzeugschein und murmelt dabei »Gebenedeit sei die Frucht deines Leibes«. Aber so anfahren hätte ich ihn nicht dürfen, das tut mir bis heute leid. Der konnte doch nichts dafür. Ich war halt doch schon in der 26. Stunde meines Dienstes. Und als er genießt hat, da ist im Kopf was gerissen und das Zeug kam raus.

    Und dann lag er vor mir und starb. Ich wollte ihn irgendwie nicht weiter anfassen, war ja alles voller Blut, aber unterlassene Hilfeleistung war das letzte, was man mir vorwerfen konnte. Erst hab ich am Hals nach Puls gesucht, dann an der Hand – was natürlich die falsche Reihenfolge ist, aber ich war ja auch in Panik – und dann hab ich zu pumpen angefangen, ganz wie im Erste-Hilfe-Kurs. Und-eins-und-zwei-und-eins-und-zwei … Der Hans hat das dann von der anderen Straßenseite gesehen und ist gelaufen gekommen. Er hat mich dann weggezerrt. »Done«, schrie er, »der is schon hin!«, weil ich, so hat er's mir später erzählt, wie verrückt den Brustkorb von dem jungen Mann wiederbelebt habe. Ich hatte sogar Blut im Gesicht, weil ich ihn anscheinend auch hatte beatmen wollen, aber daran kann ich mich nicht erinnern. Irgendwie musste ich mit allen Mitteln verhindern, dass der mir jetzt da und dort starb. Es war doch so ein schöner Sommermorgen gewesen! Und bis heute fühl ich mich schuldig am Tod dieses Mannes. Ich weiß, dass ich es nicht bin, aber ich fühle das. Jeden Tag.

    Das war dann auch der Grund, warum ich nicht mehr zum Dienst gehen konnte. Ich bin ja Polizist geworden, weil ich es mit der Ordnung hab. Alles soll seine Ordnung haben. Andere Kollegen mögen andere Motive haben, mir ging es immer um die Ordnung. Fairness. Gerechtigkeit. Die wollte ich Kraft meines Amtes durchsetzen. Der Tod dieses Jungen war aber nicht in Ordnung, und es gab nichts, was ich dagegen hätte machen können. Ich konnte das nicht in Ordnung bringen. Das warf mich aus der Bahn. Das und die Geschichte danach. Wenn man nicht wirklich helfen kann, wozu das dann noch weitermachen mit dem Dienst? Wegen des Geldes? Geld hat angesichts des Todes keine Bedeutung, das meine ich ernst.

    Ich hab dann jedenfalls in den Wochen darauf zu viel getrunken, war ja auch krankgeschrieben, und war irgendwie deprimiert. Oder depressiv, das ist dann ja schon eher krankhaft. Die Psychiaterin hat mir schließlich gesagt, anstelle von Tabletten solle ich es einmal mit Meditation versuchen. Ich hätte das nicht gemacht, aber meine Frau fuhr mich hin, sie hatte wohl Angst um unsere Ehe. Die beiden Kinder waren mir wichtig, so wichtig wie nie zuvor im Leben, aber die Ehe mit meiner Frau Monika ging mir damals – mit Verlaub, Pardon – am Arsch vorbei. Allein dieser blöde Doppelname. Aber sie hat mich hingefahren, und schon beim ersten Mal merkte ich: Ja, das war was für mich. Das ließ mich zur Ruhe kommen. Das ordnete meine Gedanken und balancierte meine Gefühle aus. Eigentlich sollte man ja beides hinter sich lassen, Gedanken und Gefühle, aber zunächst war es schon ein Vorteil, dass es wieder ordentlich in mir zuging.

    Ich hab das dann sehr intensiv gemacht, also täglich, auch als die Krankschreibung ausgelaufen war, ich aber immer noch nicht zurück in den Dienst konnte. Das war vorbei, trotz Beamtenstatus und Pension. Wir lebten damals von Arbeitslosengeld, was nicht leicht war, vor allem nicht für meine Frau. Aber mit der Meditiererei bekam ich wieder Boden unter den Füßen. Und mit der Zeit hatte ich den Bogen so sehr raus, dass ich selbst Kurse gab, erst an der Volkshochschule, dann verselbstständigte sich das und um die Jahrtausendwende zogen wir dann raus aufs Land bei Pielenhofen und ich gründete eine Yogaschule, die heute noch von einem lieben Freund weiterbetrieben wird.

    Ich war ja sehr aktiv in der Buddhistengemeinde in Regensburg, das war eine schöne Zeit. Aber mit den Jahren ging mir immer mehr auf, dass mein Buddhistendasein eigentlich nur mein naiver, reformierter Glaube aus der Kindheit war. Verkleidet, versteht sich. Da galten die gleichen Prinzipien: Gute Taten werden belohnt, schlechte bestraft. Die Christen sprechen von Himmel und Hölle, denen man nach dem Tod ob seiner Taten zugeordnet wird, in Asien sprechen sie allgemein von Karma. Im Prinzip dasselbe. Das begründete möglicherweise auch meine Sucht nach Ordnung, aber das ist eine Frage, die wohl nie zu beantworten sein wird. Als mir aber klar wurde, dass ich immer noch der kleine Lutheraner war wie schon im Kindesalter, da konnte ich auch meinen Frieden mit der Kirche machen.

    Heute arbeite ich als ordinierter Laie in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Maria-Magdalena in Burgweinting und biete den Gläubigen und Sinnsuchenden neue Erfahrungen an – im christlichen Kontext, versteht sich. Wir organisieren zusammen mit der Pfarramtsleiterin Schwitzhüttenabende und Meditationsstunden. Ich baue Brücken zu Jesus, so würde ich das heute nennen. Ich glaube, ich kann vielen Menschen in schwierigen Zeiten helfen. Und ich bin glücklich, was mich selbst am meisten verwundert.

    Damals war der Dienst aber noch nicht vorbei, dabei hatte ich die Schnauze bereits gestrichen voll. An dem Tag muss ich, alles in allem gerechnet, einen Hektoliter Blut gesehen haben. Den Unfall bei Rosenhof mit einbezogen. Die Amokfahrt, so stellte sich dann bereits im Laufe des Vormittags heraus, war in etwa so vor sich gegangen: Die Fahrerin war gegen 9:00 Uhr morgens Unter den Schwibbögen in ihren Jaguar XJS gestiegen, um den Dom herum in die Martin-Luther-Straße eingefahren und auf der Brücke über die Gleise zum ersten Mal in den Gegenverkehr geraten. Nur leicht demoliert war sie dann über die Friedensstraße stadtauswärts geschossen – im wahrsten Sinne des Wortes.

    Alles in allem waren durch die Amokfahrt 18 Wagen beschädigt worden, sieben davon total. Um die Zeit waren die Straßen ja voll mit Samstags-Einkäufern und Familien. Das schöne Wetter zog die Leute raus. Im Schnitt – ich hatte ja viele Jahre Zeit mir das auszurechnen – kamen auf jeden Totalschaden zwei Tote, die alte Dame im roten Kleinwagen nicht einberechnet. Und drei Schwerverletzte. Der Schnitt war unter anderem wegen des Kleintransporters so hoch, der auf Höhe der Raststätte Pentling durch entgegenfliegende Autoteile in voller Fahrt zerstört worden war. Die sieben Montagearbeiter aus Salzwedel wurden teilweise durchbohrt, der Fahrer auf jeden Fall. Ich war da gerade mit dem Theologiestudenten zugange, so dass ich mir das wenigstens nicht auch noch ansehen musste.

    Es wundert einen dann nicht, wenn man sich den Befund der Obduktion – soweit davon die Rede sein konnte,

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