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Der Wessex-Dolch
Der Wessex-Dolch
Der Wessex-Dolch
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Der Wessex-Dolch

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About this ebook

Eigentlich sollte es nur ein fröhlicher Tagesausflug werden. Doch nach dem Besuch eines steinzeitlichen Bergwerks vermisst Archäologie-Professor Drahm zwei seiner Studenten.
Die Suche nach ihnen ist unmöglich, denn ein heftiger Sturm hält ihn, seine Assistentin Dr. Johanna Schmid und die restlichen zehn Studenten in der Jugendherberge fest und macht gleichzeitig die Straßen für Polizei und Rettungskräfte unpassierbar.
Während draußen der Sturm wütet, beginnt Professor Drahm zu ahnen, dass das Verschwinden seiner Studenten nur der Auftakt zu weit Schlimmerem ist.
LanguageDeutsch
Release dateMay 15, 2018
ISBN9783959591188
Der Wessex-Dolch

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    Book preview

    Der Wessex-Dolch - Martina Schäfer

    Inhaltsverzeichnis

    Anreise

    1. Tag vormittags

    1. Tag nachmittags

    2. Tag vormittags

    2. Tag nachmittags

    3. Tag vormittags

    3. Tag nachmittags

    3. auf 4. Tag nachts

    4. Tag morgens

    4. Tag mittags

    4. Tag nachmittags

    4. Tag abends

    Abreise

    Die Stunden nach dem Sturm

    13 Monate später

    Anhang mit Erläuterungen (Fußnoten)

    Über die Autorin Martina Schäfer

    Von der Autorin bereits im Machandel Verlag erschienen:

    Mord im Pfahlbaudorf

    Die Speerschleuder

    Der Wessex-Dolch

    Martina Schäfer

    Krimi

    In honorem Agatha Christie

    ©Martina Schäfer 2017

    Machandel Verlag

    Cover: Elena Münscher

    Bildquelle: Chris Talbot (cc by sa/2.0)

    Hintergrund: www.pixabay. com

    Illustrationen. Wikimedia.org, Lindenschmit,1858, gemeinfrei

    Haselünne

    2018

    ISBN 978-3-95959-118-8

    Eine Übersicht der handelnden Personen finden Sie im Anhang.

    Anreise

    Das Wasser floss von der Windschutzscheibe wie eine zweite, leicht opake Fläche, rhythmisch beiseite geschoben von den eher hilflosen Scheibenwischern und sofort wieder vorgezogen wie ein kleiner boshafter Vorhang, der partout die Sicht auf dieses nasse, nebelige England verhindern wollte. Seit sie von Dover abgefahren waren, hatte es „Kühe und Pferde geregnet, wie Professor Joachim Drahm murmelte, schaudernd neben ihr in seinen flotten Lammfellmantel gekuschelt, und sie hatte nur verbissen geantwortet: „Selbst die`Katzen und Hunde´ der lokalen Redensart wären mir lieber!

    Johanna Schmid vergewisserte sich mit einem Blick in den Rückspiegel, dass der zweite kleine Unibus noch hinter ihnen her fuhr. Christof, der Fahrer des anderen Fahrzeuges, würde ohne Wegführer bei diesem Wetter ganz sicher nicht den Weg in die irgendwo in der Pampa liegende Jugendherberge finden.

    Johanna selbst kannte den Weg natürlich. Zu ihren Aufgaben als Assistentin des Metallzeitenprofessors Dr. Joachim Drahm gehörte es, diese Exkursion, die für alle Teilnehmer des Hauptseminars verpflichtend war, zu organisieren. Sie war deshalb vor einem Jahr bereits alle archäologischen Sehenswürdigkeiten in Südengland, die man während dieser Exkursion besuchen wollte, abgefahren, inklusive der diversen Jugendherbergen, welche die Exkursionsteilnehmer nacheinander aufnehmen sollten.

    Heute war Johanna bereits um 6 Uhr in der Früh mit zwölf Studierenden des Faches Ur- und Frühgeschichte, die sich, vor Müdigkeit zitternd, am Eingang des Institutes zusammen drängten, und zwei Kleinbussen, welche die Universitätsverwaltung für solche Gelegenheiten zur Verfügung stellte, Richtung England aufgebrochen.

    Da sie gen Westen fuhren, schien es, als würden sie dem Sonnenaufgang davonfahren: Viel länger als sonst um diese spätherbstliche Tageszeit gähnte immer noch hinter ihnen ein rot aufgerissenes Maul zwischen grauen Wolkenlippen.

    „Zwölf kleine Negerlein, die zogen in die Welt, der eine stürzte tief hinab, da waren es nur noch elf. Holger, ein kleiner, aber ziemlich agiler Student im fünften Semester, der sich bisher allerdings noch nicht durch großartige Studienleistungen hervorgetan hatte, beugte zwischen Johanna Schmid und Professor Drahm seinen Kopf vor: „Drücken Sie auf die Tube, Frau Dr. Schmid, sonst holt uns das Himmelsmonster noch ein und frisst uns. Er lachte geisterbahngmäßig.

    „Elf kleine Negerlein wollten einst ein Nilpferd gähnen sehn. Ein Ruck und einer fiel ins Maul, da waren’s nur noch zehn", ergänzte Olivia, frisch gebackene Preisträgerin des neu eingerichteten Pigott-Stipendiats, die im Hauptfach Mediävistik und Anglistik studierte und ihre Masterarbeit über Spuren angelsächsischer Mythen in der viktorianischen Literatur schrieb. Das war auch der Grund für ihre Teilnahme an dieser Exkursion, denn natürlich war sie, als Nebenfächlerin, eigentlich nicht verpflichtet, an einer der großen Exkursionen des Faches Ur- und Frühgeschichte teilzunehmen.

    „Hui, ihr seid aber politisch höchst unkorrekt!, lachte Dietrich. „Das müsst ihr umdichten.

    „Wie kommt ihr überhaupt auf zwölf, Olivia, es sind doch nur zehn kleine Negerlein?"

    „Es gibt eine Version des Liedes, das eigentlich aus den USA stammt, in der mussten es zwölf sein, sonst hätte das Layout der dazu gehörigen Bildchen nicht gepasst. Übrigens hieß es ursprünglich `Zehn kleine Indianerchen´. Aber als dann der Kampf um die Rechte der Farbigen eskalierte und die Indianer ja eh’ fast ausgerottet waren, änderte man den Text in die heute bekannte Version von den zehn kleinen Negerlein."

    „Dann können wir es ja auch guten Gewissens umdichten, grinste Dietrich. Holger fiel ihm ins Wort: „ Wie wäre es denn mit `Zwölf kleine Studentlein´? Abzüglich Ihnen beiden, Herr Professor und Frau Dr. Schmid, falls Sie nichts dagegen haben, sind wir ja genau zwölf kleine Studentlein.

    „Ganz gewiss nicht, brummte Professor Drahm von der Vorderbank her, „ich werde nämlich höchst ungern diskriminiert oder gar massakriert.

    So vertrieb ihnen Olivia auf den nächsten zweihundert Kilometern die Zeit, indem sie allen Mitfahrenden die historische Zwölfer–Version des Liedes, politisch korrekt und teilweise mit leichten Umdichtungen, die eher die Belange einer Studentengruppe aus dem 21. Jahrhundert spiegelten, beibrachte.

    Sie hatten die Fähre nach Dover anstelle des Kanaltunnels gewählt, denn Stephan, ein eher schüchterner Typ, der unter schweren Platzängsten litt, hätte sonst alleine mit dem Zug fahren müssen. Er wäre auf keinen Fall in der Lage gewesen, nicht einmal als Beifahrer, durch einen solch langen Tunnel zu fahren. Johanna bevorzugte die Fähre ohnehin, denn sie fand es dumm, sich zwei Stunden durch einen engen Schacht zu lavieren, wenn man sich doch den frischen Meereswind um die Nase wehen lassen konnte.

    Während der Überfahrt herrschte noch klares Wetter und eine blaue Himmelsplane spannte sich von Ufer zu Ufer über das Wasser. Johanna Schmid hatte sich, wie immer wenn sie selber diese Überfahrt nutzte, den höchst möglichen Punkt auf der Fähre ausgesucht, um wieder einmal auszuprobieren, ob man tatsächlich an klaren Tagen für einen Moment beide Kanalufer gleichzeitig sehen könne, wie es in manchen Touristenführern hieß. Nun, vermutlich war es nur ein Gag im Kampf um die Kunden, denn der Kanaltunnel machte der behäbigeren Fährschifffahrt kräftig Konkurrenz. Das Wasser unten war ziemlich kabbelig, kleine weiße Schaumkrönchen wippten dahin wie kopflose Möwen und die wirklichen Möwen schienen immer mal wieder, von unerwarteten Windböen getroffen, wie zerrissene Papierdrachen zur Seite zu torkeln.

    „Das kenne ich, sieht nach einer Wetterverschlechterung aus." Martin, der Gaststudent aus England, war zu Johanna an die Reling getreten. Der hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, an dieser Exkursion in sein Heimatland teilzunehmen.

    „Sie täten besser daran, sich an meiner Exkursion zu den Brandopferplätzen am Südalpenrand zu beteiligen. Grimes Grave, Wayland’s Smithy, Boxgrove und wasweißich, was wir uns noch alles ansehen werden, dürften für Sie ja keine Unbekannten mehr sein, hatte Dr. Drahm gebrummelt, als er Martins Anmeldung in den Händen hielt. „Was wollen Sie da noch?

    Doch der hatte nur mit seinem charmanten angelsächsischen Akzent gekontert: „Meinen Kommilitonen zeigen, wie richtige Fish and Chips gegessen werden."

    Eine Lektion, die er dann auch sofort bei ihrer Ankunft in Dover am bereitstehenden Fish ’n Chips Stand auf der Promenade umsetzte, wo alle warten mussten, bis Johanna Schmid und Christof die Busse aus dem Schiffsbauch heraus gefahren hatten.

    Leicht verfroren hin und her trappelnd standen sie parat, die warmen Papiertüten mit den gewürzten Pommes frites und den Fischstückchen in den Händen, die Augen auf den mittlerweile graufarbenen Kanal gerichtet, dessen kleine, unruhige Wellen gegen die Befestigungssteine platschten, als Johanna und Christof neben ihnen hielten, um alle wieder an Bord zu nehmen. Der strahlend blaue Himmel hatte einer schmutzig grauen Wolkendecke weichen müssen und aus den sporadischen Windstößen, welche die Möwen verwirrt hatten, war ein kontinuierlich blasender, steifer Westwind geworden. Als sie losfuhren, ruckelte er bereits ganz schön heftig an ihren kleinen Bussen. Und dann fielen die ersten Regentropfen - dick, breit, als würfe ihnen jemand Schlammspritzer auf die Windschutzscheiben. Dichter und dichter pladderten sie, bis die Spritzer sich zu langen, festen Fäden vereinigten, Bächen und Strömen, welche die Scheibe herunter rannen und sich zu einer einzigen, beinahe undurchsichtigen Fläche vereinigten. Die hektisch arbeitenden Scheibenwischer konnten der Wasserflut kaum noch Herr werden.

    Mittlerweile hatten sie London weiträumig umfahren und die M3 bei Basingstoke verlassen, um ihre erste Übernachtungsmöglichkeit anzusteuern: Eine kleine Jugendherberge mitten in den Hampshire Downs, nicht weit von St. Mary Bourne entfernt, die für die ersten Tage ihr Basislager sein sollte. Von dort aus hatten sie es in alle Himmelsrichtungen ungefähr gleich weit zu den ersten Ausgrabungsplätzen und archäologischen Sehenswürdigkeiten ihrer Exkursion.

    Zwar war das Thema des Hauptseminars die Bronze- und Eisenzeit auf den britischen Inseln, aber für die Exkursion waren auch Fundorte aus den Steinzeiten für jene Studierenden eingeplant, die sich eher für die frühen Ackerbauern und ihre Anlagen oder gar für die noch früheren ersten Besiedler der Insel aus der Altsteinzeit und dem Mesolithikum interessierten.

    So sollte es gleich am nächsten Vormittag in ein neolithisches Flintbergwerk, Wodans Grab¹ genannt, gehen und am Nachmittag in eine aufgelassene Kiesgrube, in welcher man einen über 500.000 Jahre alten Arbeitsplatz altsteinzeitlicher Jäger und Sammler ausgegraben hatte.²

    Seit sie die Schnellstraßen verlassen hatten, war es merklich stiller hinter Johanna im Bus geworden.Das politisch korrekte, zwölfstrophige, auf ihre Belange umgedichtete Unglückslied war verstummt und Professor Drahm schlummerte leise vor sich hin, den runden Kopf an die Fensterscheibe gelehnt.

    „Zwölf kleine Studentlein suchten ein Zuhause", summte Johanna leise vor sich hin in Anpassung an ihre derzeitige Situation und reckte den Kopf, um irgendwie hinter all den Wasserschwaden doch noch die angepeilte Jugendherberge zu entdecken. Sie wusste, dass diese mehr oder weniger auf freiem Feld lag, halbwegs zwischen zwei kleinen Dörfern, die ihr jeweils den Namen gegeben hatten. Dummerweise firmierte dadurch die Jugendherberge entweder als Hostel Maidenhouse upon Greenhaven under Basingfield oder als Hostel Maddison next Rosefieldsgarden under Newdover upon River Test, was die Suche, selbst mit Hilfe des Navigators, nicht gerade erleichterte.

    Endlich tauchte in der mittlerweile einsetzenden Dunkelheit rechts an der kleinen Provinzstraße ein einsames, reetgedecktes Haus auf. Johanna tippte rasch warnend zwei- dreimal auf die Bremse, um Christof zu signalisieren, dass sie anhalten mussten. Dann bremste sie entschlossen und starrte durch das Seitenfenster über die Straße zu dem dunklen Haus hinüber.

    Die Leiterin dieser Jugendherberge hatte ihr mitgeteilt, dass sie leider an ihrem Ankunftsabend erst sehr spät vorbeischauen könne, um nach dem Rechten zu sehen sowie ihre Fragen zu beantworten, da sie noch einen zweiten Job in Greenhaven under Basingfield habe - oder war es Rosenfieldsgarden upon diesem River mit dem kurzen Namen? Der Schlüssel läge „under the garden pottery", was Martin schmunzelnd übersetzte: „Unter den Blumentöpfen oder dem Blumentopf – viel Spaß beim Umdrehen!"

    Das Haus, so viel konnte sie durch Dunkelheit und Regenfluss erkennen, war im Backsteinstil mit Fachwerk dazwischen erbaut, offensichtlich einstöckig mit drei Kaminschloten. Natürlich mochten sich unter dem hoch aufgezogenen Strohdach eventuell noch ein erstes Stockwerk oder zumindest einige Dachkammern befinden.

    „Sieht nicht sehr weitläufig aus. Professor Joachim Drahm beugte sich vor und schielte an ihr vorbei. „Ist sie das überhaupt?

    Jemand pochte an die Fahrertüre. Johanna kurbelte rasch das Fenster herunter. Martin stand draußen, die Kapuze seines Anoraks fest um den Kopf gezerrt. „Ich bin das Wetter ja am besten gewohnt. Ich lauf’ rüber und schau, ob es das Hostel ist." Johanna nickte dankbar und schaute Martin hinterher, der mit großen Sprüngen über die nasse Straße spurtete und nun vor der Haustüre hin und her lief, durch ein kleines, rautenförmiges Fenster in der oberen Hälfte der Haustüre lugte, pochte, sich schließlich bückte und einige Blumentöpfe umkehrte, die dort scheinbar zufällig am Boden verteilt lagen. Dann richtete er sich triumphierend auf und winkte ihnen zu und deutete mit einigen weit ausholenden Gesten vor sich auf den Boden. Johanna begriff, dass sie über die Straße fahren und vor dem Haus parken sollten. Sie folgte den Hinweisen, und auch Christof bugsierte seinen Bus hinter den ihren auf einen schmalen Kiesstreifen vor dem Haus.

    „Wir sind da, freute sich Martin, als Johanna ausstieg und drehte den Schlüssel im Schloss der etwas niedrigen Türe herum. „Muss mal ein Cottage gewesen sein.

    Alle drängten rasch hinter Joachim Drahm und Johanna Schmid in einen kleinen Vorraum, von dem es geradeaus durch eine erste Türe in einen großen Raum ging, eine zweite daneben war noch verschlossen. Offensichtlich das Esszimmer, denn es stand dort ein langer, breiter Tisch mit 20 Stühlen, je acht an den Längsseiten und zwei jeweils an den Schmalseiten. Dahinter lag anscheinend die Küche, von der man die Herdecke und einen halben Kühlschrank durch die offen stehende Türe und die daneben angebrachte Durchreiche erblicken konnte.

    Eine weitere Türe führte links vom Vorraum in einen verwinkelten Gang, auf dessen rechter Seite Türen in drei Zimmer führten, in denen immer vier Stockbetten in jeder Ecke so standen, dass in der Mitte noch ein Tisch mit vier Stühlen Platz fand. Am Ende dieses Ganges öffnete sich eine letzte Tür in eine Kammer, die so vollkommen von einem Stockbett ausgefüllt wurde, so dass daneben kaum noch Platz für einen Stuhl war.

    „Das wird doch nicht das Dozentenzimmer sein?, hauchte Joachim Drahm. „Vermutlich ist es das Zimmer für die Gruppenleiterin, denn dieses ist offensichtlich die Mädchen- und Frauenseite, gab Johanna lakonisch zurück. Sie öffnete eine weitere Türe in diesem Gang und zeigte auf zwei gegenüberliegende lange Bassinrinnen mit Kalt- und Warmwasserhähnen, hinter denen, nur durch eine etwa hüfthohe Kachelwand getrennt, sechs Toiletten offen standen.

    „Boys and gents on the right side!", lachte Martin vom Ende der Gruppe her und öffnete schwungvoll die dritte Türe im Vorraum, welche nach rechts abging. Hier fanden sie tatsächlich spiegelbildlich die gleiche Raumordnung vor, inklusive Gruppenleiterkammer und kombiniertem Wasch- und Toilettenraum, dieses Mal aber eindeutig durch eine Pissoirrinne ergänzt, welche an der den Kloschüsseln zugewandten Seite der halb hohen Kachelwand entlang lief.

    „Das ist unmöglich!", murmelte Dr. Drahm und starrte auf die schmale Lücke zwischen Stockbett und Wand, in die er sich mit seiner wohligen Fülle nicht einmal richtig hinein stellen konnte.

    „Jedes Zimmer hat ja Platz für 8 Leute. Wir können uns also ganz gut auf zwei Zimmer beschränken, dann hat jeder von uns sogar noch ein Parterrebett und kann auf dem oberen seine Sachen ausbreiten. Im dritten Zimmer bauen wir einfach zwei Stockbetten ab und verstauen sie in diesem Gruppenleiterkämmerchen. Die vier Matratzen legen wir oben auf die beiden Stockbetten und Sie, Herr Professor, können dann gut in einem der unteren Betten schlafen. Auf dem anderen Bett sowie auf dem Tisch bleibt Ihnen dann noch Platz genug, Ihre Unterlagen auszubreiten. Axel, ein Anlagenbauer, der auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur gemacht hatte und sich nun mit dem Studium der Ur- und Frühgeschichte einen Jugendtraum erfüllte, begann bereits, das erste Stockbett auseinander zu schrauben. „Hopp – hält mal jemand hier fest?

    „Viecher gibt’s auch hier! Holger, ein kleiner, agiler Typ, fuhr blitzartig mit der Hand über den Tisch und hielt sich dann die geschlossene Faust ans Ohr: „Summt noch – aber nicht mehr lange! Grinsend schmetterte er die Fliege mit einem leisen Klack Dorothea genau vor die Füße, die erschrocken zurücksprang und gegen Ottbrecht taumelte, der gerade in dem Moment das Zimmer betrat. Schnell trat Holger noch einmal drauf, so dass ein dunkler, verschmierter Fleck zurückblieb.

    „Spinnst du?" Ottbrecht schob Dorothea zur Seite, die sich dankbar hinter seinem breiten Rücken versteckte.

    „Macht kaputt, was euch kaputt macht", grinste Holger und verschmierte die Überreste des toten Insekts mit seiner Schuhspitze.

    „So, wie ich das sehe, Drahm drückte misstrauisch auf eine der durchhängenden Matratzen, „wäre es tatsächlich gut, zwei Matratzen unter dem Hintern zu haben. Ich bin schließlich nicht mehr der Jüngste.

    Ottbrecht, mit etwa 2,10 Metern der Längste, aber auch in seiner prachtvollen bayrischen Fülle der Breiteste, ließ sich vorsichtig auf einem der unteren Betten nieder und dann auf den Rücken gleiten. Seine Beine ragten weit über das Fußende hinaus.

    „Vielleicht sollten wir noch ein Bett abbauen und mir die Matratzen auf den Boden drapieren, sonst habe ich binnen kurzem einen gewaltigen Rückenschaden. Aber vorher wischst du das hier weg!" Er wies böse auf die zertretene Fliege.

    „Die meisten Jugendherbergen bei uns, besonders auf dem Land, sind halt noch für Jugendliche und Kinder gedacht, man rechnet nicht mit Erwachsenen. Sollst sehen, in London wird es dir besser gehen."

    „Martin – London sehen wir erst in 8 Tagen – bis dahin bin ich eingegangen wie ein Priemelchen in einem zu kleinen Topf. Ich bin doch kein Bonsai!"

    „Sollen wir das bei euch auf der Frauenseite auch so machen? Ihr seid ja nur fünf, das verteilt sich doch sehr gut auf zwei Zimmer. Aus dem dritten machen wir das Schlafgemach für Frau Dr. Schmid und hinten verstauen wir dann wieder die überzähligen Bettgestelle." Axel hatte bereits die ersten Matratzen von einem Hochbett gezerrt, holte ein Schweizer Taschenmesser mit allem Drum und Dran aus seiner Hosentasche hervor und begann, die Schrauben zu lockern, die die beiden Betten aufeinander hielten.

    „Dann hat das junge Paar ein Zimmer für sich allein. Holger zwinkerte Susanne anzüglich zu, die nur die Augen verdrehte. „Blöder Typ, flüsterte Kerstin, ihre Partnerin, was aber nur die unmittelbar daneben Stehenden hörten.

    „Dr. Schmid – können wir das Angebot der jungen Herren annehmen? Professor Drahm zog fragend die Augenbrauen hoch. „In Anbetracht der Tatsache, Herr Dr. Drahm, gab Johanna zurück, „dass Sie als Reiseleitung und ich als Organisationsverantwortliche fit bleiben müssen, sollten wir das tunlichst machen. Aber wenn wir Frauen mithelfen, ist das ja in Nullkommanichts passiert."

    „Im nächsten Pub die erste Runde, die geht auf mich!", rief Joachim Drahm erleichtert aus und begab sich wieder in den Vorraum auf der Suche nach einem eventuellen weiteren, größeren Raum, in dem sich die Gruppe bei Bedarf versammeln konnte.

    Die StudentInnen hatten mittlerweile nicht nur das gesamte persönliche Gepäck ins Haus getragen, sondern auch die Kisten mit Grundnahrungsmitteln, Kaffee, Tee, etc., die sie unterwegs in einem Supermarkt kurz hinter Dover besorgt hatten. Schließlich wusste keiner, was und wie viel es an Essen in dieser kleinen, unbewirtschafteten Jugendherberge gäbe.

    Dankbar sah Johanna, dass auch ihr schwerer Rucksack bereits im Vorraum stand. Sie beschloss als Gegenleistung dafür, dass sie nicht mehr in den Regen hinaus musste, die Nahrungskisten in die Küche zu tragen, dort zu verstauen und schon einmal eine große Kanne Tee für alle aufzugießen.

    Draußen im Gang und in den Zimmern hörte sie das geschäftige Treiben der jungen Leute, die sich gegenseitig beim Umsetzen der Bettgestelle alle möglichen Hinweise und auch hin und wieder ihr eine Frage, wie sie denn gerne ihr Zimmer hätte, zuriefen.

    Sie durchsuchte die Schränke, fand Tassen, Teller und Töpfe, Besteck in den Schubladen und begann, im Speiseraum für die ganze Gruppe zu decken. Für morgen und übermorgen würden sie einen Koch- und Frühstücksdienst einrichten, aber heute wollte sie sich erkenntlich dafür zeigen, dass man ihr eines der Zimmer freiräumte.

    Professor Drahm eilte geschäftig herein und rieb sich erfreut die Hände. „Ah – Teatime! Es gibt noch ein richtig schönes Kaminzimmer wenn man durch die zweite Türe direkt gegenüber der Haustüre geht. Nicht sehr groß und mit allerlei zusammen gewürfelten Sesseln, Stühlen und zwei alten Kanapees – durchaus staubig, aber gemütlich. Geht irgendwie auf einen verwilderten Garten hinaus, aber bei dem Regen ist ja nichts richtig zu erkennen."

    Er drehte sehnsüchtig einen der großen Kaffeebecher in seinen Händen und grinste mit diesem für ihn so charakteristischen schräg geneigten Kopf zu Johanna Schmid herüber, die gerade die erste Kanne frischen Tees an den Tisch trug: „Ach, das habe ich so gerne, wenn meine Assistentinnen ihr wahres weibliches Wesen hervorkehren! Er hielt ihr fast flehend den Becher unter die Nase. „Meinen Sie, Ihr gebeutelter Doktorvater bekommt schon im Vorhinein eine Tasse, ehe die anderen eintrudeln?

    Sie musste lachen, goss Joachim Drahm den Becher voll und schob ihm die Schachtel mit den Zuckerstückchen sowie die Tüte Milch hinüber, dann verschwand sie wieder in der Küche, Käse und Wurst für die ganze Bande zu schneiden.

    Professor Joachim Drahm schaute sinnend in die dampfenden Tiefen, beobachtete, wie sich die Schlieren der Milch langsam im

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