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Der Kessel der Götter: Handbuch der keltischen Magick
Der Kessel der Götter: Handbuch der keltischen Magick
Der Kessel der Götter: Handbuch der keltischen Magick
Ebook1,328 pages17 hours

Der Kessel der Götter: Handbuch der keltischen Magick

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About this ebook

Der Kessel der Götter ist die bisher umfangreichste und praktischste Einführung in die Welt der keltischen Magie. In gewohnt lebendiger Weise führt der Autor die LeserInnen auf einer Reise von den Hügelbauern und gefährlichen Toten der Hallstatt-Zeit über die Götter, Heiligtümer, Druiden und ZauberInnen der La Tène-Periode zum mittelalterlichen Barden- und Sehertum der Inselkelten. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Anwendung der oft nur fragmentär nachweisbaren Riten und Trancepraktiken. In zahlreichen praktischen Übungen und Meditationen lernt der Leser, einen eigenen Weg in die Welt der frühzeitlichen heidnischen Religionen zu finden. Wer makabres Totenbrauchtum, Reisen in die Anderswelten, Besessenheitstrancen, die persönliche Muse und die Wiedergeburtsriten der Kultkessel erleben will, ist mit diesem Werk bestens bedient. Der Kessel der Götter bietet neben viel vor- und frühgeschichtlicher Archäologie und neuesten textkritischen Untersuchungen der inselkeltischen Mythen auch die erste zeitgemäße Übersetzung der mystischen Lieder des britischen Barden Taliesin. Hinzu kommt eine gründliche Einführung in die altirische Ogham Schrift, die mittelalterlichen Baum- und Pflanzenzauberei und die Wahrsagungs- und Visionspraktiken der Barden und Seher. Die deutsche Ausgabe wurde vom Autor komplett überarbeitet und um 80 Seiten erweitert. Über 300 Abbildungen illustrieren den vielschichtigen Text und bieten Anregung für neue Einsichten und Erfahrungen.
LanguageDeutsch
Release dateAug 26, 2013
ISBN9783944180328
Der Kessel der Götter: Handbuch der keltischen Magick

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    5/5
    Tolles Buch, umfangreich.
    Für Anfänger um in die keltische Mythologie einzutauchen. Für Vorwissende ein Mitmachbuch und lässt dir Raum für eigene Ansichten und Aha Erlebnissen.
    Fundstücke aus Hessen, Österreich....werden beleuchtet.
    Übungen sind leicht nachvollziehbar.
    Absolut lesenswert!

Book preview

Der Kessel der Götter - Jan Fries

1. Auflage 2010

Die Originalausgabe erschien 2003 bei Mandrake of Oxford unter dem Titel „Cauldron of the Gods - A Manual of Celtic Magick"; © 2003 by Jan Fries and Mandrake of Oxford.

Copyright © 2009 by Edition Roter Drache für die deutsche Ausgabe.

Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, Postfach 10 01 47, D-07391 Rudolstadt.

edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org

Buch- und Umschlaggestaltung: Edition Roter Drache.

Titelbildmotiv: Astrid Bauer. Alle Fotos auf den Umschlag stammen von Jan Fries.

© Bilder by Jan Fries. Der keltische Bildrahmen bei den Übungen und Impressum ist dem Buch „Celtic Frames and Borders" von Dover entnommen.

Übersetzung aus dem Englischen: Almut Friederich.

Übersetzung der Lieder & Gedichte: Jan Fries.

Lektorat: Helge Lange.

Gesamtherstellung: Wonka Druck, Deutschland.

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (auch auszugsweise) ohne die schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

ISBN: 978-3-944180-32-8

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort zur deutschen Ausgabe

0. Einführung:

Willkommen im Nemeton

1. Das Volk der Hügel

Übung: Trancereise in die hohlen Hügel

Die Toten auferstehen lassen

Opferplätze unter freiem Himmel:

Vom Ende der Hallstattzeit

2. Die Rätsel von La Tène

Talismane

Gefährliche Tote & ungewöhnliche Begräbnisse

Opfergaben für die Tiefe

Die Heiligkeit des Wassers

Übung: Hinab in die Tiefe

Kultplätze

Heilige Haine

Die Tempel Galliens

Die Erforschung von Gournay

Ein Trophäenhort

Roquepertuse

Schatten im Labyrinth

Teutates, Esus und Taranis

Göttin der Pferde

Rhiannon und die Morrigain

Lugus

Kelten und Germanen

Götter des Landes

Cernunnos

Matronen

Andere Kulte

Göttliche Tiere

Kopfkulte

3. Druidische Träume

Druiden in der klassischen Zeit

Rätsel der Keltike

Der Untergang der Druiden

Druiden in Legenden

Die Rückkehr der Druiden

4. Die Entstehung des Bardenstandes

Barden, Vates und Druiden

5. Glaubenswirren

Ein lebendig begrabener Christ

Bardisches Christentum

Buch von Taliesin 9

6. Die Filid von Irland

Die Fibel der Gelehrten

Übung: Das Einzigartige

Poeten und Philosophen

Das Erbe von Babel

Der Weg des Poeten

Unter einem goldenen Zweig

Keltische Harfen

Aus einer dunklen Zelle

Das Land der Lebenden

Übung: Reise in die Anderswelten

7. Die drei Strahlen des Awen

Bardische Raserei

Canu y Cwrwf

Mydwyf Merweryd

Der Geist der Prophezeiung

Der wilde Mann aus den Bergen

Der Atem des Awen

Die Suche nach der Muse

Hanes Taliesin

Kadeir Kerrituen

Golychaf-I Gulwyd

Die Cailleach

Übung: Das Uralte

Die drei Inspirationen Ogyrvens

Das Dreiblatt-Symbol

Die Gottheit der Poeten

Ritual: Brides Bett

Die persönliche Muse

Angar Kyfundawt

8. Taliesin Penbeirdd

Wer war der historische Taliesin?

Die Geschichte von Taliesin

Ärger mit Maelgwn

Der Bardenstuhl

Ritual: Das Küken auf dem Stuhl

Buarth Beird

Eine Sturzflut an Fragen

Kanu y Gwynt

Prif Gyuarch Geluyd

Übung: Rätselmagie

Eine Frage der Identität

9. Zauberei

Das Feuer der Motivation

Die Gaben der Nessel

Das Verfluchungsritual

Leuchtende Segen

Aduwyneu Taliessin

Lorica

Zauberspruch für langes Leben

Strophe aus „Des Rotwilds Schrei"

Grüße für Sonne und Mond

Heilzauber

Zweiter Merseburger Zauberspruch

Gesten

Nachtängste, der böse Blick und Vernichtungszauber

Magische Schlachten

10. Geschichten der Verwandlung

Ein Netz von Romanzen

Dümmling

Mündliche Überlieferung

Der einstige und zukünftige König

Übung: Der zeitliche Rahmen

Übung: Der kulturelle Rahmen

Die Realität formen

Übung: Deine Geschichte

Rituelles Geschichtenerzählen

Der Zauber der Erzählung

Therapeutisches Geschichtenerzählen

Therapeutische Funktionen

Kunstvolle Unbestimmtheit

Werkzeuge zum Halluzinieren

Geschichten und Selbsthypnose

Geschichten als Geister

Andere verzaubern

Ritual: Ein Waldspaziergang

11. Die geheimen Künste

Frith

Imbas Forosna

Dichetal di Chennaib

Teinm Laeda

Cetnad

Toghairm

12. Der ewig hungrige Kessel

Die Kessel der Filid

Der Kessel der Unterwelt

Arthurs Queste

Preiddeu Annwn

Neun britische Anderswelten

Die Bücher der Fferyllt

Aeneis

Vergil, der Magier

Ein Ritus der Wiedergeburt

Mehrphasenbegräbnisse

Zerstückelungsriten

Sibirische Initiationen

Die Chödpa-Trance

Ritual: Der Kesselritus

Kessel der Kreativität

Die Nebelhecke

13. Bäume der Ewigkeit

Die Schlacht der Bäume

Kat Godeu

Ogham-Bäume

B-Gruppe

H-Gruppe

M-Gruppe

A-Gruppe

Doppelvokal-Gruppe

Die Ursprünge des Ogham

Baum-Magie

Ein Baumführer

Eine Handvoll Wälder

Die Matrix Nemetonas

14. Coda: Das Bett Taliesins

Anhang

Zeittaffel

Sprachen und Quellen

Index

Bibliographie

Anmerkung

Verwendete Abkürzungen im Buch

BvT = Buch von Taliessin

RBvH = Rotes Buch von Hergest

SBvC = Schwarzes Buch von Carmarthen

BvA = Buch von Aneirin

Hinweis: Für alle, die damit nicht vertraut sind: Der Stern (*) am Anfang eines Wortes bedeutet, dass es sich um ein rekonstruiertes Wort handelt.

Wildschwein Knoten

Vorwort zur deutschen Ausgabe

ie Übersetzung dieses Buches wurde von Rasputinka gemacht. Vor einigen Jahren überraschte sie meinen Freund Volkert mit der Nachricht, sie hätte aus purer Begeisterung eine komplette Übersetzung verfasst. Was eine gute Meditation ist. Denn das, was man sorgsam übersetzt, liest man auch wirklich ganz genau. Du liest, was da ist und bemerkst, was fehlt. Und beobachtest Dich selbst bei der Wahrnehmung. Und verstehst viel intensiver, als wenn du schnell und schlampig drüberfliegst. Denn manche Texte sollten gut bedacht werden. Und als der Verlag Edition Roter Drache die deutschen Rechte erwarb, stand diese Übersetzung erfreulicherweise schon zur Verfügung. Ich habe dann den Prosatext neu bearbeitet und um einige Kapitel erweitert.

Um bei den Gedichten eine größtmögliche Genauigkeit zu erzielen, habe ich die Übersetzung aller Lieder und Gedichte selbst verfasst. Ich habe mich, was die Four Ancient Books of Wales angeht, zunächst an die von William Skene editierte Version gehalten. Diese vier Manuskripte gehören zum wichtigsten Material über die mittelalterlichen britischen Barden und ihr erstaunliches Weltbild. Eigentlich kommen die Lieder nur teilweise aus Wales, viele von ihnen stammen aus dem heutigen Nordengland und den Gebieten um das südliche Schottland, wo das ursprüngliche Königreich Rheged vermutet wird. Hier sang der erste (bekannte) Taliesin für Urien, hier kämpften die Briten gegen Pikten und Gälen. Und von hier wurden sie ins schöne, aber arme und gebirgige Wales verdrängt, wo ihre Lieder dank viel Glück aufgezeichnet und bewahrt blieben. Die Four Ancient Books und das Mabinogion (mittlerweile auch teilweise in deutscher Sprache erhältlich) sind unsere wichtigsten Quellen zum britischen Keltentum nach der römischen Besetzung.

Da Du ja gerne schwierige Sachen liest, möchte ich zunächst erklären, was es mit dieser Übersetzung auf sich hat. Im deutschen Sprachraum sind die Lieder und Texte der inselkeltischen Barden vernachlässigt worden. In England wurden vor mehr als 150 Jahren die Geschichten aus dem Roten Buch von Hergest (verfasst um ca. 1300) veröffentlicht. Lady Charlotte Guest besorgte die Übersetzung und brachte elf Legenden unter dem Titel Mabinogion heraus. Genau genommen werden nur die ersten vier dieser Geschichten als Mabinogi bezeichnet. Wie auch immer, sie landete mit ihrer Publikation einen Bestseller, der auf die Romantiker des ‘Celtic Twilights’ enormen Einfluss hatte. Bei uns sind erst vor wenigen Jahren die ersten vier Geschichten des Mabinogions in deutscher Sprache erscheinen. Zum Glück in einer qualitativ hochwertigen Übersetzung von Bernhard Maier, die ich jedem Leser dringend empfehlen möchte.

Die Lieder der britischen Barden sind in den letzten Jahrhunderten etliche Male von der kymrischen in die englische Sprache übertragen worden. Dabei stand bedauerlicherweise meist die persönliche Vorliebe der Übersetzer im Vordergrund. Die Kooperation von Owen Pughe, Owen Jones und Edward Williams (1801) litt unter stark romantischen und nationalistischen Interessen. Edward Williams, besser bekannt als Iolo Morgannwg, war vor allem an der Etablierung seines neo-druidischen Ordens interessiert. Iolo sammelte zahlreiche alte Manuskripte und übersetzte wie, es ihm passte. Was er nicht in den Quellen finden konnte, fälschte oder erfand er. Wobei er reichlich Opiumtinktur konsumierte und erstaunliche Kreativität bewies. Das Ergebnis war eine uralte neuerfundene bardisch-druidische Tradition, die sich ungebrochen von der Megalithzeit bis ins 18. Jahrhundert fortsetzte. Und noch heute in Stonehenge zelebriert wird.

Edward Davies Mythology of the British Druids, 1809, und Algernon Herberts Werke Britannia after the Romans (1836) und The Neo-Druidic Heresy (1838) waren einflussreiche Werke, die mit Hilfe heftigster Übersetzungsfehler eine heidnisch-druidische Tradition in der britischen Bardenpoesie nachwiesen. Auf diese Autoren geht auch die Theorie zurück, die Druiden hätten das britischen Christentum geprägt. Was dann zu den bekannten Konflikten zwischen der ‘keltischen’ und der römischen Kirche geführt hätte. Sie waren der Ansicht, die Druiden, welche in den Handschriften flüchtig erwähnt werden, wären direkte Nachfolger jenen Druiden, die zur römischen Besatzungszeit in Gallien die herrschende Klasse ausmachten. Dabei ignorierten sie, dass die gallischen Druiden nicht mit den britischen und irischen Druiden identisch waren, und dass das Wort ‘Druide’ in vielen mittelalterlichen Texten einfach ‘Zauberer’, ‘Hexer’ oder ‘Wahrsager’ bedeutet. Was nicht ganz das selbe ist wie ein Angehöriger einer vorchristlichen Priester-, Gelehrten- und Juristenklasse. Vor allem wollten sie beweisen, dass auch die britischen Barden einen Korpus an uralten heiligen Überlieferungen hinterlassen hätten, der dem schottischen Ossian gleichwertig wäre. Nun, Ossian war damals europaweit ein Bestseller (sogar Goethe und Napoleon waren davon begeistert). Heute ist das Werk als eine typisch romantische Fälschung in Vergessenheit geraten.

Auf die ‘druidische’ Begeisterung folgte dann eine starke Ernüchterung. Verschiedene Forscher gingen daran, die (möglicherweise) heidnisch-keltischen Elemente aus den Texten zu tilgen, und bewiesen schlüssig, dass der Großteil der britischen Gedichte auf die mittelalterlichen Gogynfeirdd Barden zurückging, von denen einige ihre Lieder mit älteren Bruchstücken schmückten. Und wieder wurde hoffnungslos übertrieben. Wo die Vorgängergeneration die Lieder, wenn möglich, ins vorchristliche Heidentum verlegte, datierte Thomas Stephens The Literature of the Kymry (1849) und D. W. Nash The Bards and Druids of Britain (1858) das Material, wann immer möglich, zwischen dem elften und vierzehnten Jahrhundert. Leider lieferten auch sie Übersetzungen, die bestenfalls als einseitig gelten dürfen. Heidnisches Gedankengut oder Hinweise auf die ältere Geschichte wurden prinzipiell nicht für möglich gehalten oder gleich umgedeutet. Nashs Übersetzung erfreut sich, dank ihrer Verwendung durch Robert Graves in seinem Bestseller Die weiße Göttin (1948), immer noch größter Beliebtheit. Diese Version der bardischen Gesänge dürfte zur Zeit im deutschen Sprachbereich am bekanntesten sein. Sie hatte großen Einfluss auf die Matriarchatsforschung und auf die Glaubenswelt des modernen Wicca. Zahllose begeisterte Heiden hielten Graves’ extrem schlampig recherchiertes Werk für eine glaubwürdige Geschichtsstudie. Wobei man Nash nicht vorwerfen kann, was Graves aus seinen Übersetzungen gemacht hat. Denn wo Nash bemüht war, die bardischen Lieder zu entmystifizieren, hat Graves ganz einfach seine persönlichen und reichlich durchgeknallten Visionen der griechischen und vorderasiatischen Mythologie in sie hineininterpretiert. Die Mischung verkauft sich immer noch.

Womit wir zu Skenes The Four Ancient Books of Wales (1868) kommen. Die von ihm editierten Gedichte wurden von namhaften Philologen erstellt. Reverend Silas Evans aus Llanymawddy übersetzte das Schwarze Buch von Carmarthen, das Buch von Aneurin und das rote Buch von Hergest. Reverend Robert Williams aus Rhydycroesau übernahm das wesentlich schwierigere Buch von Taliesin. Ihre Arbeiten wurden mit einer neuen Abschrift der Originaldokumente von Skene bearbeitet und veröffentlicht. Das Ergebnis war die erste wissenschaftliche Übersetzung des bardischen Liedergutes. Für ihre Zeit eine einzigartige Leistung. Ich habe bei der deutschen Übersetzung der Lieder die Skene Version als Grundlage genommen. Aber auch diese weist zahlreiche Schwachpunkte auf. Die Sprachforschung hat mittlerweile viele Fortschritte gemacht. Und auch das Englisch von 1868 ist reichlich altmodisch. Dennoch haben sich bis heute nur wenige Philologen bemüht, eine so umfassende Übersetzung der kymrischen Poesie zu wagen. Es gibt neuere, verlässliche Übersetzungen von Teilen vom Schwarzen Buch von Carmarthen, vom Roten Buch von Hergest, vom Aneirin und von einer Reihe von Taliesin Liedern. 2007 sind endlich die späteren, mystischen Taliesin Lieder von Marged Haycock auf hohem wissenschaftlichen Niveau neu übersetzt worden. Es sagt einiges über die Schwierigkeit des Materials, dass sich hier über hundertdreißig Jahre lang die Skene Übersetzung behauptet hat. In Haycocks Übersetzung werden 26 der schwierigsten Taliesin Lieder auf über 550 Seiten Wort für Wort und Zeile für Zeile genau übertragen, diskutiert und in vielen alternativen Lesungsarten vorgestellt. Das Ergebnis ist einfach begeisternd. In meiner Bearbeitung der mystischen Taliesin Gedichte habe ich häufig ihre Studie konsultiert. Ich möchte hier Marged Haycock für die freundliche Genehmigung danken, ihre Arbeit zu verwenden. Und ich möchte allen begeisterten Keltophilen von ganzem Herzen empfehlen, sich ihr Buch sofort zu bestellen. Legendary Poems from the Book of Taliesin ist direkt bei CMCS Publications, Department of Welsh, Aberystwyth University, Ceredigion, SY23 2AX, Wales, GB erhältlich. Wer wissen will, wie schön, spannend und kompliziert mittelalterliche Manuskripte sein können, ist hier bestens aufgehoben.

Nur um einmal einen kleinen Einblick in dieses verwirrende Thema zu geben, hier ein paar Anmerkungen. Das Buch von Taliesin ist nur in einem einzigen, unvollständigen Manuskript erhalten, und die beiden Lieder daraus, die auch in anderen Dokumenten erscheinen, zeigen Unterschiede in der Länge und Rechtschreibung. Garnicht zu reden von der chaotischen Interpunktion. Wir wissen also mangels Vergleichswerten nicht, wie verlässlich unserer vorliegendes Dokument ist. Das mittelalterliche Kymrisch war keine genormte Sprache, sondern stand am Anfang einer weltlichen Schriftkultur. Die Rechtschreibung hatte keine Norm, sondern richtete sich nach dem örtlichen Dialekt. Dazu kommt, dass das Alter der Lieder stark variiert. Die ältesten Taliesin-Lieder stammen aus dem sechsten Jahrhundert, die neuesten aus dem dreizehnten. Niedergeschrieben wurde das uns erhaltene Manuskript etwa im späten dreizehnten Jahrhundert. Leider verstand der Schreiber nicht alles, was er da so sorgfältig kopierte. Schon die Barden der Gogynfeirdd Zeit (11.-13. Jahrhundert) kannten nicht mehr alle Worte der älteren Sprache, denn diese hatte sich in den vorherigen Jahrhunderten mehrmals stark verändert. Sie verwendeten gelegentlich älteres Material, das sie bei Bedarf erweiterten und umschrieben, um Versmaß und Reime zu erhalten, aber dabei schlichen sich Missverständnisse und Unklarheiten in den Text ein. Sie waren auch ausgesprochen kreativ und erfanden manchmal kurzerhand neue Geschichten zu alten Themen. Aber nicht genug damit. Die vorliegenden Lieder enthalten häufig unverständliche Worte. Viele davon dürften Rechtschreibfehler sein. Aber wenn wir raten müssen, von welchen anderen Worten, haben wir schnell für einen einzigen Begriff eine ganze Reihe möglicher Lesungsarten, die weit voneinander abweichen.

Es gibt also, besonders bei Taliesin, keine sichere Übersetzung. Wir müssen oft Möglichkeiten abwägen. Oder den Kontext betrachten, das Versmaß oder den Endreim rekonstruieren oder vergleichbare Redewendungen der bekannteren mittelalterlichen Literatur zu Rate ziehen. Ich habe also bei meinen Übersetzungen alternative Lesungsarten in Klammern aufgeführt. Das sieht nicht besonders schön aus, ist aber ehrlicher als jede Übersetzung, die glatt und locker über die zahlreichen Möglichkeiten hinwegtäuscht. Wobei ich nun wirklich nicht entscheiden will, welche Interpretation stimmt. Es gibt immer noch andere Interpretationsmöglichkeiten. Manchmal können wir uns nicht einmal sicher sein, wo ein Satz anfängt oder aufhört. In ganz besonders schlimmen Fällen, wenn eine Zeile völlig unsicher ist, habe ich sie mit einem (?) gekennzeichnet.

Für einen tieferen Einblick kann ich nur empfehlen, William Skene im Vergleich mit Marged Haycocks Übersetzung Wort für Wort durchzugehen, und dabei, wenn möglich, weitere Quellen zu konsultieren. Genau so ist meine Übersetzung entstanden. Bei den Liedern aus dem Roten Buch von Hergest waren dies vor allem Übersetzungen von Kenneth Jackson (1935), bei Texten aus dem Schwarzen Buch von Carmarthen Meirion Pennar (1989) und beim Buch von Taliesin John Coe & Simon Young (1995), Ifor Williams (1968) Meirion Pennar (1988) sowie Squire (1975) und Tolstoy (1985). Nash (1858) wurde, in Bezug zum Buch von Taliesin, nur sehr vorsichtig mit beachtet. Beim Hanes Taliesin wurde die vereinfachte Lady Guest Version mit den Übersetzungen von Nash verglichen.

Ich bin sicher, dass meine Übersetzung viele Fehler enthält. Aber die sind unvermeidbar. Denn jede Taliesin Übersetzung ist in erster Linie die Interpretation eines reichlich schwierigen und fehlerhaften Manuskripts. Die Sprachforscher werden noch in Jahrhunderten damit ihren Spaß haben.

Taliesin hat es uns nicht leicht gemacht.

Die britischen Barden sind berühmt für ihre ‘dunkle Sprache’. Genau wie die Kelten der Vorzeit liebten sie Andeutungen, Symbole und Rätsel, verwendeten obskure Metaphern und waren einfach gerne schwierig. Manche ihrer Lieder, wie Lobpreisungen und Sterbegedichte, wurden feierlich und gemessen vorgetragen. Andere wurden in Trancezuständen in voller Raserei und im Telegrammstil improvisiert. Viele Taliesinverse haben ein sehr kurzem Versmaß; manche bevorzugen fünf Silben pro Strophe. Wobei manchmal ein Dutzend oder mehr Zeilen den selben Endreim haben. Bei so kurzen Versen kommt es zu grammatikalischen Problemen. Oft beschränkten sich die Barden auf knappe Andeutungen. Von denen wir viele nicht verstehen. Und die Taliesins waren berühmt dafür, ständig von Thema zu Thema zu hüpfen. Wir wissen nicht einmal, ob sie überhaupt verstanden werden wollten.

Einige der späteren Taliesin Lieder sind so verworren, dass sich die Frage stellt, ob sie aus Bruchstücken zusammengesetzt sind. Wenn in einem Lied aus dem dreizehnten Jahrhundert plötzlich über die Gwyddyl Ffichti (gälischen Pikten) geschimpft wird, ist dies ein guter Hinweis auf ein hohes Alter der Passage. Denn die Pikten waren schon 850 von Kenneth MacAlpin erobert und in die schottischen Völker assimiliert worden. Dummerweise sagt uns dies nichts über das Alter des restlichen Gedichtes. Von den höheren Barden wurden auch prophetische Gesänge erwartet. Gerade wenn es um Wahrsagungen und geschichtliche Referenzen geht, scheint immer wieder an den Liedern herumgebastelt worden zu sein.

Wenn dies Dein erster Ausflug in die verwirrende Welt der bardischen Gesänge ist, mach Dich auf einiges gefasst. Es gibt viel zu staunen, lernen, lachen. Diese Lieder sind nicht einfach zu verstehen. Dafür bleiben sie auch lange interessant. Du kannst immer wieder etwas Neues darin entdecken.

Was Du jetzt vor Dir hast, ist weder geschönt noch exakt. Es ist einfach das Beste, was ich mit meinen begrenzten Mitteln und Kenntnissen machen konnte.

Für Dich sind die Lieder und Gedichte eine Herausforderung. Mehr noch, sie bieten Dir die Chance, viele Jahre lang über Rätsel zu staunen, die vermutlich nie mit Sicherheit gelöst werden. Ein gutes Rätsel kann Dich Dein Leben lang begleiten. Es bleibt immer alt und immer jung und macht immer wieder neuen Sinn. Genau den Sinn, den du jetzt für Dein Leben brauchst. Und wenn Du gerne Gedichte schreibst oder vielleicht eines Tages Taliesin vertonen willst, kannst Du sie ja immer noch umschreiben, verbessern und für Dich neu interpretieren. Das haben die Barden schon immer gemacht. Die dunkle Göttin der Inspiration begleitet Dich. Hier ist Deine Chance!

Nemetona, Göttin der Heiligen Haine

0. Einführung:

Willkommen im Nemeton

it folgenden drei Wörtern aus der gallischen Sprache möchte ich Dich bekannt machen: Brixtia, *Nerto und *Nemetos.

Brixtia oder Brictia bedeutet Magie. Eine spätere Version davon finden wir in dem altirischen „bricht", Zauberformel, Zauberspruch oder Zauber. Brixtia kann sich auf eine große Anzahl verschiedener Aktivitäten beziehen. Viele haben mit Sprache, Klängen und Poesie zu tun. Bei den Kelten finden wir Zauber, Anrufungen, Gebete, beissende Satiren, Flüche und sich bewahrheitende Prophezeiungen. Die Leute liebten Segenssprüche, Schutzformeln, Rätsel und das Erzählen von Geschichten. Crowley definierte Magie als „die Kunst und Wissenschaft, Veränderungen in Übereinstimmung mit dem Willen herbeizuführen. Zu diesem Zweck muss der Wille konzentriert und auf irgendeine Art und Weise ausgedrückt werden. Wir müssen zu Bildern und Symbolen greifen, wenn wir unseren Willen kommunizieren möchten. Der Magier teilt seinen Willen mit, und diesen kann man auf viele unterschiedliche Arten ausdrücken. Die keltischen Magier und Zauberer verwendeten meistens Worte für Brixtia, aber wenn wir genauer hinschauen, gibt es da einiges zu entdecken. Ein Wort ist ein Stimulans für die Imagination, und Imagination, insbesondere, wenn sie geschult und inspiriert ist, ist die wichtigste Quelle aller Magie. Da gibt es beispielsweise die Sprache der Gestik. Tänzer (gelegentlich unbekleidet) und Ritualteilnehmer tauchen in der vorrömischen, keltischen Kunst auf, und maskierte oder halbmenschliche Gestalten, oft mit tierischen Attributen versehen, sind häufig auf keltischen Münzen abgebildet. Lieder und Musik spielten eine Rolle im Ritual, in Kulten und Zeremonien; stell´ Dir Rasseln vor, scheppernde Metallteile, Panflöten, Bronzetrompeten und einfache Harfen. Sakrale Architektur ist eine weitere Sprache. Die Symbolik von Kultplätzen in freier Natur und, noch stärker, die Bildersprache und Symbolik, die ein nicht weg zu denkender Bestandteil von Tempelanlagen, Hügeln, Gräben, Pfeilern, Opfergruben, Brunnen, Prozessionsstraßen und Viereckschanzen ist. Dann gibt es da noch die Sprache des Opfers und der Opfergaben. Die prähistorischen Kelten gingen sehr systematisch damit um, was sie wie opferten. Das gleiche gilt für Begräbnisriten, die dem Verstorbenen sicheres Geleit in die Anderswelt geben und die Gemeinschaft vor der Wiederkehr der „gefährlichen Toten schützen sollten. Und es gibt die Sprache der symbolischen Handlungen. Einen Talisman segnen, das Abbild eines Feindes erdolchen, eine Botschaft an die Götter der Unterwelt vergraben, eine Pflanze unter Beachtung besonderer Riten ernten, eine Prozession über die Felder unternehmen… all das sind die Wörter einer Sprache.

*Nerto bedeutet Macht und Stärke. Das Wort hängt zusammen mit *narito, magisch gestärkt, und geht zurück auf das indo-europäische *ner, was soviel wie kreative Kraft oder magische Energie bedeutet. Nerto ist die Kraft, Energie oder Macht, die dafür sorgt, dass ein Ritual funktioniert. Diese Kraft macht sich auf vielen Ebenen bemerkbar. Auf der physischen Ebene äussert sie sich als Lebensenergie, Vitalität und Freude. Sie erfüllt und belebt besondere Orte, die entweder natürlich entstanden sind oder von Menschen geschaffen wurden und zu Ritualen einladen, wie beispielsweise die Felsen und Anhöhen, die die Kelten der Hallstattzeit für Opfer unter freiem Himmel bevorzugten, oder die Löcher, Gruben, Brunnen und Opferschächte, die in der La Tène-Zeit bevorzugt wurden. Heilige Orte, Tempelbauten, Bilder, Symbole und so weiter haben den Zweck, Nerto zu verstärken. Das gleiche gilt für Kostüme, Masken, rituelle Werkzeuge und sakrale Objekte. Nerto erfüllt Brixtia mit Leben, Nerto nährt die Götter, Nerto verbindet uns mit allen Lebewesen. Wenn man mit den Göttern kommuniziert, sorgt eine gewisse Menge an Nerto dafür, dass der Kontakt klar bleibt und die Visionen fliessen. In alten Zeiten wurde das durch das Opfern von Tieren, Lebensmitteln, Getränken, Wertsachen und gelegentlich Menschen erreicht. Opfer wecken Emotionen, und Emotionen sind es, die Götter und Geister benötigten, um sich zu manifestieren. Heute haben sich andere Verfahren als zweckmäßiger herausgestellt. In Ritualen kann Nerto durch leidenschaftliches Tanzen, wilde Musik, lange Gebete, Sprechgesang, rhythmisches Atmen, Schütteln und Schwanken, Erschöpfung, intensive Lust und jede beliebige andere Aktivität, die starke Emotionen, ein luzides Bewusstsein, Freude, Entzücken und Ekstase bewirkt, erreicht werden. Diese Kräfte werden durch den Einsatz der Vorstellungskraft kanalisiert und mit dem Glauben fokussiert. Nerto kann auch durch den Einsatz weniger angenehmer Gefühle aufgebracht werden, wie zum Beispiel Furcht, Schrecken und Ekel, oder auch durch Hunger, Verlangen und Entbehrungen. Beachte, dass unterschiedliche Formen der Beschwörung unterschiedliche Arten von Nerto produzieren. Im Ritual und in der Magie ist es wichtig, dass die emotionale Energie dem Wesen des Geistes, der Kraft oder der Gottheit entspricht, die gerufen wird. Wenn man eine Liebesgottheit anruft, ist dazu ein völlig anderer Bewusstseinszustand erforderlich als der zur Anrufung von Kriegsgöttern. Führt man das Ritual allein durch, braucht man dazu Vorstellungskraft, Identifikationsvermögen und Schauspieltalent. In einer Gemeinschaft können Masken, Kostüme und symbolische Handlungen nützlich sein, wenn man Emotionen stimulieren will.

Wenn Nerto und Brixtia kombiniert werden, führt das zu einem starken Ritual, das der Anderswelt eine Botschaft übermittelt. Wer empfängt diese Botschaft? Wer vollzieht den Wandel? Wer antwortet auf den Ruf und sorgt dafür, dass der Zauber sich verwirklicht?

*Nemetos bedeutet heilig und bezieht sich auf jede Erfahrung oder jedes Bewusstsein vom Göttlichen.

Nantosuelta

Bevor wir das Heilige weiter erforschen, möchtest Du vielleicht kurz überlegen, was Dir heilig ist. Woran erkennst Du das Heilige, das Geweihte, das Transzendentale? Wann spürst Du die Eigenschaften des Göttlichen? Wann hast Du zuletzt eine spirituelle Erfahrung gemacht? Hatte es mit einer Gottheit, einem Ort, einer bestimmten Umgebung, einem Zeitpunkt oder einer Jahreszeit zu tun, waren andere Personen oder Lebewesen daran beteiligt? Gibt es Orte, Jahreszeiten, Tage oder Zeitpunkte, die Dir heilig sind? Soweit wir wissen, manifestierte sich für die Kelten die Eigenschaft des Heiligen in heiligen Hainen, oder zumindest überlieferten es die römischen Autoren so. Abgesehen von dem Dichter Lukan, dem wir noch später begegnen werden, machten sie sich nicht die Mühe, festzuhalten, wie ein derartiger Hain aussah und wie man ihn von der restlichen Landschaft unterscheiden kann. Auch die Archäologie hat da nur wenige Einsichten zu bieten, weil Haine kaum Spuren hinterlassen, es sei denn, es befand sich ein kleiner Schrein oder ein Gebäude darin, oder eine Barriere, die den heiligen Raum von der Alltagswelt abgrenzte. Das war gelegentlich der Fall, insbesondere im Gallien der mittleren und späten La Tène-Zeit. Die Anbetungsformen in früheren Zeiten sind schwieriger zu erforschen. Die eigentliche Frage ist aber nicht, wie keltische Haine nun wirklich aussahen. Viel interessanter ist es, herauszufinden, wie sie für Dich aussehen.

Wie würdest Du Dir einen heiligen Hain vorstellen? Träum mal ein bisschen. Setz Dich hin, atme ein paar Mal tief durch, komm zur Ruhe, entspann Dich, schließ die Augen und stell Dir vor, wie Dein Hain aussehen müsste. Befände sich der Ort im Gebirge, in den Hügeln, im Tal oder in der Ebene? Gibt es Wasser in der Nähe – eine Quelle, einen Fluss, See oder Sumpf? Wie sieht es innerhalb des Hains aus? Gibt es Steine, Felsbrocken oder eine Höhle? Uralte Bäume, wucherndes Gebüsch, Dickicht, überdachte Räume, offene Orte? Ist der Hain in irgendeiner Weise kultiviert? Kannst Du Trophäen, Opfergaben, Statuen aus Holz oder Stein sehen? Gibt es Pfade? Was ist mit heiligen Pflanzen oder Tieren?

Wenn Du Dir Dein Nemeton vorstellst, kannst Du allerhand entdecken. Nemeton ist ein gallisches Wort, das von *nemetos, „heilig herstammt. Für die zahlreichen keltischen Stämme konnte Nemeton eine Reihe verschiedenster Dinge bedeuten. Manche waren heilige Haine, andere Versammlungsorte, komplett mit Sakralbauten und Tempeln und so weiter. Eines im Zentrum der Türkei hiess Drunemeton, was soviel wie „heiliger Eichenhain bedeuten könnte. Aber nicht alle Nemetons waren Eichenhaine. Es gibt Hinweise darauf, dass viele verschiedene Arten von Bäumen von dem einen oder anderen keltischen Stamm in Ehren gehalten wurden. Lukan überliefert uns einen packenden Bericht über einen heiligen Hain in einiger Entfernung von Massilia (Marseilles), den Cäsar abholzen liess, um das Holz bei einer Belagerung zu verwenden. Der Hain, reimte Lukan, war ein düsterer, schattiger Ort, wo beängstigende Stille herrschte und weder Vögel sangen noch Tiere herumstreiften. Hier standen mit Blut beschmierte Stämme und hoben sich schwarz vom Himmel ab. Im gleißenden Mittagslicht, und in finsterster Mitternacht, den beiden gefährlichen Tageszeiten der Antike, streifte die Gottheit des Hains angeblich dort herum, und weder Gläubige noch Priester wagten sich zu dieser Zeit an den Ort.

Keine wilder Windstoß bewegt die tanzenden Blätter,

doch schauderlicher Schrecken erhebt sich in den Zweigen.

Pechschwarze Wasser aus finstren Quellen teilen den Grund,

und strömen, schaumig, und mit dumpfem Klang.

Uralte Statuen von missgestalteter Form stehen hier,

grob gefertigt, von keiner Künstlerhand berührt;

gräulicher Dreck verkrustet jedes hässliche Haupt

und füllt die Seele des Betrachters mit Entsetzen…

Oft, wie die Legende sagt, ist es die Erde selbst,

die aus den hohlen Tiefen schrecklich stöhnt,

die unheilvolle Eibe, noch lang nach ihrem Tod, wurd’ oft gesehen,

wie sie vom Grund erwächst und staubig grüne Triebe spriesen;

Die Bäume lodern, in leuchtenden Flammen, unverbrannt,

gewaltige Schlangen winden sich um ihre Stämme.

Pharsalia, 3, 5 Übersetzung Rowe

Diese düstere Atmosphäre hielt Cäsar nicht davon ab, die Bäume fällen zu lassen. Als er sah, dass viele seiner Soldaten, in Gallien rekrutiert und daher mit heiligen Hainen vertraut, Angst davor hatten, sagte er: „Fällt ihr das Holz, ich nehme alle Schuld auf mich!" und schlug mit einer Axt auf eine starke Eiche ein. Schon bald fällten seine Soldaten Eschen, Stechpalmen, Erlen und Zypressen, sehr zum Missfallen der Einheimischen.

Bäume und Pflanzen konnten heilig sein; so dachten viele Kelten. Das gleiche galt für Tiere. Wieder einmal ist Abstraktion ein Teil des Glaubens. Tier- und Pflanzenarten, wie im Weiteren zu lesen, waren nicht per se heilig. Häufiger konnten sich in einem bestimmten Tier oder einer bestimmten Pflanze die Energien und das Wesen einer Gottheit manifestieren. Wir haben es hier mit Göttern zu tun, die in vielen Gestalten erscheinen. Wer waren die Götter der frühen Kelten? Wir wissen nicht viel über die Religion der Hallstattzeit, aber die späteren La Tène-Kelten hinterliessen uns eine Anzahl von Götterbildern. Das war definitiv eine Weiterentwicklung. Die Kelten der frühen Hallstattzeit waren bemerkenswert schüchtern, wenn es um eine naturgetreue Darstellung von Menschen oder Tieren ging, von Göttern in Menschengestalt ganz zu schweigen. Sie wussten zwar, dass so etwas möglich ist (da sie griechische Töpferwaren und Kunstwerke importierten), versuchten sich aber nur selten selber daran. Diese Tendenz ist angesichts der Tatsache, wie gut die Künstler und Handwerker dieser Zeit waren, so überraschend, dass wir es hier wahrscheinlich mit einem religiösen Tabu zu tun haben. Wenn diese Leute religiöse Riten durchführten, begnügten sie sich oft mit etwas sehr Einfachem, zum Beispiel einer simplen hölzernen Statue oder einem Monolithen mit einem grob eingemeisseltem Gesicht. So grob, dass es primitiv erscheint. Aber was motivierte diese Leute dazu, kunstlose Götterbilder zu erschaffen, wo es ihnen doch leicht möglich war, ein wunderbares Abbild aus Bronze oder kunstvoll behauenen Sandstein zu schaffen? Einige Kelten taten das. Andere, und sie befinden sich in der Mehrzahl, taten es nicht. Erst in der Mitte der La Tène-Zeit bekamen die meisten Götter eine sorgfältig definierte Gestalt. Denn viele Kelten waren gereist, und nachdem sie zunächst über die Einfalt der Griechen, die ihre Götter in Menschengestalt verehrten, gelacht hatten (das geschah, als Delphi geplündert wurde), waren sie früher oder später auf den Geschmack gekommen. Nachdem die Römer Gallien besetzt und die Druiden verboten hatten, ahmten die überlebenden Religionen den mediterranen Brauch nach und begannen, lokale Varianten römischer Prototypen zu produzieren. Das war der Beginn des sogenannten gallo-römischen Stils, und es gab mehr Statuen, Altäre und Inschriften keltischer Götter denn je. All das zeigt, dass sich die Darstellung des Göttlichen wandeln kann. Wenn man an einen Gott denkt, benötigt man ein gewisses Maß an Vorstellungskraft, um eine Verbindung herzustellen. Die Gottheit benötigt eine (oder mehrere) Formen, um zu kommunizieren. Bei einer Religion, die kaum Gebrauch von anthropomorphen Idolen macht oder sie so einfach gestaltet, dass man sie schwerlich für menschliche Wesen halten kann, es sei denn sternhagelvoll in tiefster Nacht, muss man die Götter in anderen Formen darstellen und wahrnehmen. Hier streckt die Natur einladend einen Ast aus und bietet Eintritt ins Wildwald-Bewusstsein. Wenn Du Dich draussen in der freien Natur befindest (geh am Besten allein oder mit verständnisvollen, stillen Freunden), wirst Du feststellen, dass ständig lauter interessante Dinge passieren. Hektik und Geschwätz unterdrücken sie, aber wenn Du Dir Zeit lässt und Dich ihnen öffnest, bekommst Du alles mit. Die Natur kann Dir vieles beibringen und Dich in ihre Geheimnisse einweihen. Das ist der Grund, weshalb die Druiden ihren Unterricht an verborgenen Orten tief im Wald abhielten, und deshalb gingen Barden und Poeten in der Wildnis spazieren. Wenn man die frühkeltischen Götter verstehen will, muss man sie überall suchen. Daraus ergibt sich eine Vorstellung von Göttern, die teilweise abstrakt ist und auf Nichtdefinition aufbaut. In einem anderen Sinn ist Manifestation auf vielfältige Weise möglich. Wenn die Welt eine Sprache wäre, würden sich die Götter als einige Substantive, einige Adjektive und eine Menge Verben ausdrücken. Keltische Götter werden oft von Tieren begleitet. Einige von ihnen haben tierische Wesenszüge, andere sind Tiere. Arduinna, die Göttin der Ardennen, reitet einen Eber. Artio und Andarta sind Bärengöttinnen, Matunus und Artaios Bärengötter. Cernunnos hat die Hörner eines Hirschs und trägt eine gehörnte Schlange in der Hand. Raben und Krähen werden im Allgemeinen mit Göttern des Kriegs und des Todes in Verbindung gebracht. Nantosuelta wird oft von Krähen begleitet, vielleicht ein Hinweis darauf, dass ihr Name, „schlängelnder Fluss sich auf den Pfad der Toten bezieht, die Milchstraße. Ihr Gemahl Sucelus, „der gut zuschlägt, trägt einen Hammer oder Knüppel und ein Gefäss. Er wird von einem Wolf oder Hund begleitet. Verbeia trägt Schlangen, Epona reitet Pferde und Esel, Tarvos Trigaranus ist der Stier mit den drei Kranichen. Cocidius wird von Hirsch und Hund begleitet; ein weiterer Hundegott ist Cunomaglus, der Herr der Hunde. Damona ist eine Rindergöttin, Sirona von den Sternen trägt eine Schlange und drei Eier. Denk an die vielen Tierstatuetten, Fibeln und Ornamente, die in keltischen Gräbern zum Vorschein kamen! Wenn man einen großen, bronzenen Eber in einem Grab findet, kann man sicher sein, dass das Tier wahrscheinlich nicht in seiner Eigenschaft als Eber verehrt wurde, sondern als Symbol göttlicher Wesenskräfte und Energien. Wenn ein Gott wie ein Tier aussehen kann, dann kann ein Tier, wenn man ihm in der Wildnis begegnet, eine Erscheinungsform eines göttlichen Wesens sein. Glaubten die Kelten an heilige Tiere? Wir haben das Glück, ein bisschen über die Ernährungsgewohnheiten der Kelten zu wissen, dank archäologischer Analysen von Knochen und Nahrungsresten. Nach allem, was wir wissen, machten sie Jagd auf alles. Keine Spezies als solche wurde verschont (wohl aber einzelne Individuen, wie spätere irische Mythen andeuten), und so müssen wir überlegen, ob irgendein Tier als heilig gelten konnte oder ob es nur bestimmte Tiere waren, die unter besonderen Umständen göttliche Qualitäten annahmen. Also solche, die man in Trancen, Visionen oder Träumen sah, denen man unter rituellen Umständen begegnete, und so weiter. Das gleiche mag auf Pflanzen und Bäume zutreffen. Die Eiche war zwar sicherlich ein heiliger Baum für manche Kelten, aber das hielt sie nicht davon ab, große Mengen davon zu fällen, um ihre Ringwälle zu befestigen.

Was ist Dir heilig? Ist es eine bestimmte Tierart, oder sind es vom Göttlichen erfüllte Tiere, die in diese Kategorie fallen? Wenn einige Bäume heilig sind – gilt das für alle Exemplare der Spezies, oder ist es eine besondere Qualität eines besonderen Exemplars?

Was, wenn wir die Vorstellung von heiligen DINGEN hinter uns lassen und uns mit dem Heiligen als solchem befassen, dass sich dem offenen Geist erschliesst? Nemetos. Ein Bewusstsein für das Heilige - eine erwachte Seele, die sich an den Wundern der Welt erfreut. Etwas, was Du im Geist tust, um zu erfahren, dass die Welt voller Wunder ist - in Dir und überall um Dich herum. Eine Handlung, die Deinen Geist so stark beeinflusst, dass es ihn erschüttert und er sich ausdehnt, erhebt und sich neu erschafft. Das Heilige ist oft sehr neu, genau wie jedes Ritual nicht die Wiederholung eines früheren Ereignisses, sondern das ursprüngliche Ereignis selber ist. Nemetos bedeutet, dass Du das spürst, in jedem Ritual, in jeder Erfahrung, bei jeder Gelegenheit, die sich Dir bietet, wahrzunehmen, aufzuwachen und zu Dir selbst zu kommen. Was bringt Dich über Dich selbst hinaus? Wieviel brauchst Du, um zu erkennen? Diese Qualität des Bewusstseins ist eins der verborgenen Elemente der keltischen Religion. Woran erkennst Du, dass ein bestimmter Baum heilig ist? Woher weißt Du, ob ein Ereignis ein Omen oder einfach ein Zufall ist? Wann ist der Flug der Vögel, die Form einer Wolke oder die Art, wie eine Spinne ihr Netz webt, von Bedeutung? Die Antwort liegt natürlich bei Dir. Du erschaffst den Traum Deines Lebens nicht nur in Deinem Geist und gehst dann Deinen Weg, sondern Du stattest ihn auch mit Toren und Passagen aus, die darüber hinaus führen. Wie kannst Du die Freude am Heiligen, die Ganzheit in Deinem Leben kultivieren? So wie die Kelten bestimmte Orte zum Nemeton erklärten, so nannten sie auch eine Göttin Nemetona. Kaum etwas ist über sie bekannt, abgesehen von ein paar Inschriften aus dem besetzten Gallien, Germanien und Britannien. Sie zeigen, dass sie wichtig und weithin bekannt war, genau wie die Nemetons, aber in Bezug auf ihre Ikonographie, Mythologie und ihre Rituale hat nichts überlebt. Wurde die Göttin in einer menschlichen Gestalt verehrt? Oder erschien sie lachend im Krächzen der Krähen, dem Flattern dunkler Schwingen, in der sanften Berührung dunkler Nadelbäume, dem Gurgeln des Baches und den Stössen des Geisterwindes in bebenden, schwankenden Bäumen? Stell Dir Augen vor, die in der klaren Bernsteinfarbe der Vogelbeeren leuchten, die Pupillen winzig, fokussiert, die sich dann öffnen, dunkel und glänzend mit der tödlichen Süße des Nachtschattens; das blicklose Starren eines toten Fischs, der sich langsam in einem Teich dreht, der unbewegte Blick der Viper im morgenfeuchten Heidekraut, dann erleuchtet in funkelndem Sternenlicht, ein Lied, das zu seiner Quelle zurückkehrt. Stell Dir Wurzeln und Borke vor, Ranken und Flechten, Fell und Schuppen, Federn und rohe Erde. Stell Dir Zähne vor, glänzend wie Quarz, wie geschärfter Feuerstein, grausam gebogen wie Brombeerdornen, die packen, halten, zerreissen… Gesichter, mit durchbohrendem Blick, wild, verwegen, lustberauscht, die erscheinen und vergehen, sich aus dem heraus materialisieren, was in der Landschaft gerade zur Hand ist. Und versuch, Dir den Bewusstseinszustand vorzustellen, der dies alles möglich macht. Freude und Leidenschaft dieser Erfahrungen ist in die Zeichnungen in diesem Buch eingeflossen. Viele der fantastischeren Bilder wurden von Evokations- und Besessenheitstrancen mit Nemetona inspiriert, die sich als eine schwer fassbare, aber bezaubernde alte Göttin entpuppte. Vielleicht ist aber auch die Bezeichung „Göttin" irreführend. Nemetona verkörpert das Heilige als solches, die Matrix des Bewusstseins, die es Göttern und Geistern erlaubt, sich zu manifestieren. Es ist nicht leicht, damit umzugehen. Das Heilige kann manchmal erschreckend oder schockierend sein oder sogar an Wahnsinn grenzen – aber wenn Du Dich wirklich in die Welt der keltischen Magie hineinträumen und etwas Neues, Wertvolles aus dem schäumenden Kessel zurückbringen willst, ist es eine Erfahrung, die es wert ist, gemacht zu werden. Nemetona machte den Weg frei für andere Gottheiten. Artio der Berge des Anfangs erschien und öffnete die Tore zum Reich der Tiefe. Cernunnos tanzt im mondhellen, nachtdunklen Wald. Nantosuelta führt die Seelen den langen, strömenden Fluss der Sterne entlang zur Viereckfestung im Zentrum des Himmels. Sucelus braut die Zutaten für den Zauber in seinem Kessel zusammen und schlägt die Erde, damit die Jahreszeiten wechseln. Die Kelten hatten viele Götter, da ihr Konzept des Göttlichen viele Gesichter hatte.

Die keltische Kunst ist einer der Schlüssel zu diesem Buch. Zwar hinterliessen Priester, Druiden und Zauberinnen keine heiligen Texte für spätere Generationen, aber sie produzierten Kunstwerke, die als Traumschlüssel zu ihrem Geheimwissen dienen können. Um zu verstehen, was diese Gegenstände erzählen können, verwende sie als Fokus in einer Trance. Betrachte das Bild, leere Deinen Geist, werde ruhig, erlaube der Stille, Dich zu umgeben, lausche der Leere, während Du schaust und fühlst… wenn Du leer, still und abwesend bist, kommst Du dem geheimen Selbst allen Bewusstseins sehr nahe… und es wird nicht lange dauern, bis Du feststellst, dass die Linien sich bewegen, Farben erscheinen, Dinge sich verschieben, vereinfachen, transformieren… und während Du das spürst, kannst Du Dich an dem Bewusstsein erfreuen, dass die Bilder mit den Tiefen Deines Geistes sprechen, und dass früher oder später – in einem Augenblick, in einem Tag, in einem Monat – diese Begegnung Deinen Geist, Dein Wesen, Deine Realität verwandelt, wie der Mond, der aus den Wolken hervorbricht, wie die Sonne nach einem Gewitter erscheint, wie das donnernde Tosen der neunten Welle. Es handelt sich um eine sanfte, subtile Form der Magie, wie das Weihen eines Sigills. Es funktioniert am Besten, wenn Du es geniesst, Dich entspannst und es fliessen lässt.

Das Abstrakte – erinnerst Du Dich, wie wir mit Abstraktion angefangen haben? – ist mehr als offensichtlich in der keltischen Kunst. Die keltische Kunst ist in der Hauptsache religiös, und sie befasst sich tiefgreifend mit der Wahrnehmung und den Mysterien des Bewusstseins. Viele Kunstwerke können auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert werden; das mag durchaus in der Absicht des Künstlers gelegen haben.

Kultwagen von Strettweg

Steiermark, Österreich. Ha C, 7. Jh. vor unserer Zeit, Bronze.

Höhe der Göttin im Zentrum

22,6

 

cm

. Der Gegenstand scheint eine zeremonielle Prozession nackter männlicher und weiblicher Figuren darzustellen, einige davon bewaffnet, dazu Reiter und Hirsche. Die zentrale Figur ist vermutlich eine Göttin, die eine Schale hochhält, in die ein verzierter Kessel (nicht im Bild) gesetzt wurde. Von oben gesehen ist der Wagen rechteckig, aber die Göttin im Zentrum steht auf einem Rad. Die Kombination von Kessel und Streitwagen entstand in der Bronzezeit und blieb bis weit in die Hallstattzeit hinein ein populäres religiöses Bild.

Sucelus

Man nimmt ein Gesicht wahr, dann eine ganze Figur, dann eine Szenerie, wo vorher nur ein sinnloses Durcheinander von Blasen, Blättern, Blüten und Röhren zu sehen war. Dies ist eine weitere verborgene Eigenschaft keltischer Kunst und Magie: Es gibt mehrere Blickwinkel. Der Gott, der sich in ein Tier verwandelt, erforscht die Welt in verschiedenen Gestalten. Dem Gläubigen, dem klar wird, dass er/sie mit dem Gott identisch ist, verlassen die Beschränkungen der Einzelpersönlichkeit. Der Priester, Schamane oder Zauberer, der von einem Gott oder Tier besessen ist, übernimmt beider Eigenschaften und manifestiert sie zu einem bestimmten Zweck, wie zum Beispiel für ein Heilritual, ein Jahreszeitenritual oder um einen bösen Einfluss zu verbannen. Götter können menschlich sein, und Menschen können Götter sein. Wenn der Gott auch ein Tier ist, hat unser Gestaltwandler Zugriff auf beide Arten von Bewusstsein. Wenn Du Visuelle Magie gelesen (und die Übungen gemacht) hast, ist Dir bewusst, dass von einem Tiergeist besessen zu sein Dein Bewusstsein und Deine Fähigkeiten verändern kann. Das Verändern der Gestalt spielt in keltischen Mythen und keltischer Zauberei eine so wichtige Rolle, dass wir von schamanischen Trancetechniken sprechen können (allerdings nicht notwendigerweise von schamanischen Heilritualen).

Sei es, wie es sei, was anfänglich verwirrend erscheint, wird nach und nach seine Bedeutung enthüllen. Wir folgen einem verschlungenen Pfad durch den Schattenwald, wenn wir nach Visionen des ewig Alten, ewig Jungen, ewig Seienden und niemals Gewesenen suchen. Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber dieses Buch ist randvoll mit höchst verwirrendem Material. Unsere fröhlichen keltischen Künstler und Dichter hatten Spaß daran, Dinge halb enthüllt, halb verborgen zu präsentieren. Eine Konsequenz davon ist, dass man sich das Ganze nicht mal so eben nebenbei aneignen kann. Es gibt aber immer Mittel und Wege, um es leichter zu machen. Um in das keltische Gedankengut einzutauchen, könntest Du Folgendes tun. Fühlst Du Dich gut? Versuchen wir mal etwas Neues. Schließ das Buch. Komm zur Ruhe und entspann Dich. Wenn Du an nichts Bestimmtes denkst, beginnt Dein Hirn, Alphawellen zu produzieren. Es fühlt sich wie Dösen an. Das Gute an Alphawellen ist, dass sie ganz von selber einsetzen, wenn Du die Augen schliesst, an nichts Bestimmtes denkst und das Nichtstun kultivierst. Während Du den Halbschlaf geniesst, kannst Du das Buch gegen Deine Stirn pressen und Deinem Tiefenselbst mit langsamer, klarer Stimme mitteilen, dass Du dieses Buch lesen und alle Informationen auswählen und behalten willst, die wirklich wichtig für Dich sind, damit Du Dich daran erinnern kannst, wann immer Du willst. Verwende einfache Sätze, positive Ausdrücke und wiederhole sie ein paar Mal. Allerdings nicht zu oft, denn wenn Du ein intelligentes Unterbewusstsein hast, verabscheut es vielleicht drängelnde Befehle. Sei nett und freundlich, und Dein Tiefenselbst wird kooperieren. Dann öffne das Buch und blättere es einmal durch. Halte die Augen weit geöffnet, so dass Du beide Seiten mit einem Blick erfassen kannst. Betrachte jede Seite ein oder zwei Sekunden lang, ohne sie zu lesen. Das kann eine Versuchung sein, es kann aber auch Spaß machen. Wie oft veranstaltest Du seltsame Rituale mit neuen Büchern? Blättere das ganze Buch durch. Dann schliess es, und Deine Augen ebenfalls. Drück es nochmals gegen die Stirn, bitte Dein Tiefenselbst erneut, auszuwählen, was nützlich ist, und es für später aufzubewahren, damit Du Dich leicht erinnern kannst. Sag Danke! Und dann tu etwas ganz anderes. Nach einer Pause setzt Du Dich nochmal hin. Blätter das Buch noch einmal durch. Diesmal siehst Du Dir alle Bilder an und liest die Bildunterschriften. Dann bittest Du Dein Tiefenselbst ein weiteres Mal, auszuwählen, was nützlich ist, und es für später aufzubewahren. Mach noch eine Pause. Der dritte Durchlauf ist ganz ähnlich. Sag Deinem Tiefenselbst, was Du vorhast. Dann blätterst Du das Buch durch und liest alle Gedichte. Das ist wahrscheinlich noch viel verwirrender als alles andere vorher, da die besten Poeten und Barden der britannischen Inseln grundsätzlich außer sich, neben sich, um die Ecke, jenseits von diesseits, über die Hügel und weit, weit weg waren, wenn sie komponierten, sangen und prophezeiten. Ihre Lieder stecken nicht nur voller Anspielungen und Abstraktionen, sondern zeigten auch alle Anzeichen wirren, zusammenhanglosen Geplappers, wie es in solchen Trancen häufig vorkommt. Es dauert eine Weile, bis man sich daran gewöhnt hat, daher kannst Du auch gleich damit anfangen. Nachdem Du das Buch in dieser Weise ein paar Mal durchgeblättert hast, legst Du es für ein oder zwei Tage beiseite. Dann nimmst Du es zur Hand und liest es systematisch durch. Du wirst feststellen, dass das frühere unterbewusste Lesen eine Struktur geschaffen hat, ein Netz, das Informationen sortiert und ordnet.

EDV-Spezialisten

kennen den Effekt: Systemüberlastung ist gleich Mustererkennung. Programmierer finden das gefährlich; für Magier, Visionäre, Barden und Poeten ist es eine wunderbare Quelle der Inspiration. Wer verwebt eigentlich den chaotischen Stoff sinnlicher Wahrnehmung zu einem Muster? Was die keltischen Visionäre damals anregend fanden, wissen wir nicht, aber wenn wir ihre Techniken nutzen, können wir ein neues Bewusstsein schaffen, ein Gefühl für das Heilige entwickeln und es jetzt, in unserer Welt zu lebendiger Wahrheit machen.

Bronze-Eber

Höhe

39

 

cm

, ursprünglich auf einer Standarte platziert, Soulac-sur-Mer, Département Gironde, 1 Jh. vor unserer Zeit

Torque-Ende mit mehreren Gesichtern

Bronze. Courtisots, Marne, Frankreich. Spätes 4. Jh. vor unserer Zeit

Zum Schluss möchte ich noch allen danken, die mich beim Schreiben dieses Buches unterstützt haben. Ich hatte das Vergnügen, die hier beschriebenen Themen mit meinen Freunden und Bekannten zu diskutieren. Und dann waren da noch jene Wagemutigen, die sich tatsächlich daran gemacht haben, die keltische Magie praktisch zu erforschen, die Trancen erlebten, in der Wildnis unterwegs waren und ihre eigene Vision von der heidnischen Magie für die Zukunft entwickelten. Von all denen, deren persönlicher Zauber, Inspirationskraft und Originalität dieses Projekt unterstützt haben, möchte ich besonders Anad und Julia danken. Andere, die halfen, lachten und eigene Ideen beisteuerten und denen ich sehr dankbar bin, sind Astrid & Gavin, Mike & Maggie (Nema), Mogg & Kym (Mandrake of Oxford), Kenneth Grant, Paul, Ronald Hutton, Ruth, Sally und ihre Gemeinschaft und Volkert. Für die deutsche Ausgabe möchte ich Holger & Christiane danken, Silvana Eris, weil sie so cool ist und ihren Eltern das Editieren leicht macht, Rasputinka, Marged Haycock für die Verwendung ihrer Forschung. Mein Dank gilt auch den vielen Forschern, Wissenschaftlern, Zauberern, Poeten, Geschichtenerzählern und Künstlern, deren Werke zu diesem Buch beigetragen haben. Danke auch meinen Eltern und allen Ahnengeistern. Ich möchte den Geistern der Wildnis überall danken, den Kelten, die im Taunus lebten, und allen Göttern und Musen, die in den Kessel atmen. Und ich möchte Dir danken – dafür, dass Du die Magie der Vergangenheit nutzt, um etwas Neues, Wertvolles für die Zukunft zu erschaffen. Ipsos

Artio. Der lange Weg weg von Andumnos

1. Das Volk der Hügel

enk Dich in den Wald. Wenn es dunkel wird, verschwinden die düsteren Buchen im nebligen Zwielicht, und Schatten scheinen sich unter ihren Ästen zu sammeln. Von weither ertönt der Ruf der Amsel, der den Anbruch der Nacht ankündigt. Die Vögel hören allmählich auf zu singen, es wird stiller, und schon bald erscheinen die Tiere der Nacht. Zwischen gekrümmten Wurzeln, von Nesseln und Dornenhecken überwuchert, scheint die Erde Wellen zu schlagen. Sanfte Erhebungen werden sichtbar. Es handelt sich um die letzten Überreste von Grabhügeln – Hügeln, die vor 2.500 Jahren noch groß und hoch waren. Viele von ihnen sind unter den ausgreifenden Wurzeln der Buchen und Eichen verschwunden oder wurden von achtlosen Bauern untergepflügt; bei anderen ist die Kuppe eingestürzt. Dort sind Grabräuber durch Schächte in die Zentralkammer vorgedrungen. Die Anwohner meiden diese Hügel. Geschichten über geheimnisvolle Feuer, die man auf den Hügeln brennen sehen kann, gehen um, und in Spuknächten sollen sich dort bewaffnete Krieger von ihrem Ruhelager erheben. Dann werden die Tore zur Tiefe weit aufgestoßen, und arglose Wanderer müssen sich in Acht nehmen, nicht unversehens in die Hallen der Toten und Ungeborenen eingeladen zu werden. Hier feiern und schmausen die Könige der Tiefe, die Zeit vergeht anders, und man kann seltsame Schätze finden. Wer weiß, in welchen Nächten die Tore offen stehen? Wer trägt die Schlüsselblume, die Wunschblume, die wundersame Blüte, die die Tore zu den hohlen Hügeln öffnet?

Die vorrömischen keltischen Kulturen werden üblicherweise in zwei Abschnitte unterteilt. Sie tragen die Namen der Orte, an denen diese Kulturen zuerst erforscht wurden; die Hallstattkultur wurde nach einem österreichischen Dorf benannt, bei dem ein großer Friedhof entdeckt worden war, und die La Tène-Kultur heißt nach einem Ort in der Schweiz. Grob gesprochen konnte eine erste, charakteristisch keltische Kultur während der Hallstattzeit beobachtet werden, die von 750 vor unserer Zeit bis 450 vor unserer Zeit vorherrschte, von wo an dann die La Tène-Zeit beginnt. Wenn Du Bücher über die keltische Kunst liest, wirst Du bald feststellen, dass Hallstatt und La Tène nicht nur Perioden der kulturellen Entwicklung waren. Die Hallstattzeit hat eine eigene Kunstform, und auch die La Tène-Zeit weist eigene, charakteristische Entwicklungen auf. Es geht dabei um mehr als um Kunststile oder Moden. Mitten in der Hallstattzeit fand ein kultureller Umbruch statt, und zur Beginn der La Tène-Zeit ereignete sich ein noch wichtigerer Umsturz. In diesen Zeiten des Übergangs machten gesellschaftliche Organisationsformen, Religion und Bestattungsbräuche große Veränderungen durch. Magie und Religion dieser Zeit zu erforschen ist eine schwierige Aufgabe. Wir könnten es uns leicht machen, das heißt, wir könnten mittelalterliche bardische Poesie und Romantik rückwärts in die finstere Vergangenheit projizieren und vorgeben, so müsse die altkeltische Magie ausgesehen haben. Bücher dieser Art sind reichlich auf dem Markt, daher hoffe ich, dass mir vergeben wird, wenn ich diese Seiten nutze, um mich lieber archäologischen Befunden zu widmen.

Bevor wir uns der Magie zuwenden, könnte es von Nutzen sein, sich zunächst eine Vorstellung vom kulturellen Kontext machen zu können. Da wäre zunächst mal ein kurzer Blick auf die Gesellschaft der Hallstattzeit angebracht. Wissenschaftler unterteilen die Hallstattzeit in zwei Abschnitte. Die frühe Hallstattzeit wird als Ha C bezeichnet, die späte Hallstattzeit, die Zeit der sogenannten „Fürstengräber", Ha D.

Man mag fragen, was aus Hallstatt A und B geworden ist, wenn die Hallstattzeit mit Ha C beginnt. Die Antwort ist einfach. Die Begriffe Ha A und Ha B wurden ursprünglich verwendet, um die frühe und späte Urnenfelderkultur zu bezeichnen, in einer Zeit, in der die Wissenschaftler glaubten, die Hallstattkultur sei direkte Nachfolgerin der Urnenfelderkultur.

Karte der Hallstattkultur

Osten und Westen (schwarz) und der La Tène

-Kultur

(gepunktet) nach der großen keltischen Expansion im 3. und 2. Jh. vor unserer Zeit.

Heute ist diese Vermutung aus der Mode kommen, und die Begriffe Ha A und Ha B ebenfalls. In der Hallstattzeit beobachten wir zum ersten Mal das Hervortreten einer frühen, aber charakteristisch keltischen Kultur. Unsere ersten Hinweise auf Leute, die man als Kelten beschreiben kann, stammen aus der Hallstattzeit. Hekataios von Milet (ca. 560–480 vor unserer Zeit) informiert uns, dass die Kelten hinter Massilia (Marseille) leben, jenseits vom Land der Ligurer. In dieser Zeit hatten griechische Händler eine blühende Kolonie in Marseille gegründet, von wo aus sie die Ortsansässigen mit einer Anzahl mediterraner Luxusgüter wie Wein, Glas, Töpferwaren. und so weiter versorgten. Solche Gegenstände kamen rasch in Mode und waren beim Adel sehr begehrt, was zu beträchtlichen wirtschaftlichen Problemen geführt haben mag. Was die griechischen Händler im Gegenzug dafür bekamen, lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen. Felle, Sklaven, Honig und Bienenwachs mögen wertvolle Exportartikel gewesen sein, aber bisher gibt es keine Beweise, die diese Annahme untermauern.

Sei es, wie es sei, für die Griechen, die hauptsächlich am Küstenhandel interessiert waren, lag das Land der Kelten landeinwärts, zwischen Massilia und dem Land der Ligurer. Da laut Hekataios´ Bericht die Iberer westlich von Massilia lebten, bleibt nur noch das Land nördlich der Provence als Kandidat für frühe Keltensiedlungen übrig. Der nächste Berichterstatter, Appollonius von Rhodos, hielt in seiner Argonautica fest, dass man die Kelten finden kann, wenn man dem Lauf des Rhodanus (der Rhône) flussaufwärts folgt, und eine Anzahl häufig von Stürmen heimgesuchter Seen überquert. Appollonius lebte zwar im 3. Jh. vor unserer Zeit, er griff aber auf Quellen zurück, die bis ins 5 Jh. vor unserer Zeit zurück reichten, was mit der späten Hallstattzeit übereinstimmt. Die in unserer Quelle genannten Seen könnten der Genfer See oder die Schweizer Seen sein, vielleicht sogar der Bodensee.

Unsere dritte und letzte Quelle in Bezug auf die frühen Kelten sind die Historien Herodots (ca. 484–430 vor unserer Zeit), den man auch als „Vater der Geschichtsschreibung bezeichnet, obwohl „Vater des Sensationsjournalismus wahrscheinlich zutreffender gewesen wäre. In den Werken Herodots werden die Kelten zweimal erwähnt. Herodot gibt freimütig zu, dass er ihr Land niemals bereist hat, und so ist einiges an Spekulationen nur zu erwarten. Er beschreibt die Lage des Landes vage als jenseits der Säulen des Herkules liegend (damit ist Gibraltar gemeint, also außerhalb des Mittelmeerraums), im Nordwesten, wo, außer den Kelten, nur eine Fantasierasse namens Kyneter zu überleben weiß. Nähert man sich ihnen über Land, kann man die Kelten am Ursprung der Donau in der Nähe einer Stadt namens Pyrene finden.

Der „Ursprung der Donau" passt hervorragend zu den Hallstattleuten. Was nicht passt, ist die Stadt Pyrene. Es ist möglich, laut den Spekulationen vieler Wissenschaftler, dass Herodot hier auf die Pyrenäen anspielt. Die liegen allerdings von der Donau weit entfernt. Die seefahrenden Händler, von denen Herodot vielleicht einige seiner Kenntnisse hatte, haben möglicherweise behauptet, dass sich die Pyrenäen landeinwärts erstrecken und dann in die Alpen übergehen. Herodot wusste offenbar auch nichts von den Alpen oder den Karpaten. Stattdessen sprach er von zwei Flüssen namens Alpis und Karpis, links und rechts von der Donau, daher sollten wir es mit seinen geographischen Angaben nicht allzu genau nehmen. Vielleicht war er einfach in Bezug auf die Lage der Pyrenäen und der Donau verwirrt. Andererseits ist es möglich, dass es einst eine Stadt namens Pyrene gab, von der wir einfach nichts wissen. Was die Kelten angeht, bezog Herodot sein Wissen aus älteren Quellen, denn zu seiner Zeit war den Griechen der Handel im westlichen Mittelmeer verboten.

Diese drei Quellen sind die ältesten in Bezug auf die keltischen Völker. Wir haben also zwei Elemente. Zum einen ist da jene Kultur, die von den Antiken Autoren lose als ’Keltoi’ bezeichnet wurde. Zum anderen ist da eine (namenlose) Kultur, die Dank der Ausgrabung der Archäologen nördlich der Alpen entdeckt wurde. Nimmt man beide zusammen, erhält man das, was heute als „frühe Kelten bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um eine wissenschaftliche Konstruktion, denn schliesslich haben wir keine Ahnung, wie die Hallstattleute sich selbst nannten. Der Name „Kelten ist zwar bequem, aber auch irreführend. Die frühe Hallstattkultur beschränkte sich auf ein viel kleineres Territorium als die spätere La Tène-Kultur. Siedlungen vom Hallstatttyp finden sich nördlich der Alpen, also in der Schweiz, in Österreich, in Süd- und Mitteldeutschland, in Teilen Frankreichs und im Osten, in Richtung Böhmen, Tschechien, Slowenien und Ungarn.

Die Wissenschaftler unterscheiden zwischen der östlichen und der westlichen Hallstattkultur. In den Hallstattgräbern des Ostens sind überwiegend schwer bewaffnete Männer mit Streitäxten begraben. Man findet sie im Osttteil Österreichs, in Südostdeutschland und noch weiter im Osten. Die westliche Hallstattkultur wird in zwei Phasen unterschieden (Ha C und Ha D). In der ersten Phase liegt die Betonung auf langen Eisenschwertern; in der zweiten Phase kamen Waffen als Grabbeigaben größtenteils aus der Mode. In Bezug auf die Kunst waren die frühen westlichen Hallstattleute bemerkenswert zurückhaltend, wenn es um die naturgetreue Abbildung von Menschen und Tieren ging. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sie zahlreiche Töpfe und Vasen kauften und schätzten, auf denen naturalistische Szenen aus der Mittelmeerwelt dargestellt waren. Aus irgendeinem Grund imitierten sie diese Darstellungen nicht. Man findet abstrakte Darstellungen von Menschen und Tieren in einigen wenigen Gräbern der westlichen Hallstattzeit, sowie eine Anzahl halbmenschlicher Steinfiguren, die die Kuppen von Grabhügeln schmückten. Und dann gibt es da noch eine Anzahl faszinierender kleiner Köpfe von Ungeheuern und anderen Wesen, die Fibeln und Trinkgefäße zieren. Diese Abbilder meiden trotz ihrer hervorragenden Ausführung die naturgetreue Darstellung. Menschliche Gesichter – vorausgesetzt, es handelte sich tatsächlich um Menschen, nicht um Götter oder Dämonen – waren entweder abstrahiert oder entstellt, während es sich bei Tieren oft um eine Vermischung mehrerer Spezies handelte.

Die östliche Hallstattkultur war etwas liberaler in dieser Hinsicht – es sind zuweilen Personen abgebildet, die boxen oder kämpfen (oder tanzen?), oder auch Musiker, Personen in Röcken (oder Roben?), die ihre Hände betend erhoben haben, Jagdszenen, Feldarbeit, Wild, Pferde, Wasservögel, aber alles stark abstrahiert und verhältnismässig selten dargestellt. Die keltische Kunst hätte zu diesem Zeitpunkt naturalistisch sein können, aber sie war es nicht; und in der Tat dauerte es bei den Kelten lange (bis in die La Tène-Zeit hinein) bevor sie es wagten, Personen realistisch abzubilden. Könnte das ein Hinweis auf irgendein religiöses Verbot sein? Oder zogen es die Künstler jener Zeit vor, naturgetreue Abbildungen nur auf vergänglichen Materialien anzubringen, wie zum Beispiel als Holzschnitzerei oder Stickerei auf Textilien?

Vielleicht wäre es für den Anfang ganz nützlich, einen Blick darauf zu werfen, in welcher Art von Gesellschaft die Hallstattleute lebten. Sehen wir uns dazu doch mal die exzellenten Studien von Konrad Spindler an. In Ha C, der frühen Hallstattphase, lebten unsere Kelten in Dörfern und Hügelsiedlungen. Die meisten bearbeiteten das Land, aber wir wissen nicht, ob diese Leute den Status von Freien hatten oder ob sie Sklaven waren. Es wurde Getreide angebaut (mindestens neun Varianten, darunter unsere modernen Formen von Roggen, Hafer und Weizen); die Leute aßen Erbsen, Linsen, Bohnen und wilde Trauben. Fleischlieferanten waren vor allem Haustiere, hauptsächlich Schweine, Rinder und Schafe, aber man ergänzte den Speiseplan durch die Jagd. Eine breite Palette von Tierknochen kam bei Ausgrabungen zum Vorschein, daher wissen wir, dass die Leute der Hallstattzeit so ziemlich alles jagten: Bären, Wölfe, Eber, Hirsche, Wisente, Auerochsen, Adler, Raben und Geier eingeschlossen. Bis jetzt gibt es keine Hinweise auf Jagdtabus.

Die Auswahl an Bekleidungsmaterialien und Textilien war weit größer als bisher angenommen. Schafwolle kann manchmal bis in unsere Zeit überdauern, daher favorisierten die ersten Rekonstruktionen Abbildungen von keltischen Häuptlingen in schottischen Pullovern. Leinen und Baumfasern waren wahrscheinlich viel populärer (Schafe wurden gehalten, aber nicht in großer Anzahl).

Das Grab von Hochdorf bietet viele faszinierende Einsichten. Der Edelmann auf seinem erstaunlichen Metallsofa lag auf mindestens dreizehn verschiedenen Schichten von Textilien. Wir wissen darüber Bescheid, weil die Bronze glücklicherweise kleine Stoffmengen konserviert hat. Es gab da feines Tuch, gewebt aus Fasern von Baumrinde, importierte Seide aus China, Felle, Wolle, Leinen und Decken aus Pferde- und – was noch viel schwieriger herzustellen ist – aus Dachshaar. Die Hallstattleute hielten Vieh und Schweine, außerdem Hunde, Schafe, Ziegen und Pferde. Pferde waren selten und wahrscheinlich ausgesprochen teuer. Es ist nicht einmal sicher, ob Pferde überhaupt geritten wurden, denn alles deutet auf den Gebrauch vierrädriger Wagen hin, von denen viele mit in die Begräbnishügel wanderten.

Die Haustiere waren kleiner als heute. Das gleiche galt für die Menschen. Die Durchschnittsgröße der Männer war

1,72

 

m

, die der Frauen

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. Damit waren sie größer als die meisten Leute der Antike, was erklärt, warum die Kelten den griechischen und römischen Autoren wie Riesen erschienen. Adlige, wie man sie in den reichsten Gräbern gefunden hat, waren häufig größer, woran man sieht, was eine proteinreiche Ernährung ausmacht.

Die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer war 30-40 Jahre, die der Frauen 30-35 Jahre. Die Kindersterblichkeit kann schlecht eingeschätzt werden, da nur wenige Kindergräber gefunden wurden.

Eine Lebenserwartung von 35 war übrigens gar nicht schlecht für die Zeit. Im Mittelalter mit seiner mangelnden Hygiene sank die durchschnittliche Lebenserwartung nochmals um gut 10 Jahre, womit bewiesen wäre, dass Christentum gesundheitsschädlich ist. Einige Keltenvölker hatten eine besondere Schwäche für das Waschen und erfanden die Seife, während christliche Missionare verkündeten, dass Waschen sündig sei und vermieden werden sollte. Der Adel der Hallstattzeit rasierte sich regelmässig, und in mehreren Gräbern fand man Gegenstände, die der persönlichen Hygiene dienten, wie Pinzetten und Geräte, um die Fingernägel zu schneiden und die Ohren zu reinigen. Außerdem färbten sie gern ihre Haare mit rotem Saft. Die Frage nach der Hygiene ist aber immer ein bisschen schwierig zu beantworten. Wir wissen zwar, dass die Adligen sich definitiv gern wuschen und rasierten, haben aber keine Möglichkeit, festzustellen, wie die gesundheitlichen und hygienischen Bedingungen bei ärmeren Leuten aussahen, die nicht so aufwendig bestattet wurden. Viele Kleidungsstücke, die in den Salzminen von Dürrnberg gefunden wurden, sind voller Nissen. Außerdem ist die Anzahl der Frauen, die beim Gebären von Kindern starben, so hoch, dass wir einigermaßen sicher sein können, dass die Hebammen sich nicht allzuviel Mühe machten, ihre Hände sauber zu halten.

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