G20. Verkehrsprobleme in einer Geisterstadt: Nautilus Flugschrift
By Komitee 17
()
About this ebook
Der G20-Gipfel in Hamburg war nicht nur wie eine trockene Notstandsübung aufgebaut – man konnte erkennen, mit welchen psycho-ökonomischen Kräften ein freigeschalteter Polizeistaat funktionieren wird: eine Geisterstadt, in der die Polizei ohne Bürger ihre Kräfte verschob.
Die Tage des Gipfels im Juli 2017 hatten in vielerlei Hinsicht etwas Skandalöses, angefangen mit der Größe der Sicherheitszonen, die eingerichtet werden sollten, und den Beschwichtigungen der Politiker, die dazu in keinem Verhältnis standen. Hamburg großflächig fast eine Woche lang komplett lahmzulegen, auf den leeren Straßen unablässig Kolonnen mit Polizeifahrzeugen zu verschieben, dazwischen gelegentlich Staatskarossen, ansonsten nahezu niemanden dort zu dulden bzw. die Verbliebenen mit allen möglichen Schikanen zu drangsalieren … Es ist schon eine merkwürdige Anmaßung, die sich da als unumgängliche Notwendigkeit des weltpolitischen Termins etablierte.
Eigentlich konnte sich jeder ausrechnen, dass es im Gegenzug knallen würde, aber nun erreichte die Randale ein auch im Schanzenviertel unbekanntes Maß an Schärfe. Doch auch ein unkoordinierter "Schwarm" von Initiativen bot der verordneten Ruhestellung die Stirn. Bei aller Heterogenität der Aktionen, bei allen Knochenbrüchen, Festnahmen und Frustrationen war die Gesamtheit des Protests doch ein Schritt in die urbane Lebendigkeit, auch ein Heraustreten aus den Gewohnheiten und der Vereinzelung des Alltags.
Weder die verschiedenen Ereignisse noch die der Vor- und Nachgeschichte des G20 sind mit einfachen oder eindeutigen Erklärungen zu erfassen. Dieser Text ist der Versuch einer Analyse.
Related to G20. Verkehrsprobleme in einer Geisterstadt
Related ebooks
Der kommende Aufstand: Nautilus Flugschrift Rating: 2 out of 5 stars2/5Die UNO: Idee und Wirklichkeit Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsexit! Krise und Kritik der Warengesellschaft: Jahrgang 15, Heft 15 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsRechtspopulismus und Dschihad: Berichte von einer unheimlichen Allianz Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas große Nein: Eigendynamik und Tragik des gesellschaftlichen Protests Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsShades of Sade: Eine Einführung in das Werk des Marquis de Sade Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Kapital sind wir: Zur Kritik der digitalen Ökonomie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie arabische Revolution und ihre Feinde: Nautilus Flugschrift Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKlasse, Krise, Weltcommune: Beiträge zur Selbstabschaffung des Proletariats - Nautilus Flugschrift Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAntiromantisches Manifest: Eine poetische Lösung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEnzyklopädie der russischen Seele Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEine Episode im Leben des Reisemalers Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsÜber die Rechtfertigung: Eine Soziologie der kritischen Urteilskraft Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGeld her oder es kracht! Was jede(r) über Geld jetzt wissen muss!: Leykam Streitschriften Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPhilosophie der Maschine Rating: 1 out of 5 stars1/5Der Mythos und der Mensch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGespenster meines Lebens: Depression, Hauntology und die verlorene Zukunft Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSelbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung: Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Geld: Von den vielgepriesenen Leistungen des schnöden Mammons Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 38/39: 20. Jahrgang (2014) Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsRecherchieren: Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsErloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende: Soziologische Deutungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGab es 1968?: Eine Spurensuche Rating: 0 out of 5 stars0 ratings"Die Stunde der Exekutive": Das Bundesinnenministerium und die Notstandsgesetze 1949-1968 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMedienträume: Ein Bürgerbuch zur Zukunft des Journalismus Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 Rating: 4 out of 5 stars4/5Soziologie der Finanzmärkte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBabys machen und andere Storys Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Rebellion: Historischer Roman: Zwischenkriegszeit Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Social Science For You
Lexikon der Symbole und Archetypen für die Traumdeutung Rating: 5 out of 5 stars5/5Warum lernst du kein Deutsch ?! Rating: 5 out of 5 stars5/5Systemische Fragetechniken für Fach- und Führungskräfte, Berater und Coaches: Die Bedeutung von Fragen im Beruf Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGriechische Mythologie für Anfänger: Gesamtausgabe Rating: 5 out of 5 stars5/5Das ist Deutschland!: Eine Landeskunde für alle Rating: 5 out of 5 stars5/5Die Vagina-Monologe Rating: 4 out of 5 stars4/5Gender: Eine neue Ideologie zerstört die Familie Rating: 2 out of 5 stars2/5Alles über Liebe. Neue Sichtweisen: New York Times-BESTSELLER | Deutsche Erstausgabe von TikTok-Liebling »All About Love« Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsUnverfügbarkeit Rating: 4 out of 5 stars4/5Psychologie der Massen Rating: 4 out of 5 stars4/5Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAnglizismen und andere "Fremdwords" deutsch erklärt: Über 1000 aktuelle Begriffe Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsManipulationstechniken: Manipulation Erkennen, Abwehren und Gezielt Einsetzen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWem gehört Deutschland?: Die wahren Machthaber und das Märchen vom Volksvermögen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchlagfertigkeitstechniken für Anfänger: Grundlagen und Techniken der Schlagfertigkeit lernen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus: Enthält außerdem die 'protestantischen Sekten' und vier Antikritiken Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas große Latrinum: Ich wollte schon immer Latein lernen. Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWie weiter mit ... ?: Adorno, Arendt, Durkheim, Foucault, Freud, Luhmann, Marx, Weber Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIch bin kein Sexist, aber ...: Sexismus erlebt, erklärt und wie wir ihn beenden. Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsCoaching und Selbstcoaching mit Transaktionsanalyse: Professionelle Beratung zu beruflicher und persönlicher Entwicklung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsOrganisationsentwicklung und Konfliktmanagement: Innovative Konzepte und Methoden Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Erfindung der Hausfrau – Geschichte einer Entwertung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWer schweigt, stimmt zu: Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsInterkulturalität als neue Perspektive der Deutschdidaktik Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Welt der Commons: Muster gemeinsamen Handelns Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZwangsgedanken besiegen und loswerden Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Erotik Rating: 2 out of 5 stars2/5
Reviews for G20. Verkehrsprobleme in einer Geisterstadt
0 ratings0 reviews
Book preview
G20. Verkehrsprobleme in einer Geisterstadt - Komitee 17
Das KOMITEE 17 besteht aus Zeugen, Aktivisten und Beobachtern, die sich für die Nachbesprechung des G20-Gipfels gesammelt haben, Frauen und Männer mit dem Bedürfnis, dieses Großereignis, seine Voraussetzungen und seine Konsequenzen in Worte zu fassen.
KOMITEE 17
G20
VERKEHRSPROBLEME
IN EINER
GEISTERSTADT
Edition Nautilus GmbH
Schützenstraße 49 a
D - 22761 Hamburg
www.edition-nautilus.de
Alle Rechte vorbehalten
© Edition Nautilus GmbH 2018
Originalveröffentlichung
Erstausgabe Juni 2018
Umschlaggestaltung:
Maja Bechert, Hamburg
www.majabechert.de
Druck und Bindung:
CPI – Clausen & Bosse, Leck
1. Auflage
eISBN 978-3-96054-093-9
Inhalt
DIE BARBAREN KOMMEN
HÖHERE GEWALT IM DIENST DER STAATLICHEN
FAHRPLANÄNDERUNG AUSNAHMEZUSTAND
DER UNAUFHALTSAME AUFSTIEG EINES NOTORISCHEN VERLIERERS
TAUSCHE MILITÄRISCHE NIEDERLAGE GEGEN MORALISCHEN SIEG
VILLENVIERTEL ODER INDUSTRIEGEBIET
ENTRENCHMENT HAS FALLEN
HAARSPRAYDOSEN ZU KNALLFRÖSCHEN
MIT DEM SCHAUFENSTER DURCH DIE WOHNUNGSTÜR
WIE TRINKT MAN EINEN MOLOTOW-COCKTAIL, DEN ES NICHT GIBT?
DER BÜRGERMEISTER SPRICHT VON EINEM GUTEN ERGEBNIS
KÜNSTLICHE DUMMHEIT
EIN AUFSTAND UM BILDER
RECHT AUF PRODUKTIVITÄT
EIN ZWEITER GEDANKE
PRÄVENTION PRÄDIKTION PREEMPTION
KOMÖDIE ODER FARCE
MIT NÜCHTERNEN AUGEN ANGESEHEN
Als Marx und Engels in der Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Gespenst sprachen, das in Europa umgeht, war auch die Ungreifbarkeit der neuen sozialen Bewegung gemeint, die Unberechenbarkeit dieser Strömung, dass sie ihre Absichten nicht vollständig kennt, keiner klaren Linie folgt, jedenfalls nicht in jedem Moment der Konflikte, und sogar überraschende Sprünge macht. Schock, Erschreckendes und Entsetzen gehören dazu, die Irritation der eigenen Gewissheiten – von solchen Effekten und Eigenschaften können wir die Hoffnung auf Veränderung nicht freihalten, selbst wenn wir Verbindlichkeit oder die Genauigkeit des Gedankens für nützlich halten, eine Klärung suchen, mit diesem Text dazu beitragen wollen.
Angst und Verzweiflung gab es im letzten Sommer während des G20-Gipfels, der vom 7. bis 8. Juli 2017 in Hamburg stattfand, zur Genüge, und das nicht ohne Grund, ebenso wie Verwunderung über gewisse Phasen der Entwicklung, Ratlosigkeit. Später kam Sprachlosigkeit hinzu. Unbrauchbare Begriffe erschwerten die Diskussion, veraltete Maßstäbe oder gut gemeinte Übertreibungen ebenso. Manche wollten vom victory in the battle of Hamburg sprechen, andere von einer »Niederlage für die Linke«. Weder die verschiedenen Ereignisse der entscheidenden Woche noch die der Vor- und Nachgeschichte des G20-Treffens sind mit wenigen, geschweige denn einfachen oder eindeutigen Erklärungen zu erfassen – und obwohl in den Tagen um diesen Gipfel herum vieles absolut ungewöhnlich verlief, sind bis heute erstaunlich wenige Analysen und detailliertere Stellungnahmen erschienen. Umso mehr machten »Geschichten« die Runde, bestimmten Spekulationen oder Gerüchte die Gespräche. Unter diesen Voraussetzungen haben wir unsere Überlegungen formuliert, als einen Beitrag zur Diskussion, die weiterhin notwendig ist.
Dass die erlauchten Gäste – die Staats- und Regierungschefs der zwanzig führenden Industrie- und Schwellenländer und einiger weiterer Nationen sowie Vertreter internationaler wirtschafts- und handelspolitischer Organisationen – von der Höhe des Gipfels nur eine Handvoll Floskeln in die Öffentlichkeit hinausschickten und es den Kommentatoren überließen, die Tage der Berichterstattung mit Hinweisen auf mögliche Inhalte anzureichern, überrascht wohl niemanden. Nicht nur auf G-Ebene werden Zusammenkünfte als ein Zeremoniell inszeniert, das nach außen so viel Neues bietet wie die Messe des Papstes an einem Feiertag. Dafür agieren im weit geöffneten Sendefenster eloquente Spezialisten und füllen den abgeschirmten Bereich mit Bedeutung, wobei deren überwiegender Teil aus freier »Deutung« besteht. Ihre Mitteilungen haben etwas von der Mechanik und Evidenz des Aberglaubens; sie handeln mit Gewissheiten, die so verlässlich an den Tisch der Verhandlungen führen wie Kaffeesatz in die Zukunft.
Auf der Seite des Protests sah es mit den »Botschaften« allerdings nicht viel besser aus. Die meisten Aufrufe zur Mobilisierung gegen den Gipfel waren aus vorgeprägten Standardformeln zusammengeschustert. Wenn wirklich zu kritisieren ist, dass es für diese »Institution« keine demokratische Legitimation gibt, dann kann der Einspruch nicht aus Sätzen bestehen, die seit Jahrzehnten als vorgefertigte Formeln in der politischen Prosa des Protests herumstehen. Die Fragwürdigkeit einer internationalen Repräsentanz, die ausschließlich aus Repräsentanz besteht und den Termin für ein Gruppenbild der Weltherrschaften ganz ohne Nachrichten über Ergebnisse oder Verhandlungsinhalte durchzieht, kann mit Tautologien linker Provenienz nicht außer Kraft gesetzt werden. Die Kritik muss das Wort tatsächlich ergreifen und als ihre eigene Sprache führen.
ROTE ZAHLEN, STEINIGER TEPPICH
Beginnen wir mit einer unangenehmen Seite, der unbekannten Zahl Verletzter, die der hemmungslose Einsatz der Polizei hinterlassen hat. Man muss nicht den kleinlichen Maßstab anlegen, den die Einsatzkräfte für die Bestimmung der eigenen »Verletzten« verwenden; so empfindlich sind wir nicht. Und wir brauchen den staatlichen Stellen auch nicht in der Taktik zu folgen, an jedem Tag, an dem die Kontrolle der Presse besser funktionierte, die Zahl der Blessierten aufzustocken. Erst hieß es, »476« Beamte seien verletzt, dann »592«; irgendwann waren es »709«. Auf Nachfragen wurde eingestanden, dass jeder Ausfall wegen Dehydrierung – Effekt der schweren Kampfmontur – und jede Verletzung aufgrund eines Unfalls, der dem mehrwöchigen Einsatz zugerechnet werden konnte, mitgezählt worden war; sogar ganz normale Krankmeldungen kamen auf die Liste. Übertreibungen dieser Art sind auf Seiten der Behörden nichts Neues; für sie zählt nicht nur jeder, der sich beim übereifrigen Zuschlagen die Hand verstaucht oder eine Zerrung holt. Der gesamte Einsatz wurde am Ende zur Bewältigung einer ungeheuer großen Bürde hochstilisiert. Die Beamten seien »zum Teil über die Belastungsgrenze« hinausgegangen, hätten »Herausragendes geleistet«, »alles Menschenmögliche« getan, »heldenhaft« gehandelt; man dürfe »stolz auf ein großes Opfer« sein, so Andy Grote, amtierender Innensenator Hamburgs, Sozialdemokrat.¹ Fehlt nur noch das