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Die Karte des Teufels
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Die Karte des Teufels
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Die Karte des Teufels

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About this ebook

Unverhofft tauchen Tod und Teufel in Talamérs einsamer Berghütte auf und ehe er sich versieht, wird er gezwungenermaßen zur Figur in ihrem perfiden Spiel. Der Einsatz ist sein Leben. Um sich zu beweisen, soll Talamér den mürrischen Sohn eines Adligen beschützen, der Opfer in einem andauernden Nachbarschaftskrieg zu werden droht.
Doch der Teufel wäre nicht der Teufel, wenn er fair spielen würde. Er zwingt Talamér eine Karte auf, die dafür sorgt, dass er selbst zur Bedrohung desjenigen wird, den er eigentlich beschützen soll.
LanguageDeutsch
Release dateAug 3, 2018
ISBN9783960892373
Die Karte des Teufels

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    Die Karte des Teufels - Sandra Busch

    Die Karte des Teufels

    Ein Roman von Sandra Busch

    Impressum

    © dead soft verlag, Mettingen 2018

    http://www.deadsoft.de

    © the author

    Cover: Irene Repp

    http://www.daylinart.webnode.com

    Bildrechte:

    © pinkbird – fotolia.com

    © Irina K – fotolia.com

    1. Auflage

    ISBN 978-3-96089-236-6

    ISBN 978-3-96089-237-3 (epub)

    Inhalt:

    Unverhofft tauchen Tod und Teufel in Talamérs einsamer Berghütte auf und ehe er sich versieht, wird er gezwungenermaßen zur Figur in ihrem perfiden Spiel. Der Einsatz ist sein Leben. Um sich zu beweisen, soll Talamér den mürrischen Sohn eines Adligen beschützen, der Opfer in einem andauernden Nachbarschaftskrieg zu werden droht.

    Doch der Teufel wäre nicht der Teufel, wenn er fair spielen würde. Er zwingt Talamér eine Karte auf, die dafür sorgt, dass er selbst zur Bedrohung desjenigen wird, den er eigentlich beschützen soll.

    Prolog

    Am Anfang war das Ei.

    Und ein Elfenkind.

    Seine Wiege teilte es sich mit diesem großen ovalen Gebilde, das in einem stumpfen Grau wie ein Fels an seiner Seite ruhte und genauso robust war. Es funkelte nicht und hatte nicht im Entferntesten etwas mit einem kostbaren Juwel gemein, obwohl es viel, viel wertvoller war. Es war lediglich glatt, als ob man es lange Zeit mit einem weichen Tuch poliert hatte. Da das Ei zusammen mit dem Kind in der hübschen Wiege aus Weidengeflecht und bunten Kissen lag, bestand von Anfang an ein enges Band zwischen ihnen.

    Später wurde es von dem Kind überall hin mitgetragen. Nie wurden Ei und Elf getrennt. Er erzählte der stumpfen Schale seine Träume, Wünsche und Hoffnungen, berichtete ihm von Stürmen und Sonnenschein, von einem außergewöhnlich schönen Schmetterling oder einem aufgeschlagenen, blutigen Knie.

    Als der Elfenjunge fünf Jahre alt war, begann das Ei plötzlich zu wackeln. Es kippte auf dem seidenen Laken um und rollte ein kleines Stück über das Bett, verfolgt von den aufgeregten dunkelblauen Augen des Jungen. Ein Sprung erschien, gleich darauf zog sich ein hauchfeiner Riss über die glatte Hülle. Einen Atemzug später platzte ein winziges Stück Schale ab. Heraus schlängelte sich eine gespaltene Zunge, zitterte ein wenig in der kühleren Luft außerhalb des Eis, um sich sofort wieder zurückzuziehen.

    „Komm heraus!", bettelte der Junge.

    Ein Zischen drang aus dem Ei und erneut tauchte die Zunge auf. Sie schien ihm zu winken. Mit dem Zeigefinger tupfte er sie behutsam an.

    Schwupps!

    Die Zunge verschwand. Vorsichtig beugte sich das Elfenkind über das Loch im Ei und spähte hinein, wobei ihm eine rotbraune weiche Haarsträhne ins Gesicht fiel. In dem Ei war nur Schwärze zu erkennen und mitten darin ein weit schwärzerer Schatten.

    „Komm heraus, ja? Ich würde gerne mit dir spielen. Dieses Ei ... Der Junge klopfte leicht dagegen. „... ist bestimmt nicht sonderlich bequem, oder?

    Nun presste sich von innen ein dunkles Auge an das Loch und lugte hinaus.

    „Hallo!", rief das Kind und strahlte vor Freude.

    Das Ei bekam weitere Risse, als sich das darin befindliche Wesen kräftig gegen die Schale stemmte. Endlich zersprang die schützende Hülle und vor dem kleinen Elfenjungen kauerte eine Eidechse mit silberblauen Schuppen, die einen grünlichen Schimmer besaßen. Neugierig starrte ihn die Cronarr-Eidechse an. Das Kind lachte und streckte den Arm aus, den die Eidechse hinaufeilte, um sich vertraulich an seinen Hals zu schmiegen. Lange würde das nicht möglich sein, wusste der Junge. Die Eidechse würde rasch wachsen und bald groß und stattlich werden, wie die Tiergefährten seiner Eltern.

    „Ich bin Talamér und du wirst mein bester Freund sein", versprach er feierlich und brach in der nächsten Sekunde in heftiges Gekicher aus, weil ihn die Zunge der Eidechse im Ohr kitzelte.

    Teil 1

    Kapitel 1

    Keuchend wachte Talamér auf und saß mit einem Ruck aufrecht im Bett, bloß mit einer fleckigen Hose bekleidet. In wirren Strähnen hing ihm das rotbraune Haar ins Gesicht, er strich es stöhnend hinter die auffälligen spitzen Ohren, die ihn als Elfen kennzeichneten. Sein Kopf schmerzte, als würden ihn die Fäuste eines Riesen wie eine Trommel bearbeiten. Der grauenhafte Geschmack in seinem Mund und die trockene, pelzige Zunge trugen nicht unbedingt dazu bei, dass er sich besser fühlte. Das Feuer im Kamin war beinahe komplett heruntergebrannt und genügte gerade eben als Lichtquelle, um die Ursache seines desolaten Zustands zu erklären: eine leere Flasche Schlehenschnaps, die neben einem schlichten Holzbecher auf dem grob gearbeiteten Tisch lag. Der kleine Raum stank nach Rauch, Schweiß und Alkohol. Sein einsames Saufgelage war allerdings nicht der Grund, weshalb er aufgewacht war.

    „Uuuuh!" Er zog eine Grimasse und massierte sich kurz die Schläfen, ehe er die Beine aus dem Bett schwang und zum Waschtisch schwankte. Das kalte Wasser in der Schüssel war schon lange nicht mehr frisch, trotzdem tunkte er kurzerhand das Gesicht hinein. Gleich darauf richtete er sich prustend auf, wischte sich das Nass aus den Augen und schaute sich in seinem Heim um. Was hatte ihn aus seinem mühsam angesoffenen Schlaf gerissen? Die schmucklosen Wände konnten es genauso wenig gewesen sein wie die spärlichen, wackligen Möbel. Mühsam drängte Talamér Müdigkeit, Trunkenheit und Unwohlsein in den Hintergrund, während er nach dem Grund für seine alarmierten Sinne suchte.

    „Fluch und Verdammnis!", knurrte er unleidig.

    Wie zur Antwort flog mit einem lauten Krachen die Tür auf. Erschrocken wirbelte Talamér auf der nackten Ferse herum, duckte sich reflexartig und griff sich unwillkürlich an den Gürtel, dorthin, wo einst eine gut geschärfte Klinge gehangen hatte. Nach einem Moment ließ er seine Hand sinken und richtete sich langsam auf, da sich in der Türöffnung niemand befand. Lediglich der böige Wind trieb Schneeflocken in die Wärme seiner schlichten Hütte, wo die zarten Kristalle rasch schmolzen. Talamér lauschte, seine spitzen Ohren zuckten. Nichts Ungewöhnliches war zu hören. Trotzdem bezweifelte er, dass eine Windböe die Tür aufgedrückt hatte, sämtliche Instinkte warnten ihn vor einer Gefahr. Lautlos schlich er zur Wand hinüber, wo die staubüberzogene Schwertscheide an einem Haken hing. Mit einer flinken Bewegung zog er Gram. Das schlanke, leichte Schwert schmiegte sich wie ein guter Freund in seine Handfläche. Gerade noch rechtzeitig hatte Talamér die Waffe an sich genommen, denn aus der Dunkelheit schälte sich eine Gestalt in einem roten Mantel und betrat uneingeladen seine Hütte. Der Mann war von ungewöhnlicher Schönheit. Das blonde Haar trug er nach höfischer Art der Menschen in lockigen Wellen bis zur Schulter. Der schmale Mund lächelte, allerdings erreichte dieses Lächeln die topasblauen Augen nicht. Unter ihrer intensiven Musterung wurde es Talamér beklommen zumute, obwohl er alles andere als ein Feigling war. Doch der Fremde wirkte extrem bedrohlich auf ihn. Eine enorme Hitze ging von dem Mann aus, die sofort den ärmlichen Raum ausfüllte. Unwillkürlich ging Talamér in Position, um sich gegen einen möglichen Angriff verteidigen zu können. In der nächsten Sekunde erhielt er einen heftigen Schlag, der ihm die Waffe aus den Fingern prellte. Entsetzt zuckte Talamér zurück. Der Fremde hatte sich nicht einmal bewegt. Er stand weiterhin in der Tür und taxierte ihn wie eine hungrige Schlange eine hilflose Maus.

    Magie, schoss es Talamér hilflos durch den Kopf. Gegen Zauberei war er machtlos. Langsam wich er bis zum Kamin zurück, wo er mitten in der Bewegung erstarrte, als die Flammen hinter ihm hoch emporloderten und seinen Rücken zu versengen drohten. Gemächlichen Schrittes schlenderte der Fremde auf ihn zu und blieb so dicht vor Talamér stehen, dass sie einander beinahe berührten.

    „Talamér Adadezer", wisperte es ihm entgegen und er roch den fauligen Hauch von Verderbtheit und Schwefel in dem Atem des Fremden. Plötzlich wusste er, wen er vor sich hatte. Eine kalte Hand schien sich um sein Herz zu krampfen und er schluckte trocken.

    „Dein Leben geht zur Neige, Talamér Adadezer. Bist du ein ehrbarer Mann gewesen?"

    Er fuhr keuchend herum, weil diese Frage hinter ihm aus einem dunklen Winkel seiner Hütte gestellt wurde. Dort ragte eine weitere Gestalt auf. Die schwarze Kapuze war hochgeschlagen, was die unheimliche Erscheinung nicht weniger erschreckend machte. Statt eines Gesichts entdeckte Talamér einen knöchernen Schädel. Skelettierte Finger umklammerten ein Werkzeug, eine Sense mit scharf schimmernder Schneide.

    „Tod und Teufel", flüsterte Talamér zitternd, jegliche Trunkenheit verpuffte unter diesem Schock. Kraftlos sank er vor den unerwarteten Besuchern auf die Knie. Seine Finger gruben sich in die Dielenbretter, als wollten sie dort voller Entsetzen Halt suchen. Dass er sich dabei Splitter in die Haut riss, hieß er willkommen, denn der Schmerz zeigte ihm, dass er keineswegs in einem Traum gefangen war. Ohne einen Funken Mitleid zog der Tod mit bleichen Knöchelchen eine kleine Sanduhr aus seinem Mantel hervor. Talamérs Blick wurde regelrecht von ihr angezogen. Er musste nicht erst nachfragen, um wessen Lebensuhr es sich handelte. Die Körner der oberen Glashälfte rieselten langsam, Körnchen für Körnchen, in den unteren Teil der Sanduhr. Doch unter seinem Starren bewegten sie sich unvermittelt schneller und flossen nun in einem schnellen Strom ins untere Glas, bis sich in der oberen Hälfte kaum noch Sand befand. Talamérs Lebenszeit verrann binnen weniger Atemzüge. Er öffnete den Mund, ohne dass ein Laut über seine Lippen drang. Dafür fragte er sich panisch, weshalb er sterben sollte. Er war kein alter Mann und er fühlte sich nicht krank. Ehe er fragen konnte, entrollte Mekestu, wie der Name des Teufels lautete, mit einer schwungvollen Geste ein Pergament.

    „Ehrbar?, stieß die teuflische Schönheit lachend hervor. „Oh nein, Gevatter, das war er nicht. Lasst mich rasch sein Sündenregister studieren. Nach einer dramatischen Geste in Talamérs Richtung begann der Teufel zu lesen: „Schlächter, Ehebrecher, Spieler, Hurenbock, Trunkenbold, Taugenichts …"

    Grelle Empörung stieg in Talamér auf.

    „Das ist nicht wahr!" Die Worte platzten unbedacht aus ihm heraus.

    Mit gespielter Überraschung schaute Mekestu ihn an. „Nein? Willst du damit etwa andeuten, ich würde lügen?, erkundigte er sich lauernd. Na, ja ... Wenn Talamér es recht bedachte, war diese Aufzählung nicht ganz von der Hand zu weisen. Hilfesuchend wandte er sich ausgerechnet an den Tod: „So, wie Euer Begleiter es vorträgt, stimmen die Anschuldigungen nicht.

    Der Tod hatte während Mekestus Aufzählung reglos in den Schatten ausgeharrt. Jetzt deutete er mit seiner Sense auf Talamér, der mittlerweile vor Hitze und Furcht schweißgebadet war.

    „Es steht dir frei, dich dazu zu äußern."

    Unter dem leidenschaftslosen Starren des Todes brachte Talamér keinen Ton hervor. Mit Grauen wurde ihm bewusst, dass jede Anklage, die der Teufel geäußert hatte, in gewisser Form der Wahrheit entsprach. Der nackten, unverhüllten Wahrheit. Er hatte sich, seine Familie und das Herrscherhaus beschämt. Zur Strafe war er für alle Zeiten mit dem Schandmal auf seiner Wange gezeichnet, seines Ranges enthoben und aus Ta’besh verbannt worden. Zu einem Nichts verkümmert hatte er sich über die Grenze nach Carraigh zurückgezogen. Hier, in seiner kargen Berghütte, kroch er vor Scham unter, suchte das Vergessen, ertränkte den Kummer und sein gebrochenes Herz im nächstgelegenen Wirtshaus, spielte, hurte und tat sein Möglichstes, um seine Demütigung und Schmach zu vergessen. Er, ein ausgestoßener Elf ohne Heimat. Ein Verlierer, ein erbärmliches Subjekt, Dreck ...

    Mekestu lächelte spöttisch. „Fällt dir wider Erwarten keine Rechtfertigung ein?", flüsterte er laut genug, um das Knistern des Kaminfeuers zu übertönen.

    „Mein Fehler war es zu lieben, antwortete Talamér ebenso leise. „Dessen bekenne ich mich schuldig.

    „Die Liebe, höhnte der Teufel und lachte verächtlich. „Dein Schwert war in Blut getaucht und deine Lasterhaftigkeit …

    „Ich habe gekämpft, um meine Heimat zu verteidigen ..."

    „Ich merke schon, auf diese Weise kommen wir nicht weiter", unterbrach der Tod ihre Diskussion. Hilflos schüttelte Talamér den Kopf. Ehe er reagieren konnte, legten sich kalte Finger auf sein Gesicht, schmerzhaft zog sich die Haut unter der Todeskälte zusammen. Zwischen den gespreizten Knochenfingern schienen sich die leeren Höhlen des Schädels direkt in Talamérs Augen zu bohren. Er begann zu frieren wie nie zuvor. Schwindel überkam ihn, die ganze Hütte drehte sich wie wild. Eisige Klauen durchwühlten sein Hirn nach jeder einzelnen Erinnerung. Talamér wollte schreien und konnte es nicht. Bevor der Schmerz unerträglich wurde, ließ ihn der Tod abrupt los. Stöhnend krümmte sich Talamér zusammen und kämpfte gegen ein Würgen an.

    „Deine Anschuldigungen stimmen", sprach der Tod zu seinem furchtbaren Gefährten.

    Der lächelte siegesgewiss.

    „Aus einer anderen Perspektive jedoch …"

    Mekestus Grinsen schwand. „Er gehört mir", zischte er dermaßen heftig, dass Talamér voller Furcht zurückzuckte.

    Tadelnd stieß der Tod mit dem Sensenbaum donnernd auf den Boden.

    „Nach alter Sitte ist es Brauch, dass er sich beweisen darf, erklärte er und wandte sich an Talamér: „Wie der Teufel dir vorwirft, sollst du unter anderem ein Spieler sein. Bist du bereit, um deinen Lebenshauch zu spielen, Talamér Adadezer? Deine Seele als Pfand einzusetzen?

    Er starrte zum Tod hinauf. Ein winziger Hoffnungsfunke begann sich in ihm zu regen. Erhielt er eine Chance und wurde heute verschont?

    „Was muss ich tun?"

    Mit einem dumpfen Laut stellte der Tod die verhängnisvolle Sanduhr auf dem grob geschreinerten Tisch ab. In dem oberen Glas befand sich eine letzte Prise Sand. Voller Angst streckte Talamér die Hand nach der Uhr aus, da versiegte der Strom aus feinen Körnchen, als ob die Zeit innerhalb seiner Lebensuhr zum Stillstand gebracht wurde. Die wenigen Körner verblieben in der oberen Hälfte des Glases, als hinderte sie ein unsichtbarer Stopfen, in den unteren Teil seiner Uhr zu rieseln. Der kalte, polierte Stahl der Sense schob sich vor Talamérs Nase und lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Gevatter.

    „Deine Aufgabe, Talamér Adadezer, ist im Grunde genommen ganz einfach. Du wirst dich als Leibwächter für einen Adelsspross verdingen. Sein Name ist Kaynarcalidan und er ist der jüngste Sohn des Lords Ton Op’T Hof. Der einzige Sohn des Lords, nachdem sein Bruder ermordet wurde."

    „Ein Nachbarschaftsstreit?" In den heutigen Zeiten gingen adlige Nachbarn häufig aufeinander los, als würden sie sich in Friedensjahren langweilen.

    Mit einem Nicken bestätigte der Tod seine Vermutung.

    „Du wirst den Jungen beschützen. Sein Vater wird dich in der Annahme erwarten, dass er nach dir geschickt hat." Es folgte eine kurze Beschreibung, wo er den Sohn des Edelmannes finden würde.

    Das war alles? Talamér runzelte argwöhnisch die Stirn. Die Sache erschien ihm zu simpel.

    „Bist du erfolgreich, wird deine Sanduhr auf deinen jetzigen Lebensstand aufgefüllt werden und du darfst weiterleben."

    Hoffnung stieg in Talamér auf. Er erhielt eine Chance.

    „Wenn du versagst, gehörst du mir", flüsterte es bedrohlich in seinem Nacken. Eine Spielkarte flatterte in seinen Schoß. Mit bebenden Fingern nahm er sie auf, drehte sie um und erkannte den Herzbuben. Plötzlich verfärbte sich die Karte schwarz, als ob sie versengt würde. Erschrocken ließ Talamér sie fallen. Die vier Herzen in den Ecken und der Bube selbst begannen in einem unheimlichen Grün zu glühen, ähnlich wie die Irrlichter in den Sümpfen von Ta’besh.

    „Verwahre die Karte gut, Elf. Wenn du sie verlierst, den Jungen verlässt oder er sogar stirbt, gehört deine Seele mir. Bleibt er am Leben, solange du die Karte trägst, werde ich für den Augenblick und für die Zukunft auf dich verzichten."

    Der Schwefelgestank verstärkte sich, bis seine Augen tränten und die Nase brannte. Als sich Talamérs Sicht klärte, waren Mekestu und der Tod verschwunden.

    ~ * ~ * ~ * ~

    Schwerfällig mühte sich Talamér auf die Füße und hob mit zitternden Fingern die Spielkarte auf. Sein Blick glitt suchend durch die stille Hütte. Mit einigen schnellen Schritten war er an der Tür und hielt sich seltsam kraftlos am Rahmen fest, während er in der nächtlichen Finsternis nach seinen ungebetenen und unheimlichen Besuchern Ausschau hielt. Soweit er es beurteilen konnte, war er tatsächlich allein. Gierig sog er die kühle Nachtluft in seine Lungen. In seinem Mund lag der faulige Geschmack nach Schwefel und klebte stinkend in seinen Nasenschleimhäuten. Nach wie vor schneite es leicht und der Wind trieb die feinen Schneekristalle vor sich her. Stöhnend lehnte er sich mit der Schulter gegen den Türrahmen. War ihm das gerade wirklich passiert? Hatte er wahrhaftig vor dem Tod und dem Teufel auf dem Boden gelegen? Talamér hatte sich nie für einen Feigling gehalten, trotzdem hatte sein Herz nie zuvor derart heftig geschlagen, wie in den letzten Minuten. Bestimmt hatte er zu viel gesoffen, sich die jüngsten Ereignisse dank des Übermaßes an Schlehenschnaps und einer überaus blühenden Fantasie lediglich eingebildet und in Wirklichkeit träumte er in diesem Moment tief und fest. Diese hübsche These scheiterte bedauerlicherweise an der Tatsache, dass er sich verdammt ernüchtert fühlte. Langsam drehte sich Talamér um und betrachtete seine Hütte, als wäre sie ihm fremd. Die Sanduhr – seine Sanduhr – stand wie eine stumme Drohung neben der leeren Schnapsflasche auf dem Tisch. Und auch diese Karte, die er in den Fingern hielt, war schreckliche Realität. Talamér flüsterte einen derben Fluch in die Nacht. Resignierend stopfte er den Herzbuben in eine Tasche und trat einen Schritt ins Dunkle hinaus. Schnee knirschte unter seinen nackten Füßen, der kalte Wind fühlte sich unangenehm auf seiner schwitzenden Haut an. In der eisigen Nässe krümmte er die Zehen.

    „Schleicher!, rief er. „Schleicher!

    Unweit von seiner Hütte brach die Schneedecke auf und der Kopf einer Eidechse erschien. Eine gespaltene Zunge prüfte kurz den Wind. Dann schoss das geschmeidige Reptil auf ihn zu und schmiegte den silberblau glänzenden Kopf an seine Schulter.

    „Komm mit in die Hütte, Schleicher. Wir brechen morgen früh zu einer Reise auf." Talamér hatte kaum ausgesprochen, da schlüpfte sein Gefährte an ihm vorbei ins Warme. Mit einem dünnen Lächeln folgte ihm Talamér und schloss hinter sich die Tür. Der beißende Geruch nach Schwefel war mittlerweile verflogen, wie er erleichtert feststellte. Schleicher rollte sich vor dem Kamin zusammen und beobachtete ihn ruhig, wobei seine Schwanzspitze vor seiner schuppigen Schnauze hypnotisierend hin- und herpendelte. Die Kälte machte Schleicher genauso wenig aus wie große Hitze. Er war eine Cronarr-Eidechse aus Ta’besh, fähig sich jedem Klima und nahezu jeder Lebensbedingung anzupassen. Das hatte er seinen kleinen Verwandten voraus. Nie würde Talamér den Tag vergessen, als die Echse aus der schützenden Schale hervorgebrochen war und zu seinem getreuen Gefährten wurde. Eigentlich war Schleicher für die Hütte zu groß, weswegen ihn Talamér ins Freie geschickt hatte. Aber heute Nacht konnte er einfach nicht mehr ohne vertraute Gesellschaft sein. Nicht nach diesem schreckenserregenden Besuch. Jetzt zischelte Schleicher, als Talamér eine Truhe öffnete und einen fein gearbeiteten Sattel und ein ledernes Halfter hervorholte. Erwartungsvoll richtete sich Schleicher auf, der lange Schwanz zuckte aufgeregt und fegte den einzigen Stuhl um.

    „Pass gefälligst auf, du dusselige Blindschleiche. Talamér stellte den Stuhl sorgsam auf seine Beine zurück. „Die Möbel sind schon schlecht genug. Er kramte seinen Rucksack hervor und begann einige Kleidungsstücke hineinzustopfen. Obendrein fanden Vorräte, Kerzen, ein Seil und andere nützliche Kleinigkeiten ihren Weg in das Gepäckstück. Etwas stieß ihn sanft von hinten an. Schleicher kauerte mit Gram zwischen seinen Kiefern vor ihm. Behutsam nahm ihm Talamér das Schwert ab.

    „Ich werde es wohl wieder tragen müssen, hm?"

    Die große Eidechse ringelte sich tröstend um ihn und verdammte ihn damit zur Bewegungslosigkeit. Zart fuhr die Zunge über die fingerlange Narbe auf Talamérs rechter Wange, als wollte sie das Schandmal ablecken. Gleich darauf lag die Eidechse erneut vor dem Kamin, als hätte sie sich nie gerührt, und schnarchte leise. Talamér stand mit der Waffe in den Händen und in Erinnerungen versunken still und starr da. Endlich gab er sich einen Ruck und schob Gram in seine schützende Scheide zurück. Er würde sich beim ersten Tageslicht auf den Weg machen, um einen ihm unbekannten Jungen zu schützen und sich damit sein Leben und seine Seele zu erkaufen. Wenn ihm dies gelungen war, konnte er sich in Ruhe überlegen, was er mit seinem weiteren Dasein anfangen wollte. Heute Nacht war ihm bewusst geworden, dass es zu wertvoll war, um einsam in einer Berghütte zu versauern oder in Alkohol ertränkt zu werden. Er schlug einen Bogen um den Tisch mit der Sanduhr und warf sich auf die schmale Pritsche. Im rötlichen Licht des Kaminfeuers starrte er auf den skurrilen Zeitmesser und dem darin eingefrorenen Sand.

    „Bin ich wirklich ein sündhaftes Subjekt?", fragte er. Schleicher hob seinen Kopf. Gleich darauf lag er vor Talamérs Lager und bettete seinen Schädel auf die strohgefüllte Matratze. Das Feuer schien Funken auf Schleichers feine Schuppen zu zaubern und lenkte Talamérs Aufmerksamkeit von der Sanduhr und der damit verbundenen düsteren Drohung ab.

    „Schleicher, wo bin ich da bloß hineingeraten?"

    ~ * ~ * ~ * ~

    Als ihn die Nachricht erreichte, dass sich sein zukünftiger Leibwächter dem Gutsgebäude näherte, war Kaynar selbstverständlich entgegen jeder Anordnung aus seinem Zimmer geschlichen und hatte sich im Heuschober versteckt. Noch nie war er einem Elfen begegnet und das Bild der schlanken, hochgewachsenen Gestalt, die auf dem Rücken der schimmernden Cronarr-Eidechse saß, schlug ihn sofort in seinen Bann. Das ungewöhnliche Reittier lief mit leicht paddelnden, schlängelnden Bewegungen flink voran. Kaynar wandte seine Aufmerksamkeit nun dem Reiter der Echse zu. Auffällig waren die spitzen Ohren des Mannes, die ihm sofort ins Auge fielen, denn das Haar von der Farbe roten Herbstlaubes hatte sich der Elf aus dem Gesicht gekämmt und zu einem dicken Zopf geflochten, der ihm bis zum Gürtel reichte. Seine Kleidung war schlicht und zweckmäßig, in Braun- und Grüntönen gehalten und würde ihn im Wald hervorragend mit der Umgebung verschmelzen lassen. Vor dem Stallgebäude des Gutshauses angelangt, wo er von Kaynars Vater und einigen Wachen erwartet wurde, glitt der Elf geschmeidig aus dem Sattel.

    „Talamér Adadezer?", fragte Brandon Ton Op’T Hof mit seiner rauen Stimme, was Kaynar für völlig überflüssig hielt. Es gab nicht viele Elfen in Carraigh und erst recht keine, die ihren Landsitz besuchten. Für ihn selbst war dies der erste Elf überhaupt, den er zu Gesicht bekam. Talamér nickte lediglich knapp und tat keinerlei Anstalten, eine Verbeugung wenigstens anzudeuten. In seinem Versteck grinste Kaynar vergnügt. Er wusste, wie sehr sein Vater auf die Ehrbezeugungen Wert legte, die seinem Rang als Lord zustanden.

    „Ihr seid in der Lage, meinen Sohn zu schützen?"

    „Ich werde mein Bestes geben." Die melodische Aussprache des Elfen unterstrich seine Fremdartigkeit. Kaynar bemerkte, dass sein Blick rasch über den Hof und die Burganlage glitt und für eine winzige Sekunde auf den Heuschober gerichtet blieb. Rasch duckte er sich tiefer in das duftende Heu.

    „Ihr müsst ihn fortbringen, bis ich die Angelegenheit mit Lord Fremen geregelt habe, erklärte sein Vater. „Kaynarcalidan ist hier nicht sicher. Sein Bruder Elmond … Brandon verstummte und tiefer Schmerz überzog sein Gesicht. Kaynar seufzte. Er hatte seinen Bruder nicht gerade verehrt, aber Elmond war Vaters Liebling gewesen. Elmond entstammte einer arrangierten Ehe mit einer wohlhabenden Erbin, die an einer furchtbaren Lungenentzündung verstarb, als Elmond fünf Jahre alt war. Kaynar konnte verstehen, dass sein Vater um den vielversprechenden Erben trauerte. Elmond und er waren sich ziemlich ähnlich gewesen. Dagegen war Kaynar das schwarze Schaf der Familie. Der Tölpel, der es seinem Vater nie recht machen konnte. Der Schuldige am Tod von Brandons zweiter Gemahlin, die dieser sehr geliebt hatte.

    Wenige Monate nach dem Tod von Elmonds Mutter war Brandon auf Reisen gegangen, um Zuchtvieh zu erwerben und vielversprechende Handelsbeziehungen zu knüpfen. In einer Hafenstadt lernte er durch einen Zufall Noreen kennen, eine Frau, die Brandon zart wie ein Sommerwölkchen bezeichnete, wenn er sich in weinseliger Laune befand. Schon nach wenigen Wochen der Verliebtheit heirateten sie Hals über Kopf und kurz darauf war Noreen schwanger. Da ihr Kind auf Brandons Landsitz zur Welt kommen sollte, traten sie die Heimreise an. Leider schafften sie es nicht rechtzeitig, woran der holprige Weg Schuld tragen mochte. Kaynar wurde mitten auf einer staubigen Straße unter starken Blutungen geboren. Seinetwegen war Noreen gestorben, fern von kundigen und heilenden Händen. Er dagegen hatte es gewagt zu überleben. Gramgebeugt kehrte Brandon mit einem weinenden Säugling im Arm nach Hause zurück und übergab ihn der Dienerschaft, die ihn im Sinne ihres Herrn erzog. Die kurze Zeit des Glücks hatte nicht einmal ausgereicht, dass eine Miniatur seiner Mutter angefertigt werden konnte, und die beiden Begleiter auf der Reise seines Vaters waren verstorben, bevor Kaynar sie nach Noreen ausfragen konnte. Es bedrückte ihn, dass er keine Ahnung hatte, ob er ihr ähnlich war oder Gemeinsamkeiten mit ihr aufwies. Bestimmt war sie hübsch gewesen, sonst würde sein wenig romantischer Vater sie nicht als Sommerwölkchen bezeichnen.

    Traurig schloss Kaynar die Augen, bis ihn die Stimme des Elfen an das Geschehen unten im Hof erinnerte. Details seines zukünftigen Schicksals wurden ausdiskutiert und der Elf aufgefordert, Kontakt mit seinem Vater zu halten, damit er erfuhr, wann Brandon gesiegt hatte und Kaynar zurückkehren konnte. Überrascht blinzelte er und schob sich ein winziges Stück weiter vor. Wo war die beeindruckende Eidechse des Fremden geblieben?

    „Und was soll ich mit Eurem Sohn anstellen, wenn die Angelegenheit zu Lord Fremens Gunsten geregelt wird?", fragte der Elf gerade und lenkte Kaynars Aufmerksamkeit auf das Gespräch zurück.

    „Donnerwetter! Will er sich Vater gleich zum Feind machen?", murmelte er in das Heu.

    „Das, Adadezer, wird nicht passieren", fauchte Brandon erbost und baute sich drohend vor dem Elfen auf, der vor den massigen Schultern und der stämmigen Figur seines Vaters beinahe fragil wirkte. Kühl erwiderte er das zornige Funkeln des Lords.

    „Es sind bereits zwei Anschläge auf Kaynarcalidan verübt worden. Er muss hier fort. So schnell wie möglich, sagte sein Vater mühsam beherrscht und wandte sich an einen der Gardisten: „Nolgh, geh und hole meinen Sohn.

    „Verdammt!", zischte Kaynar und wollte gerade sein Versteck verlassen, als er sich am Kragen gepackt fühlte. Plötzlich baumelte er hilflos in der Luft und quiekte wie eine gefangene Maus. Jetzt wusste er, wohin die Eidechse des Elfen gehuscht war! Ehe er piepsen konnte, stürzte sich das Tier zusammen mit ihm aus der Heuluke. Erschrocken heulte er auf, als es senkrecht an der Wand in die Tiefe ging und sich die Pflastersteine des Hofes rasend schnell näherten. Doch die Eidechse ließ ihn erst vor den Füßen seines Herrn fallen, wo er wie ein nasser Sack landete. Staubig und mit Heuhalmen bedeckt hob er vorsichtig den Kopf. Das hochrote Gesicht seines Vaters sprach Bände. Im nächsten Moment fing er sich eine schallende Ohrfeige ein.

    „Du solltest in deiner Kammer bleiben!, brüllte Brandon unbeherrscht. „Stattdessen treibst du dich wie eine Ratte im Heu umher.

    Brennende Scham stieg in Kaynars Gesicht auf. Wie konnte er sich derartig vor dem Elfen blamieren? Und wie konnte es sein Vater wagen, ihn vor sämtlichen Anwesenden zu demütigen? Mit einem Satz sprang er auf die Füße und stürmte in Richtung des Gutshauses davon.

    „Kaynarcalidan!, schrie sein Vater wütend hinter ihm her. „Kaynarcalidan!

    ~ * ~ * ~ * ~

    Es klopfte an seine Tür. Kaynar ahnte, wer davorstand, weil sein Vater niemals klopfen würde und die Dienerschaft es deutlich leiser tat.

    „Herein", sagte er und wie erwartet betrat der Elf seine Kammer.

    „Wir sind uns nicht vorgestellt worden, sagte der. „Eine Nachlässigkeit, die ich zu beheben gedenke. Ich bin Talamér Adadezer. Eine vierfingrige Hand streckte sich Kaynar entgegen und ergriff die seine mit erstaunlicher Kraft. Zum ersten Mal hatte Kaynar nun die Gelegenheit, dem Elfen aus der Nähe direkt ins Gesicht zu sehen und Details wahrzunehmen. Es war schmal, mit hohen Wangenknochen und dominierenden, mandelförmigen Augen von einem tiefen Dunkelblau, in denen sich Kaynar zu verlieren drohte. Er fühlte sich von ihrer Intensität wie in einem Strudel gefangen, der ihn jeden Halt verlieren und hilflos herumwirbeln ließ. Schlagartig atemlos unterbrach er den Blickkontakt und wich etwas zurück, um sich sammeln zu können. Sein Herz klopfte aufgeregt. Als er endlich aufzuschauen wagte, entdeckte er ein belustigtes Lächeln in … Ja, wie sollte er diesen Elfen ansprechen, ohne ihn zu beleidigen? Der Mann strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das von Adel und Rang sprach, obwohl er wie ein Waldläufer gekleidet war. Kaynar wollte sich nicht erneut blamieren. Dummerweise schien er gerade genau das zu tun, denn er glotzte seinen zukünftigen Leibwächter wie ein unmündiges Kleinkind an. Der wiederum musterte ihn ungeniert, mit einem leichten Erstaunen in der Miene. Abrupt wandte er dem Elfen den Rücken zu und verschnürte die Riemen seines Rucksacks.

    „Nolgh informierte mich vorhin, dass Ihr heute noch mit mir den Landsitz verlassen wollt", sagte er, weil es hinter ihm still blieb.

    „Dein Vater sorgt sich um dich."

    „Mein Vater sorgt sich, dass der Landsitz in die Hände Lord Fremens fällt." Diese Worte entschlüpften Kaynar eine Spur zu heftig.

    „Vielleicht möchte er verhindern, dass sein zweiter Sohn ebenfalls aufgeschlitzt in seinem Bett gefunden wird."

    Kaynar schnaubte bloß und zog sich einen dick gefütterten Mantel über.

    „Täuscht Euch nicht in meinem Vater … Meister Talamér." Unsicher versuchte er in der Miene des Elfen zu lesen, die allerdings bei der respektvollen Anrede völlig unbewegt blieb.

    „Erzähl mir etwas über dich, Kaynarcalidan."

    Überrascht hielt Kaynar in seinem nervösen Werkeln inne. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Und das, was es über mich zu sagen gäbe, würde Euch langweilen. Warum interessiert Ihr Euch überhaupt für mich? Ihr seid lediglich beauftragt worden, mich zu schützen. Für Höflichkeiten werdet Ihr bestimmt nicht bezahlt."

    „Unsere Schicksale sind miteinander verwoben", murmelte Talamér rätselhaft. Einen Moment lang wirkte er seltsam angespannt, doch dieser Augenblick währte nur kurz.

    „In Ordnung. Wenn du mir nichts von dir erzählen willst, werde ich mir halt selbst ein Bild von dir machen müssen. Trotzdem müssen wir eines von vornherein klarstellen: Du wirst mir gehorchen."

    „Natürlich."

    „Ich glaube, du verstehst mich nicht, Kaynarcalidan. Du wirst meinen Befehlen wortgetreu folgen. Wenn ich dir sage, dass du auf deiner Kammer bleibst, wirst du dich nicht in einem Heuschober verstecken. Egal, welche Neugierde dich antreibt."

    Kaynar spürte, wie sich sein Gesicht vor Scham rötete.

    „Ihr könnt mich Kaynar nennen. Das tun die meisten. Und was soll mir auf dem Landsitz schon geschehen?", fragte er gereizt.

    „Das hat sich dein Bruder sicherlich auch gefragt, als er in seinem Bett abgeschlachtet worden ist."

    Elmond. Immer wieder Elmond. Selbst im Tod diente der gewissenhafte Elmond weiterhin als gutes Beispiel. Wütend presste Kaynar die Lippen aufeinander, um keine patzige Antwort zu geben. Warum hatten Fremens Mörder der Welt nicht einen Gefallen erwiesen und ihn anstatt Elmond getötet? Er griff nach einem Lederriemen und band sich das dunkelbraune Haar im Nacken zusammen.

    „Wenn du fertig gepackt hast, sollten wir aufbrechen." Die leise Stimme des Elfen unterbrach seine Gedanken. Kaynar nickte knapp, schnappte sich seinen Rucksack und folgte seinem Leibwächter in den Hof hinunter. Hier hielt ihn nichts und niemand.

    ~ * ~ * ~ * ~

    Talamér war überrascht gewesen, als er seinem Schützling gegenüberstand. Er hatte mit einem Kind gerechnet, doch der angekündigte Sohn hatte sich als zwanzigjähriger Mann mit mürrischer Miene entpuppt, der von seinem Vater innerhalb der Mauern dieses trostlosen Landsitzes eingesperrt worden war. Verwundert hatte ihn zudem die Tatsache, dass Kaynarcalidan seinem Vater keineswegs ähnlich sah. Trotz seiner breiten Schultern war Kaynar feingliedriger und schlanker. Sein Gesicht musste die Schönheit einer exotischen Mutter widerspiegeln, da es im Gegensatz zu seinem Vater mit ausgeprägten Wangenknochen und großen, leicht schräg stehenden, haselnussfarbenen Augen ausgestattet war. Elfenhaft ... Wahrscheinlich ein Halbling. Zorn sprach aus jeder steifen Bewegung des jungen Lords. Außerdem war da diese Einsamkeit, die Kaynarcalidan aus jeder Pore quoll. Eine Einsamkeit, die Talamér nicht fremd war. Unwillkürlich hatte er sich zu dem jungen Lord hingezogen gefühlt. Doch er spürte ebenfalls den Rebellen, der sich in seinem Schützling verbarg, und das bereitete ihm Sorgen. Wenn sich Kaynar nicht an seine Befehle hielt, würde sich Mekestu seine Seele holen. Und Talamér war nicht sonderlich von der Aussicht erbaut, für alle Ewigkeiten in der Unterwelt herumzugeistern.

    „Fluch und Verdammnis", zischte er leise, als er die Treppen zum Hof hinunterstieg. Sein Leben lag in den Händen eines störrischen, verbitterten Halblings und der wusste es nicht einmal.

    Im Hof hatten sich die Bediensteten des Landsitzes versammelt, um Kaynar zu verabschieden. Leider kam es erst gar nicht so weit.

    „Wo ist mein Pferd?", fragte Kaynar, als sich Talamér auf Schleichers Rücken schwang. Den für ihn gesattelten braunen Wallach ignorierte sein Schützling.

    „Du wirst den Wallach nehmen", brummte sein Vater. Kaynars Rucksack landete mit einem dumpfen Laut neben seinen Füßen auf dem Boden.

    „Ohne meinen Hengst gehe ich nirgendwohin." Trotzig verschränkte Kaynar die Arme vor der Brust. Talamér stöhnte leise. Das ging ja wirklich gut los.

    „Der Elf selbst hat dir das Pferd ausgesucht, also wirst du genau dieses Tier reiten und kein anderes."

    Anklagend wirbelte Kaynar zu Talamér herum. „Meister, das kann nicht Euer Ernst sein. Mein Hengst ist schnell und ausdauernd …"

    „Und jeder Dorftrottel in der Umgebung kennt das Tier und weiß daher, wer du bist. Obendrein trägt es den Zuchtbrand deines Vaters. Wir können Lord Fremen auch gleich eine Nachricht schicken, in welche Richtung wir uns wenden wollen." Talamér bemühte sich um einen ruhigen, sachlichen Ton. Es reichte, wenn Lord Brandon seinen Sohn ständig anraunzte und er konnte es sich nicht leisten, Kaynar gleich von Anfang an gegen sich aufzubringen. Tatsächlich schien der junge Mann über seine Worte nachzudenken und endlich packte er ohne jede weitere Gegenwehr seinen Rucksack und befestigte ihn auf dem Rücken des geduldig wartenden Pferdes. Dennoch war seine Miene grimmig, als er in den Sattel stieg. Sein Vater trat an seine Seite und berührte kurz Kaynars Knie.

    „Mach mir keine Schande, Sohn", sagte er. Ohne eine Erwiderung zog Kaynar sein Pferd am Zügel herum und ritt durch das große Tor hinaus. Fassungslos über die Kühle des Abschieds ließ Talamér Schleicher hinter dem Pferd herlaufen. Keine Umarmung, kein ermunterndes Wort und keine geäußerte Hoffnung auf eine sichere Rückkehr? Waren Menschen derartig herzlos zu ihrem eigenen Fleisch und Blut? Als sie freies Feld erreichten, ließ Kaynar sein Pferd sofort angaloppieren. Ohne sich zu vergewissern, ob Talamér ihm folgte, jagte Kaynar den Wallach über die staubige Straße zwischen den abgeernteten Feldern der ansässigen Bauern entlang. Wütend über dieses kopflose Dahinstürmen biss Talamér die Zähne zusammen, trotzdem verkniff er sich einen bissigen Tadel, als Kaynar endlich sein keuchendes Pferd zügelte. Da waren Tränen auf den Wangen seines Schützlings. Talamér ließ sich etwas zurückfallen und gab seinem Begleiter damit die Gelegenheit, sich verstohlen über das Gesicht zu wischen. Diese Art von Seelenschmerz kannte er. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann hatte er seine Heimat damals genauso unbeherrscht verlassen. Wehmütig berührte er die Narbe auf seiner Wange.

    Nach angemessener Zeit schloss Talamér zu Kaynar auf. Der schien sich etwas beruhigt zu haben, starrte aber weiterhin grimmig geradeaus und hüllte sich in Schweigen. Das war Talamér nur recht. Er hatte sich zu lange allein in den Bergen verkrochen, als dass er nun die Gesellschaft eines Plappermauls hätte ertragen können. So legten sie stumm eine beachtliche Wegstrecke zurück. Ab und an drehte sich Talamér im Sattel um und spähte den Weg zurück, den sie entlang ritten. Wenn Lord Fremen seinen Gefährten tatsächlich umbringen wollte, würden sie mit Sicherheit längst beobachtet werden.

    Plötzlich unterbrach Kaynar die Stille: „Mein Verhalten beim Aufbruch tut mir leid, Meister Talamér. Ich möchte mich für mein dummes Benehmen entschuldigen."

    Ein kleiner Hoffnungsschimmer regte sich in Talamér, was ihr erzwungenes, zukünftiges Verhältnis anging. Der Bursche hatte wenigstens den Schneid über seine Fehler nachzudenken.

    „Schon vergessen, Kaynar. Ich weiß, wie schwer es ist, ein Zuhause zu verlassen, ohne etwas Vertrautes mitnehmen zu dürfen."

    „Warum habt Ihr Ta’besh verlassen, Meister?"

    „Darüber wollen wir nicht reden", murmelte Talamér.

    Sein Gefährte richtete die ernsten Augen auf ihn. „Darüber wollt Ihr nicht reden."

    Talamér verzog das Gesicht. „Ganz recht."

    „Wollt Ihr mir wenigstens sagen, wohin wir reiten werden?"

    „Ich bringe dich zunächst zu Rathin, einem … Freund von mir. Er wird auf dich aufpassen, solange ich mich nach deinen Verfolgern umhorche. Lord Fremen wird uns gewiss Leute nachschicken. Außerdem erhoffe ich mir einen guten Rat von ihm. Um zu Rathin zu gelangen, müssen wir in die Berge und können einen Abstecher zu meiner Hütte unternehmen."

    „Was für ein Freund ist dieser Rathin?"

    Kaynar hatte also das kurze Zögern registriert. Aber wie sollte er ihm erklären, wer oder was Rathin war? Wenn er die Wahrheit sagte, würde Kaynar sofort umdrehen und er würde sich glücklich schätzen, wenn ihm in diesem Fall wenigstens das Hinterteil von Kaynars Pferd ein Lebewohl winken würde.

    „Rathin ist ein sehr guter Freund. Bei ihm wirst du sicher sein."

    „Eine weitere Sache, die Ihr mir nicht erzählen wollt." Kaynar klang resigniert.

    „Das eine ist ziemlich privat und das andere wirst du früh genug erfahren. Stell mir Fragen, die ich beantworten kann."

    Kaynar schien wirklich über eine weitere Frage nachzudenken.

    „Wie hat Euch mein Vater gefunden? Unsicher schaute ihn Kaynar an. „Ich meine, hattet Ihr eine öffentliche Verkündung, in der Ihr jedermann Eure Waffenhand angeboten habt? Ich hatte nämlich bisher keine Ahnung, dass mein Vater Kontakt zu Elfen hat.

    „Sagen wir mal, wir hatten einen Vermittler der besonderen Art."

    „Und darüber seid Ihr nicht sonderlich erfreut. Sagt es ruhig, Meister. Es steht Euch ins Gesicht geschrieben. Warum habt Ihr den Auftrag nicht abgelehnt?"

    Da der braune Wallach hochbeiniger als sein Schleicher war, musste Talamér zu Kaynar aufschauen. Offen und ohne Arg sah ihn sein junger Gefährte wissbegierig an.

    „Was kann ich sagen …"

    „Man erpresst Euch?"

    Talamér nickte. So konnte man es durchaus ausdrücken.

    „Hält man Eure Liebste als Geisel?"

    Jetzt lachte er unwillkürlich auf.

    Himmel!

    Hatte der Halbling eine blühende Fantasie.

    „Ihr habt also kein Eheweib?"

    „Nein. Das nun wirklich nicht." Talamér versuchte seine Belustigung zu unterdrücken. Woher sollte Kaynar auch seine Neigungen kennen, die in eine ganz andere Richtung verliefen? Schleicher tat einen Hopser, als er nach einer Maus am Straßenrand schnappte, woraufhin Kaynars Pferd nervös die Ohren anlegte und wachsam in Richtung der Echse schielte.

    „Also seid Ihr ebenso in Gefahr wie ich es bin. Kaynar traf diese Schlussfolgerung mit leiser Stimme. „Wir haben etwas gemeinsam. Die haselnussfarbenen Augen suchten seinen Blick. Talamér nickte knapp. Es war nur natürlich, dass Kaynar nach Gemeinsamkeiten suchte. Es würde ihm helfen, eine Beziehung zu seinem Leibwächter zu entwickeln, und das dringend benötigte Vertrauen zwischen ihnen zum Leben erwecken.

    „Wer sollte ein Interesse daran haben, dass Ihr mich beschützt?"

    „Damit sind wir wieder bei der Privatsache angelangt. Magst du mir nicht doch etwas von dir erzählen? Über deine Aktivitäten auf dem Landsitz?"

    „Das ist meine Privatsache." Kaynar presste seinem Braunen die Fersen in den Bauch und ließ das Tier antraben. Talamér seufzte und tätschelte Schleicher den schuppigen Hals.

    „Mit einem so übelgelaunten Begleiter hatten wir es lange nicht mehr zu tun, nicht wahr, mein Freund?" Er spähte erneut über die Schulter zurück. Das Anwesen der Ton Op’T Hofs war längst außer Sicht geraten, die Felder wichen saftigen Wiesen. Schnurgerade zog sich der Weg dahin. Mit einem sanften Ruck zügelte er Schleicher und kniff die Augen halb zusammen, um besser in die Ferne spähen zu können. Befand sich dort am Horizont eine Staubwolke? Seine Eidechse zischelte unruhig und wollte hinter dem Wallach herlaufen, trotzdem hielt Talamér Schleicher zurück. Erst als er sich versichert hatte, dass man ihnen wirklich auf den Fersen war, ließ er die Cronarr-Eidechse hinter Kaynar herflitzen.

    ~ * ~ * ~ * ~

    Es war früher Abend, als sie das nächste Dorf erreichten. Talamér hielt direkt auf ein Wirtshaus zu.

    „Wir werden die Nacht hier verbringen", erklärte er Kaynar zu dessen Überraschung.

    „Wir haben noch eine Stunde lang Tageslicht. In der Zeit könnten wir ein gutes Stück Weg schaffen." Trotz des Einwandes folgte Kaynar seinem Beispiel und stieg aus dem Sattel.

    „Wir haben Verfolger", sagte Talamér ruhig und nahm Schleicher den Sattel und das Halfter ab. Einen Moment später war die Eidechse auf der Suche nach einer Mahlzeit verschwunden. Ein Stallknecht näherte sich Kaynar, der Talamér erschrocken anblickte und die Zügel seines Pferdes fest umklammert hielt.

    „Sollten wir dann nicht erst recht weiterreiten?"

    „Damit sie uns in unserem Nachtlager überfallen? Nein, wir bleiben in aller Ruhe hier, essen etwas und geben uns sorglos. Zwischen den Gästen und Dorfbewohnern werden sie dir keine Klinge zwischen die Rippen schieben. Bleib trotzdem in meiner Nähe."

    Zögernd gab Kaynar die Zügel an den Knecht weiter.

    „Komm endlich. Oder willst du hier draußen auf deine Meuchler warten?"

    „Wie könnt Ihr bloß dermaßen gelassen sein? Sein Gefährte zeigte sich empört. „Und warum habt Ihr mir nichts von den Verfolgern erzählt?

    „Damit du etwas Unbedachtes unternimmst?" Talamér wurde ungeduldig. Musste er wirklich jede Entscheidung mit diesem verwöhnten Adligen diskutieren? Er war es gewohnt, dass seine Männer ihm bedingungslos gehorchten.

    Das waren allerdings disziplinierte Jäger gewesen, rief er sich ins Gedächtnis. Du hast es mit einem unterdrückten, vernachlässigten jungen Mann zu tun, der gerade einen Hauch Freiheit erschnuppert.

    „Ich bin kein kleines Kind mehr", bekam er von Kaynar zu hören.

    Mit einem spöttischen Schnauben wandte sich Talamér ab.

    „Du benimmst dich gerade wie eines", sagte er über seine Schulter zurück und zog die Tür zum Wirtshaus auf. Warme, verbrauchte Luft schlug ihm entgegen und der Geruch von Essen, Fett, ungewaschenen Körpern und verschüttetem Bier drang in seine Nase. Tief atmete Talamér ein. Es war nicht lange her, da war ihm der Gestank eines Wirtshauses wie Blumenduft vorgekommen und er selbst hatte regelmäßig mit dem Gesicht in einer Schnapslache gelegen. Der Lachende Hahn war eher mäßig besucht, wie er feststellte. Ein paar Dorfbewohner saßen mit ihren Bierkrügen beisammen und es gab mehrere Reisende, die sich in kleinen Grüppchen zusammengefunden hatten und über ihre Geschäfte, die Beschaffenheit der Wege und von Räubern sprachen. Bei seinem Eintreten verstummten die Gespräche, aber das war Talamér gewohnt. Elfen spazierten in Carraigh nicht jeden Tag durch ein unbedeutendes Dorf. Nach Befriedigung der ersten Neugierde wurden die Unterhaltungen fortgesetzt und Talamér schaute sich nach dem Wirt um. Er fand ihn hinter dem Tresen, wo er ein neues Fass anschlug.

    „Schlafplätze und eine warme Mahlzeit für zwei Reisende", sagte er gerade so laut, um das Stimmengemurmel zu übertönen. Der Wirt wischte sich die Hände an einer speckigen Schürze ab und musterte ihn rasch.

    „Gemeinschaftsbett oder Einzelzimmer?", fragte er genauso kurzbündig.

    „Das Gemeinschaftsbett ist ausreichend." Kaum ausgesprochen, spürte Talamér ein sanftes Zupfen im Rücken.

    „Meister? Meister, auf ein Wort."

    Beinahe hätte er die Augen verdreht. Was war denn schon wieder? Er ließ sich von Kaynar einige Schritte beiseite ziehen.

    „Das kann ich nicht", flüsterte sein Gefährte.

    „Was?"

    „Mit einem Fremden mein Bett teilen. Was, wenn derjenige Läuse hat oder schnarcht?"

    „Wir werden keine Einzelzimmer nehmen, knurrte Talamér. „Hast du bereits vergessen, dass wir hier nicht als Adlige auftreten?

    „Ich werde mich nicht zu anderen Reisenden in ein Bett legen. Das könnt Ihr nicht von mir verlangen. Und wenn doch, reite ich ohne Euch weiter", erklärte Kaynar aufgebracht.

    „Da bin ich wirklich gespannt, wie weit du kommen wirst."

    „Meister, bei allem Respekt …"

    „Respekt? Talamér lachte verächtlich auf. Erst als er erneut die interessierten Blicke der anderen Gäste auf sich gerichtet fühlte, wandte er sich an den Wirt: „Wir werden uns ein Zimmer teilen.

    Hastig fügte Kaynar hinzu: „Außerdem wollen wir frische Bettwäsche und einen Zuber …"

    „Wir nehmen das Zimmer, wie es ist und die Waschschüssel ist ausreichend. Bring uns zunächst das Essen, ja?"

    Der Wirt, der ihren Disput grinsend verfolgt hatte, nickte und suchte die Küche auf.

    „Meister, was tut Ihr da? Wir können es uns leisten."

    Talamér packte Kaynar am Arm und zog ihn mit zu einem freien Tisch. Dauernd diese Diskussionen! Wenigstens hatte sich Kaynar leise über ihr Vermögen geäußert.

    „Wir wissen nicht, wie lange wir mit den Münzen, die uns dein Vater mitgab, haushalten müssen. Gewöhne dich also daran, dass wir im Moment auf der Straße leben. Deine Nachtlager werden mit großer Wahrscheinlichkeit zukünftig weitaus armseliger ausfallen", erklärte er Kaynar.

    Der hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte ihn mit störrischer Miene an. „Wenigstens die Bettwäsche …"

    Talamér hatte genug. Er sprang auf und strebte dem Ausgang zu.

    „Wo wollt Ihr hin?" Kaynar rannte ihm nach.

    „Das geht dich nichts an."

    „Ihr sollt mich beschützen!"

    Abrupt fuhr Talamér zu ihm herum und zischte: „Genau das sollte meine Aufgabe sein. Stattdessen führen wir über jede meiner Entscheidungen eine Grundsatzdiskussion. Darauf habe ich keine Lust mehr, Kaynarcalidan Ton Op’T Hof. Lass dich ruhig in deiner sauberen Wäsche umbringen. Dein Mörder wird es zu schätzen wissen, wenn du vorher ein Bad nimmst."

    Kaynar zuckte zurück und senkte unter seinem zornigen Blick die Augen.

    „Du wolltest meinen Befehlen gehorchen und scheiterst schon an einem Nachtlager. Ohne jegliche Disziplin wirst du einen erbärmlichen Lord abgeben. Ich hoffe, dass sich deine Leibeigenen, Knechte und Soldaten genauso aufführen werden, wie du dich mir gegenüber benimmst. Vielleicht hatte dein Vater einen guten Grund, um sich deinem Bruder zuzuwenden." Das war gemein und Talamér wusste es. Kaynar wurde schlagartig bleich. Er biss die Zähne zusammen. Talamér konnte deutlich beobachten, wie sich sein Kiefer verkrampfte.

    „Komm, lass es raus", forderte er seinen Gefährten gereizt auf. Der schüttelte langsam den Kopf.

    „Und jetzt?", fragte Talamér.

    „Ich bin sicher, dass ich die Bettwäsche überleben werde", murmelte Kaynar. Irgendwie ahnte Talamér, dass er näher an eine Entschuldigung nicht herankommen würde.

    „In diesem Fall lass uns endlich etwas essen. Fluch und Verdammnis! Wenn ich eine andere Wahl gehabt hätte …" Er verstummte abrupt, da es müßig war, sich

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