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Atommacht Iran: Die Geburt eines nuklaren Staats
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Ebook498 pages6 hours

Atommacht Iran: Die Geburt eines nuklaren Staats

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Auch wenn der Iran jüngst angekündigt hat, seine Nuklearwaffenpläne vorübergehend zu stoppen – Teherans Atomprogramm birgt das Potenzial für massive militärische Konflikte im Nahen Osten, die noch wesentlich weitreichendere Folgen haben könnten als der Irakkrieg. David Patrikarakos sprach mit Politikern, Zeitzeugen und den Hauptentwicklern des Nuklearprogramms, entwirft ein facettenreiches Bild von Historie und Hintergründen der Atompolitik und sucht Antworten auf die zentralen Fragen – ob das Atomprogramm eine militärische Dimension besitzt und wie wahrscheinlich ein kompletter Rückzug wäre. Seit über zehn Jahren zählt die iranische Atomkrise zu den beherrschenden Themen der Weltpolitik. Die diplomatischen Beziehungen zum Westen liegen auf Eis, immer wieder ist von möglichen Anschlägen auf iranische Atomeinrichtungen und einem drohenden Krieg im Nahen Osten die Rede. Doch was steckt wirklich hinter dem Atomprogramm des Iran? Nach jahrelangen Recherchen legt David Patrikarakos ein faktenreiches Werk vor, das die Chronologie von den Anfängen des iranischen Nuklearprogramms vor über 60 Jahren unter dem Schah-Regime bis zur aktuellen Krise nachzeichnet. Überzeugend zeigt er auf, welche politische, wirtschaftliche und sogar psychologische Bedeutung das Nuklarprogramm für den Iran hat und in welchem Ausmaß die Anreicherung von Uran die Interessen globaler Konzerne bedient. Sein Fazit: Weil für das Mullah-Regime Glaubwürdigkeit und Identität auf dem Spiel stehen, kann es eigentlich kein Zurück mehr geben.
LanguageDeutsch
Release dateApr 30, 2013
ISBN9783944305103
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    Atommacht Iran - David Patrikarakos

    TEIL I

    Der Schritt in die Moderne:

    das Atomprogramm 1957 bis 2001

    Kapitel 1:

    Am Anfang war die Atombombe: Atomkraft in der Nachkriegszeit

    Im August 1945 warfen die Amerikaner zwei Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab. »Little Boy« (eine 60 kg schwere Uranbombe) und »Fat Man« (eine 6,4 kg schwere Plutoniumbombe) löschten innerhalb von Minuten fast 100 000 Menschenleben aus. Damit begann das Atomzeitalter. Ein japanischer Radiosender schilderte den Anblick wenige Stunden nach dem Angriff auf Nagasaki: »Praktisch alle Lebewesen, Menschen wie Tiere, wurden buchstäblich verbrannt.«¹ Die Bilder des »Atompilzes«, die um die Welt gingen, waren der wohl unvermeidliche Abschluss des langen Trauermarschs des Zweiten Weltkriegs. Sie einten die siegreichen Alliierten in dem Bekenntnis, das Blutvergießen der vorangegangenen sechs Jahre dürfe sich niemals wiederholen – zumindest nicht in ihrem Kreis. Die Welt brauchte mehr Regulierung, und um diesen Gedanken umzusetzen, wurden die Vereinten Nationen gegründet. Die allererste UN-Resolution aus dem Jahr 1946 stellte das »Problem« der Atomenergie ins Zentrum und rief zur »Eliminierung« aller Atomwaffen und sonstiger Massenvernichtungswaffen auf.² Etwas mehr als ein Jahr später, bei der dritten Sitzung 1948, forderte die Generalversammlung erneut, die Atombombe zu ächten.³ Die Atomkraft war da, und sie hatte alles verändert.

    Das Programm »Atoms for Peace«

    Die Vereinten Nationen sahen sich allerdings auch mit dem inhärenten Paradox der Atomkraft konfrontiert: eine saubere, erneuerbare Energiequelle, die in bislang ungekanntem Ausmaß zerstörerisch wirken, die aber auch Länder in die Moderne führen konnte. Diese neue Energie einer Welt vorzuenthalten, die danach rief, war einfach unrealistisch, zumal der Ruf universell erschallte, von Südostasien über den Mittleren Osten bis Nordeuropa. Es galt, die Atomkraft nutzbar zu machen, statt sie einfach aufzugeben.⁴ Während die UN über die Atomkraft debattierte, blickten die Staaten in ihrer neu ausbalancierten Weltordnung nach Washington, von wo sie eine substanziellere Reaktion erwarteten. Und die kam auch. Bei der achten UN-Generalversammlung am 8. Dezember 1953 in New York hielt der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower seine Rede »Atoms for Peace« (Friedliche Nutzung der Atomenergie), Grundlage für die internationale Regelung der Nichtweiterverbreitung, die bis heute wirksam ist. In seiner Rede schilderte er die weltweite Sorge angesichts der Atomenergie, skizzierte eine Reaktion, welche die Angst mildern sollte, und legte die dahinterstehenden Überlegungen dar.

    Eisenhower begriff, dass das zerstörerische Potenzial der Atomkraft die Welt ein für alle Mal verändert hatte, nicht zuletzt in der militärischen und politischen Sphäre, und dass dies ein internationales Problem darstellte. Vor allem aber erkannte er (oder erkannten seine Berater) schon damals die globale Bedrohung durch die Weiterverbreitung:

    ... das schreckliche Geheimnis und die furchtbare Wirkung der atomaren Macht kennen nicht nur wir allein [...] Falls die Vereinigten Staaten jemals etwas besessen haben sollten, was man als Monopol auf Atomkraft bezeichnen könnte, dann hat dieses Monopol vor etlichen Jahren zu existieren aufgehört [...] Das Wissen, das nun mehrere Länder besitzen, werden schließlich auch andere, wahrscheinlich alle teilen.

    Hinter dieser Rhetorik steckte Politik: Die Verpflichtung, eine supranationale Institution zu errichten, die sich ausschließlich der Regulierung der Atomkraft widmen sollte, wurde vier Jahre später, 1957, mit der Gründung der Internationalen Atom-Energieorganisation (IAEO) und der Internationalisierung der Verfügung über das atomare Material verwirklicht.

    Die hauptsächlich beteiligten Regierungen sollten bis zu dem durch die elementare Vorsicht erlaubten Grad jetzt beginnen und dann weitermachen, gemeinsame Beiträge von ihren Beständen normalen Urans und spaltbaren Materials an eine internationale Atomenergiebehörde zu übertragen.

    Jeder Staat, der dazu in der Lage war, sollte der Behörde nukleares Material und Fachwissen zur Verfügung stellen; die Behörde sollte das wiederum an diejenigen weitergeben, die es brauchten. Eisenhower hatte (mit der für ihn typischen blumigen Ausdrucksweise) ein simples Geschäft beschrieben. Die IAEO würde jedem Land helfen, das ein Atomprogramm haben wollte, und im Gegenzug die Verpflichtung einfordern, die Atomkraft nur zu zivilen und nicht zu militärischen Zwecken zu nutzen: »Atome für den Frieden«. Die Rede wurde mit stehendem Beifall und großer Zustimmung aufgenommen. Die europäischen Delegationen befanden, es sei die wichtigste Rede, die Amerika bisher vor den Vereinten Nationen gehalten habe.⁶ Winston Churchill sprach von einer »großen Erklärung«, die »in der verängstigten und verwirrten Welt widerhallen« werde.⁷ Auch die Reaktionen aus dem Nahen Osten waren fast einhellig positiv.⁸ Nur in der Reaktion der belgischen Delegation schwang ein Ton vorausschauender Beunruhigung mit; sie hielt den Vorschlag für unzureichend, weil er keine Abrüstungsverpflichtung beinhaltete und die Waffenarsenale der USA und der UdSSR unangetastet blieben.⁹ Als Kritik an den strukturellen Fehlern des in der Entstehung begriffenen Nichtweiterverbreitungsregimes war das scharfsichtig; als Warnung vor dem, was eine Hauptklage der Nichtatomwaffenstaaten werden sollte – dass die Atommächte nicht abrüsteten –, war es prophetisch.

    Washington war fest entschlossen, die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern, und vertrat das auch öffentlich mit Nachdruck. Das atomare Establishment in Amerika wollte der Welt unbedingt die »ungefährlichen Möglichkeiten des Atoms« zeigen. Schon bald tauchten Vorschläge auf, wie man anderen Ländern helfen könnte, ihre eigene Isotopenproduktion und Ausbildungseinrichtungen aufzubauen.¹⁰ Die friedliche Nutzung der Atomkraft entsprach dem Zeitgeist, in der Sprache der internationalen Diplomatie war Weiterverbreitung verpönt. Wer international akzeptiert sein wollte, lehnte Atomwaffen ab – zumindest öffentlich. Und Mohammed Reza Pahlavi, der Schah des Iran, wollte mehr als alles andere akzeptiert sein.

    Kapitel 2:

    Zwei verlustreiche Jahrhunderte: der Iran bei Anbruch des Atomzeitalters

    Ein erkennbar unsicherer Mohammed Reza Pahlavi legte am 17. September 1941 um 16 Uhr 30, einen Tag, nachdem sein Vater Reza Schah in einem Wagen ohne Kennzeichen Teheran verlassen hatte, den kaiserlichen Eid ab und wurde Schah des Iran. Die sowjetische und die britische Gesandtschaft fehlten demonstrativ in den Sitzreihen im Parlament, die für das diplomatische Korps reserviert waren, obwohl sowjetische und britische Truppen seit einigen Wochen im Iran standen. »Ich schwöre mit den heiligen Worten Allahs«, sagte der junge Schah bemüht energisch, »dass ich alle meine Kräfte darauf richten werde, die Grenzen des Landes und die Rechte des Volkes zu schützen.«¹¹ Als die Nacht hereinbrach, schrien und grölten britische Soldaten im Triumph auf den Straßen von Teheran; einige besonders kühne (und besonders betrunkene) zogen iranische Uniformen an, die sie in einer verlassenen Kaserne gefunden hatten, andere äfften Reza Schah nach, malten sich mit Schuhwichse buschige Schnurrbärte ins Gesicht und paradierten wie Pfauen.

    Mohammed Reza Schah hatte mitten im Zweiten Weltkrieg die »Macht« übernommen; die Umstände spiegelten sehr deutlich die Unsicherheit seiner Position und die des Iran wider. Beinahe wäre er gar nicht an die Macht gekommen. Gerade einmal 24 Stunden zuvor hatte die drohende Besetzung Teherans durch englische und sowjetische Truppen Reza Schah schließlich veranlasst, abzudanken und nach Südafrika zu fliehen. Unmittelbar vor der Abreise, schon am Palasttor, hatte er noch seinen unerfahrenen 21-jährigen Sohn (dem er nicht viel zutraute) überredet, zu bleiben und seine Stelle einzunehmen. Unterdessen hatte sich der britische Botschafter im Iran, Sir Reader Bullard, mit iranischen Abgesandten getroffen und den Kronprinzen als »unerträglich für die Regierung seiner Majestät« bezeichnet; außerdem versicherte er ihnen, auch die Sowjets stünden ihm »ablehnend gegenüber«.¹² Es waren Bestrebungen im Gange, die Dynastie der Kadscharen, insbesondere Prinz Hamid, den Sohn des letzten Kronprinzen Mohammed Hassan Mirza, wieder auf den Thron zu bringen. Hamid war mittlerweile britischer Staatsbürger (und immerhin Offizier in der Royal Navy, der sich Lieutenant Drummond nannte), doch da er kein Wort Persisch konnte, galt er selbst den britischen Experten für den Mittleren Osten als nicht vermittelbar. So wurde es Mohammed Reza Schah. Widerstrebend.

    Der Krieg hatte den Iran im Juni 1941 erreicht, nachdem Nazi-Deutschland die Operation Barbarossa gestartet hatte, die Invasion der Sowjetunion unter Bruch des von Molotow und Ribbentrop 1939 geschlossenen Nichtangriffspakts. Der Iran wurde damit zu einem strategisch wichtigen »Korridor« für den Nachschub der Sowjets, die an der Ostfront gegen die Deutschen kämpften. Großbritannien und die UdSSR hatten seit den späten 1930er-Jahren eine beunruhigende Annäherung zwischen dem Iran und Deutschland beobachtet; nun misstrauten sie der offiziellen Neutralitätsbekundung des Schahs und leiteten am 25. August 1941 die Operation Countenance ein, die Invasion des Iran, um die Ölfelder des Landes und die Nachschublinien zu sichern. Die Invasion war traumatisch für den Iran. Von den Schiffen der Royal Navy, die vom Persischen Golf her angriffen, und von den Panzern, die über die Grenze zum Irak rollten, wehte der Union Jack – für die Iraner der Inbegriff imperialer Machenschaften. Gleichzeitig rückten sowjetische Truppen von Transkaukasien vor und besetzten die nördlichen Provinzen Irans.

    Die Alliierten erreichten schließlich Teheran, bombardierten die Stadt und verursachten Angst und Schrecken (obwohl es nur wenige Tote gab). Noch schlimmer wirkte der totale Zusammenbruch des iranischen Militärs – es war der Stolz des iranischen Reichs gewesen. Der junge Mohammed Reza Pahlavi sah, wie die Soldaten zu Hunderten desertierten; teilweise flohen sie barfuß aus den Armeestützpunkten, während die Offiziere beim Herannahen der Alliierten zu Hause offene Feuer entzündeten und ihre Uniformen verbrannten. Wer nicht fliehen konnte, verkleidete sich als Frau. Ausgebombte Ruinen und menschenleere Straßen hinterließen einen tiefen Eindruck bei dem jungen Prinzen; er schwor, dass der Iran nie wieder derart schutzlos sein sollte. Seine Armee, wenn er jemals eine haben sollte, würde anders sein.

    Psychologisch verheerender war indes das Wissen, dass er seine Position den Großmächten verdankte: Sie hatten seinen Vater zur Abdankung gezwungen und dem Sohn schließlich nur widerwillig »erlaubt«, den Thron zu beanspruchen. Der neue Schah verinnerlichte in der Stunde seiner politischen Geburt zwei Wahrheiten: Seine Herrschaft musste militärisch stark sein, und die Großmächte, allen voran Großbritannien und Russland, waren in der Lage, sein Land auf höchster Ebene zu manipulieren. Tatsächlich konnten sie im Iran tun und lassen, was immer sie wollten. Für den Fall, dass er das nicht begriffen haben sollte, schickten die Briten ihm (via Ägypten) die Botschaft, er solle »lesen, aufnehmen, verstehen und verdauen, was seinem Vater widerfahren ist«.¹³ Das tat er.

    Ausländer hatten über die Zukunft des Iran entschieden – wieder einmal. Kein Land trägt schwerer an seinem Schicksal als der Iran. Wegen seiner geostrategischen Lage und seiner Bodenschätze ist er seit über 200 Jahren im Visier mächtigerer Länder. Zwar hat er nie direkte Kolonialherrschaft erfahren wie beispielsweise Indien, aber wiederholt fatale ausländische Einmischung. Wie viele andere einst mächtige Länder im Mittleren Osten erfreute sich auch der Iran relativer militärischer und wirtschaftlicher Gleichrangigkeit mit seinen Zeitgenossen, bis es im 19. Jahrhundert einen scharfen Einbruch gab, parallel zur raschen Industrialisierung des Westens und einem neu erwachten Interesse der Großmächte für den Mittleren Osten. Für das britische Empire war Persien (wie es damals hieß) das Tor zu seinem »Kronjuwel« Indien und insofern von vitaler Bedeutung. Außerdem begann Großbritannien, mit Russland um Einfluss in Persien und um die Vormacht in ganz Mittelasien zu rivalisieren – das sogenannte »Große Spiel«. Iran wurde zur Arena, in der die Supermächte ihre Kämpfe austrugen, und das machte die folgenden Ereignisse umso schlimmer.

    Ende der 1890er-Jahre zirkulierten erste Berichte über große Ölvorkommen in Persien. Sie veranlassten den britischen Industriellen William Knox D’Arcy, mit dem Schah des Iran, Muzaffar ad-Din, 1901 eine Konzession über Exklusivrechte für die Erkundung von Ölvorkommen zu unterzeichnen. Da die britischen Politiker glaubten, die Konzession bedeute einen Vorteil in der Auseinandersetzung mit Moskau, gaben sie D’Arcy ihre volle Unterstützung, während die Russen das Geschäft zu verhindern versuchten. Tatsächlich gelang es den Russen, die Verhandlungen zu verzögern, bis D’Arcys Vertreter in Teheran dem Schah schließlich zusätzliche 5000 Pfund bot, wenn er die Vereinbarung unterzeichnete. Diese relativ geringe Summe reichte aus. Am 28. Mai 1901 unterschrieb Schah Muzaffar ad-Din eine 18 Punkte umfassende Konzession, die D’Arcy exklusive Rechte für die Prospektion, Erkundung, Ausbeutung, den Transport und Verkauf von Erdgas, Erdöl, Ölsand und Bergwachs in einem Gebiet von 500000 Quadratmeilen – drei Viertel des Landes – für einen Zeitraum von 60 Jahren gab. Im Gegenzug erhielt der Schah 20000 Pfund in bar, weitere 20 000 Pfund in Form von Anteilen und 16 Prozent der jährlichen Nettogewinne der Firmen, die aufgrund der Konzession operierten. D’Arcy geriet in der Folgezeit in Schwierigkeiten, aber 1908 entdeckte er schließlich große kommerziell nutzbare Vorkommen, gerade rechtzeitig, dass die Anglo-Persian Oil Company (aus der später British Petroleum wurde) 1909 die Konzession übernahm. Die Anglo-Persian Oil Company (APOC) entwickelte sich zu einer der mächtigsten Ölfirmen weltweit und einem Trumpf der imperialen Interessen Großbritanniens in den nächsten 50 Jahren. Die Iraner betrachteten das Ganze als eine schändliche »Kapitulation« vor Ausländern.

    Und es war nur die jüngste Kapitulation. Knox D’Arcy verkörpert für die Iraner in vielerlei Hinsicht die Tragödie des modernen Iran. Gefangen zwischen den Großmächten der jeweiligen Zeit, die sich aus eigenen politischen oder finanziellen Gründen in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischten, mussten iranische Herrscher den Reichtum des Landes und (vielleicht noch wichtiger) seine »Integrität« den Interessen von Ausländern opfern in nachteiligen Geschäften, hinter denen eine militärische Drohung stand: oft unausgesprochen, manchmal offen, auf jeden Fall stets vorhanden. Schon vor der Ölkonzession hatte der Iran nach der Niederlage im russisch-persischen Krieg 1826 bis 1828 große Teile seines Territoriums an Russland verloren. Im Friedensvertrag von Turkmantschai musste der Iran 1828 den größten Teil des heutigen Zentralarmeniens und Teile von Aserbaidschan an Russland abtreten. Diese Verluste kamen noch zu den Gebieten hinzu, die Russland 15 Jahre zuvor mit dem Friedensvertrag von Gulistan annektiert hatte (darunter das heutige Dagestan und Ostgeorgien). Die Russen hatten dem iranischen Herrscher Fath Ali Schah angedroht, sollte er den Vertrag nicht unterzeichnen, würden sie innerhalb von fünf Tagen Teheran erobern.

    Unterdessen versuchte der Iran, sich in die politische Moderne vorzutasten. Von 1905 bis 1907 erwachte das iranische Volk schließlich zu politischem Bewusstsein in einer »konstitutionellen Revolution«, die zur Gründung des ersten iranischen Parlaments führte – genau zu der Zeit, als Briten und Russen das Land in »Einfluss-Sphären« aufteilten. Fast 20 Jahre später, 1925, »ermutigten« Moskau und London den weiteren politischen Wandel im Iran, indem sie halfen, die Kadscharen-Dynastie zu entmachten, die seit einem Jahrhundert geherrscht hatte. Moskau und London unterstützten insgeheim einen Militärputsch, bei dem Ahmad Schah Kadschar durch den jungen Reza Khan (später Reza Schah) ersetzt wurde. Weitere 20 Jahre später wurde Reza Schah selbst ein Opfer der Kräfte, die ihn an die Macht gebracht hatten. Es schien ein endloser Kreislauf zu sein, aber tatsächlich endete er immer damit, dass der Iran als Verlierer dastand. Selbst ohne das Trauma einer langen Besetzung lief die wiederholte Einmischung auf eine Kolonialisierung der iranischen Politik hinaus. Mohammed Reza Schah erfasste das 1941 intuitiv und erlebte den unvermeidlichen Höhepunkt 1953, als Engländer und Amerikaner gemeinsam Mossadegh stürzten.

    Die Verinnerlichung dieser (und vieler ähnlicher) Ereignisse war über 100 Jahre der Motor der iranischen Politik. Seit dem 19. Jahrhundert ging es den aufeinanderfolgenden iranischen Regierungen stets darum, eine Form von »Unabhängigkeit« zu erlangen und das iranische Staatsgebiet, dessen Gestalt auf der Karte einer »sitzende Katze« entspricht, zu schützen und zu bewahren. Die iranische Außenpolitik wandelte sich von den Versuchen des Premierministers Mirza Taghi Khan Amir Kabir Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Gleichgewicht zwischen den größeren Mächten zu erreichen, indem man ihnen allen Konzessionen anbot, zur Haltung Mossadeghs, der den Großmächten gar nichts anbieten wollte – mit voraussehbaren Ergebnissen. Doch allen Strategien lag dasselbe Narrativ zugrunde: dass der Iran ein schwaches Land ist und sich mit allen Mitteln gegen die stärkeren und aggressiveren Länder schützen muss, um so etwas wie »Unabhängigkeit« innerhalb einer vom Westen dominierten, seit eh und je feindseligen Welt zu erlangen. Eng damit verknüpft ist ein zweiter Imperativ: Es gilt, die nationale »Selbstachtung« wiederherzustellen, die dem Iran durch seine Begegnung mit dem Westen genommen wurde.¹⁴

    Die politische Rhetorik im Iran spiegelt die Ambivalenz im Verhältnis zu seiner eigenen Geschichte und die Bedeutung dieser Geschichte wider. Es ist ein Kampf zwischen Stolz auf eine glorreiche Vergangenheit und Scham angesichts der Unterwerfung in jüngerer Zeit (wobei die Scham überwiegt). 1971 wandte Mohammed Reza Schah aus diesem Gefühl heraus Millionen dafür auf, mit extravaganten Feierlichkeiten das (historisch fragwürdige) 2500-jährige Bestehen der iranischen Monarchie zu begehen. Fast 40 Jahre später sagte mir der iranische Botschafter bei der IAEO beim Tee, der Iran sei ein Land mit einer 5000-jährigen Geschichte und der Westen dürfe mit dem Iran nicht »in der Sprache von Tieren« reden. Das mag eine emotionale Äußerung gewesen sein, aber der Einfluss der Geschichte ist unbestreitbar und erklärt zu einem großen Teil, wie sowohl der Iran unter Pahlawi als auch die Islamische Republik politische Entscheidungen trafen und treffen, besonders in Atomfragen.

    Insofern ist es nicht überraschend, dass für Mohammed Reza Schah, als er 1941 nach jahrhundertelanger ausländischer Einmischung die Macht übernahm, Unsicherheit das beherrschende Gefühl war und er die Politik der ersten Jahre im Schatten der britischen und sowjetischen Besatzer führte. (In einem Artikel im Magazin Life wurde er 1942 als Herrscher »auf Probe« bezeichnet.¹⁵) So paradox es klingen mag, aber das war auch die am meisten demokratische Phase seiner Herrschaft. Es gab einen relativen Pluralismus und nicht die ausschließliche Kontrolle eines Einzelnen. Der Schah unternahm zwar Bemühungen, seine Stellung zu festigen, aber er war ein Playboy; er verbrachte mehr Zeit mit Tennis, Partys und Spritztouren durch Teheran in schnellen Autos als mit Regieren. Als er sich immer mehr auf die Politik einließ, geriet er in Machtkämpfe mit der Madschlis (dem Parlament), aufeinanderfolgenden Premierministern (vor allem Ahmad Qavam) sowie mit Landbesitzern und religiösen Schichten.

    Der Staatsstreich 1953 veränderte alles. Mohammad Mossadegh war seit seinem Amtsantritt als Premierminister am 28. April 1951 ein Problem für den Schah gewesen. Er spielte bereits seit der konstitutionellen Revolution 1905 bis 1907 eine Rolle in der iranischen Republik und saß seit seinem 24. Lebensjahr im Parlament. Mossadegh war Nationalist, und von Anbeginn seiner politischen Karriere lag ihm das iranische Öl sehr am Herzen. Fast 40 Jahre zuvor hatte er für ein Jahr den Iran in Richtung Schweiz verlassen aus Protest gegen das anglo-persische Abkommen von 1919, das den Briten Zugang zu den iranischen Ölfeldern und Förderrechte gewährte. Der Schah wollte logischerweise die Westmächte bei Laune halten, was bedeutete, ihren Durst nach Öl zu stillen. Als Mossadegh Premierminister wurde und lautstark verkündete, er wolle die iranischen Ölreserven verstaatlichen – die damals zum größten Teil von den Briten kontrolliert wurden –, war der Konflikt unvermeidlich.

    Mossadegh bot wiederholt große Summen als Entschädigung für die vorgeschlagene Verstaatlichung an, doch in dem grundsätzlichen Punkt, dass der Iran seine Ölvorkommen selbst kontrollieren sollte, war er zu keinen Zugeständnissen bereit. Der Plan tat zwar der nationalen Selbstachtung gut, war aber politisch naiv. Der Iran besaß einfach nicht die Stärke, um eine so aggressive Politik durchsetzen zu können. Als der amerikanische Präsident Truman im Januar 1953 von dem eher als Hardliner bekannten Eisenhower abgelöst wurde, konnte Großbritannien amerikanische Ängste vor dem Kommunismus mobilisieren. Mossadegh wurde zu einem weiteren iranischen Opfer der Machenschaften der Großmächte; am 19. August wurde er mit der von den Briten geplanten, von der CIA durchgeführten Operation Ajax gestürzt. Der Vorgang (ein erzwungener Regimewechsel) hat seither einen festen Platz in der politischen Rhetorik des Iran, in der Geschichtsdarstellung und in der kollektiven Erinnerung – Jahrhunderte ausländischer Einmischung fließen in diesem einen Bild zusammen, das die Geburt des politischen Bewusstseins des modernen Iran definiert.¹⁶

    Doch tatsächlich stärkte der Staatsstreich den Schah, der nicht länger den charismatischen Mossadegh als Gegenspieler hatte. Der Iran stand indes schwächer da als je, mit einem Herrscher, der seinen Thron zum zweiten Mal in zwölf Jahren ausländischen Mächten verdankte. Und der Schah blieb wachsam. Er neigte zur Paranoia (sah überall Kommunisten und die Sowjetunion als ständige Bedrohung), und Sicherheit wurde für ihn zur Obsession. Nach dem Staatsstreich hatte er wieder ein Problem: Sein neuer entschlossener Premierminister, General Fazllolah Zahedi, den die CIA als Anführer des Staatsstreichs ausgewählt hatte, beharrte darauf, alle verfassungsmäßigen Rechte des Premierministers zu behalten. Gleichzeitig verlangte er, der Schah solle lediglich eine repräsentative Funktion ausfüllen. 1955 gelang es dem Schah, Zahedi zu entlassen. Damit herrschte er erstmals allein im Iran. Zahedis Entlassung brachte keine sofortige Konsolidierung seiner Macht – das war ein schrittweiser Prozess, für den er, wie alle Diktatoren, seine Armee brauchte und, noch wichtiger, die Vereinigten Staaten.

    Insofern ist es vielleicht nicht überraschend, dass der Schah vieles von dem ablehnte, was zuvor passiert war. In seinem Buch Im Dienst meines Landes (erschienen 1961), das er angeblich selbst geschrieben hatte, skizzierte er seine kaiserliche Vision für den Iran. Mossadeghs Ideen wies er zugunsten seiner eigenen außenpolitischen Vorstellungen zurück, die »unser wiedererwachtes Nationalgefühl« widerspiegeln sollten und die er »positiven Nationalismus« nannte.¹⁷ Das hieß nicht Blockfreiheit (oder wie er sagte, »auf dem Zaun sitzen«, denn das habe zur »Infiltration umstürzlerischer Tendenzen« geführt), sondern einen eigenen Platz in der internationalen Ordnung zu finden. Sein Iran sollte für die »Ideale und Grundsätze« der Vereinten Nationen stehen und aktiv nach Bündnispartnern suchen.¹⁸

    Viele neu an die Macht gekommene Politiker haben den Wunsch, mit der Vergangenheit zu brechen. Wichtig ist, wie unterschiedlich der Schah und Mossadegh die Gründe für den Niedergang des Iran über 150 Jahre hinweg beurteilten. Mossadegh machte die imperialistische Gier der Briten und das Versagen des Iran bei der Verstaatlichung der Ölindustrie dafür verantwortlich. Der Schah sah zwei andere Gründe, und beide wurden für sein Atomprogramm entscheidend wichtig: die mangelnde Sicherheit und die technologische Rückständigkeit des Iran. Diese beiden Punkte fasste er zu den alles überragenden Zielen seiner Herrschaft zusammen, den Iran zu modernisieren und den Glanz Persiens wiederherzustellen. Besonders charakteristisch für das Land war daher in dieser Phase die soziale Seite der Modernisierung: Die große Masse der Bevölkerung wechselte von der Landwirtschaft in städtische Beschäftigungsverhältnisse.¹⁹ Doch der Iran blieb wirtschaftlich unterentwickelt und hatte weiter mit der Geschichte der Fremdherrschaft zu kämpfen. Die Atomkraft kam zu einem auf typische Weise in der Modernisierung begriffenen Staat, beherrscht von einem Mann, der von den USA abhängig war, sein Land verzweifelt »modernisieren« wollte und durchdrungen war von dem Wunsch, den schmerzlich empfundenen Verlust der nationalen Selbstachtung zu überwinden.

    Kapitel 3:

    Der Pfau möchte sein Rad schlagen: Atomkraft zur Zeit des Schahs

    Die 1950er-Jahre waren eine Zeit des Wandels. Während der Schah im Lacoste-Hemd auf dem Tennisplatz für die Fotografen posierte und auf den Basaren von Teheran Pariser Mode auftauchte, begann die High Society der Stadt von einer persischen Belle Époque zu träumen. Unterdessen war der britische Einfluss im Mittleren Osten, um den sich die iranische Oberschicht vermutlich weniger Gedanken machte, beinahe vollkommen geschwunden und vom Einfluss Amerikas abgelöst worden. (Der beste Beweis war die Sueskrise 1956, als die Amerikaner die Briten und Franzosen buchstäblich aus Ägypten herausgedrängt hatten.) Der Schah hatte die Kontrolle über sein Land verstärkt. Die Politik wurde zunehmend von seinen Wünschen diktiert, allem voran von dem Wunsch, den Aufstieg eines neuen Mossadegh zu verhindern, der seine Autorität hätte bedrohen können. Noch vor Zahedis Absetzung sorgte der Schah dafür, dass die Wahlen zur 18. Madschlis Anfang 1954 genau überwacht wurden (und die Kandidaten nach maximaler Beeinflussbarkeit ausgewählt wurden), damit der Konsortialvertrag mit den internationalen Ölgesellschaften (die Gegenleistung für den Staatsstreich von 1953, der Großbritannien und den USA einen ordentlichen Anteil an den Gewinnen aus den Geschäften mit dem iranischen Öl sicherte) durchgehen würde.

    Nach Zahedi konnte der Schah endlich die autokratische Modernisierung in Angriff nehmen, die ihm – genau wie seinem Vater – beinahe wichtiger als alles andere war. Bessere Bildung, verstärkte Urbanisierung und technischer Fortschritt waren, so glaubte er, die Schlüssel zur Zukunft des Iran, die seiner Überzeugung nach in engen Bindungen an den Westen lag. Washington steigerte die Rüstungslieferungen an den Iran und entsandte mehr zivile und militärische Berater. Auch Hilfsgelder flossen üppiger, weil der Iran in den Augen Amerikas ein entschiedener Gegner des Kommunismus war. So wuchs die Abhängigkeit des Iran von Washington, was zu einer Quelle der Empörung in der Bevölkerung und zu einer ernsten politischen Gefahr für den Schah wurde.

    Der zweite Entwicklungsplan der Regierung aus dem Jahr 1955 sah immer höhere (oft unwirtschaftliche) Ausgaben für wirtschaftliche und soziale Projekte vor. Der Schah betrachtete sich als einen aufgeklärten Herrscher, der den Iran endlich ins 20. Jahrhundert führen würde, behindert nur durch Reaktionäre mit Scheuklappen – »die Schwarzen und die Roten« (Kleriker und Kommunisten). Schon in diesem frühen Stadium glaubte er, Modernisierung sei gleichbedeutend mit Anschluss an den Westen, und so strömten westliche Waren und westliche Technologie ins Land, was in der Bevölkerung den Eindruck verstärkte, der Schah sei der »Schoßhund« des Westens (eine Sünde, die umso schwerer wog, als sein »Herrchen« Washington Israel unterstützte). Es kam darauf an, Fortschritt zu demonstrieren, und die Atomkraft war das jüngste Zeichen des Fortschritts.

    1957, vier Jahre nach dem Staatsstreich, erschien der Iran hinreichend stabil, um ihm Nukleartechnologie anzuvertrauen. In dem Jahr wurde das nukleare Ausbildungszentrum unter der Aufsicht der Central Treaty Organization (CENTO) von Bagdad nach Teheran verlegt. Die USA eröffneten in Teheran eine Ausstellung über »Atome für den Frieden«, und eine bilaterale Vereinbarung zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten über die Zusammenarbeit bei der »friedlichen Nutzung der Nukleartechnologie« wurde verkündet.²⁰ Im Rahmen dieser Vereinbarung musste der Iran versichern, sich nicht um Atomwaffen zu bemühen, aber er durfte »friedliche« Kernforschung betreiben, bekam technische Unterstützung und mehrere Kilogramm in den USA angereichertes Uran. Die Vereinbarung sah weiterhin die Lieferung eines 5-Megawatt-Leichtwasser-Forschungsreaktors vor.²¹ Das war die Geburtsstunde der Atomkraft im Iran, und die Vereinigten Staaten spielten die Rolle der Hebamme.

    Die frühen Entwicklungsjahre zogen sich indes lange hin. Das sehr kleine wissenschaftliche Establishment im Iran war einfach nicht in der Lage, auf dem aufzubauen, was Amerika geliefert hatte. Das Land besaß nun zwar eine nukleare Grundausstattung, hatte aber nicht die wissenschaftliche Kapazität, um sie zu nutzen. Der 5-Megawatt-Leichtwassereaktor – der Forschungsreaktor an der Universität Teheran – war fast das gesamte nächste Jahrzehnt nicht in Betrieb. 1965 kehrte ein junger Nuklearphysiker namens Akbar Etemad nach Studien in Genf und Paris mit besten Qualifikationen, aber ohne Arbeitsplatz heim in den Iran. Er hatte reichlich Zeit, die er sich wie viele Arbeitslose mit Fernsehen und Zeitungslektüre vertrieb. Die Presse berichtete, dass der Schah verärgert sei, weil es mit dem Reaktor nicht voranging. Der Bau stoppte, es fehlte schlicht an Fachwissen. Etemad erstaunte das nicht. Er war an die europäische Art gewöhnt, Dinge zu erledigen, und wunderte sich, dass die iranische Regierung keine Instanz hatte, die sich ausschließlich um die Nukleartechnologie kümmerte. Alle Nuklearfragen fielen in die Zuständigkeit der Planungsbehörde, die für sämtliche Entwicklungsprojekte im Land verantwortlich war.

    Die Träume des Schahs von einem technisch fortgeschrittenen Iran, der mit Atomstrom in die Moderne steuerte, schienen gescheitert, bevor die Umsetzung auch nur begonnen hatte. Öffentlich drängte er den Leiter der Planungsbehörde, Safi Asfia, die Dinge voranzutreiben, aber das war schlichtweg unmöglich, solange niemand den Reaktor bedienen konnte. Etemad wusste, dass er es konnte. So packte er eines Morgens in einer glücklichen Eingebung, wie es oft in der Geschichte vorkommt, seine Diplome zusammen, ging zum Büro der Planungsbehörde in Teheran und bat um ein Gespräch mit Asfia. Die Empfangsdame wollte ihn erst nicht vorlassen. Er sagte, wenn sie ihrem Chef erzählte, dass unten ein junger Iraner wartete, der sich mit Atomkraft auskannte, würde er ihn sehen wollen. Und so war es. Asfia war Professor für Ingenieurwissenschaft an der Universität Teheran und verfügte über genug technisches Wissen, um zu erkennen, dass er jemanden vor sich hatte, der sehr viel besser Bescheid wusste als er selbst. »Gott hat Sie zu uns geschickt«, sagte er mit offensichtlicher, verzweifelter Erleichterung zu Etemad.²²

    Etemad ließ seine Diplome im Büro. Man suchte so dringend nach qualifiziertem Personal, dass Etemad gesagt wurde, seine Diplome würden dem Schah persönlich vorgelegt, und er werde bald einen Anruf erhalten. Der Anruf kam zwei Tage später: Er sollte sofort an der Universität Teheran zu arbeiten beginnen, die zur Fertigstellung des Reaktors nötigen Gelder würden freigegeben. Etemads erste Reaktion, als er an der Universität ankam, war Schock. Die unzureichende Infrastruktur, der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern und das allgemeine Durcheinander machten ihm deprimierend klar, wie groß die Aufgabe war, die er vor sich hatte. Das Personal bestand aus ein paar Atomphysikern von der Universität ohne jede praktische Erfahrung, wie man einen Reaktor baute, betrieb und wartete. Der Reaktor war teilweise gebaut, aber noch lange nicht fertig, und insgesamt schien es Probleme zu geben.

    Etemad flog als Erstes nach Illinois zu American Machine and Foundry (AMF), der Firma, die die Reaktorteile geliefert hatte und beim Aufbau half. Dort konnte er die technischen Probleme identifizieren und lösen. Dann kam der schwierige Teil: Es mussten Personen für den Betrieb des Reaktors ausgebildet werden. An der Universität gab es einige wenige, die zu grundlegenden Handgriffen in der Lage waren, aber Etemad brauchte mehr, die bei der Produktion von Radioisotopen und anderen anspruchsvolleren Verfahren eingesetzt werden konnten. Alles in allem dauerte das zwei Jahre (von 1965 bis 1967). Schließlich konnte er den Reaktor der Universität zu Forschungs- und Ausbildungszwecken übergeben. Im November 1967 war er kritisch (betriebsbereit). Als Brennstoff verwendete man 93-prozentig angereichertes Uran (ironischerweise war das waffenfähig) aus den Vereinigten Staaten. 1968 wurde das Atomforschungszentrum an der Universität Teheran offiziell (und endgültig) eröffnet, das mit einem 5-Megawatt-Schwimmbadreaktor arbeitete, aber es war alles sehr rudimentär.

    Als Nächstes lehrte Etemad Atomphysik an der Universität Teheran, doch er war inzwischen viel zu wertvoll, um längere Zeit nur Professor zu bleiben. Ende 1969, nur ein Jahr nach Eröffnung des Atomforschungszentrums, zitierte ihn Premierminister Amir Abbas Hoveyda in sein elegantes Büro zu einem Gespräch, wie man die wissenschaftliche Forschung im Iran verbessern könnte. Die Unterredung war ziemlich kurz. Etemad bot an, Empfehlungen zusammenzustellen, und beharrte darauf, maßgebliche Experten hinzuzuziehen. Bei der Arbeit an dem Reaktor hatte ihn der Mangel an wissenschaftlicher Professionalität, geradezu ein Bestandteil der Kultur, in der Regierung am meisten verblüfft. Es gab schlichtweg kein Bewusstsein dafür, dass in landesweiten wissenschaftlichen Projekte Experten arbeiten sollten und nicht Bürokraten. Etemad empfahl den Aufbau einer unabhängigen nationalen Organisation, die sich allein der wissenschaftlichen Forschung widmen sollte. Der Vorschlag wurde gutgeheißen. So entstand das iranische Institut für Planung und Forschung in Wissenschaft und Bildung, geleitet von Etemad.

    Etemad hatte der Regierung die Vorstellung von wissenschaftlicher Spezialisierung nahegebracht; Technik und Forschung konnten nicht länger in einer einzigen Regierungsbehörde (die ausschließlich enttäuschende Ergebnisse vorzuweisen hatte) zusammengefasst werden. Die frühen Probleme hatte man technisch überwinden können, aber sie waren politisch lehrreich für Etemad: Wie es schien, wollte der Schah unbedingt das wissenschaftliche Establishment des Iran auf einen modernen Stand bringen; vor allem die Atomkraft war sein ganz persönlicher Wunsch. Er allein entschied, nahezu ohne Rücksprache mit der Regierung, ein Atomprogramm zu starten. Die Atomkraft war nicht als Ergebnis von politischer Debatte und politischem Konsens in den Iran gekommen, sondern durch den Willen eines einzigen Mannes.

    Etemad lag mit seiner Einschätzung richtiger, als er ahnte. Erfolgreiche Atomprogramme in aufstrebenden Ländern hängen traditionell von der Unterstützung autoritärer Führer ab, die die Atomkraft ganz oben auf ihre politische Agenda setzen. Nicht demokratische Länder haben seltener mit Formen von Opposition zu tun – oppositionellen Gruppen, der öffentlichen Meinung, einem widerstrebenden öffentlichen Dienst, um nur ein paar Beispiele zu nennen – als Demokratien, und wenn ihre politischen Führer etwas unbedingt wollen, kommt es in der Regel auch. In den 1960er- und 1970er-Jahren waren Indien und Argentinien die beiden aufstrebenden Länder mit den am weitesten fortgeschrittenen Atomprogrammen (Argentinien hatte allerdings Probleme mit seinem Programm). Beide hatten wie der Iran in den 1950er-Jahren begonnen, und beide konnten in den Anfangsjahren auf die Hilfe starker politischer Führer bauen. 20 Jahre lang leitete Homi Bhabha die Indische Atomenergiebehörde, von den bescheidenen Anfängen bis zur Weltklasseinstitution mit mehr als 1800 Wissenschaftlern und Ingenieuren und 3000 Technikern. Ohne die unerschütterliche Unterstützung durch Premierminister Jawaharlal Nehru wäre das nicht möglich gewesen. In gleicher Weise hatte in Argentinien Admiral Oscar Quihillalt freie Hand beim Atomprogramm, weil Juan Perón die Atomkraft wünschte; er konnte nach Belieben lästige politische Einschränkungen und Kontrollen umgehen.²³

    Zu Beginn der 1970er-Jahre kehrte Etemad wieder an die Hochschule zurück und beobachtete, wie der Schah die Kontrolle über nahezu alle Lebensbereiche im Iran verschärfte. In den frühen 1960er-Jahren hatte die Regierung Kennedy Druck auf ihren Verbündeten ausgeübt, Reformen durchzuführen (oder wenigstens ein Lippenbekenntnis zu Reformen abzulegen). Daraufhin gab es tatsächlich verschiedene Lockerungen, die der Schah – neben der schon früher erfolgten Einführung eines »Zwei-Parteien«-Systems (mit einer offiziellen »Opposition«, die man attackieren konnte) – dazu nutzte, um Washingtons Bedenken zu zerstreuen und sich als moderner, gerechter Herrscher zu inszenieren. Man kann das Ausmaß der Veränderungen von 1953 bis Ende der 1970er-Jahre im Iran kaum überschätzen. Das Öl machte den Schah frei: 1953 beliefen sich die Einnahmen aus Ölverkäufen auf 34 Millionen Dollar jährlich, Ende 1973 auf fünf Milliarden Dollar.²⁴ Trotz großer Verschwendung und viel Korruption flossen im Rahmen des zweiten (1955–1962), dritten (1962–1969), vierten (1968–1973) und fünften (1973–1978) Entwicklungsplans fast 30 Millionen in wirtschaftliche und soziale Projekte. Das Bruttosozialprodukt stieg in dem Zeitraum von drei Milliarden Dollar auf über 53 Milliarden, das Pro-Kopf-Einkommen verzehnfachte sich von weniger als 160 Dollar auf über 1600 Dollar, obwohl die Bevölkerung von 18 Millionen auf fast 35 Millionen anwuchs.²⁵ Von 1953 bis 1977 vergrößerte sich das Bildungssystem um 1000 Prozent, und das Land erlebte eine Industrialisierung in bisher ungekanntem Ausmaß; überall schossen Fabriken förmlich aus dem Boden.

    Dies, zusammen mit immer besseren Streitkräften und fähigeren Sicherheitskräften der Regierung, vor allem der verhassten Geheimpolizei SAVAK, die jegliche Opposition im Land unterdrückte, gab dem Schah ein Gefühl der Stärke, das schon an Hybris grenzte. Fast ein Jahrzehnt zuvor, 1965, hatte er sich aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums seiner Thronbesteigung den Titel »Sonne der Arier« (Aryamehr) verliehen. Der Ölreichtum nach 1973 vollendete seine Metamorphose zum Sonnenkönig des Iran. Der 1974 amtierende Premierminister Hoveyda fasste die »straffe« Politik in der späten Herrschaftszeit des Schahs so zusammen: »In den westlichen Ländern«, erklärte er selbstgefällig, »redet man zu viel über die Dinge, schiebt sie von einem Ausschuss zum nächsten. Hier gehen wir zum Schah, und dann handeln wir.«²⁶ Für das Atomprogramm hieß das, dass Lieblingsprojekte – und ein solches war das Atomprogramm – in Politik umgesetzt wurden. Die Ölpreise und die Atomkraft waren zwei Themen, zu denen man den Schah jederzeit sprechen konnte, und bei beiden traf er persönlich Entscheidungen.

    Die Gründung der Iranischen Atomenergieorganisation (AEOI)

    Drei Dinge beeinflussten somit die Geburt des Atomprogramms, seine Ausgestaltung und seine Zielsetzung in den Anfangsjahren. Die beiden wichtigsten waren die Unterstützung

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