Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

How soon is now: Wie lange wollen wir noch warten? Ein Manifest gegen die Apokalypse
How soon is now: Wie lange wollen wir noch warten? Ein Manifest gegen die Apokalypse
How soon is now: Wie lange wollen wir noch warten? Ein Manifest gegen die Apokalypse
Ebook504 pages5 hours

How soon is now: Wie lange wollen wir noch warten? Ein Manifest gegen die Apokalypse

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Wir stehen am Rande einer ökologischen Megakrise. Unser Handeln in den kommenden Jahren wird wohl auch das Schicksal unserer Nachkommen bestimmen. Angesiedelt zwischen Manifest und konkretem Aktionsplan skizziert der radikale Futurist und Philosoph Daniel Pinchbeck eine Vision für eine soziale Massenbewegung, die in der Lage ist, diese Krise anzugehen. Pinchbecks zentrale These: Die Menschheit hat die Katastrophe unbewusst selbst herbeigeführt, um unseren gegenwärtigen Zustand zu transformieren. Wir stehen vor einer Feuerprobe, die notwendig ist, um uns von einem Zustand des Seins zum nächsten zu entwickeln. Basierend auf umfangreicher Forschung bezieht er dabei Energie- und Landwirtschaft, Kultur, Politik und Medien mit ein, vereint indigene Entwicklungsprinzipien und östliche Metaphysik mit sozialer Ökologie und radikalem politischen Denkens. Letztlich stellt How soon is Now? die Natur der menschlichen Seele und die Zukunft unserer aktuellen Welt auf den Prüfstand.
LanguageDeutsch
Release dateFeb 20, 2017
ISBN9783958031180
How soon is now: Wie lange wollen wir noch warten? Ein Manifest gegen die Apokalypse

Related to How soon is now

Related ebooks

Politics For You

View More

Related articles

Reviews for How soon is now

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    How soon is now - Daniel Pinchbeck

    Teil eins

    PLANETARE INITIATION

    1.

    DAS HAUS ABBRENNEN

    Zehn Jahre ist es nun her. Um genau zu sein: Es war am 1. September 2005, ungefähr zur Zeit des Sonnenuntergangs, als ich versucht habe, eine globale Revolution anzuzetteln. Ich bin auch heute noch ziemlich stolz auf das, was damals geschah. Zugleich aber war es eine der demütigendsten Erfahrungen meines Lebens. Dazu inspirierten mich ein starker psychedelischer Auslöser und Hurrikan Katrina, der zur selben Zeit in den Südstaaten wütete.

    Ich war damals auf dem Burning-Man-Festival. Wie inzwischen fast jeder weiß, ist dieses Festival ein anarcho-libertäres, pseudo-utopisches Kunstereignis, das jeden Sommer in der Black-Rock-Wüste von Nevada stattfindet. Das Festival ist im Lauf der vergangenen Jahre stark gewachsen. Seit Celebrities und Silicon-Valley-Milliardäre sich dort blicken lassen, hat es weltweit die Aufmerksamkeit der Medien errungen.

    In den vergangenen Jahren hat das Festival die Gestalt einer temporären Großstadt angenommen: Black Rock City, eine Stadt, die alljährlich für eine Woche in der weiten Leere der Black-Rock-Wüste von Nevada zum Vorschein kommt. Das Festival versucht dort auf der Basis von Kunst, gegenseitigem Schenken und Selbstausdruck eine freie Kultur zu erschaffen. Es ist frei von Kommerz. In meinem ersten Buch habe ich es als »dekadenter als Warhols Fabrik, glamouröser als das Berlin der 1920er-Jahre, mehr als Liebesfest denn als Pepperland, anarchischer als Groucho Marx’ Freedonia und unwahrscheinlicher als eine Fata Morgana« beschrieben. Im Jahr 2005 hatte die Stadt ca. 40000 Einwohner. Sie ist heute auf über 80000 angestiegen.

    Die Stadt hat die Form eines großen Halbkreises, mit der 17 Meter hohen Statue eines Menschen im Zentrum, dahinter liegt die Wüste mit dem sogenannten Tempel. Die Statue wird nachts am Festivalsamstag auf spektakuläre Art verbrannt, am Sonntag wird der Tempel in Brand gesetzt. Der weite Wüstenraum, genannt Playa, ist kilometerweit mit Kunstprojekten und Skulpturen übersät. Das Tanzen zu elektronischer Musik gehört zu den Hauptaktivitäten auf dem Festival. Themencamps bauen riesige Tanzflächen und DJ-Stände auf, wo Tausende Menschen die Nacht hindurch tanzen. Es gibt auch Camps, die Workshops abhalten, und Massage-Zelte. Zudem werden Gesprächsreihen und Dialoge angeboten.

    Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich nach der Landung meines Flugzeugs in Reno an TV-Bildschirmen vorbeikam, die Hurrikan Katrinas unheilverkündende Oktopusarme zeigten, die sich Riesen gleich in die Höhe schraubten. In den Nachrichten sagten die Meteorologen Katrinas vermutlichen Kurs auf Louisiana voraus. So dramatisch diese Notlage auch war, sie erschien mir surreal – als ein Ereignis, das nichts mit meinem Leben zu tun hatte.

    Als Katrina New Orleans erreichte, lief das Burning-Man-Festival auf Hochtouren. Tausende kostümierter Menschen zogen tagsüber in Feierlaune durch die Straßen und tanzten jede Nacht. Damals ging noch keiner während des Festivals ins Internet, und man hatte auch noch keine Mobilfunkverbindung vor Ort. Ich erfuhr von Katrina durch Freunde, die erst spät in der Woche zu uns stießen. Sie beschrieben mir, welch eine Zerstörung der Hurrikan angerichtet hatte. Ich erfuhr, dass die Regierung 15000 arme Menschen, hauptsächlich Afroamerikaner, im Superdome von Louisiana unter unhygienischen Bedingungen zusammengepfercht hatte, ohne Zugang zu Wasser und Elektrizität. Laut den Nachrichten, die meine Freunde aus der »normalen Welt« mitbrachten, brachen in den Südstaaten Aufstände aus, und Reservisten der Nationalgarde wurden einberufen. Es schien, als sei Amerika, das lange ein brodelnder Hexenkessel voller Rassenhass und Klassenkonflikten gewesen war, nun kurz davor, überzukochen. Auf dem Burning-Man-Festival wusste jedoch niemand davon – oder es kümmerte schlichtweg keinen.

    Als ich an jenem Tag umnebelt und berauscht durch die Wüste fuhr, trat ich in einen Zustand messianischen Größenwahns ein, der außerhalb der normalen Grenzen von Zeit und persönlichen Geschichten lag. Kein Gespür für linearen Fortschritt oder Folgen für die Zukunft hielt mich mehr zurück. Ich glaubte, dass das aus dem Fraktalen hervorquellende Jetzt die einzige Zeit sei, auf die es ankäme, und die einzige Zeit, die je existiert habe. Ich war wütend über das Versagen unserer Spezies bei dem Versuch, »das System« zu überwinden: den militärisch-industriellen Komplex, das herrschende Finanzsystem, die Megamaschinerie der weltbeherrschenden Unternehmen. Dieses System war nicht nur korrupt, beunruhigend und heuchlerisch, es zerstörte auch die Biosphäre und mit ihr unsere gemeinsame Zukunft als Menschheit.

    Revolution aus Spaß

    Im Jahr 2000 besuchte ich das Burning-Man-Festival zum ersten Mal. Ich war als Journalist dort, um für die Zeitschrift Rolling Stone darüber zu berichten. Ich machte mir keine großen Hoffnungen, dort etwas Bedeutsames zu finden. Es erschien mir eher eine sehr von sich selbst eingenommene, hippieartige Veranstaltung zu sein. Als ich aber Black Rock City besuchte, wurde mir klar, dass das Festival weit über das hinausging, was ich erwartet oder mir vorgestellt hatte. Innerhalb weniger Tage begriff ich, was aus der Menschheit werden könnte.

    Ich entdeckte dort eine riesige Gemeinschaft liebender und einander unterstützender Menschen, die sich um authentischen Selbstausdruck, unmittelbares Erleben und persönliche Freiheit bemühten. Für die Feiernden war die Erforschung des Bewusstseins nichts Nebensächliches oder Wertloses. Die meisten verstanden es als wesentlichen Ausdruck menschlicher Freiheit. Als New Yorker hatte ich keine Ahnung, dass sich die psychedelische Gegenkultur der Westküste seit den Tagen der LSD-Experimente auf so spektakuläre Weise entwickelt hatte.

    Das Festival an sich war schon eine Initiation. Es war eine Herausforderung, in dieser hoch gelegenen Wüste die brennend heißen Tage und kühlen Nächte zu überleben. Die Tatsache, dass jeder Einzelne den Elementen ausgesetzt war, war ein Teil dieser Reise. Wir alle hatten uns bewusst dafür entschieden, diesen Beinahe-Notstand zu erleben. Das brachte uns näher zusammen und verband uns miteinander.

    Vielleicht sollte mir das peinlich sein, aber in meiner persönlichen politischen Entwicklung nimmt Black Rock City einen ebenso wichtigen Platz ein wie die Pariser Kommune von 1870 für Karl Marx und Friedrich Engels.

    »Das Paris der Arbeiter mit seiner Kommune«, begeisterte sich Marx, »wird ewig gefeiert werden als der ruhmreiche Vorbote einer neuen Gesellschaft.« Obwohl die französische Gesellschaft die Revolution durch die Exekution von Tausenden niederschlug, schrieb Marx viele Bücher – und bewies damit, dass es sicherer war, als Lehnstuhl-Revolutionär in Erscheinung zu treten denn als Straßenkämpfer.

    Die wesentliche politische Einsicht, die ich vom Burning-Man-Festival mitnahm, war unsere Fähigkeit, die Gesellschaft auf der Basis neuer Prinzipien zu reorganisieren, die sich von den heutigen stark unterscheiden. Wir können eine postmoderne Zivilisation erschaffen, in der das Streben nach Kunst, Ekstase, Spiel und spiritueller Gemeinschaft ein zentraler Bestandteil ist. Ich glaubte, dass ein schnelles globales Erwachen möglich sei – das Burning-Man-Festival hatte dazu den Weg geebnet. Erst wenn wir unsere fragile Welt als kollektives Kunstprojekt neu erfinden, können wir unsere technologischen Fähigkeiten und Medienkompetenz einsetzen, um uns als Menschheit von sinnlosem Leiden, zerstörerischen Gewohnheiten und veralteten Glaubenssystemen zu befreien.

    Naiverweise nahm ich an, dass das Burning-Man-Festival für all seine Besucher nur eine Vorbereitung, eine Art Generalprobe für das eigentliche Ereignis sei. Wir testeten dort die Prinzipien und das Ethos einer befreiten Gesellschaft aus, die sich irgendwann rasch über die ganze Welt ausbreiten würden. Eines Tages würden wir eine Verwandlung unserer Zivilisation zustande bringen, indem wir sie im Schmelztiegel unserer Fantasie neu erschufen.

    In jener Nacht im Jahr 2005 sah ich im feierlichen Spektakel des Burning Man zum ersten Mal ein künstliches Paradies, das uns von der düsteren Realität ablenkte, mit der wir konfrontiert waren. Diejenigen, die eigentlich das Bewusstsein und die Fähigkeit hatten, die Welt zu verändern, waren in einem Spiegelsaal gefangen, in einer raffinierten Falle. Das Burning-Man-Festival war wie eine autonome Zone für kurze Zeit, eine wunderschöne Fata Morgana. Es zeigte uns, was möglich war, aber es raubte uns die nötige Energie, um auf eine Systemveränderung hinzuarbeiten – es lenkte uns von einer Konfrontation mit den Mächten der realen Welt ab. Es förderte die kulturelle Rebellion, nicht die soziale Transformation. Das Burning-Man-Festival war zu einer eigenen Kultur geworden, die die Menschen gehorsam und selbstgefällig machte.

    Voller Wut fuhr ich mit dem Fahrrad zum Café im Zentrum. Dort spielte eine Band mit hippen Musikern aus San Francisco – trommelnd, Banjo spielend, trompetend – vor einer begeisterten Menge. Ich sprang auf die Bühne und nahm dem Ansager, einem eleganten Impresario, der für seine Steampunk-Kleidung, seinen weißen Hut und den unglaublich langen Bart bekannt war, das Mikrofon aus der Hand. Die Band hörte auf zu spielen. Ich war auf dem Festival bereits wohlbekannt, denn ich hatte am Vortag in der großen Traglufthalle des Palenque Norte Camps im Rahmen einer Vortragsserie vor ein paar Hundert Menschen gesprochen, und einige der Zuhörer dieser Veranstaltung waren jetzt in der Menge.

    Ich begann mich – nur halb zusammenhängend –, über Katrina sowie die ökologische und geopolitische Notlage im weitesten Sinne auszulassen, in der sich unsere Spezies befindet. Ich wies darauf hin, dass etliche von uns schon viele Jahre zum Burning-Man-Festival kamen, um dort eine große Party zu feiern – und fügte hinzu, dass die Party nun vorbei sei. Jetzt könnten wir etwas anderes in Angriff nehmen, das vielleicht ebenso viel Spaß machen würde: Wir könnten nun die Grundlage für eine neue sozialpolitische Ordnung schaffen. Einige hörten aufmerksam zu. Andere buhten mich aus. Sie versuchten mehrmals, mich von der Bühne zu ziehen, sodass die Band weiterspielen konnte, aber ich ließ mich nicht verscheuchen.

    Schließlich überzeugte mich Paradox, ein in der Bay Area wohlbekannter Künstler, das Mikrofon zurückzugeben. Wir gingen nach draußen und saßen dort zusammen im Staub. Ich war noch immer wütend. Immer wieder packte ich ihn und zog an seinen Haaren. Das war der ungewöhnliche Beginn einer großen Freundschaft. Während ich, noch immer high, mit ihm sprach, brütete ich einen ehrgeizigen Plan aus.

    Ich schlug vor, den alljährlichen Höhepunkt des Festivals – das Verbrennen der Figur, die dem Festival seinen Namen gab –, ausfallen zu lassen. Dies fand bisher immer an einem Samstag statt, gefolgt von der Opferung des Tempels am Tag danach. Stattdessen würden wir die Burning-Man-Gemeinschaft einladen, für ein paar weitere Wochen in der Wüste zu bleiben, um gemeinsam eine planetarische Verfassung zu entwerfen, ein soziales Netzwerk zu erschaffen und eine Medienplattform ins Leben zu rufen, die den zügigen Übergang in eine postkapitalistische Gesellschaft unterstützen sollten. Ich wusste, dass viele schlaue Köpfe an diesem Festival teilnahmen, führend in so vielen Bereichen, von Software über Popmusik und Finanzen bis hin zur Rechtswissenschaft. Katrina war für uns die Chance, die wir ergreifen mussten. Der Hurrikan hatte uns den planetaren Notstand im Kleinen vor Augen geführt. Wir würden die Katastrophe nutzen, um auf konzentrierte und organisierte Weise das kreative Potenzial der Gemeinschaft anzuzapfen.

    All das sah ich blitzartig vor mir. Ein Teil der Festivalbesucher – Juristen, Softwareprogrammierer, Sozialwissenschaftler, Anthropologen, Finanzanalytiker, NGO-Mitarbeiter und viele mehr – würde sich jeden Tag im Zentralcafé treffen, um in einem kooperativen, auf Konsens basierenden Prozess den Prototyp einer neuen Gesellschaftsstruktur zu erschaffen. Dieses Netzwerk würde die Grundlagen für eine demokratische Entscheidungsfindung, das Teilen von Ressourcen und alternativen Methoden des Austauschs von Werten legen, um das gegenwärtige Geldsystem zunächst zu ergänzen und später ganz zu ersetzen.

    Eine weitere Gruppe der Festivalbesucher – Filmemacher, Journalisten, Dichter und Künstler – würde diesen Entwicklungsprozess dokumentieren: das Niederschreiben der planetarischen Verfassung, getragen von dem Wunsch nach einer geeinten Welt, die auf ökologischer und sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit, Frieden und Rechtschaffenheit beruht. Anstelle eines stufenweisen, sporadischen Fortschreitens würde die Menschheit als Ganzes einen plötzlichen Sprung nach vorne machen.

    Um den Tempel, die spirituelle Gemeinschaft des Burning Man, würden sich Meditierende, Yogis, Alchemisten, Sufis, Kabbalisten und Hexen rund um die Uhr für ein rituelles Zusammensein versammeln. Visualisierend und meditierend würden sie den Plan für eine neue planetarische Kultur auf die Erde begleiten, der jetzt noch irgendwo im Sternenhimmel über uns schwebte. Rockmusiker, DJs, Opernsänger und andere Künstler würden rund um die Uhr ein Konzert geben, das live in die Welt da draußen übertragen würde.

    Ich nahm an, dass die reicheren der Burning-Man-Teilnehmer gerne einige Tausend Dollar beisteuern würden, um Essen und Wasser aus Reno herbeizuschaffen und dadurch diesen so wichtigen Prozess zu unterstützen. Die vorhandenen Güter würden allen zur Verfügung stehen, sodass niemand mehr wertvolle Zeit vergeuden müsste. Anstatt sein eigenes Fahrrad in einem Durcheinander von vielen suchen zu müssen, könnte man einfach das nächstbeste nehmen. Und statt zu seinem eigenen Wohnwagen zurückzukehren, könnte man in irgendeinem nahe gelegenen Camper ein Nickerchen machen. Wir würden die Revolution leben, während wir sie erschufen – wir würden das neue Jetzt mitgestalten.

    Während ich meinen Plan ausbrütete, dachte ich an das enorme PR-Potenzial, das in ihm steckte. Wir würden die Revolution als Kunstperformance in Echtzeit durchführen. Ich stellte mir vor, wie wir uns den Weltmedien präsentieren würden: als Gemeinschaft der interkulturellen Hedonisten, Hippies, Kiffer, Nerds und Silicon-Valley-Millionäre, die eindeutig Stellung beziehen und Verantwortung für die Zukunft unseres Planeten übernehmen, während der Krieg im Mittleren Osten weitertobt, sich gesellschaftliche Straftaten und Naturkatastrophen fortsetzen und der Klimawandel immer weiter voranschreitet.

    Anfangs würden wir verspottet werden. Doch bald würden die Medien – das globale Publikum – aufhören, uns zu verhöhnen. Sie würden verstehen, dass nur so tief greifende soziale Veränderungen stattfinden können – ausgehend von den schmutzigen, radikalen Rändern unserer Gesellschaft. Wenn wir das neue Peer-to-Peer-Netzwerk für direkte Demokratie und unsere Open-Source-Medienplattform erst einmal aufgebaut und eröffnet hätten, um spirituelle Erkenntnis, die gerechte Aufteilung der Ressourcen auf Erden und die Entwicklung des Bewusstseins zu fördern, würde jeder Erdbewohner mit an Bord gehen. Ich schätzte, dass der gesamte Prozess ungefähr sechs Monate dauern würde. Bis dahin würden wir sogar George W. Bush, Wladimir Putin, die Elite der Bilderberger-Konferenz, die Koch-Brüder, den obersten Führer von Nordkorea, die Sunni-Imame, die schiitischen Ajatollahs, Bill Gates, Mark Zuckerberg und den chinesischen Premierminister sicher auf unserer Seite haben. Wir würden uns zusammensetzen und die Dinge ausarbeiten, wenn nötig unterbrochen von Pausen mit Ecstasy-unterstützter Gruppentherapie.

    Die nächsten beiden Tage schlief ich nicht, da ich versuchte, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Ich eilte von einem Burning-Man-Camp zum nächsten, um Verbündete zu finden und ein Team von Freiwilligen zu bilden. Bei Disorient, einem etablierten New Yorker Camp, das für seine hellorangen Kostüme und pulsierenden Technoparty-Lichteffekte bekannt war, schlug ich einem der Organisatoren die Champagnerflasche aus der Hand und machte ihm klar, dass er sich verziehen solle, während das Sprudelwasser im Staub versickerte.

    »Hast du in den Jahren nicht genug Party gehabt?«, schrie ich ihn an. Als sie mich aufforderten zu gehen, legte ich mich protestierend auf den Boden. Einige Mitglieder von Disorient zogen mich an den Füßen aus dem Camp hinaus. Ich fand es lächerlich, dass sie mich durch den Staub zerrten, von einem leeren Platz zum nächsten, als wäre der Campingplatz tatsächlich Teil ihres Grundbesitzes.

    Ich versammelte ungefähr 25 Leute aus meinem Camp, Entheon Village, um mich und versuchte, sie von meiner Vision zu begeistern. Um mich bei Laune zu halten, übernahmen Freunde und frisch Rekrutierte die Rollen von Oberleutnants und Unteroffizieren in einer wilden Narrenarmee. Als klar wurde, dass wir nicht die Kraft haben würden, das Verbrennen der Burning-Man-Figur zu verhindern, verlief sich mein revolutionäres Projekt im Wüstensand.

    Doch ein großer Traum für die Welt – wie narrenhaft und unsinnig er auch gewesen sein mag – hinterlässt immer einen kleinen, glühenden Funken. Ich habe so viel von diesem peinlichen Unternehmen gelernt! Ob es eine Sackgasse war oder eine Vorahnung dessen, was kommen würde, weiß ich bis heute nicht. Für ein paar illusionstrunkene Stunden fühlte ich mich wie die Jakobiner 1789. Ich war überzeugt, dass es wirklich geschehen würde. »Aktion ist die einzige Wirklichkeit«, wurde dem Yippie-Aktivisten Abbie Hoffman einmal während eines LSD-Trips klar – wie eine leer gewischte Tafel kann unsere soziale Wirklichkeit vollkommen neu erfunden und erschaffen werden, wenn die Umstände passen und ein glücklicher Zufall es will.

    Systemänderung

    Aber weshalb, fragen Sie vielleicht, brauchen wir einen Systemwechsel? Für viele von uns sind die Gründe glasklar. Die Präsidentschaftskampagne von Bernie Sanders hat den ökonomischen Aspekt deutlich dargestellt. Die immer größer werdende Kluft zwischen Reich und Arm hat absurde Ausmaße angenommen. Weniger als 85 Einzelpersonen verfügen über mehr Reichtum als die Hälfte der Erdbevölkerung – 3,6 Milliarden Menschen. In den USA besitzt 0,1 Prozent der Bevölkerung mehr als 90 Prozent der ärmeren Schicht. Während eine winzige Elite mehr Macht hat als jemals zuvor, blicken unzählige Menschen angsterfüllt in eine Zukunft voller schwindender Hoffnungen und wachsender Instabilität. Während die Schulden schneller anwachsen als das Bruttosozialprodukt, wird der Würgegriff des Finanzsystems immer enger, wie bei einer riesige Anakonda, die dabei ist, die Armen und den Mittelstand zu erdrücken. Protestwellen und Rebellionen wie der Arabische Frühling, Black Lives Matter, Occupy oder der Aufstieg von Donald Trump zeigen die Wut der Massen.

    Wir leben in einem postkolonialen Imperium, das Gewalt anwendet – Drohnen, Bombardements, politische Morde, militärische Invasionen, Auslieferung von Gefangenen –, um der Welt seinen Willen aufzuzwingen. Ein Imperium, das noch viel raffiniertere Methoden kennt, zum Beispiel die explodierenden Schulden, die afrikanische, südamerikanische und asiatische Länder an ihre europäischen und amerikanischen Lehnsherren zurückzahlen müssen, während man ihnen gleichzeitig ihre Ressourcen wegnimmt. Das an sich ist bereits schrecklich. Was die Sache jedoch noch verschlimmert, ist, dass unsere industrielle Zivilisation eine ökologische Megakrise heraufbeschworen hat. Wir werden von einer unmittelbar bevorstehenden planetaren Katastrophe bedroht, die uns ausrotten könnte.

    »Überall auf der Welt zeugt unser Verhalten von dem Glauben, ewig so weitermachen zu können: Wir verbrennen Öl, vergiften Ozeane, rotten andere Spezies aus und pumpen Kohlenstoff in die Luft, während wir das unheilvolle Schweigen der Kanarienvögel in den Kohlebergwerken ignorieren zugunsten des endlosen Zwitscherns unserer neuen, digitalen Fantasiewelt«, schreibt Roy Scranton in seinem Buch Learning to Die in the Anthropocene. »Die Realität des globalen Klimawandels schleicht sich jedoch weiterhin ein in unsere Fantasien des ewigen Wachstums, ständiger Innovation und endloser Energie, so wie die Unabänderlichkeit unserer Sterblichkeit unseren leichtsinnigen Glauben an ein ununterbrochenes Fortbestehen erschüttert.«

    Wie wir sehen werden, gibt es eine Verbindung zwischen unserem ungerechten Wirtschaftssystem – das fortwährendes Wachstum erzwingt, während es die Massen entmachtet – und der ökologischen Katastrophe, die uns bald verschlingen wird. Wir können nicht das eine ohne das andere lösen. Während die Dinge immer mehr außer Kontrolle geraten, ist es leicht möglich, dass unsere Spezies dem Weg all jener Arten folgt, die wir zurzeit dem Vergessen anheimgeben. Vielleicht geschieht das noch in diesem Jahrhundert – oder in den kommenden Jahrzehnten. Jetzt ist alles möglich.

    Währenddessen fördert die unternehmerische Elite zusammen mit den Technokraten den Glauben daran, dass neue Technologien die Probleme der Menschheit lösen werden. Das mag in der Theorie hervorragend klingen. Unglücklicherweise haben jedoch unsere Ingenieure keine ordentlichen Lösungen für die vielen ökologischen Probleme, die wir erschaffen haben. Viele der Maßnahmen, die sie empfehlen – wie etwa Geo-Engineering – könnten die Dinge noch verschlimmern. Während sich die Menschheit als Ganzes schlafwandelnd auf eine Katastrophe zubewegt, wartet sie einfach darauf, dass etwas oder jemand die Sache für uns in die Hand nimmt: Elon Musk, Bill Gates, Donald Trump, Richard Branson, die Indigo-Kinder, der Papst.

    Als ich mich in den vergangenen Jahren immer mehr mit der ökologischen Krise befasste, fühlte ich mich manchmal wie Chicken Little aus dem Walt-Disney-Film Himmel und Huhn, in dem Hühnchen Junior auf einen anscheinend unverändert blauen Himmel zeigt. Eine Mehrheit von Wissenschaftlern ist jedoch, metaphorisch gesprochen, der Meinung, dass bald der Himmel über unseren Köpfen einstürzt. Wir können die Veränderungen um uns herum überall wahrnehmen. Viele der Lösungen springen uns geradezu ins Auge. Aber wir setzen sie nicht um.

    Klimachaos

    Im Dezember 2015 trafen sich führende Kräfte aus aller Welt in Paris, um einen neuen Klimavertrag auszuarbeiten, der den globalen Temperaturanstieg auf weniger als zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter beschränken sollte. Obwohl das Abkommen als Fortschritt gefeiert wurde, kann es sein, dass die Klimaschutzbewegung dadurch einen bedeutsamen Rückschlag erlitten hat. Denn laut einer Gruppe führender Klimawissenschaftler gelang es nicht, die sofortige und drastische Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen in den Vertrag aufzunehmen, obwohl dies dringend nötig gewesen wäre.

    »Die Leute wollten hören, dass eine Vereinbarung über den Klimawandel geschlossen wurde, die die Welt retten würde, ohne dass unser Lebensstil und unsere Ansprüche geändert werden müssen«, schrieben die Wissenschaftler. »Die vorgeschlagene Lösung beinhaltet keine der so dringend erforderlichen Einschnitte in Sachen Emissionen, sondern vertagt wesentliche Entscheidungen auf unbestimmte Zeit.«

    Die Klimakonferenz von Paris zeigte wieder einmal die große Lücke, die zwischen dem ökologisch Nötigen und dem politisch Machbaren klafft. Um die CO2-Belastung drastisch zu reduzieren, müssten wir verschwenderische Industrien beseitigen, unseren Konsum deutlich einschränken, den Luft- und Straßenverkehr auf ein Minimum reduzieren und den Verzehr von Fleisch weltweit senken. Wenn wir die Erde retten wollen, müssen Milliarden von uns ihren Lebensstil ändern. Doch darüber möchte niemand nachdenken. Etwas Derartiges auch nur vorzuschlagen ist politischer Selbstmord, denn es widerspricht der Logik der globalen Ökonomie, die auf der Prämisse des endlosen Wachstums basiert. Unser Überleben verlangt jedoch keine Reform, sondern einen vollkommenen Wandel des Systems.

    Die schnellste Art, einen solchen Wandel zu vollziehen, wäre, wenn die Elite der Reichen – oder wenigstens ein Teil von ihnen – für die aktuelle Lage der Menschheit Verantwortung übernehmen würde. Sie müssten den hypnotisierenden Zustand ihrer privilegierten Positionen aufgeben und ihr Kapital dazu einsetzen, eine schnelle Wende herbeizuführen. Ich weiß, dass das sehr unwahrscheinlich klingt. Eine andere Option wäre eine Art Revolution oder ein globaler Umsturz des gegenwärtigen Systems, bei dem die dysfunktionalen Institutionen von heute durch neue ersetzt werden. Ich weiß, auch das klingt ziemlich schwierig.

    Es ist wesentlich leichter, ein Rettungsboot zu bauen, während man noch auf sicherem, trockenem Land steht, als inmitten eines nie enden wollenden Supersturms. Es gibt zwar genügend Vorzeichen dafür, was auf uns zukommt. Doch wir ignorieren sie konsequent.

    Hurrikan Sandy

    Am Abend des 29. Oktober 2012 war ich zu Hause im New Yorker Stadtteil East Village, als Hurrikan Sandy zuschlug. Eine Stunde nachdem er begonnen hatte, ging ich aus Neugier hinaus auf die Straße. Ich nahm an, dass die Medien die Gefahren des Sturms übertrieben hatten, um die Einschaltquote in die Höhe zu treiben. Ich wollte es mit eigenen Augen sehen. Als ich das Brackwasser der Flut die Avenue C heraufströmen und Autos mitreißen sah, war ich schockiert. Leute kamen aus den Restaurants, um Schnappschüsse und Selfies von dieser biblischen Bedrohung zu machen. Die Polizeiautos vor der Fußgängerzone schienen zu schwimmen, das Wasser reichte bereits bis zu den Autofenstern. Die Flut stieg stetig an in Richtung meiner Straße – auf mein Gebäude zu.

    Ich ging nach Hause, warf ein paar Klamotten und meinen Laptop in einen Rucksack und machte mich – während der Wind die Bäume wild hin und her peitschte – auf den Weg zum höher gelegenen Haus eines Freundes in SoHo. Auf dem Weg erleuchtete ein Blitz die Unheil verkündende Wolkendecke. Hinter mir hörte ich eine gigantische Explosion. Es klang wie eine Bombe. Später erfuhr ich, dass die Con Edison Elektrizitäts-Station an der 14th Street Ecke Avenue C explodiert war. Eine Stunde später war die ganze Innenstadt von New York in Dunkelheit gehüllt. Während der nächsten Tage war ein Großteil von Manhattan ohne Strom.

    Am Morgen nach dem Sturm kehrte ich zu meinem Haus zurück. Alle Geschäfte hatten geschlossen – mit Ausnahme einiger Feinkostläden und Restaurants, die eilig belegte Brote und Kaffee aus Thermoskannen anboten. Die Leute in den Delikatessenläden versuchten, alle verderblichen Waren aus ihren Kühlschränken und Kühltruhen loszuwerden. Im East Village standen die Menschen an den Straßenecken und schauten mit benommenem Blick auf die Schäden, die die Flut hinterlassen hatte. Ich fuhr mit dem Fahrrad zu meiner Mutter in die Upper West Side, das Gebiet lag auf höherem Grund und war relativ unberührt geblieben.

    Am folgenden Tag sollte ich nach Mexiko fliegen, um dort auf einem Festival anlässlich des Día de los Muertos, eines wichtigen mexikanischen Feiertags zu Ehren der Toten, einen TEDx-Vortrag zu halten, in einem alten Kolonialstädtchen, das unter Auswanderern aus den USA und Europa sehr beliebt war. Meine Rede sollte in verkürzter Form das Thema dieses Buchs umfassen: die ökologische Krise als Initiation – als eine Gelegenheit für uns, um eine gewollte und schnelle Veränderung des menschlichen Bewusstseins zu bewirken. Die Flughäfen waren jedoch geschlossen und mein Flug war storniert. Ich ging davon aus, dass ich nicht würde fliegen können.

    Dann erhielt ich einen Anruf mit der Einladung, in einem Privatjet nach Mexiko mitzufliegen. Das Flugzeug gehörte einem Medienmogul, dem Vorstand eines großen Konzerns. Er und seine Frau waren große Burning-Man-Fans – sie gehörten zu den Powerplayern in der Szene. Das Festival in Mexiko hatten sie initiiert, um ein bisschen von der Burning-Man-Schwingung in ihre zweite Heimat zu bringen. Ihnen gehörte eine schöne Villa oberhalb der Stadt und außerdem eine Firma, die den teuersten Tequila der Welt herstellte.

    Höhenflüge

    Nebenbei sollte ich vielleicht anmerken, dass ich mich auf einem ziemlichen Höhenflug befand, seit mir als psychedelischer Autor und Visionär einiger Ruhm zuteilgeworden war. Als mich Stephen Colbert während eines Fernsehinterviews im Jahr 2007 einen »Anwalt der psychedelischen Drogen« nannte, festigte er meine Position als öffentlicher Fürsprecher der veränderten Bewusstseinszustände und schamanischen Praktiken, über die ich in meinen Büchern geschrieben hatte.

    »Timothy Leary ist kürzlich verstorben. Den sind wir nun los. Wozu brauchen wir noch einen von dieser Sorte?«, hatte er mich in der Sendung gefragt.

    Leary – dieser zum Psychopomp gewordene Harvard-Professor, den Nixon den »gefährlichsten Menschen Amerikas« nannte und der der Generation der 60er-Jahre mit unglücklichen Folgen sagte: Turn on, tune in, drop out (»Törn dich an, tune dich ein, steig aus«). Ich habe mir zwar einige Mühe gegeben, mich von ihm zu unterscheiden, habe aber dennoch ein bisschen von seinem Ruf als Rebell und Outsider abbekommen.

    In den vergangenen zehn Jahren hatte ich die einzigartige Gelegenheit, viele verschiedene Welten kennenzulernen, dazuzulernen und Ideen von der einen in die andere zu tragen. Für eine deutsche Fernsehshow bin ich mit Alejandro Jodorowsky, dem Psycho-Magier und legendären Regisseur des Films »Montana Sacra – Der Heilige Berg« durch die Straßen von Paris gewandert. Ich bin mit Sting und seiner Familie in einem gecharterten Hubschrauber über Kornkreise in England geflogen, um nach Außerirdischen zu suchen. Ich bin mit zerzausten Anarchisten in den Schützengräben von Occupy Wall Street gelegen. Ich habe die Berge Kolumbiens besucht, um die Rituale und Philosophie der Kogi und Arhuaco zu studieren. Ich habe mit dem Komiker Russell Brand in einer Traglufthalle im Staat Utah diskutiert. Ich habe die von deutschen Radikalen gegründete Tamera-Gemeinschaft der »freien Liebe« im ländlichen Portugal besucht. Ich habe mitgeholfen, ein Gipfeltreffen zum Klimawandel im damaligen Facebook-Hauptquartier in Palo Alto zu organisieren, zusammen mit gewitzten Marketing-Genies und Non-Profit-Organisationen wie Greenpeace und 350.org. Es ist uns nicht gelungen, Zuckerbergs Leute davon zu überzeugen, die ökologische Bewegung mit mehr als nur Alibihandlungen zu unterstützen.

    Soweit ich konnte, habe ich versucht, die Beeinflusser zu beeinflussen. Insbesondere dachte ich, dass das Trinken von Ayahuasca, dieser visionären Medizin vom Amazonas, für viele von ihnen extrem nützlich wäre. In Big Sur, an der Küste Kaliforniens südlich von San Francisco, war ich auf einer der verschwenderischsten Hochzeitsfeiern unserer transhumanen Zeiten als Gast von Sean Parker, dem Mitbegründer von Napster und Ex-Berater von Facebook. Auf der Gästeliste standen viele Rockstars und Dotcom-Magnaten, Gründer und Unterstützer von Internet-Giganten. Wie fast alle trug ich ein maßgeschneidertes Outfit, ein langes Jackett und eine seidenbestickte Weste. In einem Hain der majestätischen Redwoods, der für eine Multimillionen-Nacht in eine Hollywood-Phantasmagorie voller Renaissance-Ruinen und Blumengärten verwandelt worden war, haben wir die ganze Nacht gefeiert. Die Zeremonie setzte neue Maßstäbe in Sachen Exzess und führte zu wütenden Zeitungsartikeln und lokalen Aufschreien. Es war leicht, diese Hochzeit zu kritisieren. Einerseits empfand ich sie als einen schönen Ausdruck der Liebe. Andererseits war sie eine schmerzliche Erinnerung daran, dass eine winzig kleine Elite der zügellosen Verschwendungssucht eines großen Gatsby frönt, während Milliarden Menschen auf der restlichen Welt in Armut und Verzweiflung leben.

    Für das Wochenend-Retreat Summit Outside besuchte ich einen Berggipfel in Utah. Eine Gruppe junger Unternehmer hatte den ganzen Berg gekauft – ein Ski-Resort –, um dort eine utopische Gemeinschaft der Privilegierten zu erschaffen, die von einer der libertären Fantasien der russisch-amerikanischen Bestsellerautorin Ayn Rands inspiriert war. Wir haben dort an einem langen Tisch getafelt, der das ganze Tal überspannte. Ein ganzes Bataillon an Kellnern bediente über tausend der hellsten Köpfe unserer Gesellschaft, ein wohlmeinender, kakifarbener Mob, bestehend aus Vorsitzenden von Wohltätigkeitsorganisationen, Risikokapitalgebern, Dokumentarfilmern und Geschäftsführern von Technologie-Start-ups.

    An einem Privatstrand in Mexiko tanzten zum Ende des 5125 Jahre währenden Zyklus des Maya-Kalenders kostümierte Tänzer mit aztekischem Kopfschmuck zu elektronischen Rhythmen unter einer Stonehenge-Rekonstruktion in Originalgröße, monumentalen Skulpturen griechischer Götter und Nachbildungen der Moai-Steinskulpturen der Osterinseln.

    Ich verbrachte die Nacht im Drogenrausch mit einem der reichsten Kunsthändler der Welt, einem Briten. Er bot mir eine kostenlose Karriereberatung an: Er meinte, ich solle den Messias spielen, indem ich mich als den Ausgestoßenen darstellte. Zu Hause schrieb ich ihm, seinem Rat folgend, eine theatralisch wütende E-Mail, in der ich die planetare Megakrise mit der Dekadenz der Kunstwelt verband. Er beantwortete sie nie.

    Während ich dies schreibe, bin ich gerade aus Neuseeland zurückgekehrt. Dort nahm ich an einer futuristischen Konferenz teil, die von zwei jungen Hightech-Genies Anfang 30 organisiert worden war. Zehn Jahre zuvor hatten beide Harvard vorzeitig verlassen, um ein gewaltiges Datenverarbeitungsunternehmen aufzubauen, das sie später für ein Vermögen verkauften. Von dem Erlös erwarben sie 800 Hektar Kiwiwälder und Milchbetriebe. Dort betreiben sie modernste Methoden der Biolandwirtschaft und des Obstanbaus, leben in solarbetriebenen Dörfern und haben ein wunderbares Team aus Yogis, Reiki-Heilern, Permakultur-Designern und Software-Programmierern um sich geschart. Nachdem sie alle möglichen Standorte für ihr Projekt durchgegangen waren, fiel ihre Wahl auf Neuseeland als das wohl sicherste Land, um den außer Kontrolle geratenen Klimawandel, den weltweiten sozialen Zusammenbruch und all das, was noch auf die Menschheit zukommen mag, zu überleben. Vielleicht sind sie die klügsten Menschen, die ich kenne.

    El Día de los Muertos oder der Tag der Toten

    Zurück zu Sandy. Einen Tag nachdem New York von dem Supersturm in die Knie gezwungen worden war, fuhr ich mit dem Fahrrad zurück zu meiner Wohnung. Unterhalb der 28th Street war die Stadt in eine samtene Dunkelheit gehüllt, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Ein paar Bars hatten geöffnet, erhellt von Kerzenlicht. In einigen Blocks war es so dunkel, dass ich vorbeikommende Passanten nur dank der Reflektoren an ihren Schuhen erkennen konnte, wenn sich das Licht meines Fahrrads für einen Moment in ihnen fing. Es war wie die Dunkelheit der unendlichen Leere – vor dem Anfang, nach dem Ende. Ein erregendes Gefühl der Gesetzlosigkeit lag

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1