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Keine Helden - Piraten des Mahlstroms
Keine Helden - Piraten des Mahlstroms
Keine Helden - Piraten des Mahlstroms
Ebook350 pages4 hours

Keine Helden - Piraten des Mahlstroms

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About this ebook

Eberhart Brettschneider ist Händler, Abenteurer und Entdecker - wenn man ihm glauben möchte.
Tatsächlich jedoch ist er einer der erfolgreichsten Betrüger Kammerbads. Gemeinsam mit seiner Partnerin Aurelia schwindelt er sich durch die Straßen seiner Heimatstadt.

Als Eberhart glaubt, den großen Coup gefunden zu haben, geraten die beiden durch eine Intrige mitten in die Suche nach dem Schatz des Schreckenskapitäns. Durch Piraterie und Hexerei werden sie bis in die Tiefen des Mahlstroms getrieben, wo Eberhart Sturmgeborene, Magier, Totenbeschwörer und die Götter selbst hereinlegen muss, um zu überleben.

"Aber was soll schon passieren?"
LanguageDeutsch
PublisherAmrûn Verlag
Release dateFeb 1, 2018
ISBN9783958692978
Keine Helden - Piraten des Mahlstroms

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    Book preview

    Keine Helden - Piraten des Mahlstroms - Nils Krebber

    Inhaltsverzeichnis

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    18. Kapitel

    19. Kapitel

    20. Kapitel

    21. Kapitel

    22. Kapitel

    © 2017 Amrûn Verlag Jürgen Eglseer, Traunstein

     Lektorat: Susanne Pavlovic und Andrea Weil | www.textehexe.com

    Umschlaggestaltung: Atelier Tag 1 | atelier.tag-eins.de 

    ISBN TB – 978-3-95869-296-1 

     Besuchen Sie unsere Webseite: https://amrun-verlag.de Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. 

     2. korrigierte Auflage 2019

    1. Kapitel

    Das Gasthaus am Ende der finsteren Gasse hatte schon bessere Tage gesehen. Windschiefe Häuser lehnten sich von beiden Seiten über das Kopfsteinpflaster, sodass es schien, als wollten sie den Blick auf das darunter befindliche Elend verdecken.

    Noch bevor das Haus selbst in Sicht kam, konnte man schon das laute Grölen aus Männerkehlen und das schräge Wimmern einer Leier vernehmen. Der Geruch von Unrat und Schimmel in der Gasse wurde um die Aromen von Alkohol und Tabakrauch bereichert.

    Das Äußere des Gebäudes war ein Flickwerk an Ziegeln, Brettern und Nägeln zusammengehalten von schierer Dickköpfigkeit und den Aushängen fragwürdiger Auftraggeber. Dutzende von Anschlägen bedeckten die Wände, auf denen diverse zwielichtige Gestalten gesucht wurden – entweder, weil ein Preis auf sie ausgesetzt war oder weil man einen Auftrag für sie hatte. Einzig ein schwarz angelaufenes Schild über der Tür, auf dem gerade noch die Umrisse von drei ehemals weißen Federn zu sehen war, gaben einen Hinweis auf den Namen des Ortes.

    Eberhart rückte sein Wams zurecht, als er sich der Tür näherte. Bevor er sie öffnen konnte, flog sie ihm entgegen, zusammen mit einer Wolke aus Lärm, Gestank und ungewollten Gästen. Eine der Gestalten blieb am Boden liegen, zwei andere krochen und wankten davon. Vorsichtig stieg Eberhart über den Körper hinweg in das Zwielicht der Drei Federn.

    Die Hitze packte ihn wie eine Faust, die ihm die Luft aus der Brust zu drücken drohte. Als er einen tiefen Atemzug nahm, um sein Gleichgewicht zu finden, empfing ihn eine würzige Mischung aus Bier, Schweiß und Ruß, die sich einer Patina gleich auf seinen Gaumen legte. Er schmatze einmal mit den Lippen und spähte durch die verrauchte Stube. Die Mischung aus Tabakqualm und schlecht abziehendem Rauch aus der glosenden Feuerstelle verwandelte den Raum in eine Ansammlung von schattenhaften Umrissen. Die geöffnete Tür hatte den Dunst in Bewegung versetzt, sodass hier und da Szenen offenbart wurden, nur um kurz darauf wieder zu verschwinden. Ein paar Schönheiten der Nacht lagen über einem der Gäste drapiert, an einem anderen Tisch stach ein Mann missmutig mit seinem Messer auf ein Stück gräulichen Fleisches ein. Mehrere Gestalten warfen Messer auf ein lebendes Ziel an der Wand. Das Kreischen und Betteln aus der Richtung ließ an der Treffsicherheit der Werfer zweifeln. Gläser klirrten und Humpen schlugen rhythmisch auf Holz, während irgendwo in den Tiefen des Raumes jemand eine schlecht gestimmte Leier quälte.

    Eine Hand klatschte Eberhart auf die Schulter und blieb dort liegen. Als er sie inspizierte, schälte sich die Visage des dazugehörigen Schlägers aus dem Dunst.

    »Die Tür«, grunzte der vierschrötige Bursche. »Es zieht.«

    Irritiert zog Eberhart die Tür in den schiefen Rahmen, wobei er das Knarren und Quietschen des gequälten Holzes eher spürte, als hörte. Bevor er dem zugempfindlichen Barbewohner eine bissige Antwort geben konnte, war dieser schon in den Tiefen des Schankraums verschwunden. Schulterzuckend watschelte Eberhart durch das knöchelhohe Sägemehl in die Richtung, in der er die Bar erahnte. Diverse feuchte und merkwürdig weiche Stellen umging er beflissentlich und schaffte es sogar, den torkelnden oder tieffliegenden Hindernissen auszuweichen.

    Schließlich erreichte er die Bar, eine Schiffsplanke, die auf mehreren Fässern lag, die vielsagend mit »XXX« markiert waren. Der Wirt, ein verdächtig schmaler Bursche in einem fleckigen, gelblich-weißen Hemd, wischte mit einem Lumpen in einem Zinnbecher herum. Es war offensichtlich mehr Gewohnheit als irgendetwas anderes, denn der Stoff wurde dabei sauberer als der Becher.

    Eberhart bestellte sich ein Bier, lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen und ließ noch einmal den Blick durch die verräucherte Bude wandern.

    Schließlich knallte er eine Hand auf den Tresen und räusperte sich. Er straffte seinen Gürtel und kletterte auf einen Hocker. Die Dielen knarzten bedenklich unter seinem Gewicht.

    Man konnte Eberhart eine beeindruckende Gestalt nennen, wenn es denn um die Tiefe seiner Fußabdrücke ginge, aber vor allem war er – immens. Unter mehreren Bahnen Purpurstoff und Puffärmeln wogte ein birnenförmiger Torso unter schweren Atemzügen. Aufgrund seiner geringen Größe konnte er auf dem Hocker so grade über die Menge schauen. Er breitete die Arme aus und verkündete mit einem breiten Grinsen: »Meine Damen und Herren, Sie haben die Ehre, Eberhart Brettschneider in ihrem Etablissement zu begrüßen! Wein für alle!«

    Der daraufhin erschallende Jubel warf ihn beinahe hintenüber. Nachdem das Eis erfolgreich gebrochen war, kletterte er unbeholfen vom Hocker, riss sich die unförmige Kappe herunter und klatsche sie auf die Theke. Mit der anderen Hand winkte er den Gastwirt heran. An drei von Eberharts fetten Fingern glänzten solide Goldringe, am Ringfinger prangte ein krabbenförmiges Siegel. Um seinen Hals hing ein schwerer Anhänger, eine Karavelle über drei Münzen.

    Als der Gastwirt herankam, beugte sich der Händler über die Theke und sah ihn verschwörerisch an. Eberharts aufgedunsenes, verschwitztes Gesicht war von der Art, wie es nur eine Mutter lieben kann. Wässrige, blass-blaue Augen saßen in tiefen Fettwülsten verborgen. Eine haarige Warze prangte auf der knollenförmigen Nase, an deren Spitze ein einzelner Schweißtropfen hing. Das strähnige, hellblonde Haar war mit einer Mischung aus Schweiß und Pomade an den Schädel geklatscht.

    Seine schwammige Hand legte sich in den Nacken des Wirtes, um ihn noch näher zu sich zu ziehen und dem Mann eine Nase voll seines ranzigen Körpergeruches zu gönnen. Er flüsterte ihm ins Ohr: »Du wirst den billigsten Fusel ausschenken, den du hast, mein Freund. Und ich weiß, was so eine Lokalrunde kostet, also keine Spielchen.« Er tätschelte dem Mann die Wange und zwinkerte ihm zu. Dann ließ er einen Beutel mit Münzen über die Theke rutschen und drehte sich wieder den munteren Gästen zu.

    »Ein Brettschneider lässt sich nicht lumpen, Freunde! Wer will als Erster das Glas mit mir erheben?«

    In den folgenden Stunden hob der Händler mit nahezu jedem in der Kneipe das Glas. Seine Bewegungen waren langsam, aber präzise. Er berührte jeden seiner Trinkkumpane, sei es ein Schlag auf die Schulter, ein schwächlicher Händedruck oder ein Klaps auf das Hinterteil. Auch schien er kein Gefühl für den persönlichen Raum von Menschen zu haben, immer rückte er einen Hauch zu nah an die Leute heran oder hielt den Blick etwas zu lange.

    Nach kurzer Zeit kannte jeder in der Bar den Händler mit der großzügigen Börse und dem auffälligen Schmuck.

    Als der letzte Gast das Wirtshaus verlassen hatte, sackte Eberhart erschöpft in sich zusammen. Die Fassade des starken, vertrauenswürdigen Patrons wich dem Ausdruck zufriedener Erschöpfung. Er wischte sich mit der Kappe über das verschwitzte Gesicht und schloss für einen Moment die Augen. Dann rappelte er sich auf, ließ sich vorsichtig vom Hocker rutschen und rückte seine Hose zurecht, bevor er sich leicht schwankend auf den Weg zur Tür machte.

    »Schönen Abend noch und beehren Sie uns bald wieder«, rief der Wirt ihm nach. Eberhart konnte nur noch müde abwinken. Die teigigen Finger fest am Geländer, wankte er die Treppenstufen hinab. In der Gasse angekommen, nahm er einen tiefen Luftzug, klatschte sich die Kappe aufs Haupt und begann zielstrebig nach Hause zu wandern – zur Sicherheit ließ er aber eine Hand an der Wand.

    Zwei Gestalten lösten sich hinter ihm aus den Schatten. Eberhart schaffte etwa drei Schritte, bevor ihn eine Flasche auf den Schädel traf und zu Boden streckte.

    Mit Ächzen rollten ihn die beiden auf den Rücken, geschickte Hände fanden zunächst seine Börse, dann seine Ringe und zuletzt das Gildenwappen.

    Eine raue, männliche Stimme erklang: »Immer noch über zwanzig Silber in der Tasche. Unfassbar, dass sich so einer in einer Hafenspelunke herumtreibt. Wir machen natürlich halbe-halbe. Und was hast du da?«

    Eine weibliche, aber vom Alkohol beinahe ebenso raue Stimme antwortete. »Ach nix, nur seinen Anhänger. Das passt schon, behalt du mal die Börse.«

    Der Mann klang misstrauisch. »Wie meinste das denn, Puppe? Erst willste den Kerl hopsnehmen und dann willste nur die Kette? Nu zeig her!«

    Die Diskussion der beiden um den Wert ihrer jeweiligen Beute wurde hitziger. Die Frau, eine schlanke, gefährliche Halsabschneiderin mit wildem, schwarzen Haar, gab dem großen Kerl in der Uniform der imperialen Marine ordentlich Kontra.

    Das Gesicht des Matrosen verfinsterte sich. »Du meinst, wir sind reich. Wir ham das zusammen gefunden, also gehört es uns beiden!« Er streckte die Hand nach der Kette aus.

    Die Frau riss sie zurück.

    »Ne ne, sei du mal glücklich mit deinem Silber. Du musst bei Sonnenaufgang auslaufen, und bis dahin finden wir bestimmt keinen Hehler. Für was immer das auch ist ...« Sie hielt das Schmuckstück in die Höhe, sodass sich die ersten Sonnenstrahlen in dem goldenen Abzeichen spiegelten.

    »Ha! Viel Glück damit, das hier zu verkaufen, Schätzchen.« Der Matrose zeigte mit einem schmutzigen Finger auf das Symbol. »Das ist das Siegel der Kammerbader Hanse. Hier in ihrem Hauptsitz erkennt das jeder sofort als Diebesgut.«

    Die Stimme der Räuberbraut wurde unsicher. »Aber ich könnt es ja einschmelzen ...«

    »Quatsch, dann ist das doch nur noch die Hälfte wert.« Der Matrose beugte sich herüber. »Komm, nimm du die Börse und ich die Kette. Wir fahren in den Süden, da schert sich keiner um die Hanse. Dir macht das Ding doch nur Ärger.«

    Die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. »Auch mit der Hälfte ist das immer noch mehr als die lumpigen paar Silber in der Börse da. Da wird nix draus!« Sie presste sich die Kette an die schmutzige Jacke.

    Der Marinesoldat fletschte die Zähne und packte sie am Kragen. »Hör mal zu, sei froh, dass ich dich mag. Reich jetzt die Kette rüber oder es setzt was!«

    Seufzend hob sie die schwieligen Hände. »Nu sei doch nicht so. Ohne mich hättest du dich gar nicht getraut, den Fettsack hochzunehmen! Lass uns einen fairen Deal machen. Kannst du nicht wenigstens noch was drauflegen? Du läufst doch eh gleich aus, was brauchste da Bargeld? Und im nächsten Hafen verkaufst du das Teil für hartes Gold!«

    Unwillig griff der Matrose an seinen Gürtel und löste seinen Beutel. »Hast ja recht. Hier, das ist mein Sold für den letzten Monat. Das sind nochmal satte fünfzig Silber. Das ist für eine Hafenratte wie dich ein Haufen Geld. Und wenn wir in drei Monaten wieder hier sind, gebe ich dir einen Anteil von dem, was ich gekriegt habe. Das ist doch fair.«

    Misstrauisch warf die Schwarzhaarige einen Blick in den Beutel. »Und wenn du wieder hier anlegst, krieg ich den Rest?«

    Der Matrose grinste. »Klar doch, Hand drauf!« Er packte die schmalen Finger der Frau mit hartem Seemannsgriff.

    »Na gut, wenn man der imperialen Marine nicht mehr trauen kann, wem dann?« Mit einem verschwörerischen Grinsen reichte sie ihm die Kette. Der betrachtete noch einmal den funkelnden Anhänger und ließ ihn dann in seinem Hemd verschwinden.

    »Alles klar, lass uns abhauen, bevor der Dicke aufwacht oder jemand nach ihm sieht. Mit Händlern ist nicht zu spaßen.« Er wankte los. Nach einigen Schritten merkte er, dass die Frau immer noch bei dem Ohnmächtigen stand. »Was ist los? Kommst du?«

    Die Frau winkte ab.

    »Nee, ich schau lieber, dass ich wegkomme. Wenn mein Alter mich mit so einem feschen Matrosen sieht, kommt er noch auf falsche Gedanken.« Sie gackerte los.

    Der Matrose zuckte mit den Schultern.

    »Na, dann lass dich nicht erwischen.« Er setzte seinen unsicheren Weg in Richtung Hafen fort.

    Als er um die Ecke verschwunden war, beugte sich die Frau mit einem Grinsen auf den Lippen über Eberhart.

    »Er ist weg« flüsterte sie.

    Der »Bewusstlose« schlug die Augen auf und verzog angewidert die Mundwinkel. »Dann nimm deinen Pestatem aus meinem Gesicht, Aurelia. Bei Laros bröckeligem Auswurf, was säufst du nur mit diesen Typen?« Mit Hilfe seiner Komplizin rollte er sich auf die Füße und erhob sich mit knirschenden Knien aus der Hocke.

    »Größtenteils Wurzelsaft, mein lieber Eberhart. Das riecht so ähnlich wie Branntwein. Und ist gut für die Verdauung.« Sie hieb ihm auf den Wanst.

    »Als ob du das nötig hättest. Der Dünnpfiff läuft dir doch auch so locker über die Lippen.« Er dehnte sich und überprüfte die Polsterung seiner unförmigen Kappe. »Musst du immer so hart zuhauen? Das scheppert trotz Stroh immer ganz ordentlich, und mein Köpfchen ist mein Kapital. Apropos.« Er streckte die Hand aus. »Wie viel haben wir?«

    Aurelia warf ihm den Beutel zu. »Achtunddreißig Silber in imperialen Adlern, zwölf bretonische Kronen und diverse arabische Münzen. Ist ganz schön rumgekommen, unser kleiner Matrose.«

    Eberhart spähte in den Beutel und seufzte. »Dafür ist es fast nicht wert, hier auf den kalten Steinen herum zu liegen. Aber es reicht für ein paar Tage. Wann kommt die nächste Fuhre Frischfleisch?«

    Die Diebin zuckte mit den Schultern. »Nächste Woche, denke ich. Aber das muss uns nicht mehr kümmern. Wir haben jetzt genug Kleingeld, um unser großes Projekt anzugehen. Komm, auf in den Tanzenden Goblin, wir haben zu planen und zu trinken!«

    Eberhart winkte ab. »Geh du nur, ich will noch mal die Papiere durchgehen.«

    Aurelia warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Du weißt, das ganze Lesen macht dich noch krank.« Ihre Hand klatschte ihm auf den Hinterkopf. »Du musst das Leben genießen, Eberhart! Komm, ich stell dich dem knackigen Schmiedelehrling vor. Der denkt immer noch, dass er auf Frauen steht!«

    Er grinste schief. »Du hast ja recht. Aber kein Verkuppeln, das endet jedes Mal katastrophal!«

    Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg in die Sündergasse. Die Sonne ging hinter ihnen auf, aber es würde noch dauern, bis ihre Strahlen die Tiefen der Gasse erreichten. Sie planten, bis dahin wahrhaft betrunken zu sein.

    Der Matrose trat derweil auf das Hafendock und ließ das Schmuckstück in der Sonne glitzern, um es noch einmal näher zu betrachten. Er bemerkte die Gestalt, die sich ihm näherte, erst, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. »Interessantes Stück habt ihr da, Matrose.«

    Er wirbelte herum und hob zu einer forschen Erwiderung an, aber als er erkannte, wer da vor ihm stand, stockten ihm die Worte im Hals.

    Die düstere Figur war an sich schon einschüchternd genug. Der Mann überragte den Seemann um eine gute Handbreite und war gebaut wie ein Grubenkämpfer. Eine tiefe Narbe zog sich über sein Gesicht und unterstrich den toten Blick der tiefgrauen Augen. Die schmalen Lippen waren zu einem ständig missbilligenden Ausdruck verzogen. Aber vor allem der schwarze Umhang, der hohe Hut und die Brosche mit dem Hammer am Hals sprachen eine deutliche Sprache für jeden Bürger des Imperiums. Der Matrose schluckte den Frosch im Hals herunter, räusperte sich und schaffte eine schwache Erwiderung.

    »Wie kann ich der Inquisition helfen, mein Herr?«

    Die schwarz behandschuhten Finger legten sich wieder auf seine Schulter. Die andere Hand deutete auf das Schmuckstück.

    »Dürfte ich das kurz näher betrachten?«

    »Ah, natürlich, aber ihr müsst verstehen, ich habe es nur gefunden. Ich war auf der Suche nach dem rechtmäßigen Besitzer, um es ihm auszuhändigen.«

    Die Finger des Inquisitors umschlossen die Kette und er inspizierte das Amulett für einen Moment. Dann schaute er den Matrosen nachdenklich an.

    »Versucht das nochmal. Woher habt Ihr dieses Amulett?« Seine Stimme war leise, aber die Drohung unüberhörbar.

    Der Matrose wand sich.

    »Ich ... Da war dieser schmierige Typ, diese Frau hat ihn gefunden. Ihm geht es gut, er war nur ohnmächtig, und dann wollte sie ihn ausplündern, aber ich habe sie davon abgehalten und ihr das Amulett abgenommen. Sie ... Sie ist die Straße da lang, und wenn Ihr Euch sputet, könnt Ihr sie gewiss noch kriegen!« Er deutete in die Richtung, aus der er gekommen war.

    »Und sie wollte dieses Amulett unbedingt haben?« Der Hexenjäger betrachtete wieder das Schmuckstück.

    »Ja, sie hat gesagt, es wäre unglaublich viel wert. Es war ihr nicht klar, dass sie hier ein Siegel der Hanse niemals würde verkaufen können.« Er vermied den Augenkontakt mit dem Inquisitor.

    »Wenn das ein echtes Wappen wäre, könnte das ein Problem sein. Eine billige Messingkopie wie diese hier dürft Ihr natürlich jederzeit für ein paar Pfennige verkaufen.«

    »Was?« Ungläubig riss der Matrose das Amulett an sich. »Dieses miese, kleine Stück! Meinen gesamten Sold habe ich ihr gegeben. Dafür krieg ich sie am Arsch. Und dieser Fettsack gehörte bestimmt dazu! Sie haben mich abgezockt! Sie ...« Er verstummte, als der Griff an seiner Schulter schmerzhaft wurde.

    »Wie sahen sie aus?« Die Stimme des Inquisitors war genauso leise wie zuvor. Er schien nicht im Geringsten angestrengt.

    »Ihr könnt ihn nicht verfehlen – er ist eine fette, kleine Kröte und trägt so eine alberne, purpurne Kappe. Sie hat schwarzes, lockiges Haar und ...«, er formte die Umrisse einer Sanduhr mit den Händen. »Sie hat mich in den Drei Federn angequatscht, da kennt man sie bestimmt. Kommt, ich zeige Euch den Laden, und dann mischen wir die Schweine auf. Sie ...«

    Seine Tirade endete in einem Stöhnen, als die Hand des Hexenjägers ihn in die Knie zwang. »Was ... Was habe ich denn getan?«

    Der Inquisitor ließ das Amulett in seinem Mantel verschwinden und zog eine lange, schmale Klinge.

    »Nichts, mein Freund. Du darfst nur leider nichts hiervon weitererzählen.« Die Klinge drang unterhalb des Kiefers in den Schädel ein. Der Mann zuckte noch ein paarmal. Es floss überraschend wenig Blut. Der Hexenjäger säuberte die Klinge an der Uniform des Matrosen und ließ sie verschwinden.

    Dann machte er sich auf den Weg die Sündergasse hinauf.

    2. Kapitel

    Die Sonne schien in das kleine Zimmer über dem Wirtshaus und schimmerte auf einem wilden Schopf dunkler Haare, die zerzaust über einem kastanienbraunen Gesicht lagen. Eine breite Nase blähte sich extrem undamenhaft auf, dann ertönte ein rasselndes Schnarchen, das in ein Schmatzen und Stöhnen überging. Volle Lippen verzogen sich über leicht schief stehenden Zähnen zu einer Grimasse, und eine schlanke, vernarbte Hand versuchte, die Sonnenstrahlen von den leicht mandelförmigen und resolut geschlossenen Augen fernzuhalten.

    Begleitet von weiterem Stöhnen richtete Aurelia sich langsam auf. Ihr Haar fiel ins Gesicht, als sie den Kopf hängen ließ und sich langsam die Schläfen rieb. Beinahe unbewusst tastete sie unter dem Kissen nach ihrem Dolch, bevor sie sich aus dem Bett wand und mit ein paar Spritzern aus dem Waschbecken den Schlaf aus den Augen wischte. Sie blickte kurz auf die müde Erscheinung im Spiegel.

    Hellbraune, beinahe goldene Augen standen etwas zu weit auseinander – aber dank ihres dunklen Teints sah man wenigstens die Augenringe nicht so stark wie bei blassen Frauen. Versonnen strich sie die Narbe entlang, die sich vom linken Schlüsselbein herunter bis zu ihrer Achselhöhle zog.

    Im Bett regte sich etwas. Sie verzog kurz das Gesicht, dann tippte sie sich an die Schläfe und nickte ihrem Spiegelbild zu.

    Mit schnellen, geübten Handgriffen durchsuchte sie die Kleidungsstücke, die um ihr Bett herum verteilt lagen. Einige Münzen und ein kunstvoll verzierter Dolch kamen beiseite, dann fand sie die gesuchten Papiere. Zufrieden lächelnd schlüpfte sie in Hose und Hemd, bevor sie das Fenster öffnete. Mit der Beute in der einen Hand und ihren Stiefeln in der anderen stieg sie leise auf den Fenstersims. Sie warf der Gestalt unter der Decke noch einen letzten Luftkuss zu, dann verschwand sie über die Dächer Kammerbads.

    Es war keine riesige Metropole wie Galtdorf oder Notuln, aber es war ihre Stadt. Daran konnte die imperiale Besatzung nichts ändern. Hier, auf den Giebeln und Kaminen, gehörte Kammerbad noch den Abenteurern. Leichtfüßig setzte Aurelia auf die Schindeln des Nachbargebäudes über und hockte sich dort auf den First. Mit etwas Mühe zerrte sie ihre weichen Lederstiefel über die engen, schwarzen Leinenhosen, dann schnürte sie ihr Hemd etwas fester. Sie verstaute ihre gewohnten Messer, Haken, Stifte und Drähte sowie den neuen Dolch in verschiedenen Halftern und Schlingen. Dann sprang sie ein paar Mal auf und ab, um deren Sitz zu prüfen.

    Schließlich bändigte Aurelia einen Teil ihrer Locken mit einem Lederband und bedeckte sie mit einem roten Tuch, um sie sich aus dem Gesicht zu halten. Dann ließ sie die Beine vom Dach baumeln und inspizierte die Papiere, die sie von ihrem Bettgefährten »geliehen« hatte. Sorgfältig studierte sie Termine und Frachtpapiere, während sie in der linken Hand ein Stilett durch ihre Finger tanzen ließ.

    Ein leises »Ha!« entfuhr ihr, als sie das Gesuchte fand. Das Stilett tippte auf den gesuchten Namen.

    »Gräfin del Mar, Ihr habt soeben einen Termin mit meinem guten Freund Eberhart gewonnen!«

    Die Papiere verschwanden in Aurelias Hemd, dann stieß sie sich vom Dach ab, federte leicht auf einem gegenüberliegenden Fenstersims ab, um in einem Rückwärtssalto auf dem Kopfsteinpflaster der Gasse zu landen.

    Der Weg zu Eberharts Zimmer war nicht weit. Aurelia passierte auf ihrem Weg durch das Marktviertel diverse Marktschreier, einen imperialen Rekrutierungsoffizier und zwei oder drei Weltuntergangspropheten. Zur Abwechslung kaufte sie ein paar Früchte von einem der Stände und ließ den Imperialen mit einem brennenden Stapel Pamphlete zurück, aber für ihre Verhältnisse war das recht zurückhaltend. Nur einer der Untergangsfanatiker musste seine blutende Nase halten, nachdem er ihr zu nah gekommen war. Abwesend jonglierte Aurelia mit dem Obst, während sie um die letzte Ecke vor Eberharts Straße bog.

    Sie hatte nie verstanden, wie Ihr Kumpan in der Holzgasse wohnen konnte. Das ständige Hämmern und Sägen zu absolut gottlosen Zeiten würde sie in den Wahnsinn treiben. Die Werkstatt, über der Eberhart eingezogen war, wimmelte nur so von muskulösen Gesellen mit Sägen, Hobeln und vor Schweiß glänzenden bloßen Oberkörpern. Aurelia genoss den Anblick, während sie die verschiedenen Früchte verspeiste, dann stolzierte sie zur Treppe im hinteren Teil des Gebäudes. Sie schlug einem der knackigeren Gesellen auf den Hintern und ignorierte die Beschwerden des Werkstattmeisters, als sie die wenigen Stufen zur Kammer ihres Komplizen erklomm.

    Eberharts Tür war nicht verschlossen, also polterte sie hinein und schmetterte ein »Guten Morgen«, mit einem unverschämten Grinsen auf den Lippen.

    Eberhart verzog schmerzerfüllt das Gesicht und schlug die Hände über die Augen. »Als wäre es nicht genug, dass du mich mit diesem Gift abfüllst, du musst mich auch noch am Tag danach quälen.« Er senkte die Hände. Sein teigiges Gesicht hatte eine durch und durch ungesunde Farbe angenommen. Tintenkleckse von seinen Fingern zogen sich in einem bläuliches Muster über seine Wangen und die Stirn.

    Aurelia trat zu ihm an den Tisch und schlug ihm auf den Rücken. »Ach, mach mir nichts vor, mein Dickerchen. Du bist doch schon seit ein paar Stunden auf, wie ich sehe.« Sie deutete auf den Tisch voller säuberlich markierter Abrechnungen.

    »Ach, Buchhaltung hilft mir einfach, den Kopf frei zu bekommen.« Er löschte die letzte Rechnung mit einer Prise Sand ab und legte die Papiere dann zusammen in eine Kladde. Einen Moment blickte er sehnsüchtig auf die Karte der Südmeere über dem Schreibtisch, dann drehte er sich schwerfällig zu Aurelia herum.

    »Also, was hast du für uns?«

    Die Schurkin hockte sich auf den Schreibtisch und zog ein Bein an, sodass ihr Kinn auf ihrem Knie ruhte. Sie senkte verschwörerisch die Stimme.

    »Ein ganz dicker Fisch, Eberhart. Gräfin, aber keine der lokalen Größen. Sie nennt sich del Mar, klingt mir nach den Kolonien. Aber das Beste ist: Sie kauft Kunstgegenstände, alte Schriften und alles Mögliche, das mit dem Laroskult zu tun hat. Spezifisch die Zeit des dunklen Korsaren.« Aurelia konnte kaum ruhig sitzen, während sie die Fakten über das neue Projekt herunterrasselte.

    Eberhart strich sich über das Kinn und verteilte mehr Tinte in seinem Gesicht. Dann deutete er mit zwei fetten Fingern auf Aurelia. »Also halten wir fest: Eine ortsfremde Adlige mit tiefen Taschen, die viel Geld für leicht fälschbares Material in die Hand nimmt.« Er ließ seine Faust in die Handfläche der anderen Hand klatschen. »Aurelia, das klingt tatsächlich nach unserem großen Durchbruch!« Er legte die Hände auf die Knie und kam ächzend auf die Beine. Er musste sich kurz am Tisch abstützen und hielt sich den Kopf. »Das Zeug sollte man zum Abbeizen benutzen, nicht zum Trinken.«

    Er watschelte zur Rückwand des Raumes und machte sich an dem Wandbehang zu schaffen, der die glorreiche Eroberung der Südmeerinseln durch Admiral von Streithoff zeigte. Eberhart schob den Vorhang zur Seite und legte eine Schiefertafel frei, auf der diverse Ideen, Strategien und unanständige Kritzeleien standen. Er löschte mit einer schon viel benutzten Ecke des Wandteppichs einen Großteil der Notizen aus und nahm ein Stück Kreide aus einer Schublade.

    »Wir brauchen: Einen Köder, eine Gelegenheit, ein Problem und ein Finale. Ach, ich liebe den Planungsteil.« Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er sich an die Arbeit machte. Aurelia rutschte vom Schreibtisch und schnappte sich ebenfalls ein Stück Kreide. »Und diesmal wird es ein Meisterwerk!«

    Die Ausstellung fand in einem der kleineren Gildenhäuser von Kammerbad statt. Die Gilde der Maler und Bleicher hatte ihre Halle zur Verfügung gestellt, während die Gerber und Kürschner die Finanzierung übernommen hatten. Niemand wollte bei den Gerbern einen Empfang geben und die Halle der Kürschner war gerade einem Brand zum Opfer gefallen. Manche sagten, es seien radikale Druiden gewesen, aber solches Gerede gab es immer.

    Die Maler ließen ihre dreistöckige Gildenhalle jeden Monat in einer neuen Farbe erstrahlen. Dieses Mal hatten sie sich im Einklang mit der

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