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Hier ist auch bald woanders
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Ebook258 pages3 hours

Hier ist auch bald woanders

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About this ebook

Kris ist auf Therapie. Zehn Monate muss er dort absitzen. Am liebsten wäre er die ganze Zeit allein. Das ist aber gar nicht so leicht, bei so vielen Mitpatienten. Bald ist er mitten in zwischenmenschlichen Kollisionen und muss sich fragen, was er wirklich will. In der Klinik und in der Welt da draußen.

"Im Gang brennt Licht. Immer brennt Licht, denkt Kris. Als würden die Patienten es mit ihrer überflüssigen Energie anstecken. Kris sieht den Lichtschalter an der Ecke. Er knipst ihn aus. Als er durchs Treppenhaus nach oben geht, sieht er, wie sich der nächste Morgen durch die Fenster zwängt."
LanguageDeutsch
Release dateFeb 26, 2018
ISBN9783957910783
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    Hier ist auch bald woanders - Dominik Steiner

    Autor

    1

    Um halb sieben klopft der Frühdienst die Leute aus den Betten. Kris hört sie, seit sie im ersten Stock sind. Verschwitzt schlüpft er aus der Decke, müht sich in die Joggingklamotten und stapft ins Treppenhaus. Zwischen seinen Mitpatienten trottet er durch die morgendliche Klinik zum Frühsport. 60 süchtige Menschen drängen sich in die Kellerhalle. Kris zwängt sich nach ganz hinten. Die Vorturner stehen schon am anderen Hallenende bereit. Herr Lars, einer der Therapeuten, sitzt auf einer Bank und treibt die Nachzügler an. Im Raum stinkt es nach nächtlichem Schweiß und durchweichten Klamotten. Kris hat sich die ganze Nacht im Bett gewälzt und fühlt sich jetzt wie verheddert. Am liebsten würde er rennen, bis er wieder frei ist. Aber rennen darf er hier nur, wenn er dabei stehenbleibt.

    »Wir laufen auf der Stelle!«, kommandiert der Vorturner, als alle Patienten da sind. Das Getrampel im Saal klopft Kris für zwei Schritte wach. Dann sind die Schritte plötzlich weg.

    »Wir bleiben stehen!«

    Zischender Atem trägt das Getrampel davon. Die Raumluft wird poliert von ungeputzten Zähnen.

    »Wir atmen tief ein!«

    Kris hält die Luft an.

    »Wir atmen aus!«

    Kris hält die Luft an. Auf seine Haut legt sich eine lähmende Schwere. Er atmet sie auf.

    »Wir strecken die Arme zur Seite!«

    Jemand bekommt eine Faust ab, aber es sieht aus, als wäre es ein Versehen. Herr Lars bleibt kommentarlos sitzen.

    »Wir halten die Arme gestreckt!«

    Erstes Keuchen zischt durch den Saal.

    »Wir kreisen die Arme!«

    Das Keuchen wird lauter. Verdruckst huschen Flüche durch den Raum.

    »Wir kreisen die Arme!«

    Kris verfolgt die Bewegungen seiner Nebenleute aus dem Augenwinkel. Keiner hat Lust auf diese Monotonie, aber keiner will als Erster aufgeben.

    »Wir kreisen die Arme!«

    Genervt steigen jetzt einige aus. Kris macht weiter. Er kann mit allem weitermachen, solange es ihn weit genug von der letzten Nacht wegbringt.

    »Wir kreisen die Arme!«

    Herr Lars sieht, dass nur noch eine Handvoll der Patienten mitmachen. Er beendet die Übung. Einige hoffen, jetzt schon vom Sport erlöst zu werden.

    »Wir laufen auf der Stelle!«, peitscht sie der Vorturner zurück.

    Die Luft ist jetzt so verbraucht, dass Kris denkt, kotzen zu müssen. Er stolpert zum Fenster und reißt es auf.

    »Hey!« Herr Lars steht auf. »Nur kippen!«

    Kris saugt die schneeklare Luft von draußen ein, dann schließt er das Fenster wieder.

    Er riecht jetzt nichts mehr. Es ist kein fremder Gestank mehr im Raum. Es ist sein eigener und er läuft auf der Stelle vor ihm davon. So blind, dass es sich anfühlt, als könnte das klappen. Als der Vorturner den Takt für die Kniebeugen vorgibt, macht Kris mit, bis er vor Schwindel torkelt. Lieber keine Luft mehr bekommen, als diese Luft atmen, denkt er und hängt sich auch in die Liegestütze rein, als könnte er sich so in Einzelteilen von hier rauskatapultieren.

    Der Platz ganz hinten in der Halle hat ihn zwar vor den prüfenden Blicken von Herrn Lars geschützt, aber als die Patienten nach dem Sport zum Duschen drängen, bemerkt Kris den Nachteil: Seine beiden Zimmerkollegen sind vor ihm zurück. An der Badezimmertür steht Kirchmann in Shorts und hat das Handtuch über die nackte Schulter gelegt. Die Dusche plätschert. Mostner war als Erster oben. Nach der Dusche wird er zumindest beim Frühstück nicht mehr nach Entzug stinken. Im Zimmer riecht es wie in einer Kläranlage der Euphorie. Die Nässe an Kris’ Haut sticht, als wären die Schweißtropfen Scherben, Teile eines Spiegels, der seit dem Entzug in ihm zerbrochen ist. Als er auf Morphium war, hat er sich darin gesehen, wie er sich immer sehen wollte. Jetzt ist Kris affig und die Überreste des Spiegels stechen sich durch seine Haut nach draußen. Die Bilder sehen jetzt anders aus. Als hätte er sich in eine Fratze verliebt. Als könnte jeder auf seiner Haut die Grimassen sehen, die er sich immer verkniffen hat. Abwaschen kann er sie jetzt nicht. Mostner lässt sich Zeit und Kirchmann wartet geduldig ab. Das Frühstück beginnt in einer Viertelstunde. Wer nicht pünktlich am Tisch sitzt, muss beim Spülen helfen. Kris hakt die Dusche ab, trocknet sich mit seinem Schlafshirt ab und schlüpft in die Klamotten von gestern.

    An jedem Frühstückstisch sitzen zehn Leute. Kris setzt seine abweisendste Miene auf. Er sieht in keine Augen. Blickkontakt ist jetzt wie ein Griff auf eine heiße Herdplatte. Die Patienten sind in Gruppen eingeteilt. Kris ist in Gruppe C. Dazu gehören auch Roja, Lucy und seine Zimmerkollegen Kirchmann und Mostner. Außerdem sind da noch Hohnwald und der Gruppensprecher Boris. Kris hat den Plan, mit keinem von ihnen zu reden. Zehn Monate lang will er schweigen. Das hat er auch getan, als der Richter ihn auf Therapie statt in den Knast geschickt hat. Wenn Kris was gesagt hätte, hätte das auch nichts geändert. Also hat er für Worte erstmal keine Verwendung mehr. Das Frühstück zählt immerhin zu den erträglichsten Teilen des Tages. Es dauert nur eine halbe Stunde und die meisten dösen stumm vor sich hin. Diesmal hat Kris auch noch Glück. Er sitzt neben Lucy, die ein Buch unter dem Tisch versteckt hält und heimlich liest. Eigentlich ist das während des Essens verboten, weil es die Kommunikation hemmt. Das kommt Kris gelegen. Im Schatten von Lucys Abwesenheit geht auch er unter. Außerdem hat Hohnwald einen Lachanfall. Angefangen hat das, als Boris ihm das Müsli hingeschoben hat. Boris hat dabei nicht mal was gesagt. Als das Müsli vor ihm steht, ist Hohnwald schon so hartnäckig am Kichern, dass er nicht mehr nach dem Löffel greifen kann. Boris fühlt sich provoziert.

    »Was ist los mit dir!?«, fragt er und funkelt Hohnwald an. Der versucht, sich gerade zu halten, und scheint einen Moment darüber nachzudenken, doch etwas in Boris’ Blick zieht ihm ein Grinsen auf die Lippen.

    »Mann, lass mich lesen.« Lucy schaut auf und sieht Hohnwald besänftigend an. Das schluckt er, wird ruhig und greift nach dem Löffel.

    »Hat jemand Milch?«, fragt Hohnwald höflich.

    Lucy greift nach der Karaffe und hält sie ihm hin. Hohnwald wirkt distanziert, als hätte Lucy ihn mit dieser Geste vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Dann beginnt sein Kopf zu zittern. Ein rhythmisches Geräusch schabt sich durch seinen Hals, die Mundwinkel verzerren sich. Hohnwalds Grinsen sieht aus, als wollte es sich durch Stacheldraht zwängen. Er versucht, den Lachkrampf zu unterdrücken, läuft rot an und wippt auf dem Stuhl hin und her. Boris steht auf und dreht sich zu Herrn Lars, der ein paar Tische weiter hinten das Frühstück im Auge behält.

    »Hey! Hier geht’s jemandem nicht gut!«

    Der hünenhafte Betreuer erhebt sich und kommt zum Tisch.

    »Was ist los?«

    »Hohnwald lacht die ganze Zeit.«

    »Na und?«

    »Es gibt keinen Grund dafür.«

    »Wieso gibt’s keinen Grund zu lachen?«, fragt Herr Lars.

    »Weil nichts Komisches passiert.«

    »Willst du Hohnwald vorschreiben, was er lustig finden soll?«

    »Ich mein nur, wir haben doch auch ein Recht zu lachen, oder?« Boris blickt fordernd zu dem Therapeuten auf.

    »Dann erzähl nen Witz …« Herr Lars rückt näher. »Hey!« Hohnwald verkneift sich ein Grinsen. »Was ist so komisch, hm?«

    »Ich weiß es nicht«, presst der hervor.

    »Geht’s dir schlecht?«

    Hohnwald zuckt die Schultern.

    »Okay, das wird schon wieder«, sagt der Betreuer.

    Hohnwald sieht Herrn Lars in die Augen, dann senkt er den Kopf um sein Grinsen zu verstecken.

    »Wollen sie nichts dagegen tun?«, fragt Boris.

    »Wieso? Nehmt euch ein Beispiel an ihm«, rät der Therapeut und dreht sich in die andere Richtung. »Ach ja … Lucy, gib mir dein Buch!«

    »Ok, wann?« Lucy, die das Buch auf ihren Schenkeln hat, macht auf unschuldig.

    »Jetzt! Lesen ist verboten während des Essens, das weißt du doch.«

    »Ich esse nicht.«

    »Wenn du nichts isst, kannst du dich auch nicht aufs Lesen konzentrieren.«

    »Na und? Dann les ich die Sätze halt zweimal.«

    »Nicht hier!«

    »… okay, dann geh ich nach oben.«

    »Lucy, gib mir dein Buch oder du spülst die nächsten zwei Tage!«

    Lucy legt den Roman auf den Tisch und schiebt ihn dem Betreuer angewidert zu.

    »Du hast doch viel mehr davon, wenn du mit den anderen redest.« Herr Lars steckt das Buch ein, dann geht er zurück zu seinem Platz.

    Lucy verschränkt die Arme, sinkt in den Stuhl zurück und sieht sich genervt in der Runde um. Schweigend streifen einige ihren Blick.

    Nur Hohnwald, der das Ganze mitangesehen hat, erwidert ihre Kontaktaufnahme mit sanftem Lächeln. Kris schaut auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Dann beginnt die Arbeitseinteilung in der Turnhalle.

    2

    »Borsen, Malzmann: Fenster. Hürth, Segovic: Flure. Sassoko, Repel: Gruppenräume. Schnieglinger: Turnhallentoilette.«

    »Was!?«

    »Sie putzen die Turnhallentoilette, Herr Schnieglinger.«

    »Das ist unfair!«

    »Was meinen sie, wie unfair es in echten Jobs zugeht?« Frau Born mustert ihn scharf.

    »Wie unfair es in Ihrem Job zugeht, seh ich ja gerade.«

    »Wie bitte?«

    »Warum soll ich nen Job machen, der nicht fair ist?«

    »Fair ist, Verantwortung für Ihre Mitpatienten zu übernehmen.«

    »Fair ist, mich nur den Dreck wegmachen zu lassen, den ich verursache.«

    »Nein, Herr Schnieglinger, das ist Suchtverhalten. Sie kümmern sich nur um sich selbst!«

    »Ich trag ja auch genug Probleme mit mir rum.«

    »Deswegen sollten Sie was dagegen machen.«

    »Meine Probleme haben aber doch nichts mit dieser Toilette zu tun!«

    »… dann haben Sie dort ja auch Ruhe vor Ihnen! Kabak, Raticek: Müll. Streb, Clastro: Zimmer. Herr Schubert macht die Putzkammer.«

    Kris steht neben Clastro in einem der Zimmer und sieht zu, wie dieser eine Bettdecke frisch überzieht.

    »Wir sind hier nicht im Ritz«, erklärt Clastro. »Aber man kann schon Qualität erwarten. Und ich mein nicht die Qualität der Bettwäsche. Ich mein die menschliche. Weißt du, was ich alles hätte klauen können in den letzten Monaten? Weißt du, wie viele geheime Briefe ich hätte lesen können? Seit zwei Monaten schickt mich Frau Born jeden Tag durch die Zimmer und sie weiß, dass nichts passiert. Das find ich geil!«

    Kris stülpt den Bezug vom Kissen.

    »Aber weißt du was? Ich find das nicht geil, weil ich ihr was beweisen will. Frau Born ist mir scheißegal, ich find’s geil, weil ich mir selber was beweisen will. Ich brauch die Scheiße einfach nicht. Ich brauch gar nichts mehr. Keine Sachen zum Verticken, kein Zeug. Ich bin frei, verstehst du?«

    Kris greift nach dem frischen Überzug und tastet das Kissen nach den Ecken ab.

    »Wenn du mich fragst, machen wir’s uns alle viel zu schwer. Und die Betreuer machen’s uns noch schwerer, aber irgendwann nerven sie dich hier so an, dann siehst du entweder, wer du bist, oder du drehst durch. Hat bei mir ne Weile gedauert. Aber jetzt geh ich meinen Weg. Und wenn mich im Vorstellungsgespräch jemand fragt, was ich die letzten Monate gemacht hab, sag ich: Ich hab damit aufgehört, mir Nadeln in den Arm zu stecken! Und wenn mein neuer Chef das nicht gut findet, dann kann er mich mal! So einfach ist das. Die Fresse halt ich vor niemandem mehr! Schon gar nicht vor Leuten, die nie was erlebt haben …«

    Schweigen.

    »Was willst du später machen?«, fragt er Kris.

    Der sieht auf und fragt sich, ob er nachdenken soll.

    »Aber du bist neu. Bei dir dauert das noch ne Weile, das seh ich schon. Beneid ich dich nicht drum, sag ich dir ganz ehrlich. Ist heute mein letzter Dienst. Morgen können die mich alle mal. Die hier drin und die draußen sowieso«, sagt Clastro und wirft das Laken zur restlichen Dreckwäsche.

    11.30 Uhr. Eine Viertelstunde Pause. Geraucht werden darf nur im Gruppenraum. Der ist jetzt, wo alle frei haben, gnadenlos überfüllt. Kris braucht trotzdem eine Kippe und schleicht sich durch den Dunst hinein. Neben Boris, dem Gruppensprecher, ist ein Platz frei. Kris setzt sich hin und dreht sich eine.

    »Sag mal nen Namen«, fordert ihn Boris auf.

    »Wieso?«

    »Sag einfach mal den ersten Namen, der dir einfällt.«

    Kris sieht ein, dass es schwierig werden wird, zehn Monate nicht zu sprechen. Immerhin lenkt ihn die Frage vom Entzug ab, also grübelt er.

    »Ohne lange nachzudenken«, beharrt Boris. »Einfach nen Namen.«

    »Amanda.«

    »Amanda?«

    »Wie … Amanda Palmer.«

    »Okay, der ist gut«, sagt Boris.

    »Du siehst auch aus wie ne Amanda!«, hört Kris hinter sich. Es ist eine Frauenstimme. Als er sich umdreht, merkt er, dass er zu weit gegangen ist. Roja, mit der er bisher noch kein Wort gesprochen hat, nimmt ihn scharf ins Visier. Sie sehen sich einen Moment lang an, bis Kris sich wegdreht und spürt, dass da jetzt etwas im Raum ist, über das er stolpern wird, wenn er nicht aufpasst.

    »Amanda is’n schöner Name. Passt zu dir«, spricht ihm Hohnwald Mut zu.

    »Jetzt lasst ihn doch mal in Ruhe! Habt ihr überhaupt ne Ahnung, wer Amanda Palmer ist?«, drängt Lucy dazwischen.

    »Das ist mir egal, wer das ist! Ich weiß nur, dass er ne Amanda ist, das reicht!«

    Roja funkelt kampfbereit in die Runde.

    »Es ist egal, wer hier was ist«, murmelt Boris. »Das war eine ehrliche Antwort und die respektieren wir jetzt einfach.«

    »Halt die Fresse!«

    »Was willst du?« Boris dreht sich zu Roja um.

    »Führ dich nicht auf wie der Boss!«

    »Ich bin hier der Boss!«

    »Du bist’n Niemand, Boris …«

    »Hältst du dich für was Besseres?«

    »Typen wie dich ess ich zum Frühstück.«

    »Aha … Und ich dachte, Crystal isst du zum Frühstück.«

    »Du willst mich wirklich provozieren, hm?«

    Roja springt auf und funkelt Boris an. Der sieht sie zögerlich an. Eigentlich will er hier nur in Ruhe rauchen, aber er weiß, dass es jetzt dafür zu spät ist. Boris steht auf. Er ist groß und breit, aber Roja ist größer und breiter. Leichtfüßig bewegt sich der Gruppensprecher auf sie zu, als würde er die Kraft nicht stören wollen, die in ihm schlummert. Roja stolziert ihm entgegen, als könnte sie damit alles an Aufruhr wecken, was in ihr steckt. Jetzt stehen sie sich gegenüber und sehen sich scharf in die Augen.

    Lucy schiebt sich zwischen sie und drückt sie auseinander.

    »Kommt schon, gehen wir runter. Ist doch egal, wer was zum Frühstück isst.«

    »Natürlich ist das egal … Aber es ist nicht egal, was er sagt!«

    Roja sieht Lucy nicht an. Ihr Blick bohrt in Boris, der sich über die Stoppelfrisur streift und überlegt, ob er sich verteidigen oder nachgeben soll.

    »Ok, war nicht so gemeint, sorry«, lenkt Boris schließlich ein.

    »Das sagst du jetzt.«

    »Das wolltest du doch hören, oder?«

    Lucy, die eineinhalb Köpfe kleiner und höchstens halb so breit ist wie Roja, schiebt ihre Zimmerkollegin weiter nach hinten. Die blickt noch immer mürrisch, aber lässt sich von Lucy leiten.

    »Sag das nicht nochmal!« Roja reckt Boris das Kinn entgegen, als wäre es ein Messer, mit dem sie ihm eine Warnung in die Haut ritzen könnte. Boris bleibt stehen und wartet den Moment ab, den er braucht, um seine Standhaftigkeit zu beweisen. Dann sieht er auf die Uhr. Zeit zum Mittagessen.

    Kris folgt den Leuten aus seiner Gruppe. Er geht langsam. Er weiß, dass er sowieso nicht weit kommt. 45 Minuten werden sie jetzt zusammensitzen. Und selbst wenn er aufs Klo will, muss er erst umständlich fragen.

    Am Tisch sitzt ein Neuer. Er sieht harmlos aus. Sein Blick ist scheu. Seine Haltung gekrümmt. Die Segelohren sind halb verdeckt unter strubbeligen Strähnen. Die Gruppe verteilt sich auf den Stühlen um ihn herum. Als alle im Saal sitzen, stellt sich Herr Lars mit einem Block in der Hand in die Mitte des Saals und fängt an, die Namen herunterzurattern.

    »Argwang?«

    »Hier!«

    »Bertram?«

    »Ja!«

    »Bigalke?«

    »Anwesend!«

    »Brandl …«

    So geht das, bis alle im Saal ihr Dasein bestätigt haben. Dann wünscht Herr Lars einen guten Appetit. Drei Patienten im Kellneroutfit bringen die Teller an den Tisch. Jetzt geht es darum, zuerst den Teller von der Hand des Kellners zu greifen. Kris wartet ab, bis er als Letzter sein Essen vor sich stehen hat.

    »Bist du das erste Mal hier?«, fragt Boris den Neuen, der sich als Billy vorstellt.

    »Ja.«

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