Kommissar Platow, Band 14: Der Kerker im Kettenhofweg: Kriminalroman
By Martin Olden
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Ihr Fall zog Kreise bis nach London, wo eine RAF-Terroristin in Haft war, die ich nur allzu gut kannte. Auf der Suche nach Sallys Peiniger bekam ich es mit einem unerwarteten Gegner zu tun – meinem besten Freund und Partner Mike Notto ...
Alle Bände der Serie: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil", Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg" und Band 15 "Letzte Ausfahrt Frankfurt-Süd"
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Book preview
Kommissar Platow, Band 14 - Martin Olden
20
1
Freitag, 17. März 1978
Im Keller der Villa tobte eine Sex-Orgie. Frankfurts feine Gesellschaft frönte ihren fleischlichen Lüsten, animiert durch umwerfend schöne Damen. Den Einlass ließen sich die Hausherren vergolden. 350 Mark für eine Stunde im Sündentempel. Vorausgesetzt, man besaß eine Empfehlung aus besseren Kreisen und passierte die Gesichtskontrolle. Bei der Vorstellung spuckte Herbert Wettig einen Speichelklumpen auf die Straße. Verblödete Bonzen!
Es war kurz nach Mitternacht. Wettig lauerte in einer Hofeinfahrt, die vom Licht der Bordstein-Laternen nicht erfasst wurde. Gegenüber lag der Eingang des neobarocken Anwesens, das sich seit einigen Monaten im Besitz eines ungarischen Ehepaars befand. Kettenhofweg 124a. Die neue Topadresse für Freier mit praller Brieftasche. Fernab vom Rotlicht-Mief des Bahnhofsviertels. Gut getarnt im Westend, dem einstigen Bürgerviertel, das Spekulanten aufgekauft und in ein Bürogebiet mit turmhohen Betonpalästen verwandelt hatten.
Herbert Wettig schob die Strickmütze tiefer in die Stirn, als ein Herr im Maßanzug das Edelbordell betrat. Wieder so ein Wirtschaftsboss, der sich vor lauter Geilheit die Moneten abknöpfen ließ! Wettig grinste und rieb seine Nase, die wie ein Kamelhöcker aus dem hageren Gesicht ragte. Ihm war klar, dass er nicht zu den schönsten Geschöpfen der Welt zählte. Trotzdem hatte er es nicht nötig, für Liebe zu bezahlen. Seinen Bedarf deckte er in freier Wildbahn – wie jeder gute Jäger.
Der schwarzgekleidete Mann löste sich aus dem Schatten. Mit katzenhafter Gewandtheit lief er über den Gehsteig im Kettenhofweg, dicht an den umzäunten Grundstücken entlang. In Gedanken sang er einen Schlager aus der ZDF-Hitparade. Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen …
Plötzlich hielt Wettig inne. Seine dunklen Augen hatten die Beute erspäht. Früher als erhofft. Sie stand an der Kreuzung zur Beethovenstraße. Ganz allein zu später Stunde. Kein Beschützer weit und breit. Wie unvorsichtig! Er konnte sein Glück kaum fassen. Es hatte den Anschein, als ob die Schönheit auf jemanden wartete. Einen Mann, der sie zu nehmen wusste? Nun, den heißen Feger würde er bedienen! Wettig zog Handschuhe aus der Lederjacke und schlüpfte hinein. Etwa zwanzig Meter trennten ihn vom Ziel. In gebückter Haltung pirschte er sich heran. Schritt für Schritt. Noch fünfzehn Meter. Vor Erregung begann seine Kopfhaut unter dem Mützenstoff zu kribbeln. Zehn, neun, acht …
Da hörte Wettig die Stimme. Ihr Klang war sanft, als schlügen Engelsflügel gegeneinander. Aus den Tiefen seines Bewusstseins sprach sie zu ihm. Herbert, denk an dein Versprechen! Du wolltest es nie wieder tun!
Augenblicklich verharrte er in der Bewegung.
Gut! Und nun kehr um!
Seine Füße standen still, unfähig sich vom Fleck zu bewegen. Schweißtropfen rannen die Schläfen hinab, obwohl die Frühlingsnacht ungewöhnlich frostig war.
Die innere Stimme gewann an Dringlichkeit. Mach keine Dummheiten! Vergiss nicht, was dir blüht, wenn sie dich erwischen!
Herbert Wettig kratzte sich mit den Handschuhen über die Nasenwurzel. Ja, er kannte die Strafe für seine Neigung allzu gut. Das Zuchthaus war kein Ferienparadies gewesen. Doch sämtliche Schindereien, die er dort ertragen hatte, erschienen gering im Vergleich zu den Qualen der Gegenwart. Die Leidenschaft war in seinem Fleisch entflammt. Heiß wie ein Scheiterhaufen, auf dem noble Vorsätze zu Asche verbrannten.
2
Gründonnerstag, 23. März
Um die Mittagszeit glich der Frankfurter Hauptbahnhof einem Ameisenhaufen, den ungezogene Kinder durch Stockhiebe in Aufruhr versetzt hatten. Kreuz und quer wuselten Reisende über die Bahnsteige, schleppten Gepäck und schnauften mit den einfahrenden Lokomotiven um die Wette. Das Gewimmel war umso größer, da die Osterfeiertage vor der Tür standen und somit auch die Zeit für Ferien und Verwandtenbesuche. Aus dem Meer der Köpfe und Körper einen bestimmten Menschen herauszufischen, wäre selbst für die feine Nase meiner Hovawart-Hündin Abba eine Herausforderung gewesen. In der Halle herrschte Geruchs-Chaos. Parfümierte Hälse, schweißgetränkte Hemden, Leberwurstbrote und Kaffeedunst, der Rauch hastig genossener Zigaretten, süßlicher Gestank aus vollen Abfalleimern – und über allem schwebte das spezielle Aroma öffentlicher Toiletten. Zum Glück mussten wir nicht nach unserer Zielperson suchen. Verlässliche Spitzel hatten uns gezwitschert, wo sich Nikolai Gubanov am liebsten aufhielt. Der Umschlagplatz des Drogenhändlers war das Aktualitätenkino im Hauptbahnhof, kurz AKI genannt. Ich wartete mit Abba und meinem Partner Mike Notto in der Nähe des Eingangs. Wir waren als Urlauber getarnt. Koffer und Rucksäcke standen vor unseren Füßen. Alle zwei Minuten sah ich zur Uhr und dann hinüber zu einem leeren Gleis, als würde ich der Ankunft eines Zuges entgegen fiebern. „Gubanov verspätet sich. Laut unserem Informanten hätte er längst auftauchen sollen."
„Vielleicht schlitzt die Ratte noch `nen Konkurrenten auf", argwöhnte Mike.
Ich presste die Lippen aufeinander und nickte. Der Bulgare gehörte zu einer Gangsterbande, die den Heroinmarkt zu kontrollieren suchte. Bei dreitausend Süchtigen in Frankfurt ein lukratives Geschäft. Nach der Festnahme des SchmugglerKönigs Simon „Zappa" Zapatka war ein Machtvakuum in der Unterwelt entstanden. Nun stritt sich die Balkanmafia mit den Familienclans der Türken und Nigerianer um die Vorherrschaft. Nikolai Gubanov hatte ein Mitglied der Yildiz-Sippe auf der Haschwiese hinter dem Stadtbad Mitte abgestochen und leichtfertigerweise einen Zeugen am Leben gelassen.
Ich wandte den Blick nach links zu der abgesperrten Baustelle des neuen S-Bahn-Tunnels, der in acht Wochen eingeweiht werden sollte. In der Nähe hatte Hauptkommissar Harry Lange seine Männer vom Rauschgiftdezernat postiert. Gubanov würde in die Falle laufen, ohne Chance zu entwischen. Ein flaues Gefühl breitete sich in meiner Magengrube aus. Genauso zuversichtlich waren wir am 27. Februar gewesen, vor der Verhaftung zweier Bankräuber. An jenem gottverfluchten Tag hatten unsere Freunde Hans Söhnlein und Uwe Fink den Tod gefunden. Daniel Brück und Jürgen Hechler waren so schwer verletzt worden, dass noch Monate bis zu ihrer Rückkehr in den Dienst vergehen konnten.
Mike versetzte mir einen Rippenstoß und machte mich auf einen kleinen Jungen aufmerksam. Mit großen Augen bestaunte der Bub die Filmplakate am AKI. Todesgrüße aus Shanghai, Im Lustgarten der wilden Mädchen und Erotische Bestien. Dann wurde der Knirps von seiner Mutter am Arm gepackt und weggezogen.
Mike lachte. „Armes Kerlchen. Vertrieben aus dem Paradies."
„Als ich in seinem Alter gewesen bin, hab ich oft im AKI gesessen. Anfang der fünfziger Jahre, nachdem das Kino eröffnet hatte. Fünfzig Pfennig Eintritt und man durfte so lange bleiben, wie man wollte. Rund um die Uhr hat`s die Wochenschau gegeben, Zeichentrickfilme und Charlie Chaplin."
„Sonst nichts? Keine Pornos? Kein Kung Fu? Was für `ne traurige Jugend!"
„Dummes Zeug! Wir haben den Schmuddelkram nicht gebraucht, um glücklich zu sein!"
Abba bellte. Im Geiste hörte ich, wie sie mich kritisierte. Er hat nur einen Witz gemacht, Joe! Verstehst du keinen Spaß mehr?
„Halt die Klappe!"
Bist übellaunig. Woran liegt`s?
Mike riss die Umhüllung eines Raider-Keksriegels auf, biss hinein und spracht weiter, während er kaute. „Entspann dich, mein Alter! Sonst behauptest du als Nächstes, dass die Filmchen die allgemeine Moral verderben."
„Die Brutalität macht mir schon Sorgen. Andauernd Folter und Vergewaltigungen. Die Streifen können schlichte Gemüter auf dumme Gedanken bringen."
Mein Kumpel verdrehte die Augen. „Hörst dich an wie Tina Förster, die verklemmte Sittenwächterin!"
„Wie redest du von deiner Freundin?"
„Ex-Freundin, bitteschön. Hab die Tussi auf den Mond geschossen!"
„Bitte?!? Ich war wie vom Donner gerührt. „Wann denn? Und warum?
„Vor zwei Wochen. Ist mir auf den Wecker gegangen."
„Urplötzlich? Dabei hab ich gedacht, Tina sei etwas Besonderes für dich. Hast sie sogar deinen Eltern vorgestellt."
„Der größte Fehler meines Lebens! Er schüttelte den Kopf. „Keinen Bock auf ein Weib, das mich bemuttert, dauernd fragt wie`s mir geht, wie ich mich fühle, ob ich drüber reden will, was passiert ist … Bla, Bla, Bla!
„Du meinst die Schießerei?"
Mike fuchtelte mit dem Raider durch die Luft. „Und die Bombe in Belfast, die Lars weggepustet hat."
Ich strich über meine grauen Schläfen. Innerhalb kurzer Zeit hatten wir drei liebgewonnene Menschen verloren – und selbst zwei Männer in Notwehr getötet. Einschneidende Erlebnisse, die man nicht einfach aus den Kleidern schüttelte. Es verging kein Tag, an dem ich nicht an