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Eigentum: Warum wir es brauchen. Was es bewirkt. Wo es gefährdet ist
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Ebook405 pages4 hours

Eigentum: Warum wir es brauchen. Was es bewirkt. Wo es gefährdet ist

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About this ebook

Ohne Eigentum ist gesamtgesellschaftlicher Wohlstand undenkbar. Und doch sind Nutzen und Gestaltung von Eigentum bisweilen umstritten. Die Autoren stellen entscheidende Fragen: Welche Funktion hat das Eigentum für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft? Wie beeinflusst es die menschliche Entwicklung? Welchem Wandel unterliegt es durch die Digitalisierung? Wie gerecht ist ererbtes Eigentum? Was sind die Voraussetzungen für eine Eigentumsgesellschaft? Die Antworten und Überlegungen ergeben eine fundierte Bestandsaufnahme zu einem der wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Themen unserer Zeit. Interviews mit 15 ausgewiesenen Experten machen dieses Buch zu einem unverzichtbaren Beitrag zur Debatte um die Zukunft unserer Gesellschaft.
LanguageDeutsch
PublisherVerlag Herder
Release dateJun 11, 2018
ISBN9783451811715
Eigentum: Warum wir es brauchen. Was es bewirkt. Wo es gefährdet ist

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    Book preview

    Eigentum - Stefan Heidbreder

    Inhalt

    Warum dieses Buch?

    Danksagung

    1. Die Akzeptanz und Bewertung von Eigentum in Deutschland

    2. Zwischen Voraussetzung und Gefährdung

    Die Bedeutung von Eigentum für eine Marktwirtschaft

    Interview mit Lars P. Feld

    3. Vom Wandel einer Institution

    Die Geschichte des Eigentums

    Interview mit Werner Plumpe

    4. Glück, Freiheit und Selbstverwirklichung

    Zur Rolle des Eigentums in der Philosophie

    Interview mit Otfried Höffe

    5. Soziale Strukturen und kulturelle Einbettung

    Der soziologische Blick auf Eigentum

    Interview mit Andrea Maurer

    6. Was man von den Buddenbrooks lernen kann – und was nicht

    Das Konzept des Eigentums in der Literatur

    Interview mit Jürgen Kaube

    7. Verpflichtet Eigentum?

    Das Eigentum im Grundgesetz

    Interview mit Paul Kirchhof

    8. Denken in Generationen oder im Takt der Börse?

    Unternehmerisches Eigentum

    Interview mit Harold James

    9. Wem gehört der letzte Wille?

    Intergeneratives Eigentum

    Interview mit Clemens Fuest

    10. Moralische Gefährdungen, Immobilienblasen und Haftung

    Eigentum und Finanzkrisen

    Interview mit Hans-Werner Sinn

    11. Besitzen lernen

    Eigentum in der kindlichen Entwicklung

    Interview mit Gerhard Minnameier

    12. Investitionen in die Köpfe

    Eigentum und Bildung

    Interview mit Ludger Wößmann

    13. Von Anstupsern, Hirnströmen und Kapuzineraffen

    Eigentum aus Sicht der Neurowissenschaft

    Interview mit Bernd Weber

    14. Eine neue industrielle Revolution?

    Die Veränderung des Eigentums angesichts von Internet und Digitalisierung

    Interview mit Achim Wambach

    15. Der verborgene Reichtum armer Länder

    Zur Notwendigkeit von Eigentum für die Entwicklung von Staaten

    Interview mit Hans-Jürgen Wagener

    16. Vom Wert des Teilens

    Gemeingüter als Eigentum

    Interview mit Carl Christian von Weizsäcker

    Epilog:

    Zehn Thesen zum Eigentum

    Personenregister

    Herausgeber und Autoren

    Warum dieses Buch?

    Eigentum wird heute vielfach mit Verteilungsfragen verbunden. Doch dies greift viel zu kurz. Eigentum ist nicht mit Vermögen oder Reichtum gleichzusetzen. Ein Hausbauer, der in seiner fremdfinanzierten Immobilie wohnt, hat zwar Eigentum, aber deshalb noch keine positive Vermögensbilanz. Ebenso verfügt ein Unternehmer zwar über unternehmerisches Eigentum, aber wenn er sämtlichen Gewinn im Betrieb investiert, muss er unter Umständen privat seinen Lebensstandard einschränken. Nur über Eigentum zu gebieten, macht nicht automatisch wohlhabend oder gar »superreich«, um eine neue politische Wortschöpfung zu zitieren. Ferner zeichnet es gerade die Dynamik der modernen Marktwirtschaft aus, dass die Nutzung von privaten Eigentumsrechten nicht zwingend voraussetzt, Vermögensinhaber zu sein.

    Ziel unseres Buches ist es, die Idee des Eigentums aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven zu betrachten. Die Autoren sind der Überzeugung, dass Privateigentum das menschliche Zusammenleben auf weit vielfältigere Weise prägt, als lediglich dem Inhaber Nutzen zu stiften: So sind wirtschaftlicher Fortschritt eines Landes und Wohlstand auf breiter Basis ohne gesicherte Eigentumsrechte nicht denkbar. Eigentum gewinnt an Bedeutung für die Altersvorsorge, wenn das Umlagesystem der Rentenversicherung an finanzielle Grenzen stößt. Vielfach ist Eigentum das Band, das die Generationen zusammenhält und für Nachhaltigkeit sorgt, sei es im kleinen Familienverbund oder in einem Familienunternehmen. Kalkulierte Risiken einzugehen und damit persönliche Freiheit zu leben, ist schwer möglich, ohne über Eigentum zu verfügen. Mit eigenen Gütern zu wirtschaften ist unerlässlich, um zur Persönlichkeit zu reifen. Es gibt noch zahlreiche weitere Funktionen von Eigentum, die in diesem Buch betrachtet werden. Das Werk soll einen Beitrag dazu leisten, das engere ökonomische und juristische Verständnis von Eigentum durch neue wissenschaftliche Blickwinkel zu erweitern.

    Über den Begriff und den Inhalt von Eigentum haben Ökonomen, Juristen und Philosophen lange und ergiebig gestritten. Eigentum und Besitz sind jedenfalls zwei verschiedene Dinge und beides kann ohne das andere bestehen. Das zeitgenössische Verständnis des Eigentumsbegriffs hat sich über Jahrhunderte entwickelt. Einige wesentliche Entwicklungen sind in den Kapiteln über Geschichte, Soziologie sowie Philosophie nachgezeichnet.

    Viele Disziplinen oder Perspektiven, die in diesem Werk zu Wort kommen, mögen auf den ersten Blick überraschen: Welche neurologischen Muster entstehen, wenn Menschen tauschen? Was haben Soziologie, Pädagogik oder Literaturwissenschaft zum Thema zu sagen? Welche Wirkung haben neue Technologien auf die Rolle des Eigentums? Welche Überlegungen zum Eigentum haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes geleitet? Wie gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Eigentum und Bildung? Haben schlecht strukturierte Eigentumsrechte die Finanzkrise 2007 ausgelöst? Ist es gerecht, wenn Eigentum über Generationen weitergegeben wird? Welche Rolle spielt die Eigentumsordnung bei der Entwicklung ärmerer Staaten? Und inwieweit können Gemeinschaftsgüter Privateigentum ergänzen? Am Anfang des Buches zeigt eine aktuelle Umfrage, was Bundesbürger zum Eigentum denken.

    Der Rundumblick über Geschichte, Entwicklung und unterschiedliche Ausprägungen von Eigentum soll vor allem eines zeigen: Eigentum ist für den Wohlstand einer Gesellschaft zentral und auch im 21. Jahrhundert unverzichtbar. Zugleich sieht es sich in Anbetracht technologischer und sozialer Veränderungsprozesse neuen und großen Herausforderungen gegenüber. Es geht daher darum, aufzuzeigen, warum wir Eigentum brauchen, was es bewirkt und wo es gefährdet ist.

    Um der Vielschichtigkeit der Fragestellung gerecht werden zu können, setzen sich die einzelnen Kapitel aus zwei Teilen zusammen: In einer Einführung wird das Thema Eigentum aus einem spezifischen wissenschaftlichen Blickwinkel erörtert und es werden grundsätzliche Zusammenhänge sowie der Stand der Forschung dargelegt. Im Anschluss folgt ein Interview mit einem ausgewiesenen Experten auf dem jeweiligen Gebiet.

    Unser Buch favorisiert die Breite der Darstellung gegenüber der Tiefe. Trotz eines wissenschaftlichen Anspruchs kann nicht jedes Kapitel sein Thema erschöpfend behandeln. Vielmehr soll das Werk eine Debatte über Wert, Funktion und Sinn von Eigentum anregen und diesem eine neue und aus unserer Sicht notwendige Aufmerksamkeit zukommen lassen. Wir hoffen, dass sowohl der interessierte Laie als auch der Fachmann den einen oder anderen Denkanstoß gewinnen kann.

    Ein Werk mit dieser vergleichsweise komplexen Struktur zu erstellen, war eine Gemeinschaftsarbeit, die über die Leistung jedes Einzelnen hinausging. Wir bedanken uns bei allen Beteiligten, die wir an separater Stelle aufführen, sowie beim Herder Verlag für die professionelle Begleitung der Buchproduktion und die Geduld bei der Überarbeitung des Manuskripts.

    April 2018

    Prof. Rainer Kirchdörfer

    Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Brun-Hagen Hennerkes

    Stefan Heidbreder

    Prof. Dr. Nils Goldschmidt

    Danksagung

    Als Autoren war es unser Anspruch, Eigentum umfassend und aus vielen Perspektiven in einer Monografie zu beschreiben. Um die bisweilen abstrakte Materie aufzulockern, entstand bei uns zudem der Wunsch, renommierte Experten zu den jeweiligen Sachgebieten zu interviewen. Für die ausführlichen Wortlaut-Interviews möchten wir den Wissenschaftlern, die uns hierfür ihre Zeit gewidmet haben, vielmals danken.

    Ein Buch mit einer solch vielschichtigen Struktur zu verfassen, war neben unserer ausgefüllten Tagesarbeit nur dadurch möglich, dass wir auf die Unterstützung qualifizierter und engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählen durften. Es galt, auch unbekannte Sachgebiete zu erschließen sowie den roten Faden, der das Werk verbindet, in der Hand zu behalten. Allen, die beteiligt waren, danken wir für ihren Einsatz sehr herzlich.

    Dies gilt auf der Seite der Stiftung Familienunternehmen für Herrn Georg Blaha für seine Mitarbeit bei Konzeption und Inhalt des Buchs sowie für die organisatorische Betreuung von Anfang bis Ende. Ebenso bedanken wir uns bei Herrn Hartmut Kistenfeger sowie Frau Dr. Bettina Wurster.

    Auf der Seite der Universität Siegen danken wir Frau Pia Becker für Recherche und Textarbeit, Herrn Dr. Julian Dörr für die Mithilfe beim Konzept und den Interviews sowie Herrn Roland Fritz und Herrn Matthias Störring für ihren Einsatz in der Projektabwicklung.

    Hervorheben möchten wir auch Frau Hanka Lux, der wir für die Gestaltung der Porträts danken.

    Weiterhin danken wir den folgenden Personen für ihre inhaltlichen Beiträge zu den einzelnen Kapiteln:

    Matthias Störring, Universität Siegen: Kapitel 2 »Zwischen Voraussetzung und Gefährdung. Die Bedeutung von Eigentum für eine Marktwirtschaft«

    Rick Wendler, Friedrich-Schiller-Universität Jena: Kapitel 3 »Vom Wandel einer Institution. Die Geschichte des Eigentums«

    Dr. Moritz Hildt, Eberhard Karls Universität Tübingen: Kapitel 4 »Glück, Freiheit und Selbstverwirklichung. Zur Rolle des Eigentums in der Philosophie«

    Roland Fritz, Universität Siegen: Kapitel 6 »Was man von den Buddenbrooks lernen kann – und was nicht. Das Konzept des Eigentums in der Literatur«

    Prof. Dr. Christian Waldhoff, Humboldt-Universität zu Berlin: Kapitel 7 »Verpflichtet Eigentum? Das Eigentum im Grundgesetz«

    Georg Blaha, Stiftung Familienunternehmen: Kapitel 8: »Denken in Generationen oder im Takt der Börse? Unternehmerisches Eigentum«

    Matthias Störring, Universität Siegen: Kapitel 9 »Wem gehört der letzte Wille? Intergeneratives Eigentum«

    Lea Immel, ifo Institut für Wirtschaftsforschung München: Kapitel 10 »Moralische Gefährdungen, Immobilienblasen und Verantwortung. Eigentum und Finanzkrisen«

    Dr. Elisabeth Wendebourg und Prof. Dr. Klaus Feldmann, Wirtschaftsuniversität Wien: Kapitel 11 »Besitzen lernen. Eigentum in der kindlichen Entwicklung«

    Prof. Dr. Bernd Weber, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn: Kapitel 13 »Von Anstupsern, Hirnströmen und Kapuzineraffen. Eigentum aus Sicht der Neurowissenschaft«

    Verena Diersch, Universität zu Köln, und Dr. Julian Dörr, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn: Kapitel 14 »Eine neue industrielle Revolution? Die Veränderung des Eigentums angesichts von Internet und Digitalisierung«

    Dr. Wolfgang H. Bretschneider, Friedrich-Schiller-Universität Jena: Kapitel 15 »Der verborgene Reichtum armer Länder. Zur Notwendigkeit von Eigentum für die Entwicklung von Staaten«

    1.

    Die Akzeptanz und Bewertung von Eigentum in Deutschland

    Der Wohlstand der Nationen hat im Eigentum sein Fundament. Ganz egal ob als persönliches Eigentum, Basis der individuellen Lebensführung oder Kapitalgut im Produktionsprozess – Eigentum erfüllt in unseren Gesellschaften eine Vielzahl wichtiger und wünschenswerter Funktionen. Eigentum ist für das friedliche Zusammenleben in einer Gemeinschaft zentral. Doch was denkt die Öffentlichkeit über Eigentum?

    Die Einstellung der Deutschen zum Eigentum

    Das Institut für Demoskopie Allensbach hat für dieses Buch die Akzeptanz des Eigentums in der deutschen Bevölkerung erhoben. Im April 2017 wurden im Zuge einer repräsentativen Umfrage 1407 Personen ab 16 Jahren in persönlichen Gesprächen zu ihren Einstellungen zum Thema Eigentum befragt. Die Befragung zeichnet ein facettenreiches Bild in der Bewertung von Eigentum: Grundsätzlich ist der Begriff mit positiven Konnotationen verbunden, wie Abbildung 1 zeigt. So geben 63 Prozent der Befragten an, dass Eigentum für sie Freiheit bedeute. 42 Prozent bringen zum Ausdruck, dass Eigentum dem Wohl des Einzelnen ebenso diene wie dem Gemeinwohl. 41 Prozent sind davon überzeugt, dass nur Eigentum dazu imstande ist, persönliche Sicherheit und geistige Unabhängigkeit zu gewährleisten. Die motivierende Funktion des Eigentums im Wirtschaftskreislauf wird demgegenüber in der Bevölkerung weniger stark wahrgenommen. So schätzen gerade einmal 38 Prozent der Befragten, dass Menschen, wenn sie kein Eigentum erwerben dürften, auch weniger hart arbeiten würden.

    Abbildung 1: Aussagen zum Eigentum

    Ausdrücklich negative Bewertungen in Bezug auf Eigentum finden sich in der Bevölkerung weitaus seltener: 21 Prozent der Befragten glauben, dass Vermögen den Charakter verdirbt. 15 Prozent sind der Überzeugung, dass kapitalistisches Eigentum die Quelle von Ausbeutung und Entfremdung der Arbeiter sei. Im Vergleich zu den oben dargestellten positiven Konnotationen fällt die Zustimmung zu derart kritischen Aussagen aber deutlich geringer aus. Auch stimmen lediglich sieben Prozent der Befragten der Aussage zu, dass ein guter Charakter zwangsläufig mit wenig Eigentum einhergehe. Die Aussage »Eigentum ist Diebstahl« findet gerade einmal ein Prozent der Befragten zutreffend.

    Insgesamt lässt sich den Deutschen also eine relativ hohe Eigentumsfreundlichkeit attestieren. Besonders bemerkenswert ist die starke Wahrnehmung eines Zusammenhangs zwischen der Möglichkeit, über Eigentum zu verfügen, und persönlicher Freiheit. Eigentumssicherung identifizieren große Teile der Bevölkerung als klassische Staatsaufgabe. Damit einher geht die Forderung an entsprechendes staatliches Handeln.

    Interessant ist eine relativ geringe Zustimmung (42 Prozent) zum Artikel 14 des Grundgesetzes – nämlich, dass die Verfügungsbefugnis über Eigentum den Eigentümer verpflichte, dieses zum Wohl der Allgemeinheit einzusetzen. Im Jahr 1998 betrug die Zustimmung zu dieser Aussage sogar nur 34 Prozent, wie eine frühere Erhebung des Allensbach-Institutes ergab. Die Forderung »Eigentum verpflichtet« ist also ein Stück weit präsenter geworden, vermutlich auch durch Diskussionen zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen in der jüngeren Vergangenheit. Zugleich wird von einem identisch hohen Anteil der Deutschen eine gemeinwohlfördernde Rolle des Eigentums gesehen. Es ist fraglich, wie diese Zustimmungswerte miteinander in Beziehung stehen. Offenbar sieht etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung eine der Eigentumsordnung inhärente gemeinwohlfördernde Funktion, während die andere Hälfte zumindest leichte Zweifel daran hegt, ob Eigentum tatsächlich in der Lage ist, dem Gemeinwohl zu dienen.

    Aus diesem Grund greift das vorliegende Buch immer wieder auch die Frage auf, unter welchen Bedingungen Eigentum als dem Gemeinwohl förderlich angesehen wird – und wann seine Durchsetzung auf Widerstände stößt. In Bezug auf die aktuelle Situation in Deutschland lässt sich jedenfalls feststellen, dass keine explizite Ablehnung der Institution Eigentum in der Bevölkerung aufzufinden ist. Lediglich in einem Punkt ist die Wahrnehmung des Eigentums bei den Deutschen überwiegend negativ: »Je mehr jemand hat, desto mehr will er haben« – dieser Aussage stimmt eine absolute Mehrheit von 51 Prozent der Befragten zu.

    Widersprüche in der Wahrnehmung von Eigentum

    Die Bewertung von Eigentum ist auch von den Lebensumständen des Einzelnen abhängig. So zeigt die Befragung, dass Menschen, die selbst über Wohneigentum verfügen, dieses besonders häufig als eine wichtige Quelle von Sicherheit bewerten – und materielles Eigentum auch ganz allgemein besonders oft als erstrebens- und schützenswert ansehen. Dies gilt nicht in gleichem Maße für Menschen, die über wenig oder kaum Eigentum verfügen. So wird Immobilienbesitz in der Gesamtbevölkerung von 55 Prozent als wichtige Quelle für ihr Sicherheitsgefühl gewertet – aber von 73 Prozent der Immobilienbesitzer (siehe Abbildung 2). Auch andere Formen von Eigentum tragen bei Immobilienbesitzern signifikant häufiger zum Sicherheitsgefühl bei als in der Gesamtbevölkerung.

    Abbildung 2: Eigentum und Sicherheitsgefühl bei Immobilienbesitzern

    Die Allensbach-Analyse legt den Schluss nahe, dass die Deutschen ein ambivalentes Verhältnis zum Eigentum haben. Einerseits erkennen sie grundsätzlich die Bedeutung von Eigentum und dessen individuelle Vorteile an. Andererseits ziehen daraus nicht alle zwingend den Schluss, dass Eigentum auch gesamtgesellschaftlich notwendig ist und insoweit eines besonderen Schutzes bedarf. Gerade wenn Eigentum von der eigenen Lebenswelt abgekoppelt ist oder wenn es als in den Händen anderer konzentriert wahrgenommen wird, erscheint vielen diese Institution gar suspekt.

    Diese Erkenntnis offenbart, dass die materiellen Umstände, in denen ein Mensch lebt, seine Einschätzung nicht nur in Bezug auf das eigene Eigentum verändert, sondern auch in Bezug auf die Rolle von Eigentum für das Gesellschaftsleben insgesamt. Einerseits scheint den meisten Menschen bewusst zu sein, dass Eigentum für ihre eigene Freiheit unabdingbar notwendig ist – in nicht geringem Maße auch für ihr Lebensglück. Andererseits werden etwaige Konzentrationstendenzen bei der Verfügung über den gesellschaftlichen Eigentumsbestand als problematisch angesehen, vor allem, wenn man nicht selbst davon profitiert. Wenn zugleich die gesellschaftliche Wertschätzung von Eigentum zu gering ist, ergeben sich daraus potenziell Probleme bei der Aufrechterhaltung einer funktionierenden Eigentumsordnung. Für politisches Handeln lässt sich daraus eine Empfehlung ableiten: Erstens sollte möglichst vielen Menschen Zugang zu Eigentum möglich sein. Zweitens sollten politisch Handelnde auch jenen Menschen, die selbst über wenig verfügen, vermitteln, warum eine Wertschätzung für ein stabiles Eigentumsrecht notwendig und auch in ihrem Sinne ist.

    Gefährdungen des Eigentums

    Schließlich bilden eine funktionierende Eigentumsordnung und die Möglichkeit, Privateigentum zu erwerben und zu behalten, aus volkswirtschaftlicher Sicht zentrale Fundamente unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung: Eigentum ist zugleich Vorbedingung für individuelle Freiheit und für marktwirtschaftliche Systeme. Materiell und geistig frei kann ein Mensch nur sein, wenn er über seine produzierten oder getauschten Güter selbst und ohne wesentliche Einschränkungen verfügen kann und solange er nicht in der Angst leben muss, dass sein Eigentum durch politische Willkür bedroht ist. Die Sicherung und Durchsetzung des Privateigentums obliegt in der Regel dem Staat. Dies wird von der deutschen Öffentlichkeit auch so wahrgenommen: 48 Prozent der Befragten halten die Sicherung des Eigentums für eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. Bereits für Walter Eucken (1891–1950), einen der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, lag die zentrale Frage moderner Gesellschaften genau darin. So schreibt er in den Grundsätzen der Wirtschaftspolitik: »Wie kann Privateigentum zu einem ökonomisch und sozial brauchbaren Instrument des Ordnungsaufbaus werden?«

    Abbildung 3: Wahrnehmung der Gefährdungen von Eigentum

    In diesem Sinne sorgen sich die Deutschen auch nicht so sehr um die Bedrohungen durch das Eigentum, sondern viel mehr um die Bedrohungen des Eigentums (Abbildung 3). Sie zeigen sich zugleich optimistisch: So sind sich 57 Prozent der Befragten darin einig, dass sie sich über die Sicherheit ihres Eigentums keine Sorgen machen müssen, nur 28 Prozent sehen ihr Eigentum als potenziell gefährdet an. Interessant ist dabei, dass es hier keinen signifikanten Unterschied in der Einschätzung zwischen Gering- und Besserverdienern gibt. Jedoch fürchten Menschen im fortgeschrittenen Alter mehr um ihr Eigentum als Jüngere.

    Worin liegen nun die größten Gefährdungen des Eigentums aus Sicht der Deutschen? In einer erneuten Finanzkrise (61 Prozent) und einer möglichen Inflation (57 Prozent) sehen die meisten derzeit die größte Bedrohung. Die Eurokrise bewerten immerhin noch 52 Prozent als potenzielles Risiko für die Sicherheit des Eigentums. Andere Bedrohungen des Eigentums wie Kriminalität (55 Prozent) oder der Verlust des Arbeitsplatzes (54 Prozent) gehören ebenso zu den Ängsten der Deutschen. Themen aus dem Umfeld der aktuellen finanzpolitischen Diskussion, wie das Problem niedriger Zinsen (46 Prozent), die hohe Steuer- und Abgabenlast (44 Prozent), die mögliche Abschaffung des Bargelds (29 Prozent) oder die Staatsverschuldung (24 Prozent) werden dagegen in der Bevölkerung – anders als in der Wissenschaft – als weniger beunruhigend wahrgenommen. Auch gegenüber neuartigen Bedrohungen des Eigentums, wie mangelnder Datensicherheit (31 Prozent) oder Risiken der Digitalisierung (15 Prozent), zeigen sich die Befragten relativ unbesorgt.

    Fragt man danach, was Politik generell leisten sollte, spielt die Institution Eigentum eine geringe Rolle (Abbildung 4). Lediglich für die staatliche Förderung beim Kauf oder Bau einer eigenen Immobilie (53 Prozent) und für eine mögliche Senkung der Einkommensteuer (46 Prozent) gibt es eine relativ breite Zustimmung. Steuervergünstigungen für Sparer (37 Prozent), eine Stärkung des Urheberrechts (15 Prozent) oder Steuersenkungen für Unternehmen (11 Prozent) werden als vergleichsweise wenig dringlich angesehen. Für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer sprechen sich 40 Prozent der Befragten aus.

    Abbildung 4: Befürwortung politischer Maßnahmen

    Die stärkere finanzielle Förderung von Familien mit Kindern (65 Prozent) und eine Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus (58 Prozent) sollten nach Meinung der Befragten ganz oben auf der Liste politischer Maßnahmen stehen. Auch hier zeigt sich das eben beschriebene Muster: Zwar wird Eigentum individuell wertgeschätzt. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene hingegen findet sich eine Neigung zu politischen Aktivitäten, die auf eine gleichmäßigere Einkommens- und Vermögensverteilung zielen. Fraglos sind solche Maßnahmen in einer modernen Gesellschaft unverzichtbar. Gleichzeitig bedarf es immer der Unterstützung und Förderung der Eigeninitiative des Einzelnen, um wirtschaftliche Entwicklung und technologische Innovation zu fördern. Dafür erscheint nach den Erkenntnissen der ökonomischen Theorie die motivierende Funktion von Eigentum unerlässlich. Eine wirtschaftlich dynamische und fortschrittliche Gesellschaft ist somit stets auch eine, die das Eigentum schützt und möglichst jedem Menschen ermöglicht, die Früchte seiner Arbeit zu behalten.

    2.

    Zwischen Voraussetzung und Gefährdung

    Die Bedeutung von Eigentum für eine Marktwirtschaft

    In den meisten Staaten Afrikas scheint die wirtschaftliche Entwicklung – wenn überhaupt – nur langsam voranzukommen. Eine wesentliche Ursache hierfür sehen Experten im Mangel geeigneter Institutionen zur Sicherung von Eigentumsrechten, die in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus der Entwicklungspolitik gerückt sind. Die Ökonomen Daron Acemoğlu (*1967) und James A. Robinson (*1960) greifen dieses Thema in ihrem Bestseller Warum Nationen scheitern (2012) auf. Ihrer Meinung nach bleibt Subsahara-Afrika arm, weil seinen Bürgern noch immer die passenden Wirtschaftsinstitutionen fehlen, welche die Hauptanreize für die Wohlstandsbildung in einer Gesellschaft schaffen. Einer dieser Anreize ist das private Eigentum, welches rechtlich geschützt sein muss, damit marktwirtschaftliche Prozesse die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben. Das Beispiel Afrika zeigt: Privates Eigentum ist, neben der freien Preisbildung, die wohl wichtigste konstituierende Voraussetzung für eine moderne Marktwirtschaft.

    Bereits der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) hob die moralischen und wirtschaftlichen Vorzüge des Privateigentums gegenüber dem Gemeineigentum hervor. Er blieb jedoch nicht unwidersprochen: Mitte des 20. Jahrhunderts – mehr als zweitausend Jahre nach Aristoteles – sahen Theoretiker und Praktiker sozialistischer Planwirtschaften im Eigentum das eigentliche Übel für eine menschenwürdigere Gesellschaft. Den Lehren von Karl Marx (1818–1883) folgend, erkannten sie im privaten Eigentum an Produktionsmitteln die vermeintliche Ursache für Ausbeutung, Verschwendung und gesellschaftliche Verwerfungen. Produktionsmittel sind Ressourcen, die für die Produktion von Gütern erforderlich sind. Hierzu zählen zum Beispiel Gebäude, Maschinen, Werkzeuge, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. Mit der Marx’schen Kritik sorgt das Eigentum für eine klare Trennlinie zwischen liberaler Marktwirtschaft und sozialistischer Zentralverwaltungswirtschaft. Viele Ökonomen sehen heute im Fehlen einer privaten Eigentumsordnung und dem daraus resultierenden Mangel an wirtschaftlichem Wettbewerb die Hauptursache für das Scheitern der sozialistischen Wirtschaftssysteme.

    Unbestritten ist, dass die Ausgestaltung und Legitimation der Eigentumsverhältnisse, historisch wie gegenwärtig, wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung und den Erfolg einer Volkswirtschaft nehmen. Aus politischer und juristischer Perspektive kommen dem privaten Eigentum vor allem zwei Funktionen zu: Es ermöglicht und es bewahrt die persönliche Freiheit. Nur gesicherte, frei verfügbare Ressourcen in Form von Privateigentum schützen das Individuum gegenüber staatlichen Zwängen, Paternalismus und sozioökonomischen Risiken. Aus ökonomischer Perspektive gilt es deshalb zu analysieren, welche Funktionen dem Eigentum für ein Wirtschaftssystem und vor allem für eine Marktwirtschaft zukommen. Eine Marktwirtschaft braucht Eigentum, denn ohne Eigentum gibt es keine Möglichkeit zum individuellen Tausch, zum Handel und zur gegenseitigen Besserstellung.

    Damit alle Mitglieder einer Gesellschaft am Marktprozess teilnehmen und von ihm profitieren können, sollte das Eigentum hinreichend breit gestreut sein. Denn von einer zu hohen, den Wettbewerb bedrohenden Konzentration des Eigentums geht nicht zuletzt auch eine Gefährdung für die Marktwirtschaft aus. Dies zu steuern, ist ein schmaler Grat, da wiederum die Produktivität jedes Wirtschaftssystems auf gewisse Verbund- und Skaleneffekte der Produktionsmittel angewiesen ist. Letztlich braucht es politische und rechtliche Rahmenbedingungen, die eine Eigentumsordnung so institutionalisieren, dass sie der Gesellschaft einen hohen Wohlstand ermöglicht und zugleich grundlegende soziale Sicherheit bietet.

    Das marktwirtschaftliche Konzept des Eigentums

    Das Konzept des Eigentums umfasst in einer Marktwirtschaft die unterschiedlichsten Gegenstände: von materiellen Gütern wie Grundstücken, Immobilien, Maschinen und Nahrungsmitteln bis zu immateriellen Gütern wie Leistungen – etwa ärztliche Behandlungen oder Steuerberatung – und Rechten – etwa Patente und Lizenzen. In einer Marktwirtschaft kann zu nahezu allem ein Eigentumsverhältnis bestehen. Organisiert werden Eigentumsverhältnisse generell in den gegensätzlichen Formen des privaten und kollektiven Eigentums.

    Eigentum ist dazu stets von Besitz abzugrenzen – obwohl umgangssprachlich beide häufig synonym verwendet werden. Denn während der Besitz eines Gutes immer ein äußeres Machtverhältnis beschreibt, sich also auf die physische Herrschaft über ein Gut bezieht, definiert Eigentum ein konstitutionelles Rechtsverhältnis. Eigentum ist die rechtlich legitimierte, begrenzte und staatlich gesicherte Form des Besitzes und als solche unabhängig von diesem. So gilt: Nicht jeder Eigentümer eines Gutes muss notwendigerweise ebenso dessen Besitzer sein – und umgekehrt. Beispielsweise ist der Vermieter einer Wohnung weiterhin ihr Eigentümer, auch wenn ein Mieter im Rahmen des Mietvertrages als zeitweiser Besitzer mehr oder weniger frei darüber verfügen kann.

    Dass sich Eigentum und Besitz eines Gutes zeitlich, räumlich und personell unterscheiden können, ist gerade in dezentral organisierten Volkswirtschaften von großer Bedeutung. Denn erst definiertes Eigentum ermöglicht arbeitsteilige Wirtschaft. Effizientes Wirtschaften beispielsweise in einer Kapitalgesellschaft wäre undenkbar, wenn das operative Management nicht autonom von den Aktionären handeln und eigenverantwortlich über die Produktionsmittel verfügen könnte. Die vertraglich gesicherte Übertragbarkeit von Handlungs- und Verfügungsrechten sowie die Möglichkeit zum freien Handel mit ihnen bilden die Grundlagen jedes komplexen Wirtschaftsprozesses.

    Im ökonomischen Kontext werden mit dem Eigentumsbegriff daher stets Handlungs- und Verfügungsrechte an einem Gut zum Ausdruck gebracht. Diese im englischen Sprachgebrauch als Property Rights bekannten Rechte gewähren es dem Eigentümer, frei über die Verwendung des Gutes zu entscheiden. Im Allgemeinen unterscheidet man hier vier Rechte: Usus – das Recht zur Nutzung –, Usus Fructus – das Recht zur Sicherung von Erträgen –, Abusus – das Recht zur Veränderung – sowie Venditio – das Recht zur Veräußerung eines Gutes. Die verschiedenen Eigentumsrechte können einzeln oder als Bündel auf eine oder auf mehrere Personen übertragen werden. Je umfassender die Rechte dabei ausgestaltet sind, desto höher ist gemeinhin der Wert des Gutes. Aus dieser Perspektive ergibt sich der Wert eines Gutes nicht aufgrund seiner physischen Substanz, sondern vielmehr über die für ein Gut erworbenen Rechte. Welchen Wert hätte etwa ein Apfelbaum für einen Obstbauern, wenn er die Äpfel weder essen noch verkaufen, das Holz nicht verarbeiten und den Baum nicht veräußern dürfte? Auf

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