Finstere Ölgeschäfte
By Monika Grasl and Finisia Moschiano
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Book preview
Finstere Ölgeschäfte - Monika Grasl
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Dramatis Personae
Kapitel 1
13. Februar 1995, 09:00 Uhr
Für einen stürmischen 13. Februartag des Jahres 1995 erschien es Aleksay Smirnow erstaunlich angenehm. Womöglich lag es daran, dass er in seinem Wagen saß und die Umgebung des Bezirkes Kronstadt im Auge behielt. Dabei fuhr er sich durch das kurze schwarze Haar, das sich zu den Enden hin kräuselte. Er hielt die Gegend sauber. Auch wenn er nicht zur Drogeneinheit gehörte, konnte man nie ein Auge zu viel auf die Insel inmitten von Sankt Petersburg werfen. Dieses Mantra hatte er sich in den letzten Jahrzehnten zum Gesetz gemacht. Dem Drogenhandel einen Riegel vorzuschieben und diesen Bezirk genauso zu sichern, wie es in den letzten fünf Jahren in Moskau der Fall war. Die Nachrichten über einen Mafiakrieg damals hatten auch hier Schlagzeilen gemacht. Aleksay erinnerte sich an die Zeugin, die die Beseitigung einer Leiche damals verfolgt hatte. Die gute alte Polina Smirnow. Sie hatte Arbat nie verlassen, dabei war Aleksay der Vorschlag seiner Großtante gegenüber mehr als einmal gekommen. Sie hätte sogar bei ihm einziehen können. Die Wohnung war groß genug. Von seinem Polizeigehalt konnte er sich das leisten. Doch Polina hatte abgelehnt. Sie war in Moskau geboren und würde dort sterben, das sagte sie häufig, wenn sie telefonierten.
Unterm Strich betrachtet war sie die Einzige, zu der er noch Kontakt hielt. Aleksay hatte seine Entscheidung, in die Familiengeschäfte der Smirnows nicht einzusteigen, niemals bereut. Anders sah das der übrige Anhang. Zuerst war jeder davon ausgegangen, Aleksay würde auf diese Art einen Teil zum Familienerhalt beitragen. Brüder, Cousins und Laufburschen vor Strafverfolgung schützen und sie notfalls frühzeitig aus einer Zelle bugsieren. Doch Aleksay hatte sich für nichts dergleichen hergegeben. Einige dieser Laufburschen hatte er sogar eigenhändig verhaftet. Dies traf besonders auf die Arbeiter seines Onkels Michail zu. Eigentlich ein ruhiger Zeitgenosse, dem man Geldwäsche im großen Stil nicht zutraute. Der Mann war um die fünfzig und besaß eine Tischlerei im Bezirk Krasnoselski. Ein gut gehender Betrieb, hinter dessen Fassaden sich jedoch wahre Abgründe auftaten. Die Importe, die sein Onkel tätigte, sollten lediglich die illegalen Einfuhren von Prostituierten verschleiern. Ganz abgesehen davon, dass die Einnahmen daraus über die Tischlerei gewaschen wurden und an oberste Richter und Staatsmänner gingen.
Jeder verschloss demnach die Augen vor den Schwierigkeiten, in denen sich die Rechtsprechung von Sankt Petersburg befand. Einzig Aleksay und die übrigen Polizisten waren noch nicht auf die Bestechungen der Mafia eingestiegen. Man wollte diesen Leuten keine Plattform bieten. Sie sollten sich nie zu sicher fühlen und keinen festen Platz im Stadtbild einnehmen. Das war der Grund, warum sogar die Bezahlung des einfachen Streifenpolizisten sich in einem Bereich von mehreren Tausend Rubel im Monat bewegte.
Genau diese Haltung war es auch, die Aleksay davon abhielt mit seiner Familie einen engeren Kontakt zu pflegen. Sicher, er wurde informiert, wenn einer seiner Brüder wieder Vater geworden war. Gnädigerweise hatte man ihn über den Tod seiner Mutter ebenfalls informiert. Lediglich den seines Vaters hatte er über Umwege von einem Pfarrer erfahren. Ab und an erreichte ihn sogar ein Anruf auf der Mailbox, doch dabei handelte es sich lediglich um die Erkundigung, ob er noch am Leben war. Aleksay konnte es keinem aus seiner Familie verdenken. In den letzten fünfzehn Jahren war auf ihn mehr als ein Mordanschlag verübt worden. Gelegentlich folgte auf solche Situationen eine Reaktion seiner Familie. Die endete in Form einer Leiche, die man aus der Newa fischte. Aleksay scheute dennoch nicht davor zurück die Verantwortlichen – Kleinkriminelle, die sich versuchten einen Namen zu machen – aus dem Verkehr zu ziehen. Er brauchte derartige Hilfe von der Familie nicht. Mit der Mafia wollte er nichts zu schaffen haben und irgendwann würden die es hoffentlich begreifen.
Bis dahin war Aleksay gezwungen sich von Familienfeiern fernzuhalten. Selbst die Beisetzung seines Vaters im letzten Herbst hatte er ausfallen lassen. Nicht, dass er diesem Umstand großartig nachtrauerte. Der Mann hatte ihm nach seinem Gang zur Polizeischule erklärt, dass er nicht länger sein Sohn wäre. Aus dem Auge, aus dem Sinn, wie man so schön sagt. Dennoch überkam Aleksay selbst heute noch ein Anflug von Schuldgefühlen. Er hätte dort sein müssen. Ganz gleich, wie die Beziehung zu seinem Vater war, es stellte seine verdammte Pflicht dar. Selbst der Pfarrer hatte ihm davon abgeraten. Also hatte er den Tag bei der Arbeit verbracht und sich nichts von den nagenden Gefühlen anmerken lassen.
„Bist heute so still, Aleksay", riss ihn die Bemerkung seines Kollegen Daniil Romanow aus den Gedanken.
Er unterdrückte den Drang zusammenzufahren. „Hab nur nachgedacht", murmelte er.
„Ich frage mich wirklich, was sich Baranow davon erhofft, wenn wir uns hier den Arsch platt sitzen."
Er erwiderte darauf nichts. Im Gegensatz zu seinem älteren Kollegen wusste Aleksay, dass die Anordnung von ganz oben gekommen war. Aus der Inneren Abteilung. Man wollte den Drogenhandel in Sankt Petersburg gänzlich unterbinden und griff dafür sogar auf jene Leute zurück, die nicht der Drogenabteilung angehörten. Zudem hatte sich Aleksay freiwillig dafür gemeldet, was gerne gesehen wurde. Gingen die Mordermittler an solche Fälle heran, steigerte das die Moral bei den untersten Rängen der Polizei – so die Überzeugung des Polizeichefs und der Politik.
„Hast du übrigens schon die Zeitung heute gelesen?"
Aleksay schüttelte den Kopf. Er las nie vor dem Abend die Zeitung. Eine Eigenheit, die von vielen belächelt wurde, die ihn besser kannten. Daniil zählte da eigentlich dazu, aber vermutlich wollte er nur die Stille irgendwie überbrücken. Zudem hatte Aleksay genügend mit Mord und Raub zu schaffen, da brauchte er nicht noch die Bilder aus den Medien. Somit blieb er still und hielt den Blick weiterhin auf die Straße gerichtet. Hinter dem Jeep würde keiner einen Wagen der Polizei vermuten. Das Einzige, womit man nicht auffiel und alles hautnah miterleben konnte, ohne von irgendwem angesprochen zu werden. Zudem wusste Aleksay, wie ungerne sein Kollege sein Privatauto für solche Einsätze hergab und es noch weniger gerne sah, wenn Aleksay hinter dem Steuer saß. Daniil war heikel auf den Wagen und hatte sich den Betrag dafür vom Mund abgespart. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass er Alimente für drei Kinder und Unterhalt für zwei Frauen zahlen durfte. Etwas, dass Aleksay erspart bleiben würde.
„War die Rede davon, dass ein Ölfass gefunden wurde", meinte Daniil schließlich.
„Und?", fragte er gleichgültig.
Sein Gegenüber lachte verhalten. „Und? Na was glaubst du? Warum fischt man Ölfässer aus der Newa?"
Ja, warum? Aleksay ahnte die Antwort. Sie gefiel ihm nur nicht. Über Funk war dazu noch nichts eingegangen. Als Ermittler bei der Mordkommission würde er sich damit erst befassen, wenn man sie dazu rief. Bis dahin war alles eine wilde Spekulation, die jedoch genügte, um die Frage erneut aufzuwerfen, ob die Stadt von der Mafia genauso unterwandert war wie Moskau. Für ihn war es eindeutig der Fall. Die Politik hüllte sich in Schweigen und das machte die Menschen nervös. Es wäre bedeutend leichter, wenn die Regierung diesen Umstand zugab, allerdings müssten sie vor der Welt dann eingestehen, dass sie nicht zu sagen vermochten, wer dahintersteckte. Und erst recht müssten sie dann eingestehen, dass nicht alles so reibungslos in Sankt Petersburg ablief, wie man es nach außen hin gerne darstellte.
„Du redest von der Mafia?", fragte er nach, um irgendwas zu sagen.
Daniil nickte. Aleksay nahm es als flüchtige Bewegung am Rande seines Blickfeldes wahr. Es brachte ihn dazu sein Gegenüber nun richtig anzusehen. Sein Kollege war fünfzig Jahre und davon bereits dreißig im Dienst der Stadt tätig. Davor hatte sich Daniil für wenige Monate beim Militär verpflichtet, dort jedoch für sich keine Zukunft gesehen. Daniils braunes Haar war von grauen Ansätzen durchzogen und die grünen Augen musterten ihn eindringlich. Ob er etwas ahnte? Keiner wusste, was es mit Aleksays Familie auf sich hatte. Zumindest hatte er das angenommen, bis Daniil nun meinte: „Junge, wenn du jemals darüber reden willst, kannst du das. Verkauf mich nur bloß nicht für dumm. Wir wissen beide, dass die Zeitung wohl kaum wegen eines Ölskandals so ein, entschuldige, wenn ich das sage, Fass aufmacht. Du bist zudem bleich wie die Wand."
„Ich würde auf das Geschreibe nicht viel geben. Hätte doch längst die Runde innerhalb der Abteilungen gemacht", hielt er dagegen.
„Junge, du bist zu naiv, erwiderte sein Kollege und zündete sich eine Zigarette an. „Die würden uns das doch nie erzählen, solange nichts eindeutig ist.
„Dann können wir ja auch hier sitzen und weiter die Gegend beobachten, wenn es nicht zu viel verlangt ist", hielt Aleksay dagegen.
„Meinetwegen. Aber taucht der Nächste zerlegt im Ölfass auf, bist du mir eine Erklärung schuldig."
Die Aussage ließ ihn aufhorchen. Zerteilte Leichen gab es an sich selten. Er kannte nur einen, der auf solche Arbeiten spezialisiert war. Allerdings ließ Michail seine Toten in Mülleimern oder einzementiert auf Baustellen verschwinden. Abgesehen davon, woher sollte sein Onkel Ölfässer haben? Für die Tischlerei waren die unnötig und extra welche besorgen machte genauso wenig Sinn. Außer natürlich es war ein gesonderter Auftrag, der ein derartiges Aufsehen nach sich ziehen sollte.
Wenn das so weiterging, müsste er sich vor Daniil tatsächlich erklären. Etwas worauf er getrost verzichten konnte. Über seine Herkunft wollte er nicht sprechen. Er hatte in dem Punkt sogar bei der Einschreibung in den Dienst einige falsche Angaben gemacht. Beispielsweise hatte er angegeben aus Moskau zu stammen und dass er bei seiner Großtante Polina aufgewachsen war. Derartiges war nicht unbedingt gelogen. Rechnete Aleksay seine Sommerferien zusammen, kam er auf knappe fünf Jahre, die er bei Polina zugebracht hatte. Außerdem war das nie überprüft worden. Aleksay hatte zu einer Zeit an der Polizeischule angefangen, als man händeringend jeden Mann aufgenommen hatte, um der Kriminalitätsrate Herr zu werden. Von den Alteingesessenen waren die Jungen „Kanonenfutter" genannt worden. Ein abfälliger Begriff, der sich aus dem Militär übergeschlichen hatte.
„Da scheint sich was abzuspielen", meinte sein Gegenüber im nächsten Atemzug.
Aleksay überkam ein Gefühl der Dankbarkeit. Beschäftigung wartete auf ihn und ließ die Überlegungen an die Vergangenheit und seine Familie in den Hintergrund rücken. Dafür richteten sich seine braunen Augen auf die drei Gestalten, die auf eine Seitengasse zuhielten, die Hände in den Taschen versteckt und die Schultern unnatürlich in die Höhe gezogen. Derartiges erweckte sofort Aufmerksamkeit, besonders bei einem geübten Auge.
„Dann sollten wir da mal eingreifen", erklärte er und öffnete die Fahrertür.
Aleksay wartete nicht, bis sein Kollege folgte. Er zog die Glock 17 aus dem Holster und hielt auf die Gasse zu. Wie oft war er hier während seiner Ausbildung auf Streife gewesen? Er kannte jeden Winkel und jeden Mülleimer. Die Unebenheiten der Straßen waren ihm genauso vertraut wie so manche Gesichter und einige verschwanden hastig in Hauseinfahrten, als er auf die Gestalten zuging.
„Na, was wird das?, fragte er ungehalten. „Wir dealen doch nicht etwa?
„Äh …"
Es war keine geistreiche Erwiderung, zumal Aleksay bereits vor einem der Kerle stand und dessen Taschen herausstülpte. Kleine Päckchen fielen zu Boden, die mit einem weißen Pulver gefüllt waren. Wahrscheinlich Kokain.
„Das gehört mir nicht!, rief der Besitzer sofort. „Das hast du Arschloch mir untergeschoben!
„Sicher doch", murrte er und holte aus. Seine Faust traf auf die ohnehin schon schiefe Nase des kleineren Kerls. Mit einem Ächzen stolperte der gegen die Hauswand und hielt sich die Hände vor das Gesicht.
In der gleichen Sekunde nahm er die Handbewegung wahr, als der Zweite an dessen Gürtel griff. Aleksay hatte gehofft dies vermeiden zu können. Andererseits wäre Baranow über einen toten Dealer mehr sicher nicht unglücklich. Somit zögerte er keinen Herzschlag und schoss. In der engen Gasse hallte der Laut unnatürlich nach. Der Getroffene taumelte nach hinten und presste die Hand gegen die Schulter. Schade, er hätte ein wenig tiefer zielen sollen, dann wäre der Bastard jetzt tot.
„Alles klar?", ertönte es in dem Moment hinter ihm.
„Ja! Ruf aber einen Krankenwagen, sonst verblutet uns das Arschloch noch!"
Er hörte, wie Daniil seufzte. „Sicher doch," erwiderte er in der nächsten Sekunde.
„Und, wandte Aleksay sich indes an den dritten Mann, „auch scharf auf eine Kugel? Wenn nicht, dann bleibst du jetzt ganz ruhig und lässt dir die Taschen ausräumen.
Es erfolgte nicht mehr als ein knappes Nicken. Selbst das konnte Aleksay nur undeutlich ausmachen, doch es genügte ihm. Vor Baranow würde er sich wegen des Schusses ohnehin verantworten müssen. In dessen Augen war er einfach zu schnell mit der Waffe, doch der Instinkt ließ sich nicht ausschalten. An manchen Tagen wollte er es auch nicht, an anderen verfluchte er sich dafür. Keineswegs heute. Nicht, wenn er die Straßen sauber halten konnte.
13. Februar 1995, 10:00 Uhr
Kiril Morosow legte die Zeitung beiseite. Es war ärgerlich, dass die Leiche bereits am heutigen Tag aufgetaucht war. Am besten rief er bei seinem Kontaktmann an, um dem einzubläuen, wie seine Arbeit auszusehen hatte. Derartige Fehler durfte sich der Mann keineswegs noch einmal erlauben. Nicht, wenn er am Leben bleiben wollte.
Aus dem Grund holte Kiril sein Siemens S3 hervor und wählte eine der wenigen Nummer, die sich im Speicher befanden. Auf das Freizeichen wartend dachte er daran, dass er noch den nötigen Brief an den obersten Richter aufsetzen musste.
Sicher, seine Sekretärin hätte dies genauso erledigen können, gewisse Dinge ging er dagegen lieber selbst an. Das war eines davon. Der Inhalt war nicht für jedes Auge bestimmt und wenn der Richter klug war, würde er es genauso halten.
„Ja", ertönte es in dem Moment verunsichert aus der Leitung.
„Morosow hier. Was glaubst du, warum ich dich anrufe?", fragte er gereizt.
Wahrlich, seine Laune war gerade nicht die beste. Konnte ihm das einer verübeln? Er war davon ausgegangen, dass der Geschäftsmann für immer verschwinden würde. Nun lag dessen Leiche wahrscheinlich in der Gerichtsmedizin, ganz abgesehen von dem Ölfass, das wohl ebenfalls auf Spuren untersucht wurde. Blieb nur zu hoffen, dass sich keine Fingerabdrücke darauf fanden.
„Ich habe meinen Leuten gesagt, sie sollen das Fass ausreichend beschweren, Morosow", kam es prompt zurück.
„Ach ja? Wenn dem so wäre, hätte es die Newa wohl kaum angespült. Hast du vergessen, was für eine Abmachung wir hatten?", erinnerte er den Mann am anderen Ende.
„Nein. Es wird nicht mehr vorkommen."
„Ist auch besser so. Denk daran, ein einziger Anruf und du kannst mit deiner ganzen Familie einpacken. Ihr fahrt allesamt ein."
Er ließ erst gar keine Antwort zu, sondern legte auf. Derartiges hatte bei dem Kerl weit mehr Einfluss als jede unnötige Unterhaltung.
„Eines erledigt, auf zum nächsten", murmelte Kiril und griff nach der Kaffeetasse. Seine braunen Augen