Wer einmal lügt ...: Der kleine Fürst 204 – Adelsroman
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"Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken.
»Es ist das schönste von allen Bildern«, sagte eine Stimme hinter Iris von Allenthin. »Meinen Sie nicht auch?Da sie nicht sicher war, ob sie gemeint war, drehte sie sich um und sah sich einem dunkelhaarigen Mann gegenüber, der sie um einen Kopf überragte und charmant auf sie herunterlächelte. Seine Augen ließen ihren Blick nicht los.Sie war eine Frau von sechsundzwanzig Jahren, die sich normalerweise nicht überrumpeln ließ, aber in diesem Moment wusste sie nicht, wie ihr geschah. Mit einem Mal war sie wieder siebzehn und hoffte mit wild klopfendem Herzen darauf, dass ihr Schwarm Lucius sie auf den Frühlingsball einlud – was er zu ihrem größten Kummer nicht getan hatte.»Ja«, brachte sie nach mehreren Sekunden heraus. »Ich finde auch, dass es das schönste Bild ist.»Gehen wir zusammen weiter?«, fragte der Dunkelhaarige. »Ich bin allein, Sie sind allein, dabei sind Museumsbesuche viel schöner, wenn man sich austauschen kann über das, was man sieht.Normalerweise hätte sie spätestens jetzt eine spöttisch-zurückweisende Bemerkung gemacht, um ihm ein wenig von seiner selbstgewissen Art zu nehmen und ihm klar zu machen, dass sie über einen eigenen Willen verfügte und den in der Regel auch durchsetzte, aber es kam ihr nicht einmal in den Sinn, ihm zu widersprechen. »Einverstanden«, sagte sie.Und so kam es, dass ihr Museumsbesuch vollkommen anders verlief als geplant: Sie lief mit Jonathan von Heeren, so hieß ihre neue Bekanntschaft, von Saal zu Saal, von Bild zu Bild und stellte bald fest, dass sie sich fast immer einig waren. Oft sprach sie aus, was er dachte und umgekehrt. Manchmal brachen sie in Gelächter aus, weil es ihnen so komisch vorkam, dass zwei wildfremde Menschen so viele übereinstimmende Urteile fällten.Als sie das Museum verließen, sah Iris zum ersten Mal wieder auf die Uhr und erschrak, weil es viel später war als gedacht. Wo waren die letzten Stunden geblieben? Wie war es möglich, dass ein ganzer Nachmittag einfach so verflogen war?Sie hatte versprochen, bis zum nächsten Morgen einen Bericht für Phillip von Hohenbrunn zu schreiben, einen der leitenden Manager in ihrer Firma, dem sie als Assistentin zuarbeitete.
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Book preview
Wer einmal lügt ... - Viola Maybach
Der kleine Fürst
– 204–
Wer einmal lügt ...
Bricht er Herzen, oder ist er ein Meisterdieb?
Viola Maybach
»Es ist das schönste von allen Bildern«, sagte eine Stimme hinter Iris von Allenthin. »Meinen Sie nicht auch?«
Da sie nicht sicher war, ob sie gemeint war, drehte sie sich um und sah sich einem dunkelhaarigen Mann gegenüber, der sie um einen Kopf überragte und charmant auf sie herunterlächelte. Seine Augen ließen ihren Blick nicht los.
Sie war eine Frau von sechsundzwanzig Jahren, die sich normalerweise nicht überrumpeln ließ, aber in diesem Moment wusste sie nicht, wie ihr geschah. Mit einem Mal war sie wieder siebzehn und hoffte mit wild klopfendem Herzen darauf, dass ihr Schwarm Lucius sie auf den Frühlingsball einlud – was er zu ihrem größten Kummer nicht getan hatte.
»Ja«, brachte sie nach mehreren Sekunden heraus. »Ich finde auch, dass es das schönste Bild ist.«
»Gehen wir zusammen weiter?«, fragte der Dunkelhaarige. »Ich bin allein, Sie sind allein, dabei sind Museumsbesuche viel schöner, wenn man sich austauschen kann über das, was man sieht.«
Normalerweise hätte sie spätestens jetzt eine spöttisch-zurückweisende Bemerkung gemacht, um ihm ein wenig von seiner selbstgewissen Art zu nehmen und ihm klar zu machen, dass sie über einen eigenen Willen verfügte und den in der Regel auch durchsetzte, aber es kam ihr nicht einmal in den Sinn, ihm zu widersprechen. »Einverstanden«, sagte sie.
Und so kam es, dass ihr Museumsbesuch vollkommen anders verlief als geplant: Sie lief mit Jonathan von Heeren, so hieß ihre neue Bekanntschaft, von Saal zu Saal, von Bild zu Bild und stellte bald fest, dass sie sich fast immer einig waren. Oft sprach sie aus, was er dachte und umgekehrt. Manchmal brachen sie in Gelächter aus, weil es ihnen so komisch vorkam, dass zwei wildfremde Menschen so viele übereinstimmende Urteile fällten.
Als sie das Museum verließen, sah Iris zum ersten Mal wieder auf die Uhr und erschrak, weil es viel später war als gedacht. Wo waren die letzten Stunden geblieben? Wie war es möglich, dass ein ganzer Nachmittag einfach so verflogen war?
Sie hatte versprochen, bis zum nächsten Morgen einen Bericht für Phillip von Hohenbrunn zu schreiben, einen der leitenden Manager in ihrer Firma, dem sie als Assistentin zuarbeitete. »Ich muss nach Hause«, sagte sie. »Wenn ich meinen Bericht noch fertig schreiben will, muss ich mich sofort an die Arbeit setzen. Und ich MUSS ihn fertig schreiben, sonst kriege ich mächtig Ärger. Tut mir leid, dass unser schöner Museumsbesuch so abrupt endet.«
Jonathan von Heeren lächelte auf seine unnachahmliche Art auf sie herunter. »Es geht Ihnen wie mir in der Bank, ich ertrinke auch gerade in Arbeit. Aber wenn ich den Kopf wieder oben habe: Darf ich Sie dann anrufen? Sie werden ja nicht jedes Wochenende einen Bericht schreiben müssen, hoffe ich?«
Sie spürte, wie sie errötete, als sie antworte: »Ganz bestimmt nicht. Wenn Sie anrufen, freue ich mich.«
Er bestand, ganz Gentleman, darauf, sie nach Hause zu bringen. Zum Abschied umarmte er sie ganz leicht und küsste sie auf beide Wangen. »Ich freue mich jetzt schon auf unser Wiedersehen«, sagte er mit seiner schönen tiefen Stimme, bevor er ging.
Auf dem Weg zu ihrer Wohnung hatte Iris das Gefühl zu schweben, und dieses Gefühl verflüchtigte sich auch nicht, als sie ihren Bericht schrieb. Griffige Formulierungen und knappe, präzise Sätze schienen ihr nur so zuzufliegen, in weniger als zwei Stunden war sie mit der Arbeit fertig. Ein wenig ängstlich las sie noch einmal durch, was sie geschrieben hatte, aber es hielt ihrer kritischen Überprüfung stand, was sie selbst kaum glauben konnte: Sie war doch gar nicht bei klarem Verstand, sondern befand sich gerade im siebten Himmel – wie hatte sie da einen äußerst sachlich und geschäftsmäßig klingenden Bericht schreiben können?
Ein Wunder, dachte sie, bevor sie sich erneut ihren Träumen überließ.
*
»So bald schon?«, fragte Hanne Maurer. »Ich hatte gedacht, wir hätten noch ein bisschen Zeit, uns besser kennenzulernen.« Die alte Dame sah aufrichtig bestürzt aus.
Emilia von Hohenbrunn legte ihr über den Tisch hinweg eine Hand auf den Arm. »Ich finde, wir kennen uns schon ziemlich gut, Hanne. Wollen wir uns nicht endlich duzen? Ich bin Emilia.«
Hanne Maurer, die eben noch so niedergeschlagen ausgesehen hatte, lächelte. »Ich hatte nicht den Mut, dir das ‚Du’ anzubieten, du weißt …«
Emilia unterbrach sie. »Ja, ich weiß, wir leben in verschiedenen Welten, trotzdem haben wir uns von Anfang an gut verstanden, oder etwa nicht? Und dass du so lebst …« Sie machte eine Bewegung, die die bescheidenen Wohnküche, in der sie saßen, umfasste, »und ich ein Haus für mich allein habe, kommt mir, was uns beide betrifft, nicht wichtig vor. Ich bin fünfundsiebzig, du bist zweiundachtzig, da sollte man doch allmählich über den Dingen stehen, meinst du nicht?«
Hanne Maurer war eine Frau mit karger Rente, die mit jedem Cent rechnen musste, während Emilia von jeher im Wohlstand gelebt hatte. Kennengelernt hatten sie sich, als sie bei einem Banküberfall in Sternberg zusammen mit mehreren anderen als Geiseln genommen worden waren. Eine Nachtlang hatten sie in der Gewalt der Bankräuber ausharren müssen, diese schweren Stunden waren der Beginn ihrer Freundschaft gewesen.
Kurz nach der Geiselnahme war bei Emilia Brustkrebs festgestellt worden. Sie hatte sich in der Privatklinik von Dr. Walter Brocks behandeln lassen. Zuerst war sie operiert, dann bestrahlt worden. Jetzt war die Behandlung abgeschlossen, und sie wollte in ihr Haus zurückkehren. Die Zeit in Sternberg hatte sie in der Familie ihres Sohnes Phillip verbracht.
Beide Frauen waren alleinstehend, ihre Männer seit langem verstorben. Bei ihren Treffen in den vergangenen Wochen hatten sie einander aus ihrem Leben erzählt, aber auch über die Geiselnahme gesprochen, über Emilias Krankheit und Hannes Sorgen wegen ihrer Gesundheit und der ewigen Geldknappheit.
»Für dich ist es leichter, diese Dinge nicht so wichtig zu nehmen«, sagte sie jetzt. »Du hast Geld, Emilia, ich habe keins. Das führt zu einem Ungleichgewicht zwischen uns. Ich weiß nicht, wie ich mit dir befreundet sein soll, ohne ständig das Gefühl zu haben, mir die Freundschaft mit dir eigentlich nicht leisten zu können. Wir haben ja schon öfter darüber gesprochen, ich nehme also an, du verstehst, was ich meine.«
»Natürlich verstehe ich das«, erwiderte Emilia langsam. »Aber bei uns kann das nun einmal nicht so laufen, dass mal ich dich einlade und dann du mich. Du hast das Geld nicht, ich habe es. Also müssen wir mit diesem Ungleichgewicht entweder leben oder wir können uns ein- bis zweimal im Jahr hier bei dir treffen, bei Kaffee und Kuchen, damit du mir auch ja nichts schuldig bleibst. Das geht, aber es ist nicht das, was ich mir wünsche. Ich fände es so schön, wenn du auch einmal zu mir kämst und eine Weile bliebst. Ich habe so viel Platz, und wir hätten endlich Zeit, in aller Ruhe miteinander zu reden.«