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Auf den Spuren der alten Meister: Kunsthandel und Kunstraub in der DDR
Auf den Spuren der alten Meister: Kunsthandel und Kunstraub in der DDR
Auf den Spuren der alten Meister: Kunsthandel und Kunstraub in der DDR
Ebook465 pages5 hours

Auf den Spuren der alten Meister: Kunsthandel und Kunstraub in der DDR

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Auch in der DDR war Kulturgut eine begehrte Handelsware. Denn das kleinere Deutschland war zudem das ärmere. Tausende von früheren Schlössern und Gutshäusern, einstmals nicht nur Herrschafts-, sondern auch Kulturstätten, beherbergten nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge und Heimatvertriebene, Schulen, Krankenhäuser und Dorfläden. Ob dafür die Vernichtung des Alten zwingend notwendig war, wurde immer wieder hinterfragt. Einerseits legte die DDR großen Wert auf die Pflege ihres "nationalen Kulturerbes", andererseits fehlten die Mittel, um Ererbtes zu bewahren. Das "Erwirtschaften von Devisen" galt als wichtiges politisches Ziel – das traurige Ergebnis: der Ausverkauf der Kulturgüter zwischen Ostsee und Erzgebirge.
Klaus Behling bietet Tatsachen und Hindergründe rund um Kunsthandel und Kunstraub in der DDR auf, berichtet von geschehenem Unrecht und den
Grauzonen der SED-Politik. Mit einem vorangestellten Essay von Bettina Klemm, die neues Licht auf unvollständig geklärte Kunstraub-Fälle in der
Nachwendezeit wirft, ergibt dies einen Doku-Krimi voller brisanter Fakten.
LanguageDeutsch
Release dateOct 10, 2018
ISBN9783959587679
Auf den Spuren der alten Meister: Kunsthandel und Kunstraub in der DDR

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    Auf den Spuren der alten Meister - Klaus Behling

    www.bild-und-heimat.de

    Prolog

    Handelsware Kulturgut

    Kunst und Kulturgut eines Landes sind keine Ware. Trotzdem wird überall auf der Welt damit gehandelt. Das ist immer ein recht ungleiches Geschäft. Flüchtigem Geld, das in aller Regel schnell verbraucht ist, stehen Stücke gegenüber, die damit eigentlich nicht aufzuwiegen sind. Im geringsten Fall stellen sie einen Teil der Erinnerungskultur dar. Sie können aber auch die kulturelle Identität berühren oder millionenschwere Werte sein.

    Kunst und kulturelles Gebrauchsgut sind Speicher der Geschichte des Volkes. Ihre Bedeutung resultiert aus dem Lauf der Zeit. Ein Essgeschirr, das vor Jahrhunderten benutzt wurde, war damals nichts weiter als ein alltäglicher Gegenstand ohne großartige Beachtung. Heute wäre es ein wertvolles Zeugnis der Vergangenheit. Das Bildnis eines Fürsten mag seinerzeit Ausdruck unterwürfiger Unfreiheit gewesen sein. Heute weist es den Weg zu historischen Wurzeln – ganz egal, ob sie den Nachgeborenen gefallen oder nicht.

    Aus dieser Sicht ist der Handel mit Kulturgut stets ein fragwürdiges Unterfangen. Er mündet schnell in eine Einbahnstraße, die dem einen nützt und dem anderen schadet, und stellt sich meist als Schacher zwischen Armen und Reichen dar. Natürlich versuchen dabei auch die Schwächeren, nicht allzu schlecht abzuschneiden. Aber die Zeit entfaltet unerbittlich ihre Wirkung. Selbst wenn immer nur ein wenig – und oft auch unwichtig Erscheinendes – von einem zum anderen wandert, häuft sich eine wachsende Masse auf. Sie verführt zu einer fatalistischen Betrachtung. Schnell heißt es: Wenn wir dies oder jenes schon nicht erhalten können, so verschwindet es durch den Verkauf wenigstens nicht völlig. Oder man verweist darauf, dass ja alles kontrolliert verlaufe. Der Verkäufer legitimiert so vor sich selbst das aus der Not geborene Geschäft.

    Bei genauerem Hinsehen sind das oft nur Entschuldigungen, die den kulturellen Ausverkauf verschleiern sollen. Ärgerlich für viele Länder, die aus Armut ihr Kulturgut vermarkten, ist oftmals gar nicht einmal der Verlust, sondern das Gefühl des Unvermögens, es nicht schützen zu können.

    Dieses Unbehagen war auch in der DDR weitverbreitet. Die Gegend zwischen Ostsee und Erzgebirge repräsentierte von Anfang an den ärmeren Teil Deutschlands. Was der Krieg übrig ließ, langte kaum zum Überleben. Tausende von früheren Schlössern, Guts- und Herrenhäusern, einstmals nicht nur Herrschafts-, sondern auch Kulturstätten, wurden zum Obdach für Kriegsflüchtlinge und Heimatvertriebene, zu Schulen, Krankenhäusern, Dorfläden oder LPG-Büros. Dazu zwangen die Verhältnisse, und es ließ sich sogar politisch begründen: Es sollte ja eine ganz neue Gesellschaft entstehen. Ohne Herren und Knechte. Ob dafür aber die Vernichtung des Alten tatsächlich zwingend notwendig war, wurde auch in der DDR immer wieder hinterfragt.

    Antworten gab es nicht. Jahrelang schien die Arroganz der Macht ausreichend, sie zu verweigern. Man gewöhnte sich daran, dass aus einstigen Schlösschen Hühnerställe und aus uralten Parks Bolzplätze geworden waren. Manches fiel in den frühen Jahren Vandalismus anheim, anderes wurde einfach abgerissen. Die kulturellen Überbleibsel verschwanden in Depots.

    Die offene Grenze bis 1961 erlaubte die Flucht von rund zwei Millionen Menschen aus der DDR. Es waren oft jene mit tiefen bürgerlichen Wurzeln. Mit ihnen ging viel vom Bewusstsein verloren, dass kulturelle Werte zum Lebensstil zählen und sie deshalb bewahrt und gepflegt werden müssen. Als sich nach zwanzig Jahren DDR auch dort bei manchen das Bedürfnis entwickelte, sich mit den Zeugnissen der Vergangenheit zu umgeben, war vieles bereits verloren.

    Dies alles gestaltete sich als widersprüchlicher Prozess. Einerseits legte die DDR auf den Erhalt und die Pflege ihres »nationalen Kulturerbes« großen Wert. Gesetze schützten es, für den Wiederaufbau bedeutender Gebäude aus der Vergangenheit wurde viel Geld ausgegeben. Es gab liebevoll geführte Museen bis in die Kleinstädte, viele Menschen engagierten sich ehrenamtlich beim Erhalt von Kulturgut. Andererseits fehlten die Mittel, um Ererbtes zu erhalten. Innenstädte mit ihren kulturellen Zeugnissen verfielen. Das Volk sprach vom »Ruinen schaffen ohne Waffen«. Außerdem wurde Geld gebraucht, um das Hinterherhinken der DDR-Wirtschaft beim technischen Fortschritt nicht beständig größer werden zu lassen. Dieses Geld konnte nicht nur mit Waren erwirtschaftet werden, auch die Substanz musste herhalten. Kulturgut schien eine begehrte Handelsware zu sein.

    Damit eröffnete sich ein neuer Konflikt: Welche kulturellen Gebrauchsgüter wären verzichtbar, was musste im Lande verbleiben? Oft gab es ein Tauziehen zwischen den Außenhändlern und den Kulturverantwortlichen. Meist gewannen die Verkäufer, denn politische Parolen wie »Alles zum Wohle der Republik« konnten sie ebenso wie die Bewahrer für sich reklamieren. Das »Erwirtschaften von Devisen« galt als das wichtigere politische Ziel. Ob das Ministerium für Geologie, das mit dem Verkauf von Fossilien und Mineralien dazu beitrug, oder das Ministerium für Kultur, dem der staatliche Kunsthandel unterstand – jeder hatte seinen Teil beizusteuern.

    Es war kein Handel zum gegenseitigen Vorteil, sondern ein Ausverkauf. Er hat tiefere Spuren hinterlassen, als sie durch den erzielten Erlös beschreibbar sind. Sie verbinden sich mit geschehenem Unrecht und staatlicher Repression, mit den grauen Bereichen der DDR-Politik gegenüber der Bundesrepublik, mit Kriminalität und schließlich den Beutezügen von Spekulanten, als der zweite deutsche Staat in sich zusammenbrach.

    Nach diesen Spuren wird hier gesucht.

    Das große Erwachen

    Ein Beitrag von Bettina Klemm

    Kaum sechs Wochen nach dem Fall der Mauer vermeldete der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN) Alarmierendes. Am 20. Januar 1990 war zu lesen: »Der DDR-Kriminalpolizei ist am Freitag bekannt geworden, dass eine international organisierte Gruppe unter Einbeziehung krimineller Personen aus der DDR einen Kunstraub in den Staatlichen Schlössern Wörlitz im Bezirk Halle geplant hat … Wie das Ministerium für Innere Angelegenheiten mitteilte, wurden vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung dieser Straftat durch die Deutsche Volkspolizei eingeleitet.«

    Eine solche Meldung war weder nur der sich damals gerade entwickelnden Pressefreiheit geschuldet, noch sollte sie nostalgisch an die verlorene »Sicherheit« von Mauer und Stacheldraht erinnern. Kriminelle in West und Ost gehörten einfach zu den Ersten, die bei ihrer »Arbeit« auf die künftige Einheit setzten. Dafür gab es durch die chaotischen Verhältnisse in der sich langsam auflösenden DDR die besten Voraussetzungen.

    Der Spiegel (24/1991) berichtete von überforderten Polizisten und fehlenden beziehungsweise mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen. So nahmen im Gemeinsamen Landeskriminalamt (GLKA) der fünf neuen Bundesländer Meldungen über Kirchen- und Museumsdiebstähle in der Ex-DDR »dramatisch« zu. Sprecherin Birgitt Griep erklärte, dass der Schaden allein für 1990 auf 32 Millionen Mark geschätzt wurde. Die Tendenz wäre steigend. In einem Beitrag der Nachrichtenagentur dpa war von 47 größeren Einbrüchen die Rede, zum Vergleich dazu wären es im Jahr zuvor fünf Diebstähle mit einem Gesamtschaden von einer Million Mark gewesen. Kriminalisten warnten vor der organisierten Kriminalität und befürchteten, dass dies erst der Anfang wäre. Durch die offenen Grenzen läge die Aufklärungsquote praktisch bei null, denn innerhalb weniger Stunden könnten die Kunstgegenstände in dunklen Kanälen verschwinden.

    Liebespärchen auf textilen Tapeten im

    Schloss Wiederau gestohlen

    Wie das Beispiel von Wiederau zeigt, machten die Täter selbst vor Tapeten nicht halt. Über dem Eingang des dreigeschossigen barocken Schlosses prangt die Zahl »1705«. Ein Leipziger Textilhändler hatte das Rittergut südlich von Leipzig 1697 gekauft und das Gebäude darauf errichtet. 1737 erhielt der kursächsische Geheime Rat Johann Christian von Hennicke das Anwesen. Zur entsprechenden Huldigungszeremonie erklang die Kantate »Angenehmes Wiederau, freue dich in deinen Auen«, die Johann Sebastian Bach eigens dafür komponiert hatte. Vielleicht hatte Bach damals den prächtig gestalteten Festsaal mit der illusionistischen Malerei vor Augen gehabt. Der Saal erstreckt sich über zwei Geschosse, an seinen Wänden und der Decke sind Szenen aus der antiken Mythologie zu sehen, gestaltet vom italienischen Maler Giovanni Francesco Marchini. Der Festsaal in Wiederau gilt als eines der letzten im Original erhaltenen Zeugnisse derartiger Ausmalung.

    Für Schlagzeilen sorgte jedoch die textile Bildtapete im angrenzenden Raum. Auf ihr waren junge Mädchen und Liebespaare dargestellt. Der Wandschmuck besteht aus bemalter Leinwand, eine preiswertere Form als gewebter Gobelin. Nach Einschätzung des einstigen Leiters des Kulturamts Borna stammt dieser Wandschmuck ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert und aus Italien.

    Am 22. März 1990 hatten unbekannte Täter ein etwa drei mal dreieinhalb Meter großes Stück gestohlen. In Presseberichten wurde der Gesamtwert der Tapeten auf eine Million Mark geschätzt, der entwendete Teil soll etwa ein Viertel davon ausmachen. Bereits am 10. Juli 1990 teilte die Polizei dem Rat der Gemeinde Wiederau mit, dass die Ermittlungen gegen Unbekannt gemäß Paragraph 143, Ziffer 1 der Strafprozessordnung vorläufig eingestellt wurden. Im April 1990 hatte das Kulturamt die übrig gebliebenen Tapetenwände ausbauen und ins Schloss Schönwölkau bei Delitzsch bringen lassen. Dort wurden die wertvollen Textilien ab September 1990 restauriert. Die gestohlenen Tapetenteile konnten nicht gefunden werden.

    Das stark geschundene Schloss erfuhr in den vergangenen Jahren eine grundlegende Sanierung. Diese sei noch nicht abgeschlossen. »Betreten Verboten!«, steht auf einem Schild am Eingang des Grundstücks. Der Eigentümer, die Sachsenerz Bergwerks GmbH, droht: »Jede Zuwiderhandlung wird strafrechtlich verfolgt!« Der Unternehmer Adalbert Geiger aus Baden-Württemberg hat das Schloss 2010 vom Freistaat Sachsen erworben. Bereits vier Jahre zuvor kaufte er das ebenfalls im Leipziger Raum gelegene Schloss Güldengossa. Nach eigenen Angaben hat er fünf Millionen Euro investiert, um das 1720 errichtete Herrenhaus zu sanieren. Es ist heute Stammhaus der Geiger Edelmetalle und öffentlich zugänglich.

    Über das Schloss Wiederau spricht Geiger nicht so gern. Es gebe zu diesem Thema zu viele falsche Informationen und Spekulationen. 1906 hatte die Familie von Holleuffer-Kypke das Schloss geerbt. Konrad von Holleuffer-Kypke war zwar adlig, aber der Landwirtschaft und der Arbeiterbewegung verbunden. Auf seinem Portal »Historisches Sachsen« bezeichnet Heyko Dehn den Schlossbesitzer als »roten Baron«, der dennoch mit der Bodenreform enteignet wurde. Danach, so Adalbert Geiger, sei das Schloss im großen Stil und offiziellen Staatsauftrag geplündert worden. Doch darüber schreibe kaum jemand. Die Aufregung bezüglich der Tapetenfragmente hingegen sei groß.

    Das Schloss Wiederau wurde zunächst als Not­unterkunft für Vertriebene genutzt. Später zogen die Gemeindeverwaltung und ein Kindergarten ein. Seit 1976 stand es gänzlich leer. Auch der Denkmalschutz zeigte wenig Interesse an der Immobilie, er hatte sogar den Schutzstatus aufgehoben. Dem Schloss Wiederau und dem dazugehörigen Wirtschaftshof ging es wie zahlreichen anderen Denkmälern: Sie wurden zu DDR-Zeiten sträflich vernachlässigt. Der Leipziger Kulturbund hatte zwar seit 1976 versucht, mit Notreparaturen das Schlimmste zu verhindern, dennoch musste 1983 die Orangerie abgerissen werden. So hatten es die Diebe 1990 offensichtlich auch nicht schwer, in das Schloss zu gelangen. Erst nach dem Ende der DDR gab es Geld für die Sanierung. Zwischen 1994 und 1997 ließ das Land Sachsen das Dach und die markante gelbe Fassade instand setzen.

    Diebe im Auftrag unterwegs?

    Zu den »Kunstraub-Krimis« kurz nach dem Ende der DDR gehörte der Diebstahl auf der Burg Querfurt. Von jener Burg im Saalekreis in Sachsen-Anhalt hatten sich Diebe am 14. Juni 1990 aus beachtlicher Höhe aus dem Bilder- und Konzertsaal abgeseilt und drei Gemälde niederländischer Maler aus dem 17. Jahrhundert gestohlen. Dabei müssen sie über Insiderkenntnisse verfügt haben. Kurz nach der Maueröffnung zog es nur wenige Besucher in die Burg Querfurt.

    Die Geschichte dieser Höhenburg, mit drei imposanten Türmen, zwei Ringmauern und starken Befestigungsanlagen, reicht bis ins 9. Jahrhundert zurück. Sie gehört zu den bedeutendsten mittelalterlichen Burgen in Deutschland und ist etwa siebenmal größer als die viel berühmtere Wartburg. Seit 1952 existiert im Korn- und Rüsthaus ein Burgmuseum. Im zurückliegenden Jahrzehnt wurden auf der Burg wiederholt Filme gedreht, vielfach mit namhaften Darstellern. So wird auch gern von der »Filmburg Querfurt« gesprochen.

    Als Vorlage für ein Drehbuch könnte gleichsam der Gemäldediebstahl auf der Burg dienen. »Kuchenlieferung«, teilten die Diebe dem Pförtner mit und passierten mit zugedeckten Plastikstiegen ungehindert den Kassenbereich. Im ersten Stock hinter dem Saal, der mit acht Gemälden ausgestattet war, befand sich damals (und heute wieder) ein uriges Café. Jeden Nachmittag bekam es frische Kuchen und Torten geliefert. Da es kurz vor dem Café einen Lieferanteneingang gibt, wunderte sich auch niemand, dass die »Lieferanten« nicht wieder hinauskamen. Warum jedoch an diesem Tag niemand im Café die fehlende Kuchenlieferung beklagte, ist bis heute unklar.

    Denn statt Kuchen befanden sich in den Stiegen Werkzeuge und Bergsteigerseile. Johanna Rudolph, von 1973 bis 2003 im Museum tätig und zur Tatzeit Direktorin, erinnert sich: Sie wurde gegen 23 Uhr angerufen, der Wachdienst, der regelmäßig mit einem Schäferhund die Runde drehte und mit einer Taschenlampe das Gebäude kontrollierte, hatte ein offenes Fenster entdeckt. Die Polizei kam schnell. An den Wänden fehlten drei Landschaftsbilder samt Stuckrahmen. Offensichtlich waren diese gezielt gestohlen worden, denn im Saal hingen damals auch wertvollere und größere Porträts.

    Polizei und Museum rekonstruierten die Tat, Spurenhunde wurden eingesetzt. Noch heute steht im Saal ein dunkler, spätmittelalterlicher Schrank mit Eisenbeschlägen. Er ist etwa zweieinhalb Meter hoch und breit, aber nur fünfzig Zentimeter tief. Das Möbelstück wirkt wie drei übereinander gestapelte Truhen. Der Schrank steht etwa zehn Schritte von der Eingangstür entfernt. Zum Café sind es weitere 25 Schritte. Die Täter haben sich samt Werkzeuge in den Schrankfächern verborgen und gewartet, bis das Museum schloss.

    In der Regel hatten die Mitarbeiter bei ihrem letzten Rundgang den Schrank noch einmal geöffnet, an diesem Tag aber nicht. Glücklicherweise, findet die Museumschefin, denn wer weiß, was dann geschehen wäre? Außerdem arbeitete an jenem Tag ein Mitarbeiter noch zu später Stunde im Fotolabor, das sich damals direkt hinter dem Saal befand. Er bereitete eine neue Ausstellung vor.

    Bis auf den schon erwähnten Wachdienst und eine Schließanlage gab es im Museum kaum Sicherheitsvorkehrungen. Eine von einem Mitarbeiter selbst gefertigte Alarmanlage funktionierte nach dessen Eintritt in den Ruhestand nicht mehr.

    Aufgeschreckt von dreisten Diebstählen in Mei­ningen und Dessau hatte die Museumschefin beim damaligen Rat des Bezirks um eine neue Alarmanlage gebeten. Im Schloss Elisabethenburg in Meiningen hatten Museumsmitarbeiter im Mai 1990 entdeckt, dass ein Gemälde von Adam Elsheimer, einem bedeutenden Barockmaler des frühen 17. Jahrhunderts, durch eine Kopie ersetzt worden war. Wie Der Spiegel berichtete, glaubt der damalige Museumschef, dass jemand das Gemälde am helllichten Tag »ausgewechselt« hat. In Dessau konnten zwei Täter gefasst werden, als diese sechs Gemälde aus dem Georgium entwendeten. Doch trotz derartiger Fälle bekam Johanna Rudolph eine ablehnende Antwort: Der Rat des Bezirks bestimme, was in welcher Reihenfolge wichtig sei.

    Der Rekonstruktion durch die Polizei zufolge haben die Täter im Saal der Burg Querfurt die Bilder abgehängt, das erste Fenster mit rundem Bogen gegenüber vom Eingang geöffnet, ein Bergsteigerseil daran befestigt und sich samt der Bilder etwa acht Meter tief abgeseilt. Allzu groß und kräftig können sie nicht gewesen sein, denn das Fenster ist verhältnismäßig klein. Dann liefen sie über den nördlichen Burgzwinger und seilten sich nochmals von der Burgmauer etwa neun Meter in die Tiefe ab. An dieser Öffnung ist noch heute die Stahlstange zu sehen, an der das Seil befestigt war. Unten stand auf einem Seitenweg das Fluchtauto.

    Der Diebstahl muss akribisch geplant worden sein. Danach gab es zahlreiche Vermutungen: 1988 hatte eine Techniksportgruppe die goldene Wetterfahne auf der Spitze des Turms erneuert. Es gab Führungen von Restauratoren-Studenten. Einigen Mitarbeitern wurde gekündigt, hat sich jemand gerächt? Am Ende blieb nichts Belastbares.

    Die Diebe hatten es gezielt auf die Landschafts­malereien abgesehen. Die Gemälde stammen aus der Galerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. »Die drei Gemälde aus unserem Bestand gingen 1964 als Dauerleihgabe an das Kreismuseum der Burg Querfurt«, teilt Carina Merseburger mit, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). Dauerleihgaben der Gemäldegalerie Alte Meister an andere Museen seien nicht nur zu DDR-Zeiten üblich gewesen, sondern werden auch seit der Wende weitergeführt. So sind Leihgaben der Galerie Alte Meister natürlich im Dresdner Residenzschloss, aber auch im Dresdner Stadtmuseum, Schloss Moritzburg, Schloss Weißenfels, im Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg und sogar im Arbeitszimmer des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue zu sehen.

    Das größte der drei aus dem Saal der Burg Querfurt gestohlenen Gemälde ist mit 47,5 mal 63,5 Zentimetern der »Landweg mit Holzverschlag«. Gemalt wurde es von Pieter de Molijn (1595 –1661) in Öl auf Eichenholz. Im Vordergrund sitzt eine Frau mit weißer Haube an einem Baum vor einem Holzverschlag und betrachtet den Kopf eines vor ihr sitzenden Jungen. Ein stehender Herr mit großem Hut sieht ihnen zu. Im Hintergrund öffnet sich eine leicht hügelige Landschaft.

    Die Maler Pieter de Molijn, Salomon van Ruysdael und Jan van Goyen zählen zu den Hauptvertretern der sogenannten tonalen Landschaftsmalerei, die sich in den späten zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts entwickelt hat. Zur Komposition der Bilder gehören spannungsgeladene Diagonalen, die die Waagerechte des Horizonts durchbrechen, die Farben sind zumeist sparsam verwendet worden. Das 17. Jahrhundert wird in der niederländischen Kunst und Kultur auch als das »Goldene Zeitalter« bezeichnet. Dessen wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit sicherte den Künstlern gute Einkommen. Während in anderen Ländern der Hochadel und der Klerus die Künste förderten, hatte sich in den Niederlanden besonders durch den Handel mit den Kolonien eine ungewöhnlich breite vermögende Mittelschicht gebildet. Sie stellte einen riesigen Markt für den Absatz künstlerischer und gewerblicher Erzeugnisse dar. Um 1650 arbeiteten in den kleinen Niederlanden etwa 700 Maler. 70.000 Gemälde stellten diese pro Jahr her. Nach Einschätzung des Historikers und Journalisten Christoph Driessen sei dies in der Kunstgeschichte beispiellos, so etwas habe es weder in der italienischen Renaissance noch in Frankreich zur Zeit des Impressionismus gegeben.

    Zu den bekannten Malern jener Zeit zählen auch Klaes (Nicolaes) Molenaer (1630 –1676) und Herman Saftleven (1609 –1685). »Windmühle am Flussufer« ist das 42 mal 36 Zentimeter große Ölbild auf Holz von Klaes Molenaer überschrieben. »Flusstal« hat Saftleven sein 42 mal 54 Zentimeter großes, in gleicher Technik gefertigtes Bild genannt. Auch diese beiden Kunstwerke wurden von der Burg Querfurt gestohlen. Bei Auktio­nen erzielten vergleichbare Gemälde dieser drei Maler Preise im unteren fünfstelligen Bereich.

    Bis heute gibt es keine Spur zu den Tätern und zum Verbleib der Gemälde. Doch Carina Merseburger von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gibt die Hoffnung nicht auf und versichert: »Wir werden immer versuchen, Bilder, die zu unserem Bestand gehören, zurückzugewinnen. Ob es sich dabei um Diebstahl oder Kriegsverluste handelt, ist unerheblich. Im konkreten Fall haben wir die Eintragung in das Art Loss Register veranlasst, um einen Handel mit diesen Gemälden und einen damit verbundenen gutgläubigen Erwerb zu erschweren. Darüber hinaus sind die drei Gemälde in der Online Collection der SKD veröffentlicht.«

    Abendmahlgerät in der Kiesgrube

    Auf ein schnelles Geschäft hofften auch kleine Ganoven, wie ein Beispiel aus Dresden zeigt. Schreck in der Morgenstunde: Am 17. Januar 1991 war Pfarrer Jo­achim Deckert von der St.-Petri-Kirche am Großenhainer Platz in Dresden schon vor acht Uhr in der Kirche, denn ein Vertreter des Energieversorgers wollte den Zählerstand ablesen. Später gab der Pfarrer zu Protokoll, dass die äußere Tür zur Sakristei und ebenso alle Schränke offen standen. Als er in einen Verbindungsraum kam, musste er feststellen, dass die Türen zum Wandschrank gewaltsam geöffnet worden waren und die Gerätschaften für den Gottesdienst fehlten. Der Pfarrer rief die Polizei. Mehrere Türen waren wahrscheinlich mit einem Dietrich geöffnet, ausgehebelt und gewaltsam aufgebrochen worden. Der Schlüssel zum Hauptportal fehlte, normalerweise steckte er in der verschlossenen Tür von innen.

    In einem Protokoll an seinen Kirchenvorstand hielt der Pfarrer fest: »Die Kripo sicherte eine Fußspur. Sonst konnte der Diebstahl im Wesentlichen nur registriert werden.« Er vermutete, dass sich die Täter durch die Tür am Türmchen Zutritt verschafft hatten, denn dort waren bleiverglaste Scheiben eingeschlagen worden. Gemeinsam mit dem Kantor stellte der Pfarrer eine Liste mit den gestohlenen Kunstgegenständen zusammen und übergab diese der Polizei. Die Anzeige wurde unter der Nummer K 2034/91 aufgenommen.

    Der neugotische Backsteinbau der St.-Petri-Kirche mit dem 68 Meter hohen und schiefergedeckten Turm war 1890 geweiht worden. Nach den Unterlagen, die im Archiv vom Kirchspiel Dresden-Neustadt aufbewahrt werden, wurden bei dem Einbruch folgende Gegenstände gestohlen: vier 220 Millimeter hohe Abendmahlskelche sowie zwei weitere nur wenig größere Kelche, die jeweils eine Widmung von 1890 am geschwungenen Fuß aufwiesen. Zudem war eine Weinkanne mit Deckel und Kreuz entwendet worden, die die St.-Petri-Gemeinde 1890 von der Dreikönigskirche erhalten hatte. Auch die Hostienbüchse hatte einen Deckel mit Kreuz und war, so die Aufschrift, am 17. November 1895 von P. Dr. Albert gestiftet worden. Die dazugehörige große Patene hatte einen Durchmesser von 175 Millimetern. Die Kanne für das Taufwasser wies eine leichte Delle auf. All diese Gegenstände waren aus 800er Silber, die meisten davon hatte die renommierte Berliner Juwelierfirma Sy & Wagner gefertigt. Aus dem Altargeräteschrank wurden auch zwei Leuchter für vier Kerzen gestohlen, vermutlich waren diese aus Zinn. Zudem hatten die Diebe im Lutherzimmer aus einem Koffer einen vergoldeten Abendmahlskelch, eine Hostiendose und einen kleinen Leuchter entwendet. Außerdem ließen sie eine Kaffeemaschine und drei Tassen mitgehen. Der Gesamtwert wurde auf 50.000 Mark geschätzt, erinnert sich Pfarrer Deckert.

    Nach dem Diebstahl gab es die nächste Hiobsbotschaft: Der im Frühjahr 1947 geschlossene Versicherungsvertrag stellte keinen ausreichenden Schutz dar. So wurde schließlich mit der Deutschen Versicherungs-AG ein »Vergleich« über 1.500 DM geschlossen. Offensichtlich war die fehlende Versicherung nicht nur das Problem dieser Kirche. Schon einen Tag nach dem Einbruch schloss die Landeskirche »globale Versicherungen« ab.

    Doch die Geschichte fand ein gutes Ende: Rund zehn Wochen später spricht der Pfarrer von einem »großen Wunder« vor Ostern. Der Diebstahl hatte sich in der Kirchengemeinde schnell herumgesprochen. So meldeten sich bei der Polizei Zeugen: In einer Wohnung in der Nähe, in der junge Leute lebten, gehe Seltsames vor. Die Polizei ging dem nach und fand dort unter anderem eine Kaffeemaschine und einen kleinen Leuchter. Weil der Pfarrer gerade im Urlaub war, wurde Gemeindepädagogin Annemarie Jehmlich ins Präsidium gebeten. Die Doppelkaffeemaschine war erst kürzlich von einer Partnergemeinde im Westen spendiert worden. Sie hing eine Weile an der Wand und musste deshalb Kratzer an der Rückseite haben, erklärte Jehmlich. Treffer! Sie konnte auch das Muster auf dem kleinen Leuchter genau beschreiben.

    Die Polizei konfrontierte die Bewohner der Wohnung mit diesen Aussagen und verhörte sie weiter. Der Kirchendiebstahl war nicht die einzige Tat, die ihnen angelastet wurde. Es ging beispielsweise auch um Motorraddiebstähle. Schließlich gab der dreißigjährige Franko K., einer der Bewohner, den Tipp, dass die Kirchenschätze in der Kiesgrube in Dresden-Leuben »sichergestellt« worden waren. Die Polizei bat die Tauchergruppe der Berufsfeuerwehr aus Leipzig um Hilfe. Nach mehrstündiger Arbeit, wie die Sächsische Zeitung berichtete, holten die Taucher am 19. März die Silberschätze vom Grund der Kiesgrube herauf. Bis auf den Deckel der Hostiendose erhielten Pfarrer Deckert und Oberkirchenrat Dr. Rainer Thümmel acht Tage später bei einem Pressetermin alle gestohlenen Gegenstände zurück. »Ich empfinde es als großes Wunder, dass wir die Dinge wiederbekommen«, wird seinerzeit der Pfarrer zitiert.

    Um das Abendmahlgerät zum Gottesdienst am Ostermontag wieder nutzen zu können, hatten es Annemarie Jehmlich und andere Gemeindemitglieder kräftig aufpoliert. Bedeutender als der materielle Wert sei der ideelle. So erinnern die Gravuren von 1890 daran, dass die Silbergegenstände von anderen Gemeinden geschenkt worden waren.

    Den Gemeindemitgliedern war das Abendmahlgerät wichtig. Sie sammelten Geld, um die Kunstgegenstände restaurieren zu lassen. Das übernahm wenig später die Werkstatt von Silberschmied Bernhard Greif. Um erneute Diebstähle zu verhindern, wurde der Wandschrank zum Tresor umgebaut.

    Übrigens musste die Kirchengemeinde die Hälfte der Versicherungssumme zurückzahlen, weil ja die meisten gestohlenen Gegenstände im wörtlichen Sinne wieder aufgetaucht sind.

    I. Schatzjäger auf Beutezug

    Als in den siebziger Jahren die erste Nostalgiewelle über die DDR schwappte und plötzlich alte Wagen­räder an Balkonwänden unerlässlich erschienen, waren die Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg für Liebhaber echter Antiquitäten ein Geheimtipp. Dort fand sich schon mal eine Barocktruhe als Futterlade in der Scheune, ein edler Sattel im Stall oder ein dreihundert Jahre alter Zinnteller auf dem Hühnerhof. »Dat wier woll von’n Schloss«, hieß die übliche Antwort auf die Frage nach der Herkunft, und für eine Flasche »Weißen« oder »Braunen« und 20 Mark wechselte der Gegenstand schnell den Besitzer.

    Für viele Bauern im ehemaligen Land Mecklenburg, zu dem nach dem Krieg auch Vorpommern gehörte, waren die Überbleibsel aus den Guts- und Herrenhäusern wertloses Zeug. Die oft im Haus oder Schuppen verbauten, zuvor sorgfältig abgeputzten Mauersteine schienen viel kostbarer zu sein. Auch sie kamen oft »von’n Schloss«.

    Die meisten der enteigneten »Schlösser« gehörten bis 1945 Großgrundbesitzern. Viele waren in den letzten Kriegstagen mit den abrückenden Wehrmachts­truppen gen Westen gezogen, andere flohen vor der russischen Besatzungsmacht. Ihr Eigentum in Häusern und Höfen blieb zurück, manches wurde noch rasch vergraben oder anderswo versteckt – viel Aufhebens wurde darum nirgendwo gemacht. Damals beherrschten andere Sorgen den Alltag. Es ging ums tagtägliche Überleben und ein Dach über dem Kopf. Hunderttausende von Flüchtlingen aus den verlorenen deutschen Ostgebieten oder »Umsiedler«, die einstmals jenseits der neuen Grenzen lebten, standen buchstäblich auf der Straße. Die verlassenen Guts- und Herrenhäuser dienten ihnen oft als erste Unterkünfte.

    Natürlich wussten die sowjetischen Besatzer, dass die einstigen Adelssitze meist eine Vielzahl von wertvollen Kultur- und Gebrauchsgütern bargen. Deshalb veranlasste die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) und danach die Sowjetische Kontrollkommission (SKK) auf der Grundlage ihres Befehls 209 vom 9. September 1947 »Schlossbergungen«, um Wertvolles zu sammeln und erst einmal einzulagern. Der Befehl galt jedoch vordringlich der Errichtung von »Neubauernhöfen«. Das ging mit der Beseitigung kleinerer Adelssitze in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) einher. Marschall Wassili Danilowitsch Sokolowski wies an: »Das Baumaterial sollte von zerstörten kriegszwecklichen Werken und Bauten, von zerstörten Bauten der früheren Güter und Ruinen herrenloser Gebäude unbehindert verwendet werden können.« Bis Ende 1948 mussten laut Befehl daraus in Mecklenburg mindestens 12.000 Wohn- und Wirtschaftsgebäude, in Brandenburg 10.000, in Sachsen-Anhalt 7.000, in Sachsen 5.000 und in Thüringen 3.000 Bauten entstehen.

    Viele der zuvor geborgenen Objekte wurden künftigen Museen zugeteilt und wanderten dort meist in Depots, um sie nach dem Wiederaufbau präsentieren zu können. Durch die Enteignung wurden sie später zum Eigentum der DDR, »Volkseigentum« genannt. Anderes ging in die Sowjetunion. Fritz Adler, vor seiner Flucht 1950 in den Westen Chef des Stralsunder Kultur­amts und Stadtarchivar sowie Bezirkskonservator für Vorpommern und Rügen, erinnerte sich an Möbel, Bilder und Urkunden, die längs des Schienenstrangs lagen, weil sie von den Waggons gefallen waren, die die wertvollen Stücke zur Verschiffung in den Hafen der Hansestadt bringen sollten.

    Angesichts der Not nach dem Krieg galt der Rettung von niederrangigem Kulturgut und kulturellem Gebrauchsgut keine besonders große Aufmerksamkeit. Wohnraum war wichtiger. Die ostdeutschen Landesregierungen begannen, die Weisungen der sowjetischen Besatzungsmacht dazu durchzusetzen. Bernhard Quandt, ab 1948 Landwirtschaftsminister in Mecklenburg, erinnerte sich Jahre später: »Die Leute hatten ja nichts und konnten alles gebrauchen. Wenn sie auf dem Gutshof ein paar alte Teller oder Bestecke fanden oder ein paar Plünnen, die noch als Gardinen vor den Fenstern hingen, und das einfach mitnahmen, war das für uns in Ordnung. Es gab nichts zu kaufen, jeder musste sich selbst helfen.« Manche Bauersfrau hatte in der Nachkriegszeit die Leinwand eines großen Gemäldes so lange gekocht, bis die Farbe ausgewaschen war, um sich dann aus dem Stück Stoff eine Schürze zu nähen. Gobelins dienten als Abdichtmaterial in zugigen Ställen, und massive Möbel wurden zu Brettern.

    Was nicht niet- und nagelfest war, verschwand stillschweigend. Damit begann die große Zerstörung der einstigen Guts- und Herrenhäuser in Ostdeutschland.

    Nach der Verwaltungsreform von 1952 erhielten die neu gebildeten Kreisverwaltungen der DDR die Aufgabe, eine geeignete Verwendung der freien und noch nutzbaren Gutsgebäude vorzuschlagen. Die Denkmalpflege unterstand damals zunächst dem Ministerium für Volksbildung und dann der Staatlichen Kulturkommission für Kunstangelegenheiten. Planungen sahen vor, dass etwa 150 Herrenhäuser in der gesamten DDR als »erhaltenswert« angesehen werden sollten. Mehrere Tausend weitere Objekte – allein Mecklenburg verfügte vor dem Krieg über 2.328 Gutsbetriebe – fielen einer Verwertung als Wohnungen oder Räume für die Infrastruktur des Dorfes anheim. Sanierungsmaßnahmen wurden nicht eingeplant. Nicht mehr brauchbare Gebäude verfielen.

    Das Schloss Kartlow in der Nähe von Demmin war ein Beispiel für den Umgang mit dem ungeliebten Adelserbe. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Schinkel-Schüler Friedrich Hitzig das Herrenhaus nach dem Vorbild des französischen Renaissance-Schlosses Chambord gebaut. Bauherr war Woldemar von Heyden. Nach Plänen von Peter Joseph Lenné entstand ein Landschaftspark. Bis 1945 residierte dort die Familie von Heyden. In den letzten beiden Kriegsjahren beherbergte sie eine Wehrmachtseinheit vom in der Nähe gelegenen Fliegerhorst Tutow. Als die Rote Armee anrückte, floh Familie von Heyden mit den Offizieren der Luftwaffe gen Westen. Dadurch konnte sie einen Teil ihres wertvollen Besitzes mitnehmen. Doch sehr viel musste auch zurückgelassen werden.

    Dann nutzte die Rote Armee Schloss und Park als Erholungsort. Schon im Herbst 1945 wurden zahlreiche Flüchtlinge im Herrenhaus und auf dem dazugehörigen Gutshof einquartiert. Der einstige Pferdestall beherbergte nun drei Familien und ab 1955 auch noch die LPG-Büros. Eine große Scheune wurde zur Gewinnung von Baumaterial abgetragen, zwei Gebäude fielen Bränden zum Opfer. Ins Schloss zog der Konsum und die Gemeindeverwaltung ein, und die Schule bekam ebenfalls einen Raum. »Der Sozialismus« hatte das Besitztum der Familie von Heyden übernommen. Und auch Soldaten waren wieder da, nun die der 1956 gegründeten Nationalen Volksarmee der DDR. Auf dem Flugplatz Tutow lernten sie das Fliegen der sowjetischen Düsenjäger MiG-15 und MiG-17. Deutsche und sowjetische Fallschirmjäger probten dort ihre Sprünge. Hin und wieder ging es auch zu Manövern ins Gelände.

    Überraschung in der Latrine

    Im September 1960 nistete sich während solch einer Übung eine NVA-Einheit in der Nähe des Schlosses Kartlow ein. Im Schlosspark wurde eine Latrine gegraben. Plötzlich stießen die Soldaten auf einen Widerstand. Eine Kiste kam zum Vorschein. Sie enthielt Teller, Schüsseln und andere Porzellanteile, alle aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM). Die Soldaten suchten weiter und fanden schließlich fünf solcher Behältnisse. Die Fachleute vom Kreisheimatmuseum Demmin wurden zurate gezogen und iden­tifizierten das alte Geschirr als Geschenk Friedrich des Großen an die Familie von Heyden. Er hatte es im Jahr 1768 gemacht.

    Vorsichtshalber wanderte erst einmal alles in den Tresor. Damals galt der Alte Fritz in der DDR noch als übler Militarist, und niemand wollte vorlaute Fragen stellen. Außerdem reichte das Geld nicht, um die Stücke für eine komplette Ausstellung zu restaurieren – später waren bisweilen Einzelteile in Demmin zu sehen.

    Viel Aufsehen erregte das alles wohl nicht, denn erst mehr als 25 Jahre später fanden sich Spuren des La­trinenfunds in den Stasiakten. In einem Aktenvermerk vom 19. September 1986 wurde festgehalten, dass damals eine noch im Dorf lebende frühere Haushälterin der Familie von Heyden den Museumsleuten die Herkunft des Porzellans aus dem Besitz ihrer einstigen Herrschaft bestätigt hatte. Auch der Abschnittsbevollmächtigte (ABV) der Volkspolizei hatte seinerzeit den Fund gemeldet. Neben den Kisten in der Latrine gab es eine weitere am »Fasanengebüsch« des Parks. Der ABV meinte, in allen seien Glas und Porzellan gewesen, altes Zeug eben.

    Der Grund, sich überhaupt für die alten Sachen zu interessieren, war eine Anfrage aus dem Westen. Dort handelte die Familie von Heyden derweil mit Antiquitäten. Über einen befreundeten Händler ließ sie bei dessen Geschäftspartner Manfred Seidel, stellvertretender Chef des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Außenhandelsministerium der DDR, anfragen, ob es nicht möglich sei, ein paar Erinnerungsstücke aus Kartlow zu bekommen. Die KoKo beschäftigte sich mit der Erwirtschaftung von Devisen im Westen, und dabei gab es auch eine Sparte Kunst und Antiquitäten, deren Aktivitäten noch ausführlich zu betrachten sein werden. Manfred Seidel fungierte nebenbei als Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des Ministeriums für Staatssicherheit. So gelangte die Nachricht vom »Heimweh des Grafen« auf den

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