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Jumping Jack: Thriller
Jumping Jack: Thriller
Jumping Jack: Thriller
Ebook569 pages8 hours

Jumping Jack: Thriller

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About this ebook

Als die beiden Frauen Joëlle Bendorf und Lea Fleming nach Abu Dhabi reisen, um ihre Kinder, ein Architektenehepaar, zu besuchen, freuen sie sich auf unbeschwerte Ferientage im Kreis der Familie. Auch Jack, ihr kleiner Enkelsohn, ist dabei. Nach der Ankunft müssen sie jedoch mit Schrecken feststellen: Ihre Kinder sind verschwunden. Viele Hinweise deuten außerdem darauf hin, dass Jack entführt werden soll und er in akuter Gefahr schwebt. Die drei flüchten nach Ägypten, um von dort mithilfe einer befreundeten einheimischen Familie die Suche nach den Vermissten aufzunehmen. Es beginnt ein abenteuerlicher Wettlauf um das Leben der Verschollenen...

LanguageDeutsch
Release dateOct 1, 2016
ISBN9783898419802
Jumping Jack: Thriller

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    Book preview

    Jumping Jack - Heidrun Bücker

    Mittendrin ...

    Ein pfeifendes Geräusch rechts neben, oder besser gesagt, über meinem rechten Ohr, ließ mich in all der Hektik und Eile nach oben schauen. Was konnte denn das gewesen sein? Mein erster Impuls: Wirf dich auf den Boden, aber das hätte die Situation auch nicht gerade verbessert. Mohammed schrie auf, und das Boot wurde mit einem Mal langsamer. »Jo«, rief er mir zu, »hoch, komm zu mir, sofort, schnell!« Eine Kugel hatte ihn getroffen, und er schaute, eine Hand auf die Wunde gepresst, zu mir herunter. Also hatte ich das pfeifende Geräusch richtig interpretiert. Als ich zurückblickte, merkte ich, sie kamen immer näher. Konnte dieses Boot nicht schneller fahren? Unsere Geschwindigkeit ließ immer mehr nach. Hoch, du musst hoch, spring nach oben, sagte ich mir. Die kommen immer näher, wir müssen wieder in Fahrt kommen, Gas geben, sagte ich mir, den Hebel nach vorne! Hinter mir, vier Stufen tiefer, kniete Lea über dem Verletzten, weiterhin das dicke Handtuch auf die Wunde pressend. Ihren Kopf hielt sie auch eingezogen. Sie kam alleine zurecht, erkannte ich. Ich sprang die kleine Leiter nach oben, zwei Stufen nahm ich auf einmal, dann sah ich es: Mohammed blutete ziemlich stark. »Übernimm!«, rief er. Ich begriff sofort, sprang noch einen Schritt weiter, packte das Steuer fest an und schob den Gashebel wieder nach vorne. Das Schiff reagierte sofort, das Wasser unter uns an der Schraube wirbelte wieder hoch, wir machten erneut einen Satz nach vorne und schossen weiter Richtung offenes Meer. Mohammed drehte sich zur Seite. Fekrie, der bei diesem Durcheinander nach oben gehastet war, fing ihn auf. Ali und Mehmet hatten sich ängstlich in eine geschützte Ecke verkrochen.

    Weiter, schneller. Der Fahrtwind pfiff mir um die Ohren, oder waren es Kugeln? Gischt spritzte hoch. Schneller, wir müssen schneller werden, dachte ich. Unser Vorsprung wurde immer geringer, bedingt durch unseren Wechsel auf dem Führerstand und den langsameren Dieselmotor. Die Verfolger holten stetig auf. Wieder fielen ein paar Schüsse, ich duckte mich. Sie schossen auf den Fahrer, und das war diesmal ich. Keine Hindernisse weit und breit, hatte ich mit einem Blick nach vorne bemerkt. Kein anderes Boot in der Nähe. Es konnte erst mal nichts passieren, wenn weiter mit Vollgas gefahren wurde. Die Tanks waren voll. Konnten sie explodieren, wenn sie getroffen wurden? Bloß nicht auch noch daran denken.

    »Fahr schneller«, schrie Lea hoch zu mir, »mein Gott, gib Gas, sie kommen näher!«

    Mohammed versuchte, sich aufzurappeln, um mir zu helfen, aber es ging nicht. Was sollte er auch tun?

    »Bleib unten«, rief ich ihm zu, »Kopf runter, sonst wirst du auch noch da getroffen!«

    »Ist der Hebel ganz nach vorne gedrückt?«, fragte er.

    »Ja, wir fahren mit Vollgas, aber bleib unten!«, schrie ich zurück. Ich wagte einen Blick nach hinten, sie waren viel schneller als wir, bald würden sie uns eingeholt haben. Mist, so schnell war das Boot schon lange nicht mehr gefahren. Die Gischt spritzte mir ins Gesicht. Ich gab weiter Vollgas. Lenkte ich immer noch in Richtung offenes Meer? Ja, die Richtung stimmte. Und dann sah ich sie, sie kamen von vorne, direkt auf uns zu ...

    Kapitel 1

    7 Jahre vorher

    »Also, Ben, was sagst du zu diesen Anschuldigungen? Wir haben nicht nur Vermutungen, sondern auch Beweise, dass du das Geld unterschlagen hast!« Ihm, Ben Rekers, wurden von John McGregor wütend einige beschriebene Blätter über den Tisch hingeworfen. Ben wurde kreidebleich, er erkannte die betrügerischen Schreiben und fing kaum merklich an zu zittern. Er blickte zuerst aus dem Fenster des siebten Geschosses des Bürokomplexes von McGregor International. Draußen schien die Sonne, das bemerkte Ben aber nicht. Er registrierte rein gar nichts von dem, was um ihn herum passierte, so entsetzt starrte er auf die einzelnen Blätter, die dort auf dem großen Besprechungstisch lagen. Er konnte sich im ersten Augenblick nicht zusammenreimen, woher seine Freunde das alles hatten.

    John, der Chef von McGregor International, einem weltweit bekannten Unternehmen, hatte alle zu diesem Meeting geladen beziehungsweise herbeizitiert. Der ansonsten ruhige und besonnene John kochte innerlich vor Wut und konnte seinen Unmut nur schwer unterdrücken. Ben – ein sehr guter Freund von John, Robert, Jake Bendorf, Jakes Frau Joëlle Bendorf und Sam – hatte, wie sie nun leider alle feststellen mussten, viel Geld unterschlagen, das für die Eröffnung eines Unternehmens in Middle East und zur Vorbereitung der notwendigen Verhandlungen für den Bau eines Gesundheitszentrums nebst Klinik verwendet werden sollte. Vertrauensvoll war Ben von ihnen vorgeschickt worden, um alle notwendigen Schritte dort in Abu Dhabi einzuleiten. Man wollte ihm helfen, da seine große Bauunternehmung in einem noblen Dorf, nahe Dorsten einige Jahre zuvor Konkurs anmelden musste. In das Unternehmen Abu Dhabi investierten sie alle, und keiner rechnete damit, so hintergangen zu werden. Glücklicherweise war John einem Hinweis nachgegangen, den er zwei Wochen vor dem Treffen erhalten hatte, und entdeckte so den Betrug. Bei den Nachforschungen kamen dann noch andere Betrügereien zum Vorschein. In erster Linie diente diese Unterredung dazu, festzustellen, was mit ihrer aller Geld passiert war und ob die Hinweise vielleicht doch zu Unrecht bestanden. »Wenn du in Geldschwierigkeiten steckst, warum hast du uns das denn nicht gesagt? Wir hätten dir helfen können. Aber was machst du, du least dir einen dritten Wagen, für viel Geld im Monat und weißt nicht, über die Runden zu kommen. Deiner Frau kaufst du auch noch gleich einen Porsche. Bist du denn total verrückt?« John blieb sachlich. Aber man merkte, er wurde langsam aber sicher immer wütender. Die letzten Worte zischte er nur noch.

    Ben brachte immer noch kein Wort heraus, er war schlichtweg entsetzt. »Woher sind die Unterlagen? Von euch?« Er wurde immer blasser und schaute Joëlle und Jake an. »Habt ihr mir die Unterlagen gestohlen? Habt ihr in meinen Sachen geschnüffelt?« Das war das Naheliegendste, denn Ben arbeitete in dem Büro von Jake und Joëlle, da er durch seinen Konkurs kein eigenes Büro mehr hatte. Angriff schien in seinen Augen anscheinend die beste Verteidigung zu sein. Aber das zog im Augenblick nicht.

    Sam, der bislang ruhig geblieben war, wurde nun doch leicht gereizt. Auch er hatte sich mit einer beträchtlichen Summe an dem Objekt beteiligt. »Das tut jetzt nichts zur Sache, also wo ist unser Geld geblieben?«

    Ben schien krampfhaft zu überlegen, was er sagen sollte, wie er sich aus dieser für ihn alles andere als glücklichen Situation rausreden konnte. Endlich fing Ben an zu stottern. »Das Geld brauchte ich, um einige Kontakte zu knüpfen.«

    »Aber doch wohl nicht alles«, fuhr Joëlle sofort dazwischen, »das kannst du mir nicht erzählen, für wie blöd hältst du uns denn?« Ben begann sich zu winden. Man merkte, die Sache fing gewaltig an, unangenehm für ihn zu werden. »Wenn du meinst, ich bin so blöd wie deine Frau, die dir alles glaubt, was du ihr erzählst, dann hast du dich geschnitten.«

    »Lass meine Frau aus dem Spiel, sie hat damit nichts zu tun«, fauchte Ben Joëlle an.

    »Was denn, sie hat doch die betrügerischen Schreiben an die Bank mit unterschrieben, oder hast du ihre Unterschrift gefälscht?«, fauchte Joëlle zurück und deutete auf die einzelnen Blätter. Wie immer hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Ihre Tochter Denise meinte, dass sich der IQ von Bens Frau unter dem Gefrierpunkt befinden müsste. Und alle waren der einhelligen Meinung, sie untertrieb nicht. Draußen schien zwar immer noch die Sonne, aber für Joëlles Blick verdunkelten sich die Sonnenstrahlen.

    »Nein, natürlich ist die Unterschrift nicht gefälscht, aber Susi hat das nur unterschrieben, weil ich ihr das gesagt habe.« Ben wurde schon wieder etwas lauter und konterte. Noch hatte er nicht alle Unterlagen gesehen.

    »Also doch, wie ich es sagte, nicht durchgelesen, einfach unterschrieben, oder kann sie nicht lesen?«

    Joëlle wurde langsam aber sicher giftig, sprach das aus, was jeder sowieso schon lange vermutete.

    »Bleib ruhig, Joëlle, so kommen wir nicht weiter. Also, Ben, was ist nun mit unserem Geld? Was du der Bank geschrieben oder vorgelogen hast, um weitere Kredite zu bekommen, oder wer von euch, du oder deine Frau, die Unterschriften gefälscht hat, steht im Augenblick nicht zur Debatte. Da musst du schon mit der Bank klarkommen.« John beruhigte sich wieder etwas und brachte mal wieder alles auf den Punkt.

    Jake kochte innerlich vor Wut, obwohl er äußerlich noch einen gefassten Eindruck vermittelte, aber Joëlle wusste es besser. »Und was ist mit den Russen? Das Objekt ‚Krankenhaus‘, an dem wir alle gearbeitet haben, das wir entwickelt haben, hast du, wie wir wissen, den Russen verkauft. Sie haben es dem Scheich als ihr eigenes, von ihnen entwickeltes Projekt angeboten. Wir haben die Informationen direkt aus Abu Dhabi erhalten. Woher hatten sie denn die Hintergrundinformationen, wenn nicht von dir? Wie viel hast du von denen dafür bekommen, dass du uns ausbootest? Steckt dein Cousin dahinter, denn der hat die Kontakte zu den Russen?« Auch Jake erkannte es richtig, hatte eins und eins zusammengezogen und einen Treffer erzielt.

    Ben starrte die anderen an. Wieder sackte er in sich zusammen, ein Beweis für die Richtigkeit der Vermutungen, die die anderen ihm vorgeworfen hatten. Damit hatte er nicht gerechnet, dass seine Freunde das herausfinden würden. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Eine Wachsfigur sah nicht besser aus.

    »Wo ist unser Geld geblieben? Wenn du von den Russen auch Geld bekommen hast, um mit denen das Objekt durchzuziehen, wo ist denn dann unseres geblieben? Du kannst mir nicht sagen, dass du das viele Geld vollständig ausgegeben hast«, meinte Joëlle entsetzt.

    »Ihr könnt machen, was ihr wollt, mich verklagen, einbuchten lassen, ich habe das Geld nicht mehr.« Ben machte einen bemitleidenswerten Eindruck. »Aber das stimmt nicht, ich habe die Studien und die Unterlagen nicht weiterverkauft. Wer das behauptet, lügt, oder es sind andere, die auch eine Klinik bauen wollen«, meinte Ben, versuchte noch etwas zu retten. »Das Objekt ist immer noch aktuell, es kann weitergehen, ich wollte nächste Woche wieder rüberfliegen, aber Fatla will mehr Schmiergeld, 50.000 Dollar, sonst macht er keinen Termin mehr für mich bei Scheich Mohammed, und ich habe kein Geld mehr«, versuchte er sich, beinahe weinerlich, aus der Affäre zu ziehen. Hielt er uns tatsächlich alle für blöd? Aber alle im Raum kannten ihn gut genug und wussten, dass er log. John zog weitere Unterlagen aus der vor ihm liegenden Mappe hervor und schwenkte sie in Richtung Ben. Der erstarrte diesmal förmlich zur Salzsäule, als er die Blätter erkannte. Er erkannte sie sofort. Schnell griff er zu.

    Es sind nur Kopien, wollte Joëlle ihm schon sagen, die kannst du zerreißen oder anders vernichten, die Originale haben wir. Aber erst einmal hielt sie den Mund. Der Beweis in Form einer Rechnung, die Ben an die Russen geschrieben hatte, lag vor ihm. Für den Verkauf der Unterlagen und Pläne hatte er schon vor Wochen eine beachtliche Summe erhalten. Das ging aus dem Beleg hervor, denn die hohe Summe war von ihm quittiert worden. Vom investierten Geld existierte höchstwahrscheinlich nichts mehr. Seine Frau lebte in Saus und Braus, trug die teuerste Kleidung und begriff nicht, dass die Firma ihres Mannes längst Konkurs angemeldet hatte. Keiner von beiden war es gewohnt zu arbeiten. Aber die Guccischläppchen und die anderen teuren Designerklamotten mussten sein. Sie lebten über ihre Verhältnisse und konnten nicht mit Geld umgehen, zum Schluss hatte das ihnen das Genick gebrochen. Sam, der mit an diesem Objekt gearbeitet hatte, sah alle Felle davonschwimmen. Die meiste Arbeit in der Vorphase war von ihm geleistet worden.

    »Auch das ist gelogen«, sagte Robert, der sich bislang zurückgehalten hatte, nun doch schon in einem lauteren Tonfall. »Fatla forderte bisher nie Schmiergelder. Auch hier hast du uns angelogen. Er weiß, dass er für seine Arbeit Geld bekommen wird, wenn das Projekt in trockenen Tüchern ist. Das ganze Objekt ist gestorben durch deine Lügengeschichten. Wir haben sehr viel Geld verloren. Anscheinend ist dir das völlig egal.«

    Robert, ebenfalls ein Mitglied der Projektentwicklungsgesellschaft, hatte ebenso sein Geld in dieses vielversprechende Unternehmen gesteckt. Allerdings besaßen er und seine Frau Lea genug Geld, um einen Verlust wegstecken zu können. Robert und Lea Flemming waren die Schwiegereltern von Jakes und Joëlles Tochter Denise. Ihr Sohn Bob, ein Studienkollege ihrer Tochter Denise, hatte sie vor einem Jahr geheiratet. Beide waren vom Fach, Architekten, genau wie Joëlle und Jake.

    Ben versuchte nochmals, sich zu rechtfertigen, fing an zu stottern, dass das alles nicht richtig wäre, dass Lügengeschichten kursieren würden, aber John McGregor hatte die Nase voll, deutete nochmals auf die unwiderlegbaren Beweise und meinte nur noch genervt: »Hau einfach nur ab, verschwinde, lass dich hier nicht mehr sehen.«

    Ben sprang auf, froh, den Raum verlassen zu können, nahm zitternd seine Jacke und rannte hinaus. Mit der Türklinke in der Hand schrie er alle an: »Das werdet ihr noch bitter bereuen, das lass ich mir nicht bieten, ihr habt in meinen Unterlagen gewühlt und mich überall angeschwärzt. Wundert euch nicht, wenn ich mich räche.« Mit diesen Worten rannte er raus und schlug die Tür hinter sich zu.

    »Ich glaube, er holt sich eine Pistole und erschießt sich im nächsten Busch«, meinte Jake, »er hatte mich vor unserer Zusammenkunft noch angerufen und gesagt, dass er gleich noch bei uns im Büro vorbeikommen wollte. Er hatte keine Ahnung, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind.«

    John packte die Unterlagen zusammen und schüttelte den Kopf.

    »Es ist tatsächlich alles so gelaufen, wie wir uns das gedacht haben. Die Papiere von Ben werden wir für alle Fälle erst einmal sicherstellen«, meinte Robert.

    »Ich habe mir die einzelnen Blätter schon eingespeichert und die Daten gesichert«, meinte Joëlle, »sicher ist sicher, man kann ja nie wissen.«

    »Das habe ich mir schon gedacht«, meinte Robert, »du hast von fast allen Unterlagen und Daten immer Kopie nebst Sicherungskopien gemacht.«

    Joëlle nickte. »Was sollen wir denn jetzt machen?« Sie war verzweifelt. »Wir haben alles in dieses Objekt gesteckt, Geld, Ideen und jede Menge Arbeit!«

    Sam überlegte kurz. »Als ihr mir das erzählt hattet, habe ich es nicht für möglich gehalten, dass mich ein guter Freund so übers Ohr hauen kann, ohne dass ich etwas bemerke. Dass er nicht mehr viel Geld zur Verfügung hatte, das wussten wir, auch dass er oft über seine Finanzen log, war uns allen klar, aber dass er die letzten Personen, die ihm noch helfen konnten und wollten, so hintergeht und betrügt, das hätte ich nicht gedacht.«

    Alle Beteiligten in dem großen Büro von McGregor International wirkten bedrückt und auch fassungslos.

    »Es ist mir egal, ob er vor einen Baum fährt oder nicht. Wir werden unser Geld nicht wiedersehen. Aber seine Alte, dieses arrogante Miststück, würde dann endlich mal arbeiten müssen, das würde mich freuen.« Joëlle war immer noch sauer und würde das auch wohl noch lange Zeit bleiben.

    Die Tür ging wieder auf, alle drehten den Kopf, meinten, Ben käme zurück, aber es waren Denise und Bob.

    »Na, wie war’s? Hat sich alles in Luft aufgelöst? Hat Ben erklären können, was es mit den Ungereimtheiten auf sich hat?« Denise hatte wohl noch gehofft, dass sich alles aufklärt. Sie schaute alle der Reihe nach an und begriff sofort die Sachlage. Eine um einen Besprechungstisch sitzende bedröppelt dreinblickende Mannschaft.

    »Es hat sich wohl nichts aufgeklärt, wenn ich mir so eure Gesichter ansehe«, meinte Bob.

    »Oh nein, kein Klinikneubau in Middle East?« Denises Stimmung fiel auf den Nullpunkt. Ihr Lieblingsprojekt war gestorben.

    »Hat er denn tatsächlich das ganze Geld unterschlagen?«, fragte Bob und schaute alle ragend an. Keiner brauchte ihm die Antwort zu geben.

    Roberts Frau Lea stürmte ins Büro. »Entschuldigt die Verspätung, aber ich bin leider aufgehalten worden. Wie war’s? Alles in Ordnung?«, fragte sie und blickte in die Runde. »Oh nein, ich sehe es euch an, deshalb ist Ben mit seinem Wagen gerade mit einem Affenzahn an mir vorbeigefahren. Ach, lasst den Kopf nicht hängen.«

    »Du hast gut reden, du bist ja auch nicht pleite.« Joëlle schüttelte verzweifelt den Kopf. »Er hat uns alle reingelegt, aber uns, Jake und mich, kann es die Existenz kosten. Wenn die Araber den Vertrag mit den Russen abschließen, sind wir geliefert.«

    »Hat er denn eingesehen, dass er Mist gebaut hat?«, fragte Lea.

    »Im Gegenteil, er meint Jake und ich sind schuld an seiner Misere, angeschwärzt hätten wir ihn bei John und es dann den anderen mitgeteilt, dabei müsste er sich das Ganze selbst zuschreiben und vor allem auch seiner Frau. Aber wahrscheinlich haben wir nur die Spitze vom Eisberg aufgedeckt. Was für Betrügereien er noch mit anderen Banken laufen hat ... wer weiß.«

    »Er wird noch wieder auf unseren Acker kommen, dann werden wir sehen, ob wir unser Geld nicht doch wiederbekommen«, meinte Jake, »so kann er nicht allzu lange weitermachen, er ist bei uns aufgefallen, und das wird er auch noch bei anderen.«

    »Seine Drohungen waren schon recht heftig. Ihr wisst, er hat viele und auch mächtige Freunde ... wenn er die noch nicht beschissen hat«, meinte Joëlle, »das kann einem schon Angst machen, vor allem seine Kontakte zu den Russen, wenn auch nur über seinen Cousin. Sollte dieser bemerken, dass wir ihm in die Suppe gespuckt und die Betrügereien bemerkt haben, dann wird mir ganz mulmig.«

    In der Runde blieb man kurze Zeit still. Jeder hing seinen Gedanken nach und überlegte, wie er das Projekt wieder in die Gänge bekommen könnte. Dann fingen alle an durcheinanderzureden. Jeder steuerte eine Idee bei und wollte sie erklären.

    »Ich glaube, ich werde rüberfliegen und den Arabern reinen Wein einschenken, wenn er dort nicht zu viele betrogen hat«, meinte Sam. »Vielleicht besteht doch noch die Möglichkeit, etwas zu retten.« Er sprang auf, ging zum Telefon und ließ sich mit dem Flughafen verbinden. Die anderen warteten das Gespräch ab. Er legte auf und meinte: »Morgen früh fliege ich nach Abu Dhabi, ich habe noch einen Platz in der Zehn-Uhr-Maschine bekommen, ich werde die Termine erst vor Ort mit unseren dortigen Partnern machen. Dann kann man uns nicht abwimmeln, am Telefon schon. Ich werde versuchen, das ganze Objekt zu retten.«

    John McGregor hörte sich die letzte Diskussion schweigend an. »Ich habe euch zwar dieses Objekt vermittelt, aber es ist ja nicht mein eigentliches Metier. Wenn ihr meinen Rat benötigt, bin ich für euch da, aber ich steige aus. Ich bin mal wieder von einem guten Freund hintergangen worden, das ist nicht das erste Mal, aber ich bin es leid. Wenn ihr weitermachen wollt, kann ich das verstehen, vielleicht klappt es ja doch noch.«

    Kapitel 2

    Heute

    »Übermorgen hab ich Geburtstag, übermorgen hab ich Geburtstag«, hüpfte und jubelte Jack, mein sechsjähriger Enkel vor Freude hin und her. Lea und ich packten gerade unsere Taschen.

    »Tja, meine liebe kleine Nervensäge, aber es ist nur ein halber Geburtstag, das weißt du doch. Du musst alle deine Geschenke teilen.« Er sah mich skeptisch an und überlegte, ob ich ihn wohl ärgern würde.

    »Aber Oma, was willst du denn mit Spielzeug? Oder mit einer Eisenbahn? Oder mit einem Fahrrad?«

    »Na ja, da ich ja sonst nichts bekomme und immer alle meinen Geburtstag vergessen, freue ich mich ja umso mehr über ein paar halbe Sachen. Wir können uns ja, wenn du tatsächlich ein Fahrrad bekommen solltest, mit dem Fahren abwechseln. Da bin ich mächtig großzügig«, teilte ich meinem Enkel gnädig mit.

    Jack schaute seine andere Großmutter Lea an. »Meint sie das im Ernst?«

    »Hast du denn jemals erlebt, dass sie scherzt?«, fragte Lea ihn.

    »Och, eigentlich jeden Tag«, meinte unser Enkel.

    »Dann brauche ich dir ja wohl nicht zu antworten. Aber stell sie dir mal auf so einem kleinen Rad vor«, grinste Lea Jack an und zwinkerte ihm zu.

    Jack kicherte. Dann fragte er mich: »Hast du auch die Fotos eingepackt, die ich Kathy zeigen möchte?«

    »Habe ich, mein Lieber, sie sind auf meinem Notebook gespeichert, ausdrucken können wir sie zu Hause, oder du zeigst sie Kathy auf meinem Monitor, jetzt aber los, beeilt euch.«

    Wir mussten uns beeilen, denn unser Zug von unserem kleinen Bahnhof in Dorsten zum Flughafen fuhr bald. Wir drei wollten heute noch nach Abu Dhabi fliegen, wo Jacks Eltern, Denise und Bob, auf uns warteten. Jack meinte, wir würden die beiden dort überraschen, weil sie nicht zu seinem und meinem Geburtstag, der auf den gleichen Tag fiel, nach Hause kommen konnten. Natürlich wusste meine Tochter Bescheid. Wir wollten uns anschleichen, und sie würde die Überraschte spielen. Robert und Jake kamen einige Tage später nach. Sie arbeiteten mit Sam an einem neuen Projekt und befanden sich in Spanien. Jack, mein einziger und daher mein Lieblingsenkel, sprach, bedingt durch seine ersten Lebensjahre in Abu Dhabi, fast perfekt Englisch. Er wechselte häufig von Deutsch ins Englische oder umgekehrt.

    Das Objekt in Abu Dhabi hatte doch noch geklappt, was Sams Elan zu verdanken war. Zwei Jahre kämpfte er darum, diesen Auftrag für die Klinik zu ergattern. Vor fünf Jahren konnte mit dem Bau endlich begonnen werden, und nun befanden sich die Baumaßnahmen in der Endphase. Das war auch der Grund, warum Denise und Bob nicht nach Hause kommen konnten. Sie befanden sich nun schon wieder seit vier Wochen in Abu Dhabi und hatten, wie immer seit einem halben Jahr, Jack bei mir gelassen, da er ja in die Schule musste.

    Auch ich freute mich, meine einzige Tochter bald wiederzusehen. Ich vermisste unsere langen Gespräche und Shoppingtouren durch die Malls in Abu Dhabi. Jack wurde in Deutschland eingeschult, da der Aufenthalt meiner Tochter und meines Schwiegersohnes in Abu Dhabi bald endete und sie ebenfalls nach Deutschland zurückkehren würden. Daher sollte Jack kein Schulwechsel zugemutet werden. Ich ging vor einem halben Jahr mit zurück nach Deutschland und wurde wieder jung mit einem quirligen, aufgeweckten Jungen an meiner Seite. In den Ferien flogen wir in dieses herrliche Land am Persischen Golf. Ich vermisste natürlich auch das Leben in Abu Dhabi, immerhin hatten Jake und ich auch einige Jahre dort gelebt.

    Nun hatten die Ferien angefangen, und es bot sich für uns die Möglichkeit, für zwei Wochen nach Abu Dhabi zurückzukehren. Lea und ich hatten vor einigen Tagen mit unseren Kindern telefoniert, und sie erzählten uns kurz von einigen überraschenden und gravierenden Neuigkeiten. Weiter gingen sie aber nicht auf das Thema ein, egal wie neugierig wir fragten. Auch wollten sie beide dann Jack nach Deutschland bringen, da er ja wieder in die Schule musste, und mindestens zwei Wochen zu Hause bleiben. Wir, Lea und ich, könnten dann doch noch einige Tage, zum Ausspannen und ohne unsere Männer, nach Luxor in Ägypten fliegen, meinten sie.

    Dort hatten Jake und ich uns vor vier Jahren ein altes wunderschönes Haus direkt am Nil gekauft und renoviert. Ein Traum von mir ging in Erfüllung, denn dieses Gebäude hatte ich einige Jahre zuvor bei etlichen Besuchen dort entdeckt und immer wieder als mein Traumhaus bezeichnet. Dass ich einmal dort wohnen würde, sich mein Traum erfüllen würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Denise wusste, dass ich immer gerne dort war. Als ich es das erste Mal sah, stand es leer, aber ich hatte den Eindruck, es würde nur auf mich warten und rufen: »Joëlle, kauf mich, zieh hier ein!« Ein verrückter Gedanke. Aber solche Häuser mit »Flair«, wie ich es nannte, zogen mich magisch an und dieses Haus ganz besonders. Von der Terrasse aus blickte man über den Nil zur anderen Seite des Ufers und konnte dort bei gutem Wetter den Tempel der Hatschepsut sehen. Dahinter war das Tal der Könige, das ich auch immer wieder stundenlang durchstreifen konnte.

    Durch gute Bekannte vor Ort, Mohammed, einem Kaufhausbesitzer, und Ibrahim, einem Reiseleiter, wurde mir der Weg geebnet, dass ich es hatte erwerben können. Sie standen mir hilfreich bei dieser nicht ganz einfachen Aktion zur Seite. Mein Göttergatte war zwar am Anfang nicht ganz so begeistert davon, aber als ich alles fertig renoviert hatte, und das in kürzester Zeit für ägyptische Verhältnisse, fand auch er es traumhaft.

    Merkwürdig an diesem Anruf war nur, dass Denise und Bob dieses Thema mit dem Urlaub angeschnitten hatten. Ich dachte mir zuerst eigentlich nur, dass sie mich mit irgendetwas dort überraschen wollten, und fragte darum nicht weiter.

    »Hast du auch deine Notfallklimbimtasche eingepackt?«, fragte Lea mich spöttisch, aber, wie ich wusste, meinte sie es nicht böse. Zu oft hatte sie selbst schon einige meiner Sachen aus der Tasche gebraucht. Letztes Jahr, zu meinem Geburtstag, schenkte sie mir sogar noch einen handlichen Drucker und Scanner, beide maßgeschneidert für diese »Klimbimtasche«. Über diese Tasche wurde immer viel gespottet. Von jedem. Jede Frau brauchte unterwegs ihre Kosmetiksachen, aber ich meinen Laptop nebst diversem technischem Zubehör.

    »Natürlich«, antwortete ich, »oder hast du jemals erlebt, dass ich ohne sie unterwegs war? Ich habe sogar einen neuen Akku für meinen Laptop gekauft. Er ist jetzt wieder vier Stunden am Stück einsatzbereit.«

    Lea stöhnte nur. In dieser Tasche befand sich immer allerlei Kleinkram. Ich schleppte sie ständig mit mir herum, was den Unmut gewisser Personen, genannt Ehemann und Tochter, mit sich brachte. Dabei war in der Tasche gar nicht allzu viel drin, nur das Notwendigste, was man so brauchte, wie: der Laptop, ein Spannungsumwandler, GPS, um beinahe überall auf der Welt Internetempfang zu haben, ein Stick oder auch mehrere, Fotoapparat, Taschenlampe, Scanner und Drucker, extraklein für den Laptop, Reservereisepässe, was ich jedem Orientreisenden nur empfehlen kann, etwas gegen Durchfall, ein altes Ersatzhandy (man weiß ja nie) und dann noch mein »Guccistick« und so weiter. Wie gesagt, alles nur lebensnotwendige Sachen.

    Schminksachen? In meinem Alter brauchte ich die nicht mehr. Den Stick kaufte ich mir vor einigen Jahren in Abu Dhabi, eigentlich aus Jux. Es war zu der Zeit, als das Objekt noch in der Verhandlungsphase war. Der 2-GB-Stick wurde an einer Halskette getragen und war als solcher eigentlich nicht erkennbar. Er sah eher wie ein größerer Anhänger aus. Ich hatte ihn immer dabei, dort waren meine privaten Sachen drauf gespeichert, unter anderem auch eine Art Tagebuch. Das hatte ich angefangen, um alle Erlebnisse in Bezug auf das Objekt Abu Dhabi aufzuschreiben.

    Die Story begann mit dem Eklat in John McGregors Büro, als wir Ben mit den Beweisen konfrontierten. Die Unterlagen, die seine Betrügereien bewiesen, waren von mir eingescannt und natürlich gespeichert worden, so dass sie immer griffbereit waren. Modern, wie ich war, führte ich die Notizen per Computer, anstatt sie per Hand zu schreiben. Man musste mit der Zeit gehen. Im Laufe der Jahre wurden meine Computerutensilien und Sachen immer weiter von mir vervollständigt und verbessert oder auf den neusten Stand gebracht, je nachdem, und wenn Not am Mann war, wurden diese Sachen auch immer wieder gerne von allen, auch den Meckerern, gebraucht.

    Lea verstaute gerade die Sachen von Jack. »Brauchen wir diese T-Shirts hier?«, fragte sie Jack und mich, während sie einige dieser luftigen Teile in unsere Richtung hochhielt. »Ich könnte sie noch in die Tasche bekommen, aber eigentlich hat Jack genug in Abu Dhabi, so dass wir gar nicht so viel mitnehmen müssen.«

    »Ach, das sind meine Lieblings-Shirts«, meinte Jack, »die brauche ich unbedingt.«

    »Na gut«, Lea ließ sich erweichen und stopfte sie noch in den Koffer. Sie schaute zu mir rüber, »wir gehen shoppen, mit Denise, oder?«

    »Klar, wir brauchen auch noch etwas für den Empfang, aber das schleppe ich nicht von hier mit.«

    Wir packten weiter, ich deutete auf die Uhr. »Jetzt wird es wirklich Zeit.«

    »Schon fertig«, riefen Lea und Jack wie aus einem Mund.

    Das Taxi war auch schon vorgefahren und hupte. Wir zogen nur schnell die Jacken über, schnappten unsere Koffer und Jack, natürlich auch meine Tasche, gingen raus zum Taxi und stiegen ein.

    »Sollten wir wirklich noch nach Luxor fliegen, werden wir einiges davon noch gut gebrauchen können«, sagte ich zu Lea. Da wir oft in den arabischen Ländern unterwegs waren, konnten auch die Reservereisepässe sehr nützlich werden.

    »Hast du Jacks Reisepass eingepackt?«, fragte ich Lea sicherheitshalber, während das Taxi losfuhr.

    »Klar, hab ich und auch noch etwas zu lesen und zu malen für den langen Flug«, antwortete sie, »und für uns noch Modezeitschriften und etwas Klatsch und vor allem habe ich selbstverständlich auch Jumping Jack in Jacks Rucksack gepackt«, meinte sie und schielte zu Jack, »denn überleg mal, wir befinden uns gerade über Russland und ihm fällt ein, sein Jumping Jack ist zu Hause geblieben. Wie sollen wir den Piloten denn zur Kehrtwende überreden, in unserem Alter und mit den Falten im Gesicht?«

    Ich grinste. Zwar waren wir noch äußerst fit, gingen aber beide schon fast auf die sechzig zu. Mit dem Taxi ließen wir und zum Bahnhof in Dorsten bringen, stiegen in den Zug nach Essen, um von dort den Schnellzug zum Flughafen Frankfurt zu ergattern, und nach nervenaufreibenden Kontrollen dort, saßen wir endlich im Flieger. Bisher ging alles glatt über die Bühne, viel Gepäck hatten wir ja nicht, da wir alles Notwendige in dem großen Haus unserer Kinder gelagert hatten. Wenn wir geahnt hätten, was in den nächsten Stunden und Tagen auf uns zukam, was wir noch erleben würden und wo wir in kurzer Zeit überall noch landen würden ... ich glaube, ich zumindest wäre ausgestiegen, nach Hause gefahren und hätte mich in meinem Bett versteckt. Und Lea ... garantiert auch.

    Kapitel 3

    Pünktlich nach acht Stunden, wir hatten Aufenthalt in Bahrain, landeten wir in Abu Dhabi. Die Sonne schien, es war herrlichstes Wetter. Nach dem Regen in Deutschland befanden wir uns jetzt im Paradies. Überall blühende Blumen und strahlend blauer Himmel. Beim Landeanflug erkannten wir deutlich unser Wohngebiet, in dem wir lebten. Im Laufe der Jahre wurde das Gebiet immer grüner. Hier legte man, trotzt Wüste, großen Wert auf viel Grün und Blumen. Erst einmal zog ich meinen Blazer aus, reckte mich und holte tief Luft. Jack hatten wir schon im Flugzeug ein dünneres T-Shirt übergestreift. Natürlich wurden wir nicht vom Flughafen abgeholt, denn offiziell wussten ja unsere Kinder nichts von unserer Ankunft. Jack sprang schon nervös dem Ausgang zu, würde er doch in Kürze seine Eltern wiedersehen. Er nervte uns, weil er wohl schon zum zehnten Mal geschildert hatte, wie er sich anschleichen und seine Mutter überraschen würde, wie gesagt, in allen erdenklichen Einzelheiten. Zwischendurch verfiel er ins Englische, so aufgeregt war er.

    Wieder begannen für uns die gewohnten Einreiseformalitäten. Gott sei Dank schleppten wir nicht viel mit. Allerdings wurde meine Klimbimtasche aufs Gründlichste und voller Verwunderung durchsucht. Aber das kannte ich ja schon. Vor dem Flughafen winkten wir nach einem Taxi. Ich atmete tief durch, ach was war das schön hier. Die warme Luft, die vielen blühenden Blumen hier am Airport, man hatte den Eindruck, statt in der Wüste, in den Tropen zu sein. Wir marschierten zu dem Taxistand am Flughafenausgang und luden unsere wenigen Sachen schnell ein. Mit einem Jeep als Taxi fuhren wir die kurze Strecke nach New Abu Dhabi, wo sich das Haus unserer Kinder befand. Jack wurde immer unruhiger und zappeliger. »Gleich sind wir bei Mama und Papa. Als Erstes springe ich in den Pool, aber erst erschrecke ich Mama, und dann muss ich auf die Toilette, kann ich ein Glas Cola haben oder doch lieber Wasser, und Hunger hab ich auch, was Kathy wohl macht«, erzählte uns Jack. Kathy, seine Kindergartenfreundin, wohnte nebenan.

    »Du machst Jumping Jack alle Ehre«, meinte Lea, »genauso hibbelig, nun bleib die letzten zehn Minuten auch noch ruhig, wir sind doch gleich da, dann kannst du alles haben und machen, was du uns gerade erzählt hast.«

    Jumping Jack war eine Art Clown, den ich mal irgendwann aus Stoffresten für meine Tochter, natürlich als sie noch jünger war, genäht hatte. Im Laufe der Zeit besaßen wir dann mehrere davon, denn der Verschleiß war groß. Jack wollte irgendwann seinen eigenen Jumping Jack haben, also nähte ich ihm ebenfalls einen. Dieser kleine Stoffkerl wurde sein ständiger Begleiter, und wenn er traurig war, weil seine Eltern unterwegs oder nicht da waren, dann hatte er, wie seine Mutter in früheren Zeiten, so einen Stoffclown zum Knubbeln in der Hand. Jumping Jack war schon in vielen Ländern der Welt gewesen. Eine Anstecknadel in Form eines Jumping Jacks bekam ich vor langer Zeit einmal von meiner Tochter zum Geburtstag geschenkt. Diese Anstecknadel hatte ich auch immer dabei, dieses Mal am Kragen meiner Jacke befestigt.

    Zehn Minuten später erreichten wir New Abu Dhabi und fuhren in unser Stadtviertel ein. Das Gebäude, im orientalischen Stil gebaut, lag an einer begrünten Straße. Eine hohe Mauer umschloss das große, ebenfalls mit vielen Blumen und Palmen bepflanzte Grundstück. In dieser Gegend wohnten viele Ausländer, die hier arbeiteten, vor allem aber Engländer, Deutsche und Niederländer. Die Straßen waren neu und um einiges besser als in Deutschland. Große Palmen spendeten an der Straße und auch auf den Grundstücken Schatten, und alles wirkte sehr gepflegt. Man befand sich hier zwar in der Wüste, aber bedingt durch die Berieselungsanlagen grünte und blühte alles. Ich nannte das immer die Tröpfcheninfusion, was die Pflanzen mittels dünnen, schwarzen Schläuchen, durch die das Wasser langsam aber stetig floss hier bekamen. Dadurch entstand eine hohe Luftfeuchtigkeit und somit ein nahezu subtropisches Klima.

    Wir ließen das Taxi anhalten, nahmen unsere Sachen und liefen durch die Hitze, es waren Gott sei Dank nur dreißig Grad, zum Haus hinüber. Lea hatte mit Denise wegen Jacks Anschleicheffekts abgesprochen, die hintere Terrassentür geöffnet zu lassen. In der Einfahrt stand Denises Jeep.

    »Da ist Mamas Auto, sie ist da«, rief Jack aufgeregt und eigentlich ziemlich laut. Er stampfte um das Auto herum und zielstrebig auf den hinteren Eingang zu.

    »Psst, leise, mach nicht so einen Krach«, flüsterte Lea, »sonst ist Mama schon vorgewarnt.«

    Jack lief gebückt über die Terrasse, am Pool vorbei, zur hinteren Terrassentür. »Sie ist nicht abgeschlossen«, rief er uns leise zu.

    Lea und ich schauten uns verschwörerisch an, denn das wussten wir ja. Verwundert stellte ich nur kurz fest, dass unser Gärtner Deng nirgends zu sehen war. Aber weiter verschwendete ich daran keinen Gedanken. Vielleicht säuberte er ja auch im hinteren Teil des großen Grundstückes gerade die Terrasse. Wir beide, Lea und ich, hofften auf ein schnelles Ende dieser »Anschleich- und Erschreck-Aktion«. Gleich gibt es eine Tasse Kaffee, dachte ich und dann wollten wir eigentlich auch mal kurz in den Pool springen. Vorausgesetzt wir fanden Platz darin, denn Jack hatte die Angewohnheit, mit vielen Gummitieren und Luftmatratzen im Pool zu spielen. Wenn seine Freundin Kathy mit von der Partie war, hatten andere keine Chance, ins Wasser zu gelangen. Also gingen wir mit unserem Gepäck ebenfalls über die Terrasse zum hinteren Eingang.

    Kapitel 4

    Vorsichtig schob Jack die Tür auf. Auch ich sehnte mich nach innen, denn die Hitze nahm allmählich zu, es wurde immer heißer und drinnen lief sicherlich die Klimaanlage. Leise schlichen wir uns ins Haus, ins Wohnzimmer. Wie ich vermutete: Drinnen verbreitete die Klimaanlage eine angenehm kühle Luft. »Wo ist Mama denn?« Jack schaute sich um, lief leise durch den Wohnbereich, dann zum Essbereich. »Ob sie in der Küche ist? Sie muss ja noch meine Geburtstagstorte backen«, überlegte er, schaute mich dann an und flüsterte verlegen: »Äh, ich meine unsere Geburtstagstorte.«

    »Na ja, vielleicht gibt es für jeden von uns eine«, meinte ich vergnügt. Aber die Küche war leer. Alles sah leer, unbewohnt verlassen und eigentlich zu ruhig aus. Das große Haus besaß viele Zimmer, aber eigentlich hätte uns Denise hören müssen. Wo befanden sie sich denn nur alle, die Haushälterin, der Gärtner, der Teeboy? Hatten sie alle frei heute? Lea und ich schauten uns verwundert an. Stimmte hier irgendetwas nicht? In welcher Ecke versteckte sich Denise? »Ich glaube, das Beste ist, ich suche Mama erst mal, sage ihr aber nicht, dass du da bist, und dann kannst du sie immer noch erschrecken. Willst du nicht mal kurz in den Pool springen?«, meinte ich leicht beunruhigt. Lea begriff sofort, was ich wollte.

    »Ja«, meinte sie, »komm auf die Terrasse, zieh dich aus und spring in den Pool.«

    Unsere Jahre in Abu Dhabi hatten mich vorsichtig gemacht. Es war nun mal ein fremdes, orientalisches und auch islamisches Land. Eine völlig andere Kultur. Zwar lebten Jake und ich hier auch einige Jahre berufsbedingt, aber hier herrschte eine andere Mentalität. Es blieb nun mal der Orient. Äußerst westlich eingestellt, aber konnte man immer hinter die Fassade schauen? Eine innere Stimme sagte »Vorsicht, Achtung« zu mir. Lea und ihr Mann Robert kamen nur immer sporadisch zu Besuch. Dieses »Vorsicht-Gefühl« kannten sie sicherlich nicht. Wohler und sicherer fühlte ich mich eigentlich in Ägypten. Dort war es gemütlicher, ruhiger, und man sagte ja auch: »Wer einmal die Hand in den Nil gehalten hat, kommt immer wieder zurück, der fühlt sich dort zu Hause.« Ich hatte meine Hände schon oft in den Nil gehalten.

    Auf Jacks Gesicht sah man die Enttäuschung, trotzdem machte er dann doch genau das, was wir ihm sagten, allerdings nicht ohne vorher in den Abstellraum der Garage zu verschwinden, um seine Badeutensilien und Schwimmtiere herauszuholen. Schnell verwandelte sich so der einfache Pool in eine Badelandschaft.

    »Ob ich wohl mal schnell zu Kathy rüberlaufen soll, vielleicht will sie mit ins Wasser?«, überlegte Jack.

    Lea hielt ihn davon ab. »Sie wird noch in der Schule sein, denk dran, es ist früh am Morgen, wir hatten doch einen Nachtflug.«

    »Ach ja, stimmt, dann gehe ich später mal rüber«, entgegnete er.

    Unsere Häuser standen nebeneinander, sie wurden meist zu viert in einem Quadrat errichtet und von Straßen umgeben. Die an die zweitausend Quadratmeter großen Grundstücke grenzten aneinander, eine hohe Mauer trennte sie. Man konnte aber hier durch ein Tor auf das Nachbargrundstück gelangen. Für Abu Dhabi waren es Häuser auf Sozialniveau, für uns Ausländer Paläste. Dieses Tor nutzten Jack und Kathy, die in Jacks Alter war, häufig und natürlich auch wir Erwachsenen. So vermied man den Weg über die Straße.

    In der Zwischenzeit überprüfte ich das große Erdgeschoss, hatte alle Türen aufgemacht, sogar das Gäste-WC durchsucht, aber keinen gefunden. Das Haus schien leer, denn so leise waren wir nicht gewesen, dass man uns nicht hören konnte. Die fertig geputzten Zimmer, die frisch bezogenen Betten vermittelten mir den Eindruck, man erwartete uns. In Jacks Zimmer, ebenfalls für seine Ankunft vorbereitet, lag eine kleine Galabija auf seinem Bett. Merkwürdig, sie passte ihm doch nicht mehr. Wir brachten sie ihm letztes Jahr aus Ägypten mit. Ich muss ihm eine neue in Luxor kaufen, dachte ich kurz, denn er liebte sie innig. Welch unwichtige Gedanken einem doch so durch den Kopf gehen konnten ... Laila, die ägyptische Haushälterin von Bob und Denise, sah ich auch nirgends. Vielleicht besuchte sie jemanden aus ihrer weitläufigen Verwandtschaft, machte Besorgungen oder Ähnliches. Gerade wollte ich von der großen Diele aus die geschwungene Treppe nach oben nehmen, als mir etwas auffiel.

    Ich stutzte kurz, was war denn das? Da lag Denises Jumping Jack mit merkwürdig verdrehten Armen in der Diele. Wie drapiert. Es schien, als ob er »pst« sagen wollte. Seltsam, der lag sonst nie hier auf dem Boden, er saß im Bücherregal im Wohnbereich. Wie kam er denn dort hin, vor allem, wer platzierte ihn denn so merkwürdig? Ich nahm die Stoffpuppe hoch und bemerkte, dass die Arme in dieser Haltung mit Nadeln festgesteckt waren. Es wurde immer seltsamer. Ich sprang die Treppe hoch, nahm zwei Stufen auf einmal, wie ich das immer tat, und durchsuchte dort alle Räume. Vergeblich. Alles leer und ausgeflogen. Was sollte das alles? Denise und Bob wussten doch, dass wir kamen. Wollten sie uns nun ärgern? Ich schüttelte den Kopf. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Mein siebter Sinn signalisierte mir wieder: »Achtung, Vorsicht.« Das einzig Richtige war die offene Terrassentür. Alles andere empfand ich als unwirklich. Ich selbst hatte ja auch einige Jahre in diesem Haus gelebt, daher empfand ich alles bewusster als Lea. Langsam ging ich wieder die Treppe hinunter und überlegte. Ich hörte, wie unten Lea gerade wieder das Haus betrat. Jack, nunmehr mit einer Badehose bekleidet, schwamm bereits im Wasser. Man hörte sein Plätschern.

    Wir wussten, dass man hier im Orient etwas empfindlicher mit der Bekleidung ist. Trotz der hohen Mauer um das Grundstück und trotz des sogenannten Ausländerviertels, in dem wir uns befanden, achteten wir immer und stetig auf korrekte Bekleidung, was bedeutete, wir gingen nie ohne Badezeug ins Wasser und trugen immer knie- und schulterbedeckte Kleidung. Schnell ging ich ganz hinunter, legte den Zeigefinger auf den Mund und deutete ein »Pst« an. Aber auch Lea, nicht dumm, hatte inzwischen etwas gemerkt. Wir schauten uns an, ich deutete auf Jumping Jack, der dort an der Treppe lag, und flüsterte ihr zu: »Hier stimmt etwas nicht, ich werde mich mal genauer umschauen, ob ich irgendeinen Hinweis finde.«

    Lea nickte nur und flüsterte zurück: »Ich versuche Bob über sein Handy zu erreichen.«

    Sie wählte die Handynummer ihres Sohnes, aber es meldete sich nur die Mailbox. Sie schaute mich an und schüttelte den Kopf. Als sie Denises Nummer wählte, klingelte es im Wohnbereich. Wir starrten uns an und sprinteten fast gleichzeitig los. Im Wohnzimmer angekommen, schauten wir uns um, sahen aber niemanden. Dann bemerkten wir fast zeitgleich das Handy von Denise. Es lag auf dem Sekretär. Denise ging niemals ohne ihr Handy weg. Was bedeutete das alles? Ich ging näher zum Sekretär. Dort lag unter

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