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Rügener Aalblut: 21 Kurzkrimis und 21 Rezepte von der Insel Rügen
Rügener Aalblut: 21 Kurzkrimis und 21 Rezepte von der Insel Rügen
Rügener Aalblut: 21 Kurzkrimis und 21 Rezepte von der Insel Rügen
Ebook247 pages3 hours

Rügener Aalblut: 21 Kurzkrimis und 21 Rezepte von der Insel Rügen

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About this ebook

21 Krimiautorinnen und Autoren servieren Ihnen kulinarische Köstlichkeiten Rügens in heiteren, skurrilen, schwarzhumorigen und mörderisch spannenden Krimis. Dabei haben sie tief in die Töpfe und Pfannen geguckt und jeden Mord mit einem typischen Rezept der Insel gespickt.
Nicht nur die Sanddornsuppe kommt auf den Tisch, nein, die ewige Ruhe findet sich auch bei Räucheraal, Plückhecht und anderen Leckereien. Folgen Sie der Einladung der Herausgeberin Regine Kölpin und begeben Sie sich auf eine kriminelle Inselrundreise der ganz besonderen Art.
Wir wünschen Ihnen ein mörderisch spannendes Lesevergnügen und guten Appetit!

LanguageDeutsch
Release dateNov 3, 2017
ISBN9783954286829
Rügener Aalblut: 21 Kurzkrimis und 21 Rezepte von der Insel Rügen

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    Book preview

    Rügener Aalblut - Wellhöfer Verlag

    Biografien

    Vorwort

    »Rügener Aalblut« ist nach »Grünkohl, Mord und Pinkel« und »Mecklenburger Schweinerippe(r)« die dritte mörderisch-kulinarische Anthologie, die ich im Wellhöfer Verlag herausgebe.

    Wieder haben mich sehr liebe Kollegen auf dieser Tour begleitet, mir wunderbare Texte geschrieben und sich kreativ nicht nur in verschiedenen Mordmethoden ausgetobt, sondern auch feine Rezepte zum Nachkochen beigesteuert. Das können Sie übrigens gefahrlos tun. Entweder haben Restaurants die Rezepte zur Verfügung gestellt oder aber es handelt sich um alte Familienweitergaben.

    Wobei Letzteres ja nichts heißen soll, höre ich Sie jetzt rufen, nur vertraue ich da meinen Kollegen voll und ganz. Begleiten Sie uns nun auf unserer mörderischen Reise quer über Rügen, beginnend am Tor in Stralsund. Viel Spaß und erfolgreiches Schlemmen wünschen

    Regine Kölpin (Herausgeberin)

    und die Mitautoren

    Kerstin Brichzin

    Monika Buttler

    Heike Gellert

    Hannelore Höfkes

    Matthias Houben

    Horst-Dieter Loga

    Sabine Prilop

    Heidi Ramlow

    Claudia Schmid

    Manfred C. Schmidt

    Ingrid Schmitz

    Wolfgang Schüler

    Andreas J. Schulte

    Fabian Skibbe

    Petra Steps

    Christine Sylvester

    Fenna Williams

    Baltruschs Griff nach den Sternen

    Stralsund

    Petra Steps

    Diesmal wollte er es allen zeigen: Boris Baltrusch, Beinahe-Sternekoch in einem der besten Stralsunder Häuser, Spezialist für einheimische Küche mit fremdländischen Einflüssen, vor allem aus der maritimen Welt. Er würde Fischsuppen-König werden und die rote Schärpe mit den silbernen Fischen und Sternen tragen dürfen. Seit zehn Jahren hatte er diesen Tag herbeigesehnt. Die Teilnahme am Suppenwettstreit in den anderen Hafenstädten war nichts als eine Vorbereitung auf das Ereignis in seiner Heimatstadt gewesen. Lange genug hatte er darauf gewartet, dass sein geliebtes Stralsund Gastgeber für den alljährlichen Wettbewerb um die schmackhafteste Fischsuppe der Welt würde. Jetzt war es endlich so weit. Sämtliche Maßnahmen liefen auf Hochtouren.

    Boris gehörte zur Arbeitsgruppe, in die Stadtverwaltung, Bürgerschaft und Tourismuszentrale auch Küchenexperten wie ihn berufen hatten. Er hatte viel Zeit in die Vorbereitung des Events investiert. »Hafenfestival, Wallensteintage, Rügenbrückenmarathon sind nichts gegen den Concours de Soupe am Strelasund.« Das hatte er dem Reporter der Ostseezeitung in den Block diktiert.

    Boris galt dennoch als der Störenfried im Vorbereitungskomitee. Er hatte immer wieder unbequeme Fragen gestellt, Dinge wissen wollen, auf die andere nie gekommen wären. Dabei kehrte er den Fachmann heraus, denn nur er konnte mit Erfahrungen bei diesem Wettbewerb glänzen. Sein Stralsund sollte sich nicht blamieren, es musste absolut perfekt werden. Er hatte an alles gedacht: den Ausrichtungsort, die Technik, die Zutaten, die Öffentlichkeitsarbeit, die Jury, die Moderation – und an Madeleine, die er endlich wieder in die Arme würde schließen dürfen. »Madeleine.« Er zog den Namen in die Länge. Seine Stimme klang dabei eher wie das Stöhnen beim Liebesakt als wie die Nennung eines ganz normalen französischen Rufnamens. Augenblicklich war Boris mental bei den bretonischen Fischern in Concarneau, wo er Madeleine zum ersten Mal getroffen hatte. Sex war das, was ihm spontan zu Madeleine einfiel, zu dieser außergewöhnlichen Frau, die in sein Leben gepurzelt war, als die Midlife-Crisis gerade alles durcheinanderzuwirbeln drohte.

    Er erinnerte sich, dass sie ihn anfangs für einen Russen gehalten hatte. »Russe!« Er spuckte das Wort förmlich aus. »Wenn schon, dann Ostpreuße. Aber das durfte man ja lange Zeit nicht einmal erwähnen, hier in der ehemaligen DDR.« Boris dachte an seine Großmutter, wie sie mit Tochter und Enkeln aus Königsberg vertrieben worden war. Seine Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit, die er nur von Erzählungen seiner Vorfahren kannte. Sein Vater war damals gerade zehn Jahre alt gewesen. Ein paar Jahre mehr, und er hätte auch in diesen fürchterlichen Krieg ziehen müssen wie sein Großvater. Boris erschauderte.

    Er hatte den Mann seiner Großmutter nicht mehr kennengelernt, der 1944 gefallen war. Über 700 Kilometer hatten die Baltruschs gemeinsam mit vielen anderen Flüchtlingen unter die Füße nehmen müssen, ehe sie in ihrer neuen Heimat Stralsund ankamen. Frauen und Kinder. Nur wenig war ihnen von ihrem guten Leben vor dem Krieg geblieben, eigentlich gar nichts. Seine Großmutter hatte sich zeit ihres Lebens als Vertriebene gefühlt. Einziger Trost war ihr die geliebte Ostsee gewesen, denn Wasser kannte keine Grenzen. Damals nicht und auch nicht heute.

    Boris wischte die Erinnerungen an seine Vergangenheit und die seiner Familie beiseite. Er brauchte seine ganze Kraft für das bevorstehende Ereignis. Und für Madeleine. Sie hatte sich beim Vorausscheid in ihrem Heimatland mit dem Bretonischen Fischsuppentopf gegen die berühmte Bouillabaisse aus Marseille durchgesetzt. »Den Unterschied findet eh nur der jeweilige Koch selbst heraus, für mich schmeckt das gleich«, murmelte Boris vor sich hin.

    Am Computer ging er noch einmal die Teilnehmerliste durch.

    Boris Baltrusch, Ostsee (Gastgeber): Stralsunder Fischtopf

    Madeleine Mercier, Frankreich: Cotriade bretonne

    Guifré Cerves, Spanien / Katalonien: Katalanische Sarsuela

    Romeo Rossi, Italien / Toskana: Cacciucco Livornese

    Nikolaos Basdekis, Griechenland / Nordwest: Kakavia

    Piroshka Pabli, Ungarn: Halászlé

    Igor Petrow, Russland: Ucha

    Nazar Rudenko, Ukraine: Fischsoljanka

    Martti Virtanen, Finnland: Kesäkeitto

    Pedro da Silva, Brasilien: Südamerikanischer Fischtopf

    Thongsuk Tukkata, Thailand: Tom yam pla

    Zachary Zammit, Malta: Aljotta

    Fiedje Dercksen, Nordsee: Hamburger Aalsuppe (mit Aal)

    Fiedje Dercksen! Baltrusch spuckte den Namen vor sich hin. Dann glich er die Sonderwünsche der Köche mit dem Stand der Vorbereitungen ab.

    Die Zutaten für einige Suppen waren eine Herausforderung gewesen. Nur ein paar Köche wollten auf Nummer sicher gehen und ließen sich am Wettbewerbstag direkt von ihren bekannten Geschäftsfreunden beliefern. Dinge wie Kaffernlimettenblätter, Kokosmilch oder Tamarinde hatte er im Asialaden aufgetrieben. Auch Madeleines Grobes Meersalz, das Gros Sel aus der Atlantikgemeinde Guérande, stand bereit. Die gewünschten Fischsorten sowie Krusten- und Schalentiere hatte er bei einem einheimischen Fischhändler bestellt. Schellfisch, Goldbrasse, Makrele, Seelachs, Knurrhahn, Seeteufel, Steinbeißer, Rotbarsch, Heilbutt, Kabeljau, Miesmuscheln, Jakobsmuscheln, Crevetten, Garnelen, Tigerkrabben, Taschenkrebs …

    Am schwierigsten waren die Süßwasserfische zu beschaffen gewesen, Karpfen, Hechte, Barsche, Plötzen, Brassen, Karauschen. Man befand sich ja schließlich an der Ostsee.

    »Der Dercksen bringt seinen Räucheraal selbst mit. Und auch den Schinkenknochen. Wir sind doch kein Fleischer-Wettbewerb«, schimpfte Boris vor sich hin.

    Auch nach vielen Jahren hatte er dem gebürtigen Ostfriesen nicht verziehen, wie er sich über seinen Stralsunder Fischtopf lustig gemacht hatte. »Das hast du wohl noch bei eurem Fernsehkoch Kurt Drummer gelernt! Jedermann auf jedem Tisch mehrmals in der Woche Fisch! Hattet Ihr überhaupt Fisch?«, hatte der ihn angemacht. Es hatte nichts geholfen, dass er ihn aufzuklären versuchte. Der Fernsehkoch für Meeresprodukte war Rudolf Kroboth gewesen. Sein Tipp des Fischkochs hatte sich erledigt, als 1972 die internationalen Fischereirechte neu vergeben wurden. Und Drummer schaffte es zu deutlich mehr internationalen Auszeichnungen, als dieser Dercksen überhaupt kannte!

    Doch der ließ nicht locker. Jedes Mal hatte er etwas Neues auf Lager: »Nimmst du schon gute Butter oder immer noch Sonja-Margarine? Sagt man doch bei euch so, stimmt’s?« Oder: »Denk daran, Kartoffeln sind die Sättigungseinlage, nicht der Fisch, also gib reichlich dazu«, wobei er das Wort Sättigungseinlage so verächtlich artikulierte, als ob er über Auswurf oder andere Ausscheidungen spräche. »Immergut ist immer gut«, hatte Dercksen beim Internationalen Fischsuppenfestival in Fano gestichelt und damit die Lieblings-Kaffeesahne der Mecklenburger und ihrer Urlauber angegriffen.

    »Klar, deshalb ist meine Suppe auch besser als deine billige Räu-cher-schin-ken-kno-chen-brü-he.« Boris hatte das lange Wort noch mehr in die Länge gezogen, als es ohnehin schon war, und zum nächsten Schlag ausgeholt. »Aalsuppe mit allem außer Aal – so eine Verarsche. Von wegen, was draufsteht, ist auch drin!«

    Boris seufzte, wenn er an die Begegnungen mit Dercksen dachte. Sie hatten sich nie etwas geschenkt. Das würde auch diesmal so werden. Da nützte sein Perfektionismus bei der Vorbereitung gar nichts.

    Resigniert erhob er sich, schloss die Haustür und begab sich mit dem Auto zu dem alten Speicherhaus, das wie viele der aus Backstein errichteten Gebäude am Hafen rot in der Sonne leuchtete. Er liebte diese Bauwerke, denn zusammen mit dem Blick auf die Marina und das offene Meer verliehen sie dem Hafenviertel das maritime Flair, ob Weltkulturerbetitel oder nicht.

    Boris betrat das Haus und lief schnurstracks zu den Event-räumen. Die Wettbewerbsküche mit 13 Kochplätzen war aufgebaut, ebenso die Tribüne mit terrassenförmig angelegten Zuschauerplätzen. Ins Gebäude durften nur die VIPs, allen voran die Sponsoren. Die anderen Besucher konnten das Kochschauspiel auf einer großen LED-Wand im Außengelände verfolgen und dabei die Imbissstände bevölkern.

    Boris überprüfte die Ausstattung und fand alles, was er geordert hatte. Ihre Spezialmesser würden die Köche selbst mitbringen, die hüteten sie wie ein Geiger seine Stradivari. Er auch. Wenn er nicht kochen musste, blieb das Set zu Hause im Arbeitszimmer seines Hauses, wohin er jetzt zurückfuhr. Bis zum Eintreffen der ersten Köche war noch etwas Zeit. Und er wollte doch fit sein für Madeleine. Sie war die Einzige, die er persönlich vom Bahnhof abholte. Alle anderen hatte er auf das Vorbereitungsteam verteilt. Die Herrschaften sollten sich schon mal an ihre Aufgaben im Wettbewerb gewöhnen, denn ab morgen war er nur noch Teilnehmer und würde sich auf seinen Stralsunder Fischtopf konzentrieren.

    Und auf Madeleine, aber das ging nur ihn und seine französische Schönheit etwas an. Das Bild von Madeleine vor Augen schloss er die Lider und geriet schnell in einen Dämmerzustand. Mit einem seligen Lächeln im Gesicht schlief er ein. Als der Wecker rasselte, erschrak Boris. Er wusste nicht, welche Stunde die Uhr gerade schlug, ja nicht einmal, an welchem Tag er erwacht war. »Der Wettbewerb«, schrie er auf.

    Swantje, die gerade nach Hause gekommen war, öffnete die Schlafzimmertür. »Was ist denn mit dir los?«, fragte sie ihren Gatten.

    »Wie spät ist es? Was haben wir für einen Tag? Hab ich etwa den Wettbewerb verschlafen?«

    »Wir haben Mittwoch, 17 Uhr. Der Wettbewerb ist am Freitag, Schätzchen. Es ist alles im grünen Bereich«, antwortete seine Angetraute.

    Boris fing sich recht schnell. Noch zwei Stunden bis zur Ankunft von Madeleine, dachte er und sagte: »Gott sei Dank!« Er sprang auf und ging ins Bad. Während das heiße Wasser über seine Haut rann, überlegte er sich die Anzugsordnung für den Abend. »Soll ich das fliederfarbene Hemd nehmen oder lieber das gletscherblaue?«, fragte er seine Frau.

    »Probier’s mit lila, das ist der letzte Versuch. Und diesmal willst du es doch unbedingt schaffen!« Swantjes Stimme hatte einen leicht spöttischen Unterton.

    »Echt jetzt?«, hakte Boris nach.

    »Total echt! Und nimm die neue Krawatte, die passt zu dem Hemd, du weißt schon, das Geburtstagsgeschenk deiner Tochter. Da denkst du vielleicht ausnahmsweise mal an sie.«

    In Gedanken war Boris jedoch längst bei Madeleine und sicher, dass sie ihm das fliederfarbene Hemd genauso wie das gletscherblaue vom Leib reißen würde, wenn sie erst die Hotelzimmertür hinter sich geschlossen hätten. Wozu sich also zu viel Mühe mit der Kleidung geben! Und was sollte seine Tochter bei dem Rendezvous mit Madeleine!

    »Es wird spät, Schatz, du brauchst nicht auf mich warten«, rief Boris Swantje zu, während er samt seiner Wolke Fahrenheit von Dior verschwand. Das Parfüm hatte ihm Madeleine geschenkt. Warme Zeder mit Kopfnoten von Mandarine und einem innovativen Veilchen-Akkord, dazu Patschuli und Leder – wenn das kein Ladykracher war! »Madame-Kracher«, verbesserte er sich in Gedanken an Madeleines Herkunft und ließ die Tür ins Schloss fallen.

    »Und ob ich warten werde«, fauchte ihm Swantje hinterher, doch das hörte er nicht mehr.

    Boris hatte sich von einem der freiwilligen Helfer mit dem Sponsorenfahrzeug zum Stralsunder Bahnhof bringen lassen. Die Köche aus Russland und der Ukraine kamen einen Zug früher als Madeleine. »Bring die beiden bitte zum Hotel«, wies er den Fahrer an. Für Madeleine würde er ein Taxi nehmen, obwohl der geile Eventschlitten etwas zum Protzen war. Er wusste, dass sie diese Zweisamkeit auf der Rückbank mochte, während sich der Taxifahrer von Ampel zu Ampel kämpfte. Für eine Begrüßungsnummer würde die Zeit vom Bahnhof bis zum Hotel nicht ausreichen. Stralsund war nicht Paris oder Rom.

    Eine Stimme, die nach Computer klang, kündigte die Ankunft des Zuges aus Richtung Rostock an. Boris spürte den Herzschlag am Kinn, wie immer, wenn er sich mit Madeleine irgendwo in der Welt traf wie George und Gauvain aus »Salz auf unserer Haut«. Der Zug fuhr ein und stoppte. Madeleine stieg nicht aus, sie flatterte ihm vor die Füße wie ein Schmetterling, nur dass ihr enger Rock und die hochhackigen Pumps keine großen Bewegungen zuließen. Boris fing sie mit ausgebreiteten Armen auf, bevor sie vor ihm niederfiel. Dann hauchte er ihr einen Kuss über den Handrücken, nahm ihren Koffer und führte sie am Arm zum Taxistand. Ihm kam Roger Whittakers »Ein bisschen Aroma« in den Sinn. »Ein bisschen Chichi brauch ich heute, Cherie«, flötete er ihr ins Ohr.

    Madeleine kicherte. »Du Slimmer, is bin sehn Stunden gefahren und viermal – wie heißt das – um-ge-stie-gen«, flötete sie zurück. »Aber wir werden Liebe machen, bis du den Immel siehst.«

    »Wir sind in meiner Heimatstadt Stralsund, vergiss das nicht«, mahnte Boris. Dabei hatte er genau diesen Fakt längst selbst vergessen. Das Blut des Mannes reichte nun einmal nicht für alles und seines folgte gerade den Gesetzen der Schwerkraft. »Wollen wir erst etwas essen?«, hauchte Boris seiner Angebeteten zu.

    »Essen? Du liebst mis nist«, schmollte sie zurück. »Is will dis vernassen mit Haute und Haare.«

    »Vernaschen heißt das, Liebling. Nass werden wir von ganz allein«, versuchte Boris sie zu verbessern. Sie schaute ihn etwas ungläubig an. »Alles ist gut, wenn es gut für dich ist«, setzte er nach. »Und für mich«, fügte er in Gedanken hinzu.

    Als Boris das Hotel lange nach Mitternacht verließ, hörte er Schritte und Stimmen hinter sich. »Das ist doch Swantje«, schoss es ihm durch den Kopf. Er drehte sich um und blickte ihr in die Augen, während ihm ein seltsamer Geruch in die Nase stieg. Auf dem Weg in den Ätherrausch sah er zum letzten Mal den Himmel und die Sterne über sich. Den Rest des Geschehens überlagerten die Dunstschwaden, die vom Strelasund her auf die Stadt zuwaberten. Und die Ohnmacht, die ihn befiel.

    Frau Kalmuts Dogge bellte wie wild, als sie wie jeden Tag beim Morgenspaziergang die Hafenstraße passierten. Frauchen hatte Mühe, ihrem Hund zu folgen, der heftig an der Leine zerrte. Abrupt blieb Gustav stehen, dann setzte er sich vor das Lotsenhaus auf der Hafeninsel. Die Leiche von Boris lag unter der Stahltreppe, gleich neben den Müllbehältern, mit den Füßen in Richtung seiner geliebten Ostsee, das spitze Filetiermesser mit der langen Klinge in der Brust, einen stinkenden Aalkopf zwischen Heft und Herz.

    Zur gleichen Zeit stand Swantje Baltrusch in der Maisonettewohnung im Stralsunder Vorort Andershof unter der Dusche. Sie bereitete sich für den Auftritt ihres Lebens vor, denn sie wusste, dass sie in Kürze die trauernde Witwe geben musste. Und noch dazu überrascht sein von der Todesnachricht. Sie konnte die Beamten nicht fragen, was sie mit einem fremdgehenden Suppenkönig sollte, wo doch ihr neuer Prinz schon auf sie wartete! Den Herrschaften würde sie von der Härte des Wettstreits, von der Konkurrenz und dem Titelneid erzählen. Boris’ Tod konnte nur mit dem Concours de Soupe zu tun haben, womit sonst? Er war halt zu seinem persönlichen Konkurs oder besser Bankrott geworden.

    Es dauerte nicht lange, bis die Klingel surrte. Zwei Beamte der Kripo Stralsund überbrachten ihr die Nachricht vom ziemlich unnatürlichen Tod ihres Herrn Gemahls. Es dauerte nicht lange bis zur Frage nach ihrem Alibi, auch wenn der Kommissar sie ein wenig verschleierte.

    »Ich habe die ganze Nacht geschlafen. Mein Arzt hat mir erst gestern Schlaftabletten verschrieben, weil die Tage um den Wettbewerb immer so aufregend für Boris sind, auch für mich. Mein Boris, Gott hab ihn selig, hat sich immer so hineingesteigert.« Swantje schniefte.

    Der Kommissar reichte ihr ein Papiertaschentuch.

    »Was willst du mit der Schleife?, habe ich jedes Mal gefragt, wenn er als Vize oder noch schlechter platziert zurückkam. Es gab ja nicht mal richtig viel Geld dazu. Nur Ruhm und Ehre, na, ich danke. Sie müssen wissen, dass es da für manche wie um Leben und Tod ging. Für den Wahlhamburger aus Ostfriesland zum Beispiel, Dercksen oder wie der hieß. Der hätte nie verkraftet, wenn die Ostsee gegen die Nordsee gewonnen hätte. Was der dem Boris jedes Mal an den Kopf geworfen hat! Der kriegte sich immer gar nicht wieder ein, der Boris, und war wochenlang so ungenießbar wie seine Probiersuppen.« Sie sah das Blitzen in den Augen des Beamten, der sich ihr als Kriminalhauptkommissar Carstens vorgestellt hatte. Der Typ hat Feuer gefangen. Jetzt keinen Fehler machen, dachte sich die gar nicht so traurige Witwe.

    Sie erzählte weiter von den Rangeleien zwischen den Kandidaten, den verbalen und den mysteriösen, bei denen schon mal Zutaten oder Spezialmesser verschwanden, bei denen die Kochplatte plötzlich ausging oder einer der Köche nicht zum Termin erschien, weil ihm angeblich jemand etwas ins Bier gekippt hatte und er seinen Rausch ausschlafen musste.

    »Sie müssen Ihren Mann noch identifizieren«, sagte Carstens in die plötzliche Stille hinein.

    »Wann und wo?«, fragte Swantje nach. Endlich hatte sie auch

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