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Der springende Punkt: Mühlviertel-Krimi
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Der springende Punkt: Mühlviertel-Krimi

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Eigentlich hätte sich Bezirksinspektor Gerhard Grinninger auf ein paar erholsame Wochen im malerischen Bad Hansberg gefreut. Ein Kur-Aufenthalt, der ihm nach den Eskapaden rund um den Misthaufen-Mord durchaus zugestanden wäre, schließlich ist er selbst dabei dem Tod noch einmal von der Schaufel gesprungen. Doch der beim Grenzübergang Guglwald auf einer Baustelle tot aufgefundene Journalist Claus Peter Steiner macht Grinninger einen Strich durch seine Wellness-Rechnung. Die Edelfeder des streng rechtskonservativen Wochenmagazins »Alpenpost« ist anscheinend nach der »Cha-Ping!«-Methode ermordet worden: Steiner war mit Crystal-Meth vollgepumpt und danach von Hunden zu Tode gehetzt worden. Ein mafiöses Straf-Ritual, das vor allem innerhalb der vietnamesisch stämmigen Minderheit verübt wird.

LanguageDeutsch
Release dateMay 10, 2018
ISBN9783990740132
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    Der springende Punkt - Christian Hartl

    Roll!«

    Kapitel 1: Der Fund

    Bezirksinspektor Gerhard Grinninger hatte schon viel erlebt. Das, was sich an diesem Tag abgespielt hat, war aber ganz was Komisches: Vor etwa einer Stunde saß er noch im Café Traxler in Bad Hansberg mit einer gepflegten Halben Bier und las die Kolumne von Claus Peter Steiner in der Alpenpost. Da hat er sich noch nicht gedacht, dass er besagten Schreiberling jetzt live vor die Augen bekommt. Dass dieser nun als Leiche auch noch Hauptgegenstand seiner Ermittlungen und Grund für den sofortigen Urlaubsabbruch ist, hat den braven Polizeibeamten aus seinem Konzept gebracht.

    Eigentlich hat er sich heute früh schon auf die freien Tage zu Erholungszwecken gefreut. So oft es geht, nach Tschechien zum Fischen fahren, sich danach im Sternwald-Spa in Bad Hansberg entspannen und die Arbeit dort lassen, wo sie an solchen Tagen hingehört ‒ im Nirwana. Daraus ist dann nach dem hektischen Anruf von Bezirkskommandant Herbert Luckeneder nichts geworden.

    Aber trotzdem: Das mit der Fahrt nach Tschechien ist dem Grinninger schlussendlich doch noch aufgegangen. Der Grund dafür liegt jetzt etwa zwei Meter unter Grinningers Füßen in einer fertig ausgeschalten Baugrube, verdeckt von einigen abgeplattelten Dämmplatten.

    Claus Peter Steiner war Redaktionsleiter der Alpenpost im Korrespondentenbüro in Linz und Kolumnist im Politikteil. Er nannte sich selbst »Alpen-Postler« und schrieb in seinen Kolumnen Briefe an honorige Persönlichkeiten, Politiker und Promis. Diese Schriftwerke befolgen die Blattlinie der Zeitung in zugespitzter Form und sind in ihrem Rezept sozusagen voll auf die Bedürfnispyramide der Alpenpost-Abonnenten zugeschnitten: Man nehme ein bisschen Hass, dann eine Prise Brutal-Patriotismus und vermische diese Mixtur mit einer großen Portion Sexismus. Das Ganze dann noch aufgeschäumt mit einem ordentlichen Schuss Zynismus. Fertig ist der Giftcocktail, der je nach Gusto entweder als wohlfeines Finale der Arbeitspause oder bekömmliche Frühstücksbeigabe genossen werden kann. Darüber prangt das Foto von Steiner mit Füllfeder in der Hand, Trachtenjanker am Körper und einem Hunderl in der Hand – perfekt, um gewisse Reizreflexe beim gelernten Österreicher auszulösen.

    Die Baugrube ‒ in der nun Steiner liegt ‒ soll eine tragende Betonwand werden, die zum Einkaufszentrum von Theodor Burger gehört. Entstehen soll dieser Konsumtempel aus dem ehemaligen Zollhaus am Grenzübergang Guglwald. Da die Leiche haarscharf auf der rot-weiß-roten Seite der Grenze liegt, befindet sie sich im Wirkungsbereich von Grinninger, der seit dem Misthaufenmord als Spezialist für Mordfälle in der Region gilt.

    »Du bist unser Mann mit Mord-Erfahrung«, hat den Grinninger der hochnervöse Oberst Herbert Luckeneder motiviert, sich der Sache umgehend anzunehmen.

    Denn: Fehler dürfen die Polizisten sich ob der publizistisch prominenten Leiche keine erlauben. Seine Kollegen werden alle Schritte der ermittelnden Polizeibeamten mit Argusaugen mitverfolgen und genauestens dokumentieren. Dass Grinninger ermittelt, kann der Exekutive in diesem verzwickten Fall nur Vorteile bringen, hat der Luckeneder sich gedacht, als er Grinningers Handynummer wählte.

    Kurz vorher hat der Erich Kevin Scharinger die Polizei in Rohrbach angerufen, dass er beim Pokémon-Go-Spielen einen toten Mann in einer Baugrube gefunden hatte. Betreiben will dieses Einkaufszentrum zwischen tschechischer Einöde und Mühlviertler Gegend ein gewisser Kommerzialrat Theodor Burger. Es soll die Wirtschaft beleben und den Namen der Region jen- und diesseits der Grenze bekannt machen, so das Ziel des Immobilen-Moguls Burger. Kundschaft wäre schon alleine wegen der Hotels in der Nachbarschaft da gewesen.

    Schon ein paar Jahre vorher hat der Burger ‒ schlau, wie er ist ‒ auch mit den vielen Holländern spekuliert, die den Moldausee als neues Urlaubsdomizil (Sommer und Winter) entdeckt haben. Dass sich das mit der Bekanntschaft auf internationaler Ebene wohl schneller als geplant realisiert, damit hätte der Investor nicht gerechnet.

    *

    Recht viel schlauer ist der Grinninger ob der detaillierten Aussagen von Erich Kevin Scharinger nicht geworden. Wie denn auch: Dass es sich hier um einen Mordfall handelt, kann laut Kollektivmeinung der zum Tatort gerufenen Beamten mit ziemlicher Sicherheit behauptet werden. Der Körper von Steiner befindet sich ‒ höflich ausgedrückt ‒ nicht gerade im Top-Zustand. Die Augen sind weit aufgerissen, die Gliedmaßen stehen in verkrampfter Weise nach allen Seiten weg, und auf Hose und Sakko seines Anzuges haben sich abgerissene Brombeerzweige verfilzt, so als wäre Steiner im Unterholz vor irgendetwas davongelaufen.

    Und dass der Steiner nicht von selbst in die Grube gefallen ist, ist auch ohne die Aussage vom Scharinger für alle Anwesenden offensichtlich. Textiltechnisch gewandet ist die Leiche in einem zuckerlrosafarbenen Anzug, der bereits von einer dünnen Schneeschicht bedeckt ist. Der Wind pfeift durch die Äste des Waldes, der den Tatort rund um die Baustelle umgibt. Auch der meterhohe Kran beginnt in den immer wieder einsetzenden Windböen zu wackeln.

    Kurzum: ungemütliches Novemberwetter zum Quadrat. Dass da der Scharinger mit dem Handy bewaffnet durch die Gegend schleicht, um an irgendwelchen Punkten in der Botanik virtuelle Monster zu fangen, grenzt für den Grinninger an Unglaubwürdigkeit. Schließlich ‒ so glaubt er immer wieder zu wissen ‒ ist er mit einem guten Draht zu den Menschen ausgestattet, und da ist so ein verwöhnter Mittzwanziger, der bei diesem Wetter freiwillig im Wald herumirrt, schon von Haus aus verdächtig.

    »Gott sei Dank habe ich mit meinem neuen Smartphone einen Empfang gehabt«, gibt der wegen des Leichenfundes kreidebleiche Scharinger dem Grinninger zu Protokoll. »Wie Sie vielleicht wissen«, meint er weiter und schiebt sich seine Haube wegen einer lästigen Sturmböe kurz über die Augen, »ist das mit dem Empfang in dieser Gegend nicht unbedingt so wie in Linz.«

    Scharinger starrt zuerst auf den Boden und lässt dann seinen Blick Richtung Grinningers Gesicht wandern, das mit großen Augen und aufgerissenem Mund unter einer dicken Fellmütze, auch genannt Bärenfut, hervorlugt. Grinninger hüstelt, steckt seine Hände in die Taschen seines grauen Trenchcoats und fragt nach kurzem Überlegen dann sein Gegenüber: »Warum haben Sie gleich gewusst, dass es sich bei dem Toten um den Steiner handelt? Sie haben es doch gleich meinen Kollegen gesagt?«

    »Ich lese die Zeitung«, lautet die kurze Antwort vom Scharinger, der in Grinningers Frage-Ton gespürt hat, dass da so etwas wie eine unterschwellige Verachtung gegen seine Person mitschwingt. »Sind Sie auch so einer, der glaubt, dass wir jungen Menschen nur am Smartphone hängen und uns sonst nicht für unsere Umwelt interessieren?«

    Seine blauen Augen verengen sich, da der Scharinger versucht, seinen bösen Blick aufzusetzen. Oha! Ganz ein Gescheiter, denkt sich der offensichtlich aufgeplattelt dreinschauende Grinninger, der mit dieser direkten Antwort nicht gerechnet hat und dem der Scharinger jetzt noch verdächtiger vorkommt. Mit dem kann ja was nicht stimmen: Erstens, weil dieses Exemplar der Generation Y entgegen jeglicher Vernunft mit dem Handy in der Hand allein im Wald herumläuft. Zweitens, weil er als Vertreter der Digital Natives den großen alten Herrn einer angestaubten Printjournalistengarde kennt, und drittens, weil er den selbst ernannten Menschenkenner namens Gerhard Grinninger so hat anlaufen lassen.

    Dass dieser Tag nach dem Anruf vom Luckeneder nicht mehr besser werden kann, liegt auf der Hand. Dass es aber mit der Frage »Wohnt da in der Nähe jemand, der was bemerkt haben kann?« noch viel schlimmer wird als jetzt, damit hätte der Grinninger trotz aller Hiobsbotschaften nicht gerechnet.

    Kapitel 2: Der Pühringer

    Etwa fünfhundert Meter vom Tatort entfernt sitzt Leopold Pühringer in einem schweinsledernen Ohrensessel im Wohnzimmer seines vor zwei Jahren fertig renovierten Bauernsacherls und surft auf seinem Laptop im Internet. Etwa zwei Stunden Zeit hat der Neo-Biolandwirt für diese für ihn so wichtige Aufgabe ‒ dann muss er seinen Mangalitza-Wollschweinen das Abendbrot kredenzen.

    Feinst gekochte Biokartoffeln vom eigenen Acker stehen heute am schweinischen Speiseplan, der auch für Pühringers Tiere jede Woche akribisch erstellt wird ‒ nicht vom Bauern höchstpersönlich, sondern von seinem Mitarbeiter, dem Edi, ein etwa ein Meter siebzig kleiner, leicht dicklicher Mittvierziger mit Schnauzbart und auffallenden Zahnlücken. Er weist eine leichte Ähnlichkeit zum ehemaligen tschechischen Bundespräsidenten Václav Havel auf.

    Hinter den drei Buchstaben E-D-I verbirgt sich ein anscheinend resozialisierter Kleinganove, der im Häfen die vielzitierte Wandlung vom Saulus zum Paulus vollzog. Edi ließ sein Lotterleben hinter sich, fand ‒ wie man so schön sagt ‒ zu Gott und begann, im zweiten Bildungsweg in der Justizvollzugsanstalt Budweis zu studieren: Dort machte er den Bachelor in Ernährungswissenschaften und Ethnologie. Dass er den Weg zu Leopold Pühringer fand, war für ihn eine wahre Fügung des Schicksals.

    Seit seinem gesundheitsbedingten Ausstieg aus der Finanzwirtschaft hat auch der Leopold ‒ per »Sie« will er selbst nicht von unbekannten Personen angesprochen werden ‒ in moralischen Dingen dazugelernt. Das behauptet er zumindest, wenn er auf seine Lebensgeschichte angesprochen wird. Dem Vollerwerb als Biolandwirt, der neben feinstem Pökelfleisch auch noch für Craft Bier mit exotischen Geschmacksaromen mit seinem Namen steht, sollen auch das vor einem Jahr erst zugelegte Elektroauto (Tesla), das Engagement in der Bürgerinitiative für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs am Land oder seine landauf, landab medial beklatschte Auslegung des Amtes des Präsidenten des Grenzland-Fördervereins Pate stehen.

    Und genau diese Funktionen sind es, welche die Online-Aktivitäten vom Pühringer fordern: Ist er doch gerade dabei, einen Leserbrief zu verfassen, in welchem er die motorisierte Aktivierung der ehemaligen Pferdeeisenbahntrasse von Linz nach Budweis fordert, die so den vielen staugeplagten Linz-Pendlern eine Alternative zur täglichen Autofahrt zu bieten hat. Als Pühringer in die Tastatur hauen will und sein Espresso-Häferl mit abgespreiztem kleinen Finger zur Seite stellt, wirft er ungewollt einen Blick durch das übergroße Wohnzimmerfenster. Was er sieht, lässt ihn zusammenzucken. Durch den Graupelschleier sieht der Landwirt ein Blaulichtgewitter auf der Baustelle vom Burger niedergehen. Als sich dann auch noch ein Mann in einem schlecht sitzenden grauen Trenchcoat und einer lächerlich wirkenden Pelzkappe urplötzlich auf sein Anwesen zubewegt, kriegt er es mit der Panik zu tun.

    *

    Der Grinninger ist noch immer damit beschäftigt, seine Brillengläser mit einem Stofftaschentuch etwas unbeholfen von den dicken Wassertropfen zu befreien, die sich wegen der Schneeschauer darauf gebildet haben, als der Pühringer die Haustüre öffnet, um den unerwarteten Gast zu prüfen.

    »Bezirksinspektor Gerhard Grinninger«, hustet der Polizeibeamte hinter seiner Pelzmütze hervor und streckt dem Hausherrn die nasskalte Hand zum Gruß aus.

    »Er komme herein, darf ich ihm einen warmen Tee anbieten«, wird Grinninger im Majestätsplural von Pühringer angesprochen, der ihm mit einer Handbewegung in Richtung Stube den Weg weist.

    Als der Grinninger im Wohnzimmer vom Pühringer auf einem offenbar antiken Fleckerlteppich steht, staunt der Polizeibeamte nicht schlecht. Vor ihm steht ein riesiger quadratischer Bauerntisch aus Eichenholz mit dazugehörender Eckbank. Der sogenannte Herrgottswinkel im Eck vor seinen Augen ist nicht nur mit einem Kruzifix behängt. Auch ein Halbmond, ein Buddha und ein Schmuckstück aus Keramik, auf dem die Worte »Shalom« prangen, wandern in das Blickfeld des Bezirksinspektors, dem dabei der Begriff vom multireligiösen Stillleben ins Gehirn flattert. Am großen Bauerntisch steht eine Teekanne, daneben liegt ein Stapel aus Zeitungen und Büchern und ein zugeklappter Laptop. Aus den Lautsprechern der Surround-Anlage dröhnen elektronische Beatklänge. Fahrstuhlmusik. Vor seinen Augen türmt sich die etwa ein Meter neunzig große Gestalt des Pühringer auf, der, mit Kurzhaarschnitt und Stoppelbart in Chino-Hosen und Langarm-T-Shirt bekleidet, vom Outfit her einem bekannten Schauspieler ähnelt, der mit Filmen in Sepia-Optik mit Frauenversteher-Inhalten regietechnisch die Kinoleinwände erobert hat. Pühringer nimmt die Teekanne und schüttet, ohne nochmals zu fragen, dem Grinninger ein Häferl ein. Als Pühringer sich bei ihm informieren will, was denn passiert sei und warum er den Weg zu seinem bescheidenen Heim angetreten sei, hält der Grinninger ihm sein Handy unter die Nase.

    »Haben Sie diesen Mann schon mal gesehen?«

    Pühringer erkennt am Display von Grinningers Smartphone sofort den mit aufgerissenen Augen und in verzerrter Haltung daliegenden Claus Peter Steiner.

    »Der sieht aus wie der Steiner von der Alpenpost, dieses rechtskonservative Magazin«, antwortet Pühringer nachdenklich und legt scherzeshalber nach, dass er am Bild über seiner Postler-Kolumne durchaus frischer ausschaut.

    Dabei faselt er noch was von einem womöglich alten Foto in der Zeitung, das der Grinninger wegen der undeutlichen Aussprache des Pühringer nicht so recht verstanden hat.

    »Ich kenne den Herrn Steiner, weil ich meine Informationen großteils aus den Zeitungen beziehe.«

    Pühringer zieht die Augenbrauen hinter seiner dicken Hornbrille hoch und macht ein wichtiges Gesicht. Er deutet auf einen Stapel Zeitungspapier älteren Semesters, der neben seinem Ohrensessel auf einem dreibeinigen Nierentisch liegt. Das ist Pühringers Lesetisch, den er voller Stolz im vergangenen Sommer am Flohmarkt in Bad Hansberg erstanden hat. Direkt hinter dem Sessel erstreckt sich ein gigantisches Bücherregal, das beinahe die gesamte westliche Wohnzimmerwand ausmacht. Edle Schmöker ‒ sogenannte Erstausgaben ‒ und viele Sachbücher, die hauptsächlich von Soziologie, der im späten neunzehnten Jahrhundert noch stolzen Arbeiterklasse und wissenschaftlichen Abhandlungen alternativer Energiegewinnung handeln, sollen dem gemeinen Besucher vermitteln, dass Pühringer zu den Intellektuellen gehört.

    Eine geistige Auslage sozusagen, um die der ehemalige Börsenguru sich wohl besonders kümmert. Die Buchtitel hat er alphabetisch und themenspezifisch sortiert. Bei einzelnen Werken sind bunte Papierschnitzel zwischen den Seiten, damit der belesene Buchbesitzer weiß, wo er die wichtigen Zitatstellen findet.

    Ob der Herr sie auch alle gelesen hat?, fragt der Grinninger sich nach diesem unfreiwilligen Ausflug in Pühringers Literaturliste.

    »Gemocht habe ich den Steiner und die Schreibweise seiner Kollegen nicht«, zieht der Pühringer den jetzt so dahinsinnierenden Grinninger wieder zurück in die Realität. »Vor ein paar Jahren, als die Alpenpost erstmals erschienen ist, war sie noch ganz in Ordnung«, fährt der Pühringer, ohne lange nachzudenken, fort und gibt seinen Gedanken freien Lauf. »Damals hat die Redaktion noch den Anspruch gehabt, die Mächtigen zu kontrollieren. Was aber ist jetzt?«

    Der Pühringer zieht eine Ausgabe vom Stapel und hält sie dem Grinninger unter die Nase. Dabei starrt der Polizeibeamte auf die Schlagzeile »Wegen Asylchaos: Regierung muss handeln!«.

    Grinninger blickt kurz weg und schaut dem Pühringer ins Gesicht, der kurz hinunterschluckt und dann ansetzt: »Jetzt hechelt diese Schreibtischtäterbande auf einmal den Nationalisten hinterher, weil sie seit ein paar Jahren an der Macht sind und deshalb die Inserate in der Alpenpost schalten«, ärgert er sich.

    Dabei räumt er ein, dass er die Situation aus rein wirtschaftlichen Gründen auch verstehen kann. Die Alpenpost sei ja nicht wirklich »die« Erfolgsgeschichte geworden, von welcher der Verlagsleiter Arno Freiherr von Steiner, übrigens der Schwiegervater von Claus Peter Steiner (er nahm den Nachnamen seiner Frau an), immer gesprochen hatte.

    »Dass sich die Journaille dann an jeden Strohhalm klammert, ist ein Überlebensreflex. Aber deswegen sind Sie ja nicht zu mir gekommen«, schließt Pühringer seinen Exkurs.

    »Richtig.«

    Grinninger hält ihm nochmals das Foto des toten Steiner vor die Nase. »Herr Pühringer, haben Sie in den vergangenen Stunden irgendwas bemerkt, das Ihnen verdächtig vorgekommen ist?«

    Dieser schüttelt den Kopf.

    »Nein. Das einzig Verdächtige sind meine Manieren. Wollen Sie auch eine Mehlspeise zum Tee«, sagt Pühringer und eilt in die Küche.

    Ehe der Grinninger das Angebot wegen Zeitmangels ablehnen kann, ist der Neo-Landwirt auch schon weg.

    Jetzt steht er allein da, mitten im pompösen Wohnzimmer von Leopold Pühringer, den man in der Küche mit Töpfen und Geschirr hantieren hört. Das wird wohl eine längere Geschichte, denkt der Grinninger sich, setzt sich in den Ohrensessel und blättert in den angesprochenen Zeitungen. Da rutscht auf einmal ein Blatt heraus, auf das der Pühringer offenbar das Gesicht vom Steiner kopiert hat. Darüber prangt ein Fadenkreuz.

    »Oha«, entfährt es dem Beamten, der dieses Blatt zu späteren Studienzwecken in seiner Manteltasche verschwinden lässt.

    Kapitel 3: Internet-Intermezzo

    Derweil in den virtuellen Welten des Internets:

    Freeman77:

    Der Postler ist nicht mehr, da hat wohl jemand gute Arbeit geleistet.

    Dr. Dirt:

    Meinen gibt’s noch. Habe heute Rechnungen und RSB-Brief persönlich zugestellt bekommen.

    Freeman77:

    Ich meinte den Alpenpost-Postler, den von der Lügenpresse.

    Dr. Dirt:

    Ach so. Gut, wenn es um einen weniger von diesen System-Schreibern gibt. Aber der Alpenpost-Postler war ja irgendwie einer von den Guten.

    Freeman77:

    Sicher? Der war ‒ wie seine Kollegen ‒ doch nur auf die Quote aus. Er hat gemerkt, dass wir immer mächtiger werden, da hat er sich angepasst J Gefährlicher Systemschreiberling, unberechenbar!

    Dr. Dirt:

    Irgendwie wird mir der Alpenpost-Postler abgehen. Tja.

    Freeman77:

    @Dr. Dirt: Wir sind im Informationskrieg. Da haben Sentimentalitäten keinen Platz!

    Kapitel 4: Theodor Burger

    »Achtzehn Uhr Familienkonferenz, das gilt auch für dich, Rüdiger.«

    Mit einer entschlossenen Handbewegung wirft Theodor Burger den Hörer seines Festnetztelefons auf die dafür vorgesehene Vorrichtung und atmet erst einmal tief durch.

    Die Nachricht, dass auf seiner Baustelle eine Leiche gefunden wurde und dass es sich dabei um einen bekannten Journalisten handelte, hat dem schon abgehärteten Unternehmer zugesetzt.

    Zum einen, weil durch diesen Fund die Bauarbeiten gestoppt werden mussten und die Arbeiten für die »Borderline City« sowieso schon weit hinter dem Zeitplan liegen. Zum anderen, weil Burger den nun tot in seiner Baugrube liegenden Steiner auch persönlich gekannt hat.

    Nein, ein Theodor Burger ist kein Society-Löwe, wie jetzt so manch einer vermuten wird. Dem Burger ist eher was dran gelegen, sich als einer die Ärmel hochkrempelnder Unternehmer zu präsentieren. Einer, der anpackt und der wirtschaftlich eher dünn besiedelten Grenzregion zu wahrer Größe verhelfen will. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 hat der schon damals gepokert und auf die bilaterale Karte gesetzt. Als Erfolge zu werten wären beispielsweise die seitdem laufende

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