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Kampf in der Fremde: Schicksalswende in Indochina
Kampf in der Fremde: Schicksalswende in Indochina
Kampf in der Fremde: Schicksalswende in Indochina
Ebook266 pages3 hours

Kampf in der Fremde: Schicksalswende in Indochina

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About this ebook

Unter der glühenden Sonne Afrikas schleift Korporal Hoyer, von den Legionären nur "der Hai" genannt, die neuen Soldaten der Legion. Er hetzt den schmächtigen Willi Brem durch den heißen Sand, bis er liegen bleibt. Zähneknirschend packt Fred Kramer mit an, seinen ohnmächtigen Kameraden ins Lazarett zu schaffen. Rache schwört er dem Hai, als Willi stirbt. Von Oran aus werden die ausgebildeten Legionäre nach Saigon gebracht. Auch Hoyer ist dabei. Kramer sieht eine Gelegenheit sich zu rächen. In Saigon kommt es zu einer Schlägerei, bei der Hoyer den Kürzeren zieht. Kurz darauf befindet sich die Gruppe auf dem Marsch durch den dichten Dschungel, um einen Stützpunkt abzulösen. Dabei treten Ereignisse ein, die Fred Kramer und Hoyer zu Kameraden, ja zu Freunden werden lassen.
LanguageDeutsch
PublisherEdition Förg
Release dateJan 7, 2015
ISBN9783933708687
Kampf in der Fremde: Schicksalswende in Indochina

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    Kampf in der Fremde - F. John-Ferrer

    www.rosenheimer.com

    Sidi-bel-Abbès – Vaterstadt der Fremdenlegion, noch vor wenigen Jahren ein armseliges Araberdorf, heute eine Stadt von rund 55 000 Einwohnern. In den Bistros und Restaurants pulsiert das Leben, sitzen die Legionäre und vertun ihren Sold. Algerischer Wein wird angeboten, geschminkte Mädchen lächeln und lassen jene ihren Kummer oder ihre Schuld vergessen, die gekommen sind, um für Frankreich zu kämpfen und – zu sterben.

    »Legio Patria Nostra.« Die Legion ist unser Vaterland. So steht es über den Kasernentoren in Stein gemeißelt. Jeder kann es lesen, wenn er kommt, jeder bekommt es eingehämmert, wenn er seiner Section zugeteilt wird. Tausende sind gekommen und gegangen.

    Vive la France! Es lebe Frankreich!

    Sie wissen nicht, wohin sie marschieren und wo sie sterben werden. Sie haben ihr Leben der Légion Etrangère verkauft, haben mit einer einzigen Unterschrift fünf Jahre ihres Lebens feilgeboten. Dieser oder jener wird es überleben, wird durch das Feuer der Erhärtung gehen und geläutert zurückkehren. Mehr noch werden dort bleiben, wohin man sie schickt: in den Tod. Denn ruhmreich ist die Vergangenheit der Légion Etrangère, mit Blut geschrieben, aus Tapferkeit und hartem Soldatentum geboren und zu einem militärischen Apparat geworden, der Frankreichs koloniale Interessen stärkt und schützt.

    Niemand hat die Legionäre gerufen. Sie sind freiwillig gekommen, sie werden gehorchen müssen, weil sie es geschworen haben, gemäß ihrer Unterschrift zu kämpfen, zu dulden, zu sterben. Sie haben sich unter der Trikolore Frankreichs versammelt – Männer aus vielen Nationen, gute und schlechte, schuldige und unschuldige. Und deshalb haben die Worte des Generals Négrier noch immer Gültigkeit, mit denen er im Jahre 1883 nach der Landung seines Regiments in Hai-Phong den Grundsatz der Legion zum Ausdruck brachte: »Legionäre! Ihr seid in die Legion gekommen, um zu sterben – und ich werde euch dorthin schicken, wo man stirbt!«

    Der Wert eines Menschenlebens? Wer fragt danach? Marche ou crève! Marschier oder krepier!

    »Auf – marsch, marsch! … Hinlegen! … Friss dich rein in den Sand, du Wurzelschwein! … Robben … schööön robben! … Na, wird’s bald? … Waas, du willst nicht mehr? … Auf – marsch, marsch! …«

    Wir stehen abseits der Schinderszene. Im Rührteuch. Wir dürfen zuschauen, wie Caporal Hoyer seinem Spitznamen »Der Hai« alle Ehre macht.

    Willi Brem hat vorhin gesagt: »Caporal, ich kann nicht mehr, ich bin fertig.« Und weil er das gesagt hat, der kleine, schmächtige Willi, ist er eine »freche Schnauze«. Jeder in der Légion Etrangère ist eine freche Schnauze, der es wagt, aufzumucken oder beim harten Geländedienst zu stöhnen und zu fluchen.

    »Auf – marsch, marsch! … Hinlegen!«

    Die heiser geschriene Stimme unseres Ausbilders entfernt sich, und dort, wo Willi Brem auf- und niedertaumelt, stiebt eine gelbliche Staubwolke hoch. Mein kleiner Willi schafft das nicht. Gleich muss er fertig sein. Fix und fertig … Hoffentlich! Ich wünsche es meinem Kameraden, damit diese Schinderei endlich aufhört.

    »Mensch«, sage ich zu meinem Nebenmann, »ich gehe hin und schlag dem Schwein die Knarre über den Schädel.«

    Paul Demel guckt mich verbiestert an und schüttelt den runden Kopf.

    »Du bist wohl meschugge, ha? Der Hai macht dich so zur Schnecke, dass du in kein’ Sarg mehr reinpasst.«

    Ich stiere in die flimmernden Hitzewellen, die über den gelben Sandhügel zittern. Weit dahinter leuchten die weißen Kasernenmauern von Sidi-bel-Abbès. Der Himmel ist diesig, und unbarmherzig knallt die Sonne herab.

    Ich schlucke. Mein Gaumen ist staubtrocken, und wenn ich die Kinnladen bewege, knirscht Sandstaub zwischen den Zähnen. Dieser verfluchte Sand!

    In mir kocht Wut. Ich möchte losrennen und die rückwärtsgehende, heiser kommandierende Gestalt des Caporals niederschlagen, ihm mit dem Absatz in das feiste Gesicht treten, bis die Nase Brei ist.

    »Mach bloß keine Witze«, ermahnt mich Paul.

    »Misch dich nicht rein. Ich hab Willi mehr als einmal gesagt, dass er sich am Riemen reißen soll.«

    »Er ist der Schwächste von uns, das muss der Hai doch endlich mal kapieren!«

    »Haie haben keinen Verstand«, sagt Paul und spuckt in den Sand.

    Ganz fern hört sich das Gebrüll an: »Auf – marsch, marsch!« Die beiden Gestalten sind nur noch dunkle Punkte, die sich in der flimmernden Atmosphäre bewegen, Hoyer und sein Opfer.

    Ich beiße die Zähne zusammen und schließe die Augen. Nicht hinschauen, befehle ich mir, das ist nun mal so in der Fremdenlegion. Wir haben ja gewusst, was uns blüht. Jeder hat es genau gewusst, als er unterschrieb. Auch Willi. Hart muss man werden, eisern, gefühllos. Wie der »Hai«.

    »Du«, lässt sich Demel vernehmen und stößt mich in die Seite, »ich denke, jetzt hat er ihn so weit.«

    Ich mache die Augen auf. Etwa 400 Meter entfernt, auf einem sanft ansteigenden Sandhügel, liegt eine Gestalt. Hoyer beugt sich über sie, zerrt sie an der Schulter hoch, lässt sie wieder fallen.

    Ein scharfer Trillerpfiff ertönt. Unsere untätig dastehende Gruppe setzt sich in Trab. Keuchend kommen wir am Sandhügel an.

    Der Hai steht breitbeinig neben seinem Opfer, die Daumen im Koppelriemen eingehakt. Er mustert uns der Reihe nach – mit einem Grinsen, mit Augen, die vor Zufriedenheit funkeln.

    Das ist Caporal Hoyer: stiernackig, untersetzt, stark wie ein Gorilla, mit einem Gesicht, das der Kommiss gezeichnet hat: breit, nussbraun gebeizt, gefühllos, mit einer Boxernase und wasserhellen, kalten, grausamen Augen. Das ist der Mann, dem wir sieben Wochen lang gehorchen müssen, der aus uns brauchbare Legionäre machen will, der uns schindet und kujoniert. Ein brutaler Metzgergeselle, ein Vieh, ein uniformiertes Scheusal.

    Wir starren die leblose Gestalt unseres Kameraden an. Willi Brem, mein Weggenosse, mein kleiner, schmächtiger Kumpel, mit dem ich vor drei Monaten auf der Straße von Rastatt nach Worms zusammengetroffen bin, mit dem ich über Fort St. Nicolas von Marseille nach Sidi-bel-Abbes gekommen bin. Verkrümmt, das Gesicht in den Sand gelegt, die Arme weit von sich gestreckt, die Beine gespreizt, so liegt er da, mein Willi. Wie ein Toter.

    »Und so mache ich jeden fertig, meine Herren«, sagt eine abscheulich heisere Stimme. »Wer frech wird – frisst Sand. Und wenn er dabei verreckt. Ist das jedem klar?«

    Wir schweigen.

    Der Schirokko weht uns seinen glühenden Atem in die Gesichter.

    »Ob ihr mich verstanden habt?«, knarrt die Stimme Hoyers.

    »Oui, caporal«, ertönt es dumpf und einstimmig. Der Hai nickt zufrieden, nimmt die Daumen aus dem Koppelriemen.

    »Vier Mann freiwillig, die den Legionär Brem tragen!«

    Auch ich hebe den Arm. Zu viert heben wir Willi auf.

    »Ohne Tritt – marsch!«

    Müde, zerschlagen, stumm marschieren wir in einer Staubwolke in die Yussuf-Kaserne, durch das Tor, über dem die in Stein geschlagenen Worte zu lesen sind: Legio Patria Nostra.

    Als wir einmarschieren und den ohnmächtigen Kameraden auf Hoyers Geheiß zum Revier hinübertragen, denke ich an die Zeit vor sechs Wochen.

    »Ihr seid gekommen, um Legionäre zu werden«, sagte der junge Leutnant zu uns Neuen. »Niemand hat euch gerufen oder gezwungen. Euer Vaterland heißt jetzt Frankreich. Es ist eine Ehre für euch, die Uniform der Légion Etrangère zu tragen …«

    Dann trat ein anderer vor: ein Sergent, feist, besoffen, mit rotem, aufgedunsenem Gesicht und blökte: »Lieblinge, hört mal her …« Er begann in deutscher Sprache zu reden und sich wichtig zu machen: »Hier werden wir aus euerm Sauhaufen Soldaten machen, jawoll! Und was für welche! Ganz sicher! Jeder von euch hat Dreck am Stecken! Jawoll! Aber hier fragen wir nicht danach. Was war – ist vorbei! Jawoll! Hier heißt es nur: gehorchen, gehorchen und nochmal gehorchen! Für die, die aus der Reihe tanzen wollen, haben wir ein feines Prison – und etliches mehr noch. Werdet es schon sehen, Lieblinge!« Und dann ganz laut: »Hier hilft euch kein Schwein! Keine Oma, kein Onkel! Niemand! Hier herrscht nur Disziplin! Verstanden?«

    Wir, die Deutschen, verstanden wohl, was der besoffene Sergent sagte, aber die anderen – die Spanier, Italiener, Belgier, Polen, Tschechen, die verstanden das heisere Gebrüll nicht – die erfassten vielleicht nur den Sinn der Rede: Für die Legion leben – für die Legion sterben.

    Und sie lernten sehr schnell: das neue Leben, die deutschen Marschlieder »Ein Heller und ein Batzen«, »Westerwald« und »Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein!«

    Preußens Gloria in Afrika, in der Yussuf-Kaserne von Sidi-bel-Abbès! Preußens Drillmethoden in der französischen Armee! Ausbilder, die von irgendwoher angeschwemmt wurden. Deutsche Ausbilder, die ihr Land vergessen haben, ihr Menschsein, ihren Glauben an das Gute. Schinder, die Französisch gelernt haben, um aus gutgläubigen oder verirrten Menschen stahlharte Soldaten oder gebrochene Gestalten zu machen.

    Ich wusste nichts von diesen Methoden, ich war mir darüber ebenso im Unklaren, wie die anderen, als ich unterschrieb. Ich bin gekommen, weil mich das Abenteuer lockte. Jetzt bin ich da. Freiwillig, ohne Zwang. Die Légion Etrangère hat mich mit Leib und Seele gekauft. Ich habe zu gehorchen, zu marschieren und zu krepieren. Wohlan, ich bin auf alles gefasst. Ich habe mich bezwungen und bin nicht auf das Scheusal namens Hoyer losgestürzt. Ich habe meinen Kameraden Willi Brem in die Obhut der Sanitäter übergeben und hoffe, dass er bald wieder bei uns mitmachen kann. Er hätte dem »Hai« nicht widersprechen – hätte einfach umfallen sollen, ohne zu mucksen. Denn auch Willi Brem hat unterschrieben.

    Paul Demel hat recht: nicht drum kümmern. Maul halten … weitermachen.

    Wenn wir bloß schon raus könnten aus dieser Vorhölle. Aber noch ist es nicht so weit. Wir warten darauf, dass wir der 1. Kompanie, der Durchgangskompanie, überstellt werden. Noch müssen wir die Ausbildung mit all ihren Schikanen und Qualen hinter uns bringen. Es tröstet uns nur wenig, dass Tausende vor uns das Gleiche erlebt haben, geschunden wurden, erniedrigt, um Soldaten zu werden.

    »Ihr seid in die Legion gekommen, um zu sterben!« General Négrier hat es deutlich genug gerufen. So sei es denn. Ich habe mich damit abgefunden und fürchte mein weiteres Schicksal nicht. Man hat uns nicht gerufen! Wir sind freiwillig gekommen.

    Ich will die Szene am Sandhügel vergessen. Doch es gelingt mir nicht. Dieses Vieh von einem Hoyer! Man müsste ihm eine Lektion erteilen, die er nicht vergisst, die ihn daran erinnert, dass wir Menschen und keine Hunde sind, die er schlagen und treten kann. Ihm einen Denkzettel verabreichen. Nachts vielleicht, irgendwo in einer dunklen Gasse von Sidi-bel-Abbès.

    Wir sitzen in der Kantine und essen. Paul Demel, mit dem ich vor sechs Wochen hierhergekommen bin, hockt neben mir und schlürft schmatzend den dampfenden Bohnenteller leer.

    »Ich möchte dem Hai doch zeigen, wo die Grenzen liegen«, sage ich zu Paul. »Diese Schinderei muss gerächt werden.«

    Paul schielt mich von der Seite her an. »Du hast wohl ’n Sonnenstich?«

    »Wenn dem Willi was passiert, dann passiert auch dem Hai was.«

    Paul stochert mit dem Löffel nach einem Fleischstückchen, schiebt es in den großen Mund, kaut gemächlich daran und nickt.

    »Der Willi … der kommt schon wieder hoch«, sagt er mit vollen Backen. »Wenn er ’n paar Tage Bettruhe hat, ist er wieder fit.«

    »Er hat wie ein Toter ausgesehen, Paul.«

    »So leicht stirbt man nicht, Fred.«

    Ich schaue über den langen Tisch hinweg, an dem die Legionäre sitzen und geräuschvoll ihre Mahlzeit verzehren. Das Bild von vorhin lässt mich nicht los. Ich sehe noch immer Willi im Sand liegen, die Arme vorgestreckt, das Gesicht in den Sand gedrückt wie ein Gefallener – wie einer, den die Kugel niedergestreckt hat. Aber es war keine Kugel, es war die Bosheit eines Menschen. Der Hai war es! Wie ich diesen Kerl hasse! Schon von dem Augenblick an, als er zum ersten Mal vor uns hintrat und mit seiner heiseren, versoffenen Stimme sagte: »Ich heiße Caporal Hoyer. Ich bin euer Ausbilder. Ihr werdet Augen machen, meine Herren – die besten Legionäre mach ich aus euch! Mein Wort darauf.«

    Und er grinste uns an, sah jedem in die Augen, maß uns, wie ein Viehhändler eine Herde Schafe mustert, die ins Schlachthaus geschafft werden soll anstatt auf die Weide.

    »He, Fred …« Jemand stößt mich an; es ist Paul. »Mach um Gottes willen keinen Blödsinn, hörst du! In vierzehn Tagen ist der Zauber sowieso vorbei, und wir gondeln nach Indochina.«

    »Wollte Gott, es wäre schon soweit«, erwidere ich und löffele meinen Teller leer.

    Paul leckt den Löffel ab, grinst mich dabei an und sagt dann: »Ich hab gehört, dass es in Saigon prima Schnucken gibt, Fred. Sollen auch nich viel kosten. Ich schaff mir bestimmt eine an.« Er schnalzt genussvoll mit der Zunge und wippt mit dem Löffel. »Eine ganz zackige Schnucke muss es sein – so mit Kurven, weißt du, und Holz vor der Hütte.«

    Pauls Clowngesicht zieht sich in die Breite. Er stammt aus Braunschweig. Was er ausgefressen hat, weiß ich nicht. Ich will es auch nicht wissen. Irgendeine mehr oder weniger schwerwiegende Gaunerei vielleicht. Ich mag Paul gern, er ist lebensbejahend, macht sich weiter keine Gedanken und träumt bei jeder Gelegenheit von einer »Schnucke«. Schnucken gibt es überall, wo Soldaten ihren Sold vertun.

    Willis Schicksal berührt Paul wenig. Jeden Tag kommt hier etwas Ähnliches vor. Gestern erst stand einer aus unserer Section zwei Stunden lang an der Mauer und presste mit der Nase ein Stück Papier gegen den Stein. Wehe, wenn das Papier heruntergefallen wäre! Ein Legionär an der Wand, weil er das Gewehr nicht richtig gesäubert hatte. Aber Schmitt hat die Quälerei durchgestanden. Hinterher war er fix und fertig und verzichtete sogar auf das Viertel Rotwein.

    Die Essenszeit geht zu Ende. Die Legionäre rauchen und schwatzen durcheinander von der Ausbildung. Einige wollen wissen, dass wir bald nach Indochina verfrachtet werden.

    Am unteren Tischende sitzt ein Caporal und erzählt einem aufmerksamen Zuhörerkreis: »Saigon – ganz nett. Alles da, was man braucht. Kommt ihr aber nach Hanoi, weht schon ein anderer Wind. Und noch weiter oben im Norden, da habt ihr den dicksten Urwald. Drinnen die Viets. Ich kann euch bloß sagen: die Viets! Heimtückisch, blitzschnell über dir, wenn du nur eine Nasenlänge hinter den Kumpels zurückbleibst. Und abends – die Moskitos. Ganze Wolken! … Nee, Jungs, ganz so niedlich, wie viele denken, ist’s in Indochina nicht.«

    Er ist einer der wenigen Ehrlichen, die nicht prahlen, sondern warnen. Die anderen, die mit der Tapferkeitsmedaille am blauen Band, hauen lieber auf die Pauke, ganz laut, und schwätzen von Mut und Heldentum, bis die Augen der Zuhörer vor Begeisterung funkeln. Sie bauschen den Dschungelkrieg auf, damit er denen schmackhafter wird, die ihn noch nicht kennen.

    Paul Demel ist mit seinem Nebenmann, einem Italiener, ins Gespräch gekommen. Worüber? Natürlich über Mädchen – Thema eins hier, wie bei den Soldaten in aller Welt. Das Wort »Amore« fällt alle Augenblicke. Ich stehe auf und gehe hinaus.

    Schnell hat die Nacht den Abend abgelöst. Der Mond steht groß und rund über dem Kasernenhof. Die Fenster der Unterkünfte sind erleuchtet. Irgendwo klimpert jemand auf einer Gitarre.

    Das Krankenrevier liegt rechts drüben. Was macht Willi? Wie geht es ihm? Hat er sich schon erholt? Der arme Kerl! Er wird sich freuen, wenn ich zu ihm komme, mich an sein Bett setze und über irgendetwas rede. Ich bin für Willi ein Stück Heimat. Wir sind ja auch zusammen davongegangen, ins Abenteuer hinein, das Légion Etrangère heißt – ein Abenteuer, das bisher nicht schmecken will.

    Ich betrete das Krankenrevier. Eine Nachtbirne erhellt den langen weißgekalkten Korridor. Die Hitze des Tages lagert zwischen den Wänden; es riecht nach Desinfektionsmitteln und Karbol.

    Man muss erst die Erlaubnis des Arztes haben, bevor man einen Patienten besuchen darf. Links ist eine Tür. Ich gehe darauf zu. Aber zugleich tut sich weiter unten im Korridor eine Tür auf, und zwei Sanitäter kommen mit dem Stabsarzt aus einem Zimmer. Die Art, wie der eine Sanitäter die Tür hinter sich zuzieht, ist auffallend behutsam.

    Ich reiße die Knochen zusammen und grüße Arzt und Dienstgrade.

    Man nickt nur flüchtig, übersieht mich wahrscheinlich, geht vorüber. Da dreht sich der Letzte um. Ein Sergent. Kommt heran und fragt halblaut: »Was willst du?«

    »Ich möchte den Legionär Willi Brem besuchen.«

    Die anderen beiden verschwinden in der Tür, an der ich vorhin anklopfen wollte.

    Der Sanitäter guckt mich seltsam nachdenklich an, reibt sich das Kinn.

    »Geht es ihm nicht gut?«, frage ich halblaut, von einer schrecklichen Ahnung befallen. »Los, so reden Sie doch endlich!«

    »Du wirst es morgen hören«, sagte er, lässt mich stehen und schlägt die Türe hinter sich zu.

    Ich will ihm nach, ihn festhalten und fragen. Aber ich stehe wie angewurzelt da und starre den langen Korridor entlang – auf die Tür, aus der vorhin die drei gekommen sind. Mir ist es, als greife eine Faust nach meiner Kehle; ich muss schlucken, aber der Druck lässt nicht nach.

    Langsam gehe ich auf die Tür zu, die so behutsam geschlossen wurde. Ich drücke die Klinke nieder. Die Tür weicht lautlos zurück. Im Augenblick sehe ich nichts – nur ein Fenster, durch das bleiches Mondlicht fällt und einen breiten Lichtbalken auf den Fußboden hinwirft.

    Ich taste nach dem Lichtschalter. Es wird hell. Vier Betten stehen an der Wand. Drei sind leer. Im vierten aber liegt etwas, flach hingestreckt, mit einem Laken vollkommen zugedeckt. Der Umriss eines Körpers hebt sich darunter ab. Der Kopf, Hände, die gefaltet auf der Brust liegen. Ein Toter! Ist es Willi Brem? Nein, nein! So schlimm wird es nicht gekommen sein. Es ist nicht Willi – es ist ein anderer Toter.

    Auf Zehenspitzen gehe ich näher. Langsam schlage ich den Zipfel des Lakens zurück. Da ist mir, als falle ein Berg auf mich nieder und drücke mich in die Knie. Die Beine zittern plötzlich, die Knie wollen einknicken.

    »Willi!«, Der Name kommt tonlos über die Lippen.

    Fassungslos starre ich in ein wächsernes Gesicht, in ein Totengesicht. Willi hat die Lippen fest zusammengepresst, als müsse er einen Fluch verbeißen. Ein ärgerlicher Zug liegt auf dem erstarrten Antlitz. Zwischen den hellen Brauen ist eine widerspenstige Falte gewachsen. Das kahlgeschorene Haupt ruht auf dem flachen Kissen. Spitz und schmal sticht die Nase in die Höhe.

    Nein, nein, ich darf jetzt nicht heulen.

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