Seewölfe - Piraten der Weltmeere 469: Der Schinder
By Roy Palmer
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 469 - Roy Palmer
8
1.
Der Schinder – nur so wurde Juan Vargas von seinen Leuten genannt. Wer ihm den Beinamen als erster gegeben hatte, war Vargas nicht bekannt. Er hatte auch nie darüber nachgedacht. Welche Rolle spielte es schon, wer der Urheber war? Vargas war stolz darauf, als „Schinder" bezeichnet zu werden.
Vargas, der Spanier, war einer der übelsten Kerle, die jemals unter der Flagge Philipps II. von Spanien gesegelt waren. Die Männer, die unter seinem Kommando an Bord der Dreimastgaleone „Santa Barbara" fuhren, hatten nichts zu lachen.
Vargas herrschte mit tyrannischen Methoden. Bei ihm gab es die meisten Hiebe und den schlechtesten Fraß. Wer nicht gehorchte, wie es der Kapitän verlangte, wurde mit der Neunschwänzigen ausgepeitscht und wanderte ab in die Vorpiek. Parierte er dann immer noch nicht, wurde er kurzerhand kielgeholt.
Das überlebte keiner. Vargas war rigoros und räumte mit Quertreibern schnell und konsequent auf. Wer richtig aufsässig wurde, wurde windelweich geprügelt und lernte dann die Prozedur des „Tampenlaufens" am eigenen Leibe kennen. Die Männer der Besatzung bildeten zwei Reihen auf der Kuhl des Schiffes. Der Delinquent mußte durch die entstehende Gasse laufen. Dabei hieben seine Kameraden auf den Befehl des Kapitäns mit dicken Tampen auf ihn ein – bis er am Ende zusammenbrach.
Juan Vargas kannte noch andere Arten der Bestrafung, hier waren seiner Phantasie keine Grenzen gesetzt. Seine Leute hüteten sich, auch nur im geringsten gegen die Bordordnung zu verstoßen. Doch manchmal, wenn Vargas einen schlechten Tag hatte, genügten schon Nichtigkeiten, um ihn in Wut zu bringen.
Die Überfahrt von der Neuen Welt nach Europa wäre zur Hölle für die Männer geworden, wenn nicht die Frauen gewesen wären. Vierzig Frauen befanden sich an Bord der „Santa Barbara". Sie lenkten Vargas ab, er kümmerte sich kaum um seine Mannschaft.
Diese undankbare Aufgabe versah der Erste Offizier, der zwar auch ein übler Hund war, aber zumindest einige Vorsicht walten ließ, was Schikanen betraf. Bei aller Brutalität, die auch sein Wesen bestimmte, schien er immerhin gewisse Bedenken zu haben. Sprang er zu hart und gemein mit den Decksleuten um, dann konnten sie ihm eines Nachts mit dem Messer auflauern oder ihn einfach außenbords stoßen.
Bei Vargas hingegen wagte dies kein Mensch. Sein ganzes Wesen entsprach dem Prinzip elementarer Gewalt. Wenn er tagsüber auf dem Achterdeck stand oder an der Querbalustrade lehnte, hüteten sich die Männer, auch nur ein Wörtchen zu sagen.
Juan Vargas blickte stets finster drein. Sein Gesicht war schmal und wirkte verschlagen. Es war von Falten und Narben gezeichnet und von Wind und Wetter gegerbt. Ein Knebelbart umgab seinen brutalen Mund, die dunklen, drohenden Augen beherrschten die Physiognomie.
Vargas trug einen breitkrempigen Hut, der mit einem roten Federbusch verziert war. Auch sonst pflegte er sich aufwendig zu kleiden, mit rüschengeschmückten weißen Hemden, einem roten Wams, blauen Hosen und riesigen Stulpenstiefeln. Doch er war alles andere als ein Geck. Wer ihn unterschätzte, beging einen schweren Fehler.
Die „Santa Barbara" war eine gewöhnliche, allerdings schnelle Frachtgaleone. Sie hatte Schatzgüter an Bord, Gold und Silber aus der Neuen Welt. Diese hatte Vargas bereits in Cartagena übernommen, ehe er sich dem großen Konvoi angeschlossen hatte, in dem er nun den Atlantik zu überqueren gedachte. Der Rest der Ladung waren die vierzig Frauen.
Vargas bezeichnete diese Frauen nur als „Huren und „Schlampen
. Sie waren Indianerinnen vom Stamm der Arawaks und stammten von der Insel Puerto Rico. Dort hatten Vargas und dessen Kerle sie zusammengetrieben und an Bord der Galeone verschleppt. Sie hatten sie in einen der Frachträume gepfercht. Dort wurden sie wie Tiere gehalten.
Es war im allgemeinen nicht üblich, Frauen an Bord eines Segelschiffes wie der „Santa Barbara" zu befördern. Aber Vargas benutzte sein Schiff auch als Sklavenjäger. Er brachte die Indianerinnen mit den Schatzgütern nach Spanien und verkaufte sie dort an reiche Lüstlinge des Hofes oder aber an Bordelle. Dieser Nebenverdienst hatte ihm in den vergangenen Jahren zu einigem Wohlstand verholfen.
Indianer, ganz gleich von welchem Stamm, waren für Vargas Vieh. Er verachtete und haßte sie. Bei seinen Überfällen suchte er sich immer die jüngsten und hübschesten Frauen und Mädchen aus. Die Männer, die versuchten, ihre Frauen zu beschützen, ließ er töten. Auch mit Kindern und Greisen sprang Vargas alles andere als zimperlich um. Auf Puerto Rico hatte er einen alten Mann erschossen, der sich mit einem Hartholzmesser auf ihn stürzen wollte.
Von Zeit zu Zeit suchte sich Vargas eins der Mädchen aus dem Frachtraum der „Santa Barbara" aus. Dieses Mädchen durfte sich am Nachmittag in einem Zuber mit Wasser und Seife säubern. Am Abend mußte sie ihm dann zu Diensten sein.
Vargas hatte sich in dieser Nacht lange auf dem Achterdeck seines Schiffes aufgehalten. Es war die Nacht vom 3. auf den 4. Mai 1595. Wieder waren Kanonenschüsse gefallen, ihr Donner rollte über die See. Wieder waren die Schnapphähne da. Sie fielen wie Wölfe in die Herde ein und rissen ihre Opfer. Vargas fluchte leise vor sich hin.
„Diesmal kriegen wir auch mit ihnen zu tun", sagte sein Erster Offizier, der mit finsterem Gesicht achteraus blickte.
„Nein, noch nicht, entgegnete der Kapitän. „Sie haben noch genug mit den Kriegsschiffen zu tun.
„Aber fünf Galeonen haben die Hundesöhne bereits versenkt", sagte der Erste.
„Und das Flaggschiff, fügte Vargas hinzu, dann ließ er wieder einen mörderischen Fluch vernehmen. „Kaum zu fassen. Die Bastarde müssen mit dem Teufel im Bund stehen. Das Flaggschiff war ein regelrechter Feuerspucker.
„Ja. Und jetzt versenken sie wieder ein paar Schiffe", sagte der Erste.
„Sie haben drei Schiffe, sagte Vargas. „Eine große Galeone, eine Dreimastkaravelle und dann diesen schwarzen Viermaster. Ich würde was drum geben, zu wissen, wer sie sind.
„Sie kriegen auch uns, verlaß dich drauf", sagte der Erste.
Vargas musterte ihn verächtlich. „Hast du die Hosen schon voll?"
„Mit unseren vier Culverinen können wir nicht viel gegen sie ausrichten."
„Aber wir überlisten sie", sagte Vargas mit tückischem Grinsen.
„Und wie?"
„Denk an die Weiber."
„Auf die nehmen die Piraten keine Rücksicht", sagte der Erste.
„Und wenn sie die Weiber für sich haben wollen?"
„Für sich?"
„Bist du wirklich so blöd, wie du tust, oder geht dir langsam ein Licht auf?" fragte Vargas.
Plötzlich grinste auch der Erste Offizier. „Ach so, das meinst du. Sie sind ganz wild auf Weiber. Na ja, kann schon sein. Dann hätten wir ja einen Trumpf."
„Und den spielen wir aus", sagte Vargas.
Sie lauschten weiterhin dem Gefechtslärm, der die Nacht erfüllte. Vargas schloß aus den Geräuschen, daß zwei Kriegsgaleonen des Geleitzuges angegriffen worden waren. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, daß die Piraten auch diesmal wieder gesiegt hatten.
Das bedeutete, daß jetzt nur noch drei Kriegsgaleonen die Frachtschiffe bewachten. Und auch die würden die Schnapphähne, die da am Werk waren, besiegen. Dann hatte der Piratenführer – wer immer er war – sein Ziel erreicht. Die Kuhherde war ihrer Beschützer entledigt, die Jagd auf die „Kühe" war frei. Keiner würde die Hunde mehr behindern.
Doch Vargas hatte beschlossen, diesem unheimlichen Feind, der im Dunkeln lauerte, ein Schnippchen zu schlagen. Er dachte noch einmal darüber nach und rieb sich leise lachend die Hände. Mal sehen, dachte er, vielleicht klappt es ja.
Angst hatte er nicht. Es war nicht der erste Piratenüberfall, den er erlebte. Das unterschied ihn von den Kapitänen der anderen Frachtgaleonen: Er war kein Feigling, der bei dem ersten Anzeichen von