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Vielleicht war es eine glückliche Liebe: Roman
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Vielleicht war es eine glückliche Liebe: Roman

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Vielleicht war es eine glückliche Liebe


Roman


Wien, ein Hotel. Der Erzähler des Romans erfährt von der Sammler-Leidenschaft einer attraktiven Frau, die als "reichste Frau Frankreichs " gilt und nur ein Thema zu haben scheint: Beethoven. Als er über sie zu recherchieren beginnt, gerät er immer mehr in ihren Bann und ist fest entschlossen, alles daran zu setzen, genau den handgeschriebenen Brief Beethovens zu finden, zu dem sie nicht nein sagen kann.


Wird er den Brief finden? Und wird er sie dazu bringen ihn zu kaufen und vor allem: wird sie sich auf ihn einlassen?


Ein Roman voller Intrigen, skurriler Sammler, über den Autografenhandel,  Auktionen und über Beethoven. Aber vor allem ein Roman über das Begehren, über die Sehnsucht nach der einen und wahren Liebe, die unerreichbar scheint.   


 


Über den Autor


Peter Devaere, geboren 1964 in Brügge (Belgien) wuchs in einer flämischen Künstlerfamilie auf. Obwohl er zunächst als Musiker aktiv war, verspürte er bereits früh eine Neigung zum Schreiben. Mit 13 veröffentlichte er sein erstes Buch auf Niederländisch. In 1988 zog er nach Deutschland und begann auf Deutsch zu schreiben. Er schrieb literarische Texte und Artikel für Zeitschriften und Zeitungen. 2002 erschien "Das Appartement", sein erster Roman auf Deutsch. Neben literarischen Texten ist er als Finanzjournalist und als Autor von Sachbüchern tätig. Zuletzt erschien sein Café-Buch "Berliner Cafés: Die 50 originellsten Kaffeehäuser der Hauptstadt". Neben seiner Leidenschaft für Lesen und Schreiben ist Peter seit über 17 Jahren ein begeisterter Tangotänzer. Er lebt im Winter auf Zypern und im Sommer in Belgien und Deutschland.



 


 

LanguageDeutsch
PublisherDAO Press
Release dateOct 30, 2018
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    Book preview

    Vielleicht war es eine glückliche Liebe - Peter Devaere

    Impressum

    Kapitel 1

    Ich war nicht auf der Suche nach Gesellschaft, als ich ihn kennen lernte. Ich wollte schon die Hotelbar verlassen und mich in mein einsames Hotelzimmer zurückziehen, als ich in der, von einer dunklen Glastür getrennten, Raucher-Lounge eine Person sitzen sah, deren Anwesenheit ich bisher ausgeblendet oder in meiner Langeweile schlicht übersehen hatte. Es war ein Mann, der vielleicht zehn oder fünfzehn Jahre älter als ich war (ich bin vierzig), und der mich zu beobachten schien. Vielleicht hatte er nur darauf gewartet, dass ich ihn in seiner dunklen Ecke entdeckte, denn in dem Augenblick, in dem ich ihn bemerkte, lehnte er sich etwas zurück, als wollte er einer gewissen Erwartungshaltung Ausdruck verleihen.

    Ich hatte den ganzen Tag in einem Konferenzsaal dieses Hotels verbracht und war mir nicht sicher, ob ich Lust hatte, mich nochmal auf jemanden einzulassen, zumindest keine männliche Person. Ich wollte den Rotwein, an dem ich seit über einer halben Stunde genippt hatte, leertrinken, aufstehen und gehen. Womöglich hatte er es geahnt und er winkte mich mit einer kleinen Geste aus seiner dunklen Ecke herbei. Ich hatte ihn nur schemenhaft wahrnehmen können, aber jetzt, wo ich mich gezwungen sah, mich auf ihn einzulassen und auf ihn zuzugehen, sah ich, dass er im Gegensatz zu mir tadellos angezogen war, als erwartete er noch jemanden. Sein Anzug mit den etwas zu breiten Streifen, die goldgelbe Krawatte mit dem Brusttaschentuch in derselben Farbe verrieten eine Spur Extravaganz, die mir aber zu seiner Person zu passen schien.

    „Sie wollen schon gehen, sagte er, ein entwaffnender Satz, der keine Widerrede oder Protest zuließ. Geschäftsleute erkennen sich oder riechen sich auf den ersten Blick. Man kommt in Hotelbars mühelos ins Gespräch, gerade dann, wenn man es nicht will. Ich nahm es sportlich und erwiderte, dass ich ihn erst gar nicht gesehen hätte, was ja stimmte. Er winkte dem Kellner, er solle mir ein zweites Glas Rotwein bringen. Er selbst schien Cognac zu trinken. Ich war mir nicht sicher, es konnte durchaus etwas Stärkeres sein, aber dem Geruch nach schien es sich um Cognac zu handeln. Er stellte sich mit dem Namen „Lionardo vor, ein Name, der natürlich gewisse Assoziationen hervorrief. Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, betonte er, dass er Lionardo mit „i und eben nicht mit „e hieß, als wollte er sich bewusst von seinem berühmten italienischen Namensvetter abheben. 

    Ich hatte mich auf die Kante des ledernen Sitzes gesetzt, als wollte ich gleich wieder gehen. Ich stellte mich schon auf die üblichen Dramen und Sentimentalitäten ein, die zu dieser Stunde zu erwarten sind, als er plötzlich aus der Innentasche seines tadellosen Anzuges ein Foto hervorholte, das eine ziemlich unleserliche Handschrift zeigte. Ich musste es in die Richtung des flackernden Fernsehers halten, der die ganze Zeit stumm über unseren Köpfen, von niemandem außer dem Kellner beobachtet, angeschaltet war, damit ich das Bild deutlicher sehen konnte. Jetzt sah ich auch, welches Fußballspiel im Fernsehen gezeigt wurde, das ich gerade verpasste. Es war Arsenal, man erkennt die eigenwilligen Trikots dieser englischen Mannschaft auf den ersten Blick.

    Mein Gegenüber schien sich für das Spiel oder für den Fernseher keine Sekunde zu interessieren. „Schauen Sie genau hin", sagte er, als fürchtete er, ich könnte mich mehr für Arsenal als für das Gekritzel interessieren. Zu sehen war lediglich ein altes Blatt Papier, auf dem in einer hakenartigen Schrift einige Sätze geschrieben standen, die sich eindeutig nach unten bewegten, als wäre die Hand des Autors dieser Zeilen nach unten verrutscht, sobald sie sich dem rechten Rand des Blatts genähert hatte. Für einen Augenblick meinte ich diese Schrift irgendwo schon mal gesehen zu haben, aber mir kam nichts in den Sinn, womit ich dieses Gekritzel in Verbindung bringen konnte.

    „Schauen Sie genau hin", wiederholte er, als hätte er mir gerade ein Geheimnis eröffnet. Aber je mehr ich die Zeilen zu entziffern versuchte, desto schleierhafter wurde mir das Blatt. Ich konnte mir bei bestem Willen keinen Reim darauf machen.

    „Und, was denken Sie?"

    War es der Wein oder die späte Stunde? Ich zuckte mit den Schultern und legte das Bild vor mir neben das zweite Weinglas, das mir der Kellner inzwischen gebracht hatte. „Die Handschrift einer bekannten Person?", sagte ich fragend. Er blinzelte und nahm einen weiteren Schluck von seinem Cognac, als wollte er mir noch etwas Zeit geben in der Hoffnung, ich könnte den Urheber dieser Zeilen erraten.

    „Dies ist Beethovens Handschrift", sagte er, während er das Glas mit einem Knall auf dem Glastisch abstellte, als wolle er eine Glocke zum Erklingen bringen.

    „Beethoven?"

    „Genau der. Auf dem Foto sehen Sie eine Seite aus einer der Konversationshefte, die der Meister bei zunehmender Taubheit gezwungen war zu benutzen. In ihnen ist alles enthalten, was das Leben so hergibt, von Konversationen mit Kollegen, bei denen er sich über bestimmte musikalische Probleme auslässt, über Einkaufslisten für seinen Diener, Einfälle oder Ideen für künftige Kompositionen, philosophische Betrachtungen, Bruchstücke von Gedichten und sogar Flüche auf Wienerisch. Die meisten dieser Konversationshefte oder das, was von ihnen übriggeblieben ist, werden heute in den Archiven der Staatsbibliothek von Berlin aufbewahrt. Dennoch befinden sich immer noch einige dutzend Hefte, manchmal nur einzelne Seiten daraus, in privaten Händen oder Sammlungen. Niemand weiß genau wo und wie viele, aber hin und wieder taucht ein Stück auf einer Auktion auf."

    „Und Sie haben so etwas anzubieten?"

    „Nicht mehr", sagte er, während er aus der Seitentasche seines Jacketts ein silbernes Etui hervorholte, dem er zu meinem Schrecken eine imposante Zigarre entnahm (ich bin Nicht-Raucher). Ich fürchtete nun, dass er weiter ausholen würde. Verkäufer verkaufen im Grunde immer, selbst wenn sie sich zu amüsieren scheinen oder die Langeweile des Wartens in Hotels mit nutzlosen Gesprächen zu vertreiben suchen.

    „Das Heft ist so gut wie verkauft."

    Woher er diese Gewissheit hatte, dass der Käufer zuschlagen würde, war mir schleierhaft.

    „Keine Sorge, lächelte er, als wolle er meiner Skepsis zuvorkommen. „Die Papiere stimmen und die Echtheit des Schriftstücks ist verbürgt.

    Er schien dies betonen zu müssen, als müsste er mich davon überzeugen, obwohl ich nicht danach gefragt hatte.

    „Die Kundin wird kaufen, erklärte er. Er hatte seine Zigarre inzwischen angezündet und begann den Raum mit einem intensiven Havanna-Geruch zu füllen. „Sie kauft immer, jedenfalls bei mir, sie nimmt es und akzeptiert meinen Preis ohne zu verhandeln, obwohl er meistens etwas zu hoch ist, zumindest für diese Art von Autograph. Aber sie hat sich nun mal auf Beethoven spezialisiert. Anderes interessiert sie nicht, selbst wenn ich ihr einen unterschriebenen Brief von Napoleon anbiete oder gar einen komplett handgeschriebenen Roman von Dickens. Es interessiert sie schlichtweg nicht, sie will Beethoven. Ein Spleen, wenn man so will, aber was soll es, wenn das Geld keine Rolle spielt, kauft man eben, was man möchte.

    „Und sie verhandelt nicht?"

    Er klopfte die erste Asche mit einer lässigen Geste in einen Aschenbecher, der vor ihm auf dem Beistelltisch stand und lehnte sich etwas zurück, als wollte er diesmal für eine längere Geschichte ausholen.

    „Sie möchte, dass ich ihr über dieses Fragment oder dieses Schriftstück so viel wie möglich erzähle. Obwohl Ihr Wissen über Beethoven überdurchschnittlich ist, kann sie nicht genug bekommen, wenn ich ihr einige interessante Details über den Meister oder Dinge im Zusammenhang mit ihm zu berichten weiß, die noch nicht allgemein bekannt sind, obwohl die Beethoven-Literatur beträchtlich ist. Ich soll sie unterhalten und sie ist bereit, den Preis dafür zu zahlen."

    Ich schaute mir das Foto nochmal an und versuchte irgendeinen Sinn in diesen wenigen Zeilen zu finden, die eine eigentümliche Krümmung nach unten machten, als hätte Beethoven den Rücken seines Gesprächspartners benutzt, um sie zu schreiben. Aber das Bild war zu undeutlich und das Licht in der nächtlichen Raucher-Lounge zu matt, als dass ich die Schrift hätte lesen oder entziffern können. Ich spürte wie er mich genau beobachtete, während ich das Foto nochmal in die Hände nahm. Diesmal traute ich mich nicht, einen Blick auf das Spiel von Arsenal zu werfen, das sich weiterhin stumm über unseren Köpfen abspielte. Ich legte das Bild schließlich wieder auf den Glastisch neben mein zweites Glas Rotwein, von dem ich bislang kaum getrunken hatte. Es blieb dort liegen als stummer Zeuge unseres nächtlichen Gesprächs. Die anderen Gäste der Bar hatten sich inzwischen alle auf ihre Zimmer verzogen. Nur wir zwei waren in der abgeschlossenen Raucher-Lounge übriggeblieben. Lediglich der Barkeeper schien noch Interesse an dem Arsenal-Spiel zu haben, obwohl der Fernseher in der Raucher-Lounge und auch das Gerät in der Bar selbst stummgeschaltet waren, vielleicht aus Rücksichtnahme auf die Gäste oder aus Gewohnheit.

    Lionardo hatte jetzt die Beine gekreuzt und ich bekam zum ersten Mal einen Blick auf seine dunkelbraunen Schuhe, womöglich maßgeschneiderte Schuhe, deren Absätze mir ungewöhnlich groß erschienen, wie bei einem Frauenschuh. Mir kam der Gedanke, dass er sie trug, weil er klein war, soweit ich das bei einer sitzenden Person beurteilen konnte. Ich spürte, dass er den kurzen Blick auf seine Schuhe bemerkt hatte und ich fühlte mich, wie bei einer Indiskretion ertappt. Er ließ es sich aber nicht anmerken. „Er hat sich im Griff", dachte ich, ein Mann, der nach außen hin vollkommen verschlossen wirkt. Er hatte an dem Abend offenbar nur darauf gewartet, dass ihm jemand zuhört, genauso wie seine Kundin am nächsten Tag, wie er behauptete, zuhören würde, um ihm das überteuerte Gekritzel von Beethoven abzukaufen.

    Nach dem Preis habe ich nicht gefragt, nicht weil es mich nicht interessierte – es interessiert mich immer, was etwas wert ist – ich habe es vermutlich einfach vergessen. Vielleicht war er es gewohnt, dass man ihm zuhört, dass man an seinen Lippen hängt, wenn er Details über bekannte Personen zum Besten gab, deren schriftliche Zeugnisse er verkaufte. Jeder will Anerkennung oder zumindest in seinen Anliegen oder seinen Erzählungen angehört werden. Er hatte nochmal einen ordentlichen Schluck von seinem Cognac genommen, den letzten, und wischte dann mit der Hand über die Lippen, als müsste er den Dunst des Alkohols von seinem Mund entfernen. Es lag eine Spur von Vulgarität in dieser Geste, die mir aber erst viel später, als ich mich auf meinem Zimmer befand, wieder einfiel. Er stellte mir keine Frage über meine Tätigkeit (ich bin Anlageberater bei einer Bank) oder über meine Herkunft (belanglos) und obwohl ich dies als ein Zeichen seines Desinteresses oder seiner Selbstinszenierung deuten konnte, war es mir an jenem Abend in dem Hotel in Wien recht. Ich wollte unterhalten werden und Lionardo schaffte es mühelos meine Aufmerksamkeit zu fesseln. 

    „Und Sie treffen die Kundin immer in diesem Hotel?"

    „Nicht unbedingt. Meistens wird mir kurz vorher mitgeteilt, in welcher Stadt sie sich gerade befindet, oder wo sie plant einzutreffen, wenn ich ihr etwas anzubieten habe, was sich zu zeigen lohnt oder was sie interessieren könnte. Es spielt keine Rolle. Sie zahlt das Hotel, die Spesen und meinen Flug. Manche Treffen sind sogar sehr kurzfristig, sodass ich mich manchmal noch an dem Tag, an dem ich ihre Benachrichtigung erhalte, auf den Weg machen muss. Es macht mir nichts aus." 

    „Ich gehe davon aus, dass Ihre Kundin großen Wert auf Diskretion legt", sagte ich, obwohl ich natürlich ahnte, dass dies eine Selbstverständlichkeit war. Er schaute mich einige Sekunden lang an und ich bekam den Eindruck, als würde ihn meine Frage enttäuschen, weniger wegen der Frage nach der Diskretion als wegen der Tatsache, dass ich mich weiterhin nach dieser Frau erkundigte. Es war der Augenblick, glaube ich, in dem mir der Gedanke kam, dass er schwul sein könnte. Ein leichtes Zittern der Brauen verriet mir seine Enttäuschung über meine sexuelle Ausrichtung. Er ließ es sich keineswegs anmerken, nahm einen kurzen Zug von seiner Zigarre und tat, als hätte er geradezu mit dieser Frage gerechnet.

    „Wissen Sie", fing er an, „solange Sie kein oder wenig Geld haben, leben Sie in der Diskretion. Nicht so sehr, weil Sie sich darum bemühen, sondern weil schlichtweg kein Mensch irgendein Interesse an ihrer Person bekundet. Sobald Sie aber zu Geld kommen, ändern sich die Spielregeln. Ab jetzt sind Sie derjenige, der sich die Leute vom Hals halten muss. Weiterhin identifiziert sie jeder, der von Ihnen erfährt oder Wind von Ihren finanziellen Verhältnissen bekommt, ob er es will oder nicht, mit Ihrem Vermögen. Es geschieht ganz automatisch. Sie können eine Person, von der Sie wissen, dass sie vermögend ist, nicht unvoreingenommen betrachten wie einen Fremden, der Ihnen irgendwo auf der Straße entgegenkommt. Sie können diese Person nicht ohne ihr Vermögen betrachten, als wäre sie mit der Energie oder, wenn Sie wollen, mit der Last dieses Vermögens behaftet.

    Genauso verhält es sich mit Prominenz, die eine Art Ersatz-Vermögen darstellt. Diese Leute wissen, dass sie das Interesse des Publikums magnetisch anziehen, ob sie es wollen oder nicht. Natürlich, manche legen es darauf an. Sie wollen im Rampenlicht stehen und tun alles dafür, damit es geschieht. Aber Sie werden verstehen, dass dies nicht der Personenkreis ist, über den wir hier reden. Dieser agiert oder versucht viel mehr im Verborgenen zu agieren, nicht zuletzt, weil die Vermögen hier in der Regel viel bedeutender sind als bei manchen, die durch Zufall, Glück oder auch durch Können zum Prominenz-Status gelangt sind. Dies gilt ganz sicher für die Gruppe, die man das alte Geld nennt, also Leute, die in industrielle Dynastien hineingeboren wurden, die bereits über die dritte oder vierte Generation hinaus vermögend oder sehr vermögend sind. Und sicher gilt dies für bestimmte Adelsgeschlechter, bei denen das Vorhandensein von größeren Gütern und Wertsachen bereits über Jahrhunderte selbstverständlich ist. Hier wird der Umgang oder besser Nicht-Umgang mit der Öffentlichkeit mit der Muttermilch aufgesaugt. An diese Personen heranzukommen, ist meistens sehr schwer, wenn nicht unmöglich, zumal die Namen bekannt sind und die Klatschpresse immerzu an jeder Ecke lauert, in der Hoffnung irgendwelche unbedeutende Details über das Privatleben dieser Leute zu erfahren. Allerdings finden Sie hier oft auch die erfahrensten Sammler, wie zum Beispiel die Herzöge von Northumberland, deren Kollektionen über fünfhundert Jahre lang zusammengetragen wurden. Diese Personen können es sich leisten, Dinge zu kaufen, für die sich heute niemand interessiert, wie zum Beispiel Silberlöffel oder Tierfiguren aus Porzellan. Da diese Objekte, außer vielleicht einige Japaner, heute niemand haben will, sind sie zu Spottpreisen zu bekommen. Aber wie sieht es mit Porzellan-Figuren oder Silberlöffeln in fünfzig oder in hundert Jahren aus? Sehen Sie? Diese Leute haben Zeit, es kommt wirklich nicht auf ein Jahrzehnt an. Deshalb haben sie auch die Geduld zu warten, bis die Preise für irgendwelche Güter im Keller sind und man einen echten Käufermarkt hat. Dann sehen sie sich um und fangen an, in aller Stille zu kaufen. Auf unauffällige Weise entstehen so ganze Kollektionen, am liebsten gespickt mit seltenen oder ausgefallenen Gegenständen wie französische Möbel aus dem achtzehnten Jahrhundert, Waffenkollektionen aus dem Dreißigjährigen Krieg, venezianische Kostüme oder Textilien, seltene Musikinstrumente wie Cembalos oder Spinette, kurz alles, was die Kunstgeschichte hergibt. Anders gesagt, diese Leute denken und kaufen in Jahrhunderten. Was die heutige Generation kauft, das wird vielleicht eines Tages die nächste oder übernächste Generation versilbern können. Ganz anders sieht es aber mit Autographen oder Schriftstücken berühmter Persönlichkeiten aus oder Dokumenten, die wichtige Ereignisse der Weltgeschichte dokumentieren. Denken Sie an Friedensverträge zwischen kriegführenden Nationen oder meinetwegen das Original der amerikanischen Verfassung, um nur ein Beispiel zu nennen. Diese sind viel weniger zyklisch, wenn ich mich so ausdrücken darf, sondern erhöhen gleichsam ihren Wert von Jahr zu Jahr. In manchen Fällen lassen sich hier sehr gute Renditen erzielen, insbesondere, wenn es sich um Autographe von richtigen Berühmtheiten handelt. Die meisten Schriftstücke Napoleons, seien sie noch so simpel wie irgendeine Depesche oder eine Befehlsnotiz an einen seiner Generäle, bringen jährlich gut fünf bis sieben Prozent Rendite ein. Trägt das Schriftstück auch noch die Unterschrift des Kaisers, sind oft noch viel höhere Renditen zu erzielen. Hier können Sie auf zwölf Prozent jährlich kommen. Und das seit Jahrzehnten. Etwas Inflationssicheres gibt es kaum. Noch höhere Renditen sind zum Beispiel mit Autographen von Chopin zu holen..."

    „Und Beethoven?"

    Er konnte ein Schmunzeln nicht verkneifen, denn er spürte, dass ich nicht lockerlassen würde, bevor er mir nicht einige Details über seine Beethoven-Sammlerin oder Beethoven-Verehrerin verraten würde, obwohl er es nicht nötig hatte und einen schwachen Versuch gestartet hatte, von dem Thema abzulenken. Es war offensichtlich, dass ihm die Kundin wichtig war und er alles dafür gab, Ihre Anonymität zu verteidigen.

    „Beethoven", fuhr er fort, „ist eine Liga für sich. Nichts für Otto-Normal-Sammler sozusagen. Anders als bei Mozart, von dem fast nichts auf dem Markt erhältlich ist, tauchen von Beethoven immer wieder wertvolle Stücke auf. Es gibt, wenn man so will, einen echten Beethoven-Markt. Diejenigen, die hier mitspielen wollen, müssen entweder von dem Komponisten besessen sein oder

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