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Soziale Beratung prekär situierter älterer Erwerbspersonen
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Soziale Beratung prekär situierter älterer Erwerbspersonen

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Der hier vorliegende Text beschreibt den Tatbestand, dass hilfebedürftige und arbeitslose Menschen in ihrem späteren Erwerbsleben, gerade im Hinblick auf ihre seniore Lebenszeit, keine adäquaten Hilfen seitens einer qualifizierten sozialen Beratung erfahren und so, als weniger amplifizierte Bevölkerungsgruppe, unzureichend gewürdigt, wenn nicht schlicht vergessen werden. Die Ausführungen beziehen sich auf Erwerbspersonen, die (noch) in einem Bezug zur Arbeitsgesellschaft stehen, aber jetzt schon eigene, subjektverträgliche Ziele anvisieren müssen, um in ihrem Lebensverlauf dauerhaft zurechtzukommen.
Auf dem Hintergrund einer Bestandsaufnahme traditionellen Beratungsverhaltens werden Zugänge zu prekär situierten Menschen behandelt und mit alternativen Vorschlägen untermauert. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Ausgestaltung von Beratung als Praxisbegleitung. Sie soll davon überzeugen, dass die einer prekären Klientel angemessene Hilfestellung das tätige Miteinander im jeweiligen Wohnumfeld oder Quartier (als Praxis) und dessen Reflexion (als Theorie) erfordert.
LanguageDeutsch
Release dateNov 19, 2018
ISBN9783748169666
Soziale Beratung prekär situierter älterer Erwerbspersonen
Author

Alois Franken

Alois Franken, 1950 im Rheinland geboren, gelernter Bankkaufmann, hat in Bonn, Tübingen und Münster Philosophie, Theologie, Politikwissenschaft, Soziologie und Pädagogik studiert und war als Erwachsenenbildner in seinen letzten 10 Berufsjahren für beruflich schwer integrierbare ältere Menschen zuständig. Der Autor beschäftigt sich in seinen Veröffentlichungen mit sowohl persönlichen wie fachlichen Themen, wobei jeweils die Beziehung zur eigenen Lebensgeschichte im Mittelpunkt steht.

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    Book preview

    Soziale Beratung prekär situierter älterer Erwerbspersonen - Alois Franken

    Literaturverzeichnis

    0 VORBEMERKUNG ZU EINEM FACHBUCHVERSUCH

    Das hier diskutierte Thema geht von der Erfahrung aus, dass hilfebedürftige Menschen in ihrem späteren Erwerbsleben keine ausreichenden Hilfen von einem spezifisch ausgebildeten Berater und einer entsprechend beistehenden Institution erhalten. Beginnend mit einer Bestandsaufnahme traditionellen Beratungsverhaltens werden mit und mit die Vorzüge des direktiven Zugangs auf prekäre Menschen ausgeführt und mit alternativen Vorschlägen untermauert. Die Thematik ist methodisch als Dreischritt vorgelegt: Nach einer Bewertung allgemeiner Beratungsvakanzen (1) werden die Einzelkomplexe Arbeitsperson (Berater; 2+5), Hilfesuchender (Klient; 3+6) und Sozialstaat (Gesellschaft; 4+7) jeweils zweifach durchdekliniert. Die dort mitbehandelten Kleinthemen, die in jeder sozialen Beratung randläufig vorkommen und jeweils mitbeachtet oder eben nicht beachtet werden, begleiten die Thematik arrondierend und über die Kapitelfolge hin.

    Die Verbesserungswürdigkeit von sozialer Beratung wird hier an ihrem zentralen Beispiel demonstriert. Sie wäre indessen fachlich und praktisch gründlicher auszuarbeiten, einzurichten und zu praktizieren: Dies bleibt der Hintergedanke dieser kleinen Veröffentlichung, die mehr als Anregung für weitere Schritte gedacht ist.

    Meine These, wonach die traditionelle soziale Beratung für ältere, prekarisierte Erwerbspersonen nicht wirklich greift, stützt sich auf beispielhafte Beobachtungen des Umgangs mit ihnen:

    Unzureichendes Informieren und Verweisen auf Unzuständigkeit.

    Fehlende existenzielle und lebenspraktische Hilfestellung.

    Leichtfertiges Beipflichten statt Problemerörterung.

    Fallbewältigung statt Feldverantwortung.

    Der Klient als abstrakter Fall.

    Die fehlende Sozialfachlichkeit.

    Strategieorientierung statt Kompromissaushandlung.

    Systemfragen und Ansprüche an Gesellschaft (Solidarität, Gerechtigkeit) werden nicht wahrgenommen,

    stattdessen hinter Amtlichkeit, Fachlichkeit und Personenbezug abgedunkelt.

    Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Menschen, die (noch) in einem Bezug zur Arbeitsgesellschaft stehen, aber jetzt schon eigene, alternative, subjektverträgliche Ziele anvisieren und ausarbeiten sollen, um in ihrem weiteren Lebensverlauf und über ihre Erwerbszeit hinaus dauerhaft zurechtzukommen. Schwerpunkt dabei ist die Ausgestaltung von Beratung als Praxisbegleitung. Dies wird in wiederkehrenden Ansätzen ausgeleuchtet. Sie sollen darauf hinweisen, dass eine angemessene soziale Beratung das tätige Miteinander mit dem Klienten in dessen jeweiligem Wohnumfeld und Quartier (als Praxis) und eine sich darüber Rechenschaft gebende und Anregung verschaffende Reflexion (als Theorie) erfordert.

    Zur Beachtung: Auch als langjähriger Berater mit der Zuständigkeit für erschwert lebende Menschen in einem präpensionären Alter weiß ich nicht in allen Fragen, die sich hier stellen und/oder jeweils angesprochen sind, bescheid; manches ist quasi gemutmaßt oder literarisch beigezogen. Aber selbst unfertige Gedanken können zur Professionalität führende Fingerübungen provozieren.

    Mit der Kritik an der unvollständigen Arbeit sozialer Hilfe ist die Intention verbunden, soziale Beratung in einen erweiterten Kontext zu überführen und praktisch wie fachwissenschaftlich deutlicher zu markieren. An vielen Stellen des vorliegenden Textes ließe sich anknüpfen, vieles sich weiterentwickeln. So wäre etwa die Etablierung von Beratung – über ihre hier dargestellte und aus Gründen einer vereinfachten Optik präferierte individuelle Form hinaus – für eigens zusammengestellte Betroffenen- oder Konsensgemeinschaften in ihrem Mehrwert, dem Kommunikationsgewinn und Erkenntnisüberschuss, sinnvoll; und ebenso wäre die Ausweitung der sozialfachlichen Zuständigkeit auf größere soziale Kontexte und deren sozialpolitische Durchdringung hin sicher von Vorteil.

    Für alle möglichen Verbesserungen sind, wie gesagt, hier nur einige Hinweise gegeben; weitere Ausführungen, gerade auch solche erwachsenenpädagogischer, didaktischer und methodischer Art, bleiben bearbeitungsoffen. Themen, die zu bearbeiten wären, betreffen verschiedene Akteure: Arbeitskräfte, Beratungs- und Ausbildungsinstitutionen, sozialstaatliche Stellen, formale (rechtliche, administrative) Regelungen sowie didaktische und methodische Handreichungen zur Einarbeitung sachlicher Themen, die für eine prekäre Klientel besonders wichtig sind; das herausragende, soziale Thema Wohnen/Wohnumfeld wäre hier nur eines von erheblicher Bedeutung.

    Formale Hinweise: Die übernommenen Zitate sind in ihrer jeweiligen Schreibweise aufgeführt, die Nachweise auf ein Mindestmaß beschränkt. Soweit wie möglich ist direkt-indikativisch formuliert.

    Die im Text generell verwendete männliche Ausdrucksweise soll verdeutlichen, dass ich selber ehrlicherweise nur in dieser Darstellungsform schreiben und verstehen kann. Über alle Geschlechterunterschiede hinweg formulieren zu wollen, wäre mir unredlich, ja umgekehrt-paternalistisch vorgekommen und hätte Verstehen und Nachvollziehen an der falschen Stelle signalisiert.

    "Vollendet ist das große Werk;

    der Schöpfer sieht's und freuet sich."

    (Joseph Haydn, Die Schöpfung, Nr. 26)

    1 BASISELEMENTE

    Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Fremden zeige man Eifer und Sorge … Das Auftreten der Reichen verschafft sich ja von selbst Beachtung. (Benedikt von Nursia, 6. Jh.)

    1.1 Thematische Näherungen

    Die Thematik, die hier erörtert wird, betrifft über 50- und unter 65jährige Menschen, die als Erwerbspersonen gelten, in einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsleben (als Erwerbstätige) oder in einem mittelbaren Bezug dazu (als Arbeitslose) stehen und so an den Rändern der Arbeitsgesellschaft angesiedelt sind.

    Die arbeitsbezogene und erweiterte soziale Beratung für diese Klientelen gerade im höheren Erwerbsalter ist unzureichend. Soziale Berater sind dafür nicht allein verantwortlich; sie transportieren Anweisungen und stehen in einer fachlichen Kontinuität, die häufig nicht auf die für diese Menschen nötigen Belange abzielt. Die eingeübten und häufig ungenügend reflektierten Sicht- und Handlungsweisen verhindern eine kritische Distanz zum eigenen Handeln; sie amalgamieren sich mit Eigeninteressen, durchaus auch unerkennbar. Hinzu tritt die Vermutung, dass der Berater sein Objektfeld häufig wohlmeinend fingiert und dabei unterstellt, er sei der rechte Mensch am rechten Ort, kompetent für die Klärung von Lebensproblemen. Dies zusammengefasst leitet zur Ausgangsthese: Die soziale Beratung von prekär situierten älteren Erwerbspersonen findet noch nicht statt.

    Skepsis ist angebracht, wenn vom Einbezug älterer Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt gesprochen wird, um das Dilemma des Fachkräftemangels zu beheben: Diese Bemühungen zielen nicht primär auf prekäre Teilnehmerkreise. Sie sind nicht in der Lage, einen Beitrag für die arbeitsbezogene und soziale Integration von solchen Menschen zu leisten, denn sie sorgen sich lediglich um Nachfragen eines ominösen Arbeitsmarktes, können aber nichts mit den sozialen Problemen einer geschwächten Klientel und ihrer sozialpolitischen Einbettung anfangen.

    Der überwiegende Teil der arbeitsbezogenen sozialen Beratung ist in staatlicher Hand. Die praktische Zuarbeit durch Dritte vollzieht sich weitgehend nach dessen Beauftragung. Nicht prinzipiell unterschiedlich verhält es sich mit den freien Beratungen, die in Arbeitsmarktfragen kritischer angelegt sein könnten: Auch sie sind vom Mittelzufluss und selbst noch am Rand von der ideologischen Formel des work first abhängig und arbeiten vielfach nach ihrer eigenen Plausibilität.¹ Aber zugleich haben die soziale und die arbeitsbezogene Beratung ihre rechtsstaatliche und sozialintegrative Bedeutung. Ohne die materiellen und personellen Hilfen ist ein prekärer Mensch in den Netzen seines Alltags gefangen.

    Die sozialen Hilfen können indessen nicht unmittelbar mit personeller Hilfestellung transportiert werden, sondern müssen sich im Lauf eines ganzen dienstlichen Vorgehens als nützlich erweisen (Neuffer). Beratung gedeiht am ehesten in einem Ensemble von Hilfen mit konkretem und relevantem Anwendungsbezug. Wenn die Strategien der Beratung greifen sollen, dann muss das Gesamtgefüge und nicht nur der darin eingebettete Fall verändert werden. Die neue Beratung lockert damit die Grenzen und nimmt den Fall in einem Kontext wahr, in dem beide – im Bezug zueinander – stehen.

    Wer ist der originäre Berater, Beistand oder Betreuer eines hilfebedürftigen Menschen? Wer ist befugt zur Interessenwahrung eines Dritten, auch gegenüber weiteren Stellen? Woher begründet sich die professionelle Kompetenz zu raten, zu zeigen, zu bedeuten und Entscheidungen zu lancieren? (Vgl. Löcherbach u.a./Hg.) Wie kommt der Berater zu seiner institutionellen Sicherheit und zu einem abgesicherten Status? Welche Bedingungen geht er ein, um seine fachliche Arbeit leisten zu können? Wie verändert er mit der Arbeit in seiner Institution seine eigene sowie deren Sicht?

    Was ist überhaupt Beratung, wie legitimiert sie sich, wie unterscheidet sie sich von anderen (sozialen) Aktivitäten, insbesondere von Nachbarschafts- und allgemeinen Hilfen? Was muss an Beistand, Ressourcen und Handwerkszeug herangezogen werden (können), um eine ratsuchende Person hilfesinnig zu öffnen – und eben als Berater adäquat tätig sein zu können?²

    Soziale Beratung zielt in meinem Verständnis zwar auf die Sicherung ökonomischer und persönlicher, aber ebenso auf die Reorganisation sozialer und gesellschaftlicher Verhältnisse.³ Als nicht weiter abgegrenzte Form kann Beratung letztlich jedes Thema bearbeiten, jeden gesellschaftlichen Bereich auffächern und Aktivitäten in eine eigene berufliche Tätigkeit zu überführen suchen. Sie könnte im Prinzip für alle Lebensbereiche angeboten werden. Folgerungen aus der sozialen Beratung sind immer sinnvoll, denn nur so erfahren die Beteiligten, welchen Eigenanteil sie jeweils selber tragen und wie sie praktisch daran anschließen können. Ohne die Möglichkeit einer rekursiven Sicht auf die Auswirkungen der Beratung sind beratende Aktivitäten ziemlich belanglos.

    Was das Zentrum einer Beratung sein muss, ist den Beteiligten vorweg oft nicht klar. Der Ratsuchende hat immer ein Informationsdefizit, muss sich aber seine Problemsicht, den einbettungsfähigen Zusammenhang erst erschließen. Hierin zeigt sich eine systematische Differenz.

    Die Fokussierung auf den einzelnen und seine private Zuständigkeit, die diesem in vielen Einzelbereichen der sozialen Beratung, beispielsweise im Gesundheits- und Verbraucherschutz, zugewiesen wird, bedeuten, dass er sich selber der für ihn sinnvollsten, nachhaltigsten und kompetentesten Dienstleistung und Dienstleister mit den für ihn besten Lösungen versichern möge. Eine solche vorab diktierte Zuständigkeit richtet sich dagegen an den handlungskompetenten einzelnen, der ohnehin in der Lage ist, sich selbstständig zu informieren, und damit über jene Stärken verfügt, die er als prekärer Mensch doch erst erwerben muss.

    Beratungsdienste verzweigen sich aus den traditionellen familialen, freund- und nachbarschaftlichen Hilfen in verschiedene Sektionen mit diversen Professionalisierungsgraden. Die Bemühungen zielen marktstrategisch auf die Überführung informeller Hilfen in formalisierte Hilfesysteme mit dem Versuch, möglichst jeden Beratungsdienst zu monetarisieren und berufsständisch zu integrieren. Professionalisierung von alltäglichen Hilfen hat Vor- wie Nachteile: In Rechnung gestellte Leistungen führen zu höherer Verbindlichkeit; Leistungen werden umschriebener, vergleichbarer, professionalisierter. Die Ausgestaltung als geldwerte Dienstleistung zieht allerdings die Reduzierung von unentgeltlichen, informellen Freundschafts- und Nachbarschaftshilfen nach sich und führt zur Aushöhlung informeller Hilfen in ihrem nächsten Umgebungsort. Die Verpflichtung zur Erbringung von sozialen Leistungen als staatliche Aufgabe bleibt dagegen bestehen.

    Prekär situierte Menschen kommen als eigene Rechtsträger im staatlichen, aber vor allem im privatisierten Beratungsdienst nicht zum Zug. Minderprivilegierte stellen kein ausbaufähiges Potenzial dar und sind marktrational uninteressant. Dagegen genießen Bereiche der nichtstaatlichen und der nicht-sozialen Beratung – also Versicherungs-, Finanz-, Vermögens- und in Teilen auch Rechtsberatung – den nötigen amortisierenden Zulauf.

    Auch in der sozialen Beratung selber herrschen Verzerrungen vor. Beispielsweise werden Beratungsschwerpunkte bezüglich Arbeit, Familien, Kindern, Jugendlichen und Senioren bevorzugt und gegenüber den Fragen einzelner abgehängter Klientelgruppen priorisiert. Die soziale Beratung als komplexes und auch politisches Geschehen arbeitet damit selber noch an den Verteilungsmodalitäten von Systemleistungen mit, die bestimmten Gruppierungen unterschiedlich zugute kommen – oder sie entsprechend ausschließen.

    Soziale Hilfen spiegeln in einer gewissen Hinsicht das gesellschaftliche Leben. Sie sind nötig, weil die Gesellschaft in ihren Hilfeleistungen vielfach Leerstellen lässt oder Vakanzen eröffnet. Die Zunahme der Hilfsangebote und -systeme vergrößert allerdings ihre latente Anwendungsbereitschaft. So gesehen lässt sich von einer Zirkularität in der Hilfestellung sprechen, die im Rahmen ihrer Unterstützungsarbeit zu immer neuen Fragen führt, Begehrlichkeiten weckt und so die Notwendigkeit von Beratung auch beweist. Insofern wäre immer auch die Effektivität von Hilfeleistungen auf den Prüfstand zu stellen.

    Auch der einzelne Berater strickt randständig an Zuteilungsmodalitäten bewusst oder unbewusst, faul oder dienstbeflissen mit: Er kommt aus anderen gesellschaftlichen Kontexten, und man weiß nicht so recht, welche Motivkette er mit seiner sozialen Arbeit zu schließen beabsichtigt. Aussagefähige Selbstaussagen darüber sind schwer zu haben und ebenso schwer zu erforschen.

    1.2 Beratende und beratene Gesellschaft

    Die Tendenzen hin zu einer beratenen Gesellschaft ergeben sich scheinbar selbstverständlich aus der Zunahme von gesellschaftlicher Komplexität. Dabei bleibt unerwähnt, dass diese Gesellschaft zugleich eine solche von Beratern, also eine beratende Gesellschaft ist, die die Produktion von Komplexität⁴ fördert. Die Konsequenzen prononcierter Beratung erzeugen vielfach wieder neue Folgen und Bedarfe: Mit ihrer Nachfrage nehmen die Beratungstätigkeiten potenziell zu (vgl. Elias, Soziologie, 105ff.). Wer berät, benötigt selber hier und dort Rat und nutzt beides – ratsuchen und beraten – mit gelegentlich auch sich widersprechenden Interessen als Nachfrager wie als Anbieter.⁵

    Menschen benötigen durchaus Beratungsdienste, um in einer für sie problematischen Welt zurecht zu kommen, auch wenn sie selber an dieser Problematisierung mitarbeiten. Sie verfügen aber vielfach nicht über die nötigen Kenntnisse zur gesellschaftlichen und technikaffinen Teilnahme, sind überfordert oder nehmen sich auch selber so wahr. Wenn die Chance auf ein Verstehen der sozialen Vorgänge oder der Sachzusammenhänge absehbar nicht gegeben ist, schwindet für den einzelnen das Interesse an ihrer Bewältigung und eröffnet unter anderem Raum für konsumtive Antworten. Da sich im Zug der Individualisierung die Zuständigkeiten zunehmend auf den einzelnen verlagern, muss Sozialpolitik flankierend eingreifen; sie wird umfangreicher und spezifischer, zieht die Ausweitung von Arbeitsfeldern und die Zunahme von Arbeitskräften nach sich und führt zu verstärkter Zugriffsdichte und -intensität.

    Mit der Ausweitung von Beratung für alltägliche Fragestellungen infiltrieren auch Managementmethoden in außerökonomische Beratungsfelder und in die von der Sozialgesetzgebung diktierten Verfahren. Die herrschenden Züge dabei sind versuchte Marktnähe und Ökonomieaffinität, und zwar für Probleme, die sich unter deren methodischer Herrschaft gar nicht wahrnehmen und behandeln lassen.

    In der unternehmensbezogenen Beratung gelten Berater als Experten, die, von außen in ein betriebliches System als in eine potenziell fließgleichgewichtige Situation eindringend, dieses mit neuen Ideen oder nur mit inflationären Begriffen bereichern und die interne (Arbeits-)Organisation effizienter zu gestalten beanspruchen. Vorausgesetzt wird, dass der Berater die brauchbaren Ressourcen mitbringt (vgl. Rambøll, Zf. 2.1; LsA, Beratung). Das Expertenwissen der externen (Unternehmens-)Beratung basiert dabei vorderhand auf früheren, für die konkrete Situation gewissermaßen abstrakten Kenntnissen, die zu ihrer Anwendung nochmals beigebogen werden (vgl. Faust, 286; Muhr, 15ff.). Ein Akteur hat nur selten klare Ziele, kohärente und konsistente Pläne. Er wird sie im Verlauf des Handelns modifizieren, einige verwerfen und einige sogar nachträglich entdecken. (Muhr, 15).

    Die Vorstellung, für die Klärung von Begründungszusammenhängen einen externen Experten verfügbar zu haben, der mit seiner Vorstellung eine vakante Situation schließen kann, ist für die soziale Beratung nicht tragfähig. Der Professionelle kennt zunächst weder den Ratsuchenden noch dessen zu expedierende Situation.

    Die systemtheoretische Überlegung, wonach blinde Flecken in der Beratung in einem Verfahren der Superpositionalität mittels Beobachtungen zweiter oder höherer Ordnung identifiziert werden können, lässt sich für keinen Beratungstyp reklamieren. Dies wäre allenfalls erst dann möglich, wenn die Beratung von wichtigen persönlichen, emotionalen, sozialen und kommunikativen wie auch organisationalen und auftragsgebundenen Bedingungen abstrahierte, die das Wahrnehmungskonzept beeinflussen. Aber der Berater handelt in einer ähnlichen Welt wie der Ratsuchende, ist seiner Umwelt ebenso ausgesetzt und kann sogar blind sein für Vorgänge, die sich auch dem Klienten verschließen.

    1.3 Dienstleistung und Beratung

    Beratung, die doch traditionell eher als Randbeschäftigung galt, rückt zunehmend ins Zentrum dienstleistender, kundenorientierter und kommunikativer Berufe. Dahinter steht die Einsicht, dass, wer nachhaltig Geschäfte betreiben will, ein sorgsamer Informant und Beziehungspfleger für eine wertgeschätzte Kundschaft sein muss. Ein Nachfrager will – zumindest bei höherwertigen Produkten und Leistungen – neben den reinen Funktions- auch die Randbedingungen verstehen und will umgarnt werden für künftige Kaufoptionen.

    Beratung in ihrer allgemeinen Signatur ist eine klassische Dienstleistung, wie sie mit jedem Kauf (Tausch) verbunden ist. Sie beinhaltet Dienst und Leistung. Dienste erwartet man traditionell als frei von monetären Konnotationen; sie sollen nebenher und zusätzlich geleistet werden und kostenfrei sein.⁶ Als reines Nebenher verlöre die soziale Beratung allerdings ihre Relevanz.

    Der menschliche Aspekt an beratender Dienstleistung wird vom finanziellen Abgleich, dem Entgelt, nicht aufgewogen; sein dialogischer, kommunikativer Gehalt überlagert üblicherweise die formale Handlung und stellt Beziehung und Vertrauen in den Mittelpunkt. Gerade im Hinblick darauf werden solche Dienstleistungen etabliert, die einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gerecht werden und ihre professionalisierte Tätigkeit als soziale herausstellen können.

    Die moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt nach SGB II genießt inzwischen eine zentrale Bedeutung. Sie kommt aber dem Kerngedanken der beratenden Tätigkeit nur dort nahe, wo sie den Kunden informiert, nicht jedoch in einem ausgewogenen Wechselspiel von Rechten und Pflichten. Der maßgebende Bezug auf geldwerte Leistungen verdrängt die kommunikative Beziehung; die ökonomisierte Dienstleistung namens Beratung produziert einen Modus von fachlich-amtlicher Arbeit, der pragmatisch abwickelt. Wer damit arbeitet, weiß, was geht und kommt zügig voran. Soziale Beratung als Begegnungs- und Austauschform beruht dagegen auf dem wohlwollenden, sich zuarbeitenden Arbeitsbündnis der Partner. Beratende Hilfestellung, die angemessen auf eine Thematik eingehen und beim Nachfrager Vakanzen schließen soll, muss zudem in einen Zusammenhang eingebettet sein, der als ganzer ansprech- und verhandelbar ist.

    Die soziale Dienstleistung nach SGB II, der die meisten Arbeitslosen und sicherlich alle prekarisierten Arbeitspersonen unterliegen, arbeitet

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