Hans Brenner. "vielleicht bin ich wirklich so": Eine Biographie von Martin Kolozs
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Ob als Wilderer und Räuberhauptmann, in der Rolle als Hanns Martin Schleyer, als CHARAKTERDARSTELLER oder Mitinitiator der TIROLER VOLKSSCHAUSPIELE IN TELFS - zeitlebens und darüber hinaus genoss Hans Brenner hohes Ansehen als HERAUSRAGENDER BÜHNENKÜNSTLER. Der wandelbare Schauspieler ist untrennbar verbunden mit der deutschsprachigen Theater- und Fernsehgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Vom SCHAUSPIELER und MENSCHEN Hans Brenner, von seinem Weg vom Arbeitersohn zum Volksschauspieler, von seinem BEWEGTEN LEBEN und seinen GRÖßTEN ERFOLGEN erzählt Martin Kolozs in dieser Biographie: unmittelbar, feinfühlig und mit ZAHLREICHEN PHOTOGRAPHIEN, PERSÖNLICHEN ERINNERUNGEN von Weggefährten, Freunden und Familie sowie einem Vorwort von TOBIAS MORETTI.
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Book preview
Hans Brenner. "vielleicht bin ich wirklich so" - Martin Kolozs
HANS BRENNER
„… VIELLEICHT BIN ICH WIRKLICH SO"
EINE BIOGRAPHIE
VON MARTIN KOLOZS
„Es ist nicht genug zu sagen, was ein Mensch geleistet hat. Die Leute wollen wissen, wer und was er war."
Aus dem Film Citizen Kane
Hans Brenner
„… vielleicht bin ich wirklich so"
Eine Biographie
von MARTIN KOLOZS
Universitätsverlag Wagner
Inhalt
Geleitwort von Tobias Moretti
Vorwort oder: „Wos mogst do schreibn?"
TEIL I … Mein Hansl, Sie kennen ihn eh!?
1. Johann (1938–1961)
2. Hansi (1961–1963)
3. Hansl (1963–1966)
4. Hans (1966–1968)
5. Honns (1968–1976)
Hans Brenner in Bildern
TEIL II … Zum großen Teil eine Lichtgestalt
6. Brennerhansl (1976–1998)
6.1 Familienleben
Einschub:
– „Papa" von Stephanie Brenner
– „Erinnerungen an meinen Vater" von Anna Therese Brenner
6.2 Berufsleben
6.3 Theaterleben
6.4 Das volle Leben
Nachspiel oder: Vom Schreiben über Hans Brenner
Anhang
Anmerkungen
Personenverzeichnis
Verwendete und weiterführende Literatur
Öffentliche Archive und private Sammlungen
Bildnachweis
Dank des Autors
Geleitwort
von Tobias Moretti
Zum ersten Mal gesehen hab ich den Hansl 1981, in Kranewitters „Die sieben Todsünden, bei den ersten Tiroler Volksschauspielen in Hall. Die ersten vier Zeilen – „Bin i aufi g’stiegn, bin i abi g’falln, bin i hangen bliebn an der Kammerschnalln
– haben in Sekunden eine Figur auf die Bühne gestellt, die einen nicht mehr losgelassen hat. Sie hat gepackt, fasziniert, verletzt, provoziert, so dass einem das Lachen im Maul stecken geblieben ist.
Nie zuvor habe ich so was gesehen. Ich war gerade im vorletzten Jahr an der Falckenberg und umringt von den Olympioniken der Münchner Kammerspiele und der Schaubühne, aber das hat etwas ganz Eigenes, Neues für mich aufgebrochen. Als Tiroler hat man sich ohnehin mit der Schizophreniewelt zwischen dem Leben und dem Schauspielerdasein notgedrungen arrangiert, aber dass es sich so verzahnen kann, dass aus dem Eigenen eine dramatische und eine proletarische, archaische Kraft entsteht, ohne Volkstümelei und Verwässerung der Sprache, war mir neu. Mein Vater hat mir öfter von ihm erzählt, sie kannten sich als Straßenbuben aus den Fehden zwischen Altstadt und St. Nikolaus.
Wenn man von einer Prägung sprechen kann, dann waren es zwei Schauspieler, die mich immer verzaubert haben: Hans-Michael Rehberg und Hans Brenner. Brenner war vielleicht noch wichtiger, unser Schauspielvater gewissermaßen, durch die Arbeit bei den Volksschauspielen, mit Ruth Drexel, die mich dann auch zu Baumbauer gebracht hat.
Das, was sich vielleicht Brecht unter einem Matti vorgestellt haben mag – einen widerspenstigen, widerborstigen, zwangskultivierten anarchischen Charakter –, hat er in fast allen Figuren einzusetzen vermocht. Er hat alles in sich gehabt.
Es gab wenige Schauspieler – die haben eine Fresse gehabt –, in der sich Welten, Universen von menschlicher Fülle abgespielt haben, bevor sie überhaupt etwas gespielt haben. Einer davon war Hans Brenner. Always on my mind.
Dein Tobender Hias
Vorwort
oder: „Wos mogst do schreibn?"
Anfangs hat man mir wenig Hoffnung gemacht, denn meistens wurde ich von meinen Gesprächspartnern mit den Worten empfangen: „Der Hansl hätt’ di a gfrogt, wos do schreibn mogst."
Erst später habe ich begriffen, was damit wirklich gemeint war, nämlich nicht die Feststellung, dass es da nichts zu schreiben gäbe, sondern die Frage von Familie und Freunden nach meiner eigenen Beziehung zu Hans Brenner, verbunden mit der Sorge, dass ich mich als quasi Fremder in das Privatleben des beliebten wie bewunderten (Tiroler bzw. bayerischen) Volksschauspielers einmische und vielleicht darauf aus bin, seiner unsterblichen Legende zu schaden.
Letzten Endes hat man mir jedoch vertraut und geglaubt, dass ich als Biograph, selbst wenn ich über jemandes Fehler und Schwächen berichten sollte, kein Urteil über ihn fälle, sondern ausschließlich versuche, ein klareres Bild dieser Person in der Öffentlichkeit zu zeichnen, frei nach dem Motto: „Sein Fehl sei uns zur Lehre, sein Gut sei ihm zur Ehre."
Daran schloss sich allerdings bald eine weitere Schwierigkeit an: Seit dem frühen Tod von Hans Brenner (1998) waren annähernd zwei Jahrzehnte vergangen, und die spärlichen persönlichen Spuren, die er hinterlassen hatte, verschwanden ebenso allmählich wie die Erinnerungen an ihn als Menschen, im Gegensatz zu den vielen Erinnerungen an ihn als Schauspieler von Weltrang, welche beinahe vollständig und umfassend in Form zahlreicher Zeitungsartikel und -berichte vorliegen.
Die Gründe dafür sind vielfältig, aber vor allem einer ist dafür maßgeblich: Hans Brenner hat sein Leben abseits von Bühne und Fernsehkameras nie ganz öffentlich gemacht. Darin war er sich mit seiner Langzeitlebens- und Berufspartnerin Ruth Drexel einig: Beide wollten an ihrer Arbeit gemessen werden und hielten darum ihre Haustür für sogenannte Homestories fest verschlossen.
Auch in dieser Lesart musste ich also das erwähnte „Wos mogst do schreibn?" verstehen und gleichfalls erkennen, dass eine Biographie nur so vollständig sein kann, wie ihre Quellen ergiebig sind, weshalb ich mich auch bemühte, zusammenzutragen, was noch zu finden war, und die letzten Zweifler davon zu überzeugen, dass meine Absicht, über Hans Brenner den Menschen (sprich: Sohn, Ehemann und Vater) zu schreiben, nichts von seiner Bedeutung oder Leistung als umjubelter Volksschauspieler wegnahm, sondern unter Umständen diese sogar erhellte.
Leider hatte ich nicht die Gelegenheit, mit jedem zu reden, mit dem ich es vorhatte, weswegen ich auch all jenen umso dankbarer bin, die sich dazu bereit erklärt haben und mir ihr Vertrauen und ihre Zeit schenkten.1
Bei den vielen Gesprächen, die ich während der vergangenen zwanzig Monate führen durfte, gab es in einer bestimmten Frage keinerlei Uneinigkeit: „Hans Brenner war ein Naturtalent, ein Jahrhundertschauspieler." Das sagten alle. Und ich stimme ihnen zu.
Anders hörte es sich an, wenn über den Hansi, den Hansl oder den Honns gesprochen wurde, den Privatmann. Darin gingen die Meinungen oft weit auseinander, bis hin zur völligen Widersprüchlichkeit und zum erneut alles in Zweifel ziehenden Satz „Wos mogst do schreibn", wenn es über den Brennerhansl doch nichts Eindeutiges gab?
Ich behalf mir dann mit einer Metapher: Es ist wie in einem Spiegelkabinett. Ich sehe den Mann zigmal vor mir, und wenn ich auch nicht sicher sein kann, auf den richtigen zu zeigen, so weiß ich dennoch, dass er unter ihnen ist und ich ihn finden werde, wenn ich nur genau hinschaue.
Außerdem: Zeigt sich die Einzigartigkeit eines Menschen nicht auch in seinen unterschiedlichen Gesichtern, die er für andere hat, und in der Fähigkeit, letztlich uneinordenbar zu bleiben?
Martin Kolozs, Oktober 2017
TEIL I
… Mein Hansl, Sie kennen ihn eh!?
2
In der Gesamtübersicht zeigt sich, dass das Leben von Hans Brenner aus zwei annähernd gleich langen Teilen besteht, mit einem Wendepunkt in der Lebensmitte. Teil eins betrifft die Zeit zwischen seiner Geburt 1938 und seinem Schauspielengagement in Berlin 1968; Teil zwei umfasst die Jahre danach bis zu seinem Tod 1998.
Die einschneidende Zäsur stellen das Epochenjahr 1968 und die daraus hervorgegangenen gesellschaftlichen Umwälzungen dar, welche Hans Brenner als knapp Dreißigjähriger (begrenzt) mitmachte: „Das war eine Radikalkur in Sachen Nachdenken."3 Seine Selbstwahrnehmung und sein ganzes Wertesystem verkehrten sich während dieser kurzen Zeitspanne beinahe ins Gegenteil und schufen den Brennerhansl, wie er den meisten Bewunderern seiner Spielkunst bis heute bekannt ist: „I bin halt a Linker."4
Im nachfolgenden ersten Teil wird ein etwas anderer Hans Brenner vorgestellt; ein suchender, unsicherer, verlorener Typ, tiefgläubig und hochtalentiert, der seine innere Einsamkeit mit Alkohol zu kurieren versucht, sich Hals über Kopf verliebt, bei den Frauen nach Mütterlichkeit giert, sich an dieser festhält und dennoch frei und unabhängig bleiben möchte.
Er ist nicht der Antipode des späteren Hans Brenner, des Volksschauspielers und Fernsehstars. Er ist dessen Ergänzung, dessen Erklärung, dessen früheres Selbst. Er ist sein seitenverkehrtes Spiegelbild.
1. Johann (1938–1961)
oder: „Es war eine schöne Kindheit,
denn ich habe sehr freundliche Eltern gehabt."
5
Es heißt, nicht wir machen die Erfahrungen, sondern die Erfahrungen machen uns. Es ist daher von besonderer Bedeutung, wann und wo jemand geboren wird und welche Einflüsse ihn prägen. Sein ganzes Leben wird davon bestimmt und in die eine oder andere Richtung gelenkt.
Als Johann (Hans) Brenner am 25. November 1938 geboren wurde,6 waren die Vorzeichen des Zweiten Weltkriegs, in welchen das Naziregime die ganze Menschheit kaum zehn Monate später stürzen sollte, schon zu erkennen. Seit März 1938 galt Österreich offiziell als Teil des deutschen Nationalstaates bzw. Großdeutschen Reiches, und in Tirol regierte seit 24. Mai desselben Jahres Franz Hofer als Gauleiter, ein willfähriger Helfer und fanatischer Bewunderer von Adolf Hitler, mit unfassbarer Brutalität und Menschenverachtung, der ebenso unerbittlich gegen politische Gegner wie den Klerus und das gesamte Kirchenvolk im Land vorging.
Beides traf bis zu einem gewissen Grad auf die Familie Brenner zu, welche als links denkende und sich katholisch bekennende Familie in St. Nikolaus, dem ältesten Stadtteil von Innsbruck, in einer Parterrewohnung des Hauses Innstraße 105 lebte. Hier in der „Koatlackn", wie die heimische Bevölkerung diese einstmals raue Gegend halb abschätzig, halb bewundernd noch bis heute nennt, wuchs Hans Brenner als zweites Kind7 seiner Eltern Johann und Maria Brenner in „ungeordneten Verhältnissen" auf, wie er es selbst später immer