Riechen und Fühlen: Wie Geruchssinn, Ängste und Depressionen zusammenspielen - Neue Wege der Behandlung
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Gerüche begleiten uns durch unser ganzes Leben, wir können nicht atmen, ohne zu riechen. Doch wir nehmen Gerüche nicht immer in gleicher Weise wahr, sie ändern sich je nachdem, in welcher Stimmung wir sind.
Das faszinierende Zusammenspiel von Geruchssinn und Emotionen erklären die Autorinnen, drei ausgewiesene Expertinnen, vor dem Hintergrund neuester wissenschaftlicher Forschungen. Sie zeigen, wie sich zum Beispiel bei Ängsten und Depressionen das Riechvermögen verändert und wie umgekehrt Duftstoffe die Heilung von psychischen Krankheiten unterstützen können.
In einem großen Praxisteil werden anhand von Fallbeispielen konkrete neue Einsatzmöglichkeiten von Düften in der Aromatherapie sowie Tipps für deren Nutzung im Alltag vorgestellt.
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Riechen und Fühlen - Eva Heuberger
KAPITEL 1 | WAS DIE NASE ALLES KANN
DER GERUCHSSINN DES MENSCHEN
IM VERGLEICH ZU ANDEREN ARTEN haben wir Menschen einen wenig entwickelten Geruchssinn, er spielt in unserem Leben heute kaum eine Rolle. Das kann man in jedem Biologielehrbuch nachlesen. Doch stimmt das wirklich? Biologisch gesehen zählt der Mensch zu den sogenannten Mikrosmaten, also jenen Arten, die vergleichsweise schlecht riechen können. Tatsächlich ist die Fläche, die das Riechepithel in unserer Nase einnimmt, weitaus kleiner als beispielsweise beim Hund. Dennoch haben Wissenschaftlerinnen¹ in den letzten zehn Jahren so viel Erstaunliches über unseren Geruchssinn herausgefunden, dass die Behauptung, unser Riechsystem sei rudimentär und mehr oder weniger nutzlos, nach und nach revidiert werden muss.
Unser olfaktorisches System ist einzigartig und wesentlich besser als sein Ruf, so Matthias Laska, Zoologe von der Linköping-Universität in Schweden. Es kommt darauf an, welchen Aspekt des Geruchssinns man betrachtet. Wenn man die menschliche Geruchssensitivität für einen Duftstoff namens Amylacetat mit jener von Hunden, Ratten oder Mäusen vergleicht, so stellt man überraschenderweise fest, dass Menschen dessen Geruch bei weitaus geringeren Konzentrationen wahrnehmen können als die erwähnten Tiere. Ähnlich sensitiv gegenüber diesem Duft sind (von den untersuchten Tieren) nur noch Klammeraffen und Totenkopfäffchen. Natürlich gilt das nicht für jeden Geruch. Amylacetat riecht jedoch nach reifen Bananen, einem Lebensmittel, das auf der Speisekarte der Primaten ganz oben steht. Deshalb sind Menschen wie Affen so gut darin, den Duft von Amylacetat aufzuspüren. Doch auch für andere Gerüche haben wir ein Näschen. Wir können zum Beispiel gut erkennen, ob Lebensmittel verdorben oder noch genießbar sind, ob es in unserer Nähe brennt oder ob giftige Gase in der Luft sind. Wir können uns mit Hilfe unseres Geruchssinns orientieren und an das erinnern, was wir einst gelernt und erlebt haben. Am Geruch erkennt eine Mutter ihr Baby und das Baby die Brustwarzen seiner Mutter. Und Babys können anhand des Geruchs sogar »ihre« Muttermilch vor der fremder Mütter erkennen.
Apropos unterscheiden: Ging man bis vor kurzem noch davon aus, dass wir Menschen nur rund 10.000 Gerüche voneinander unterscheiden können, so legen neueste wissenschaftliche Berechnungen nahe, dass es wahrscheinlich eher eine Milliarde sind. Und diese Zahl ist laut Andreas Keller und seinem Team von der Rockefeller-Universität in New York, die diese Kalkulationen angestellt haben, noch eine eher konservative Schätzung! Sie sehen also, wir sind gar nicht so schlecht im Riechen!
Wie das Riechen Ihr Leben jeden Tag beeinflusst, was Sie mit Ihrer Nase alles anstellen können, aber auch, was es bedeutet, wenn sie Ihnen ihren Dienst versagt, das wollen wir Ihnen auf den folgenden Seiten zeigen. Außerdem wollen wir skizzieren, wie das Riechsystem aufgebaut ist und wie Ihre Nase überhaupt so viele verschiedene Gerüche erkennen und unterscheiden kann.
Warum haben wir überhaupt einen Geruchssinn?
NATÜRLICH VERTRAUEN WIR IM ALLTAG in erster Linie unseren Augen und Ohren. Dennoch ist unser Geruchssinn kein evolutionärer Luxus, sonst hätten wir ihn schon lange nicht mehr. Denn eines ist sicher: Was bloß Energie kostet, aber keinen Nutzen hat und nicht gebraucht wird, das schafft die Evolution umgehend ab. Denken Sie nur an die Körperbehaarung: Wir haben sie weitgehend verloren, seit Kleidung an ihre Stelle getreten ist. Wie groß die Bedeutung des Geruchssinns im Lauf der Evolution für unser Überleben war und wie wichtig das Riechen immer noch ist, das spiegelt sich nicht zuletzt in unzähligen Redewendungen wider: jemanden (nicht) riechen können; ein Näschen oder einen Riecher für etwas oder die Nase gestrichen voll haben; den Braten riechen; etwas ruchbar machen, um nur einige zu nennen.
Das Riechen hat jedoch eine andere Funktion als das Sehen und das Hören. Während die beiden letztgenannten Sinne als Fernsinne bezeichnet werden, ist der Geruchssinn, wie übrigens auch der Geschmacksinn und der Tastsinn, ein sogenannter Nahsinn. Sehen und Hören informieren uns über etwas, das noch weit weg ist. Riechen, Schmecken und Tasten geben uns dagegen Auskunft über das, was in unserer unmittelbaren Nähe passiert. Wenn wir eine Straße überqueren wollen, ist es also sinnvoll, nach links und nach rechts zu schauen und zu lauschen, ob sich ein Fahrzeug nähert oder nicht. Es wäre töricht, dies erschnüffeln zu wollen. In dem Augenblick, in dem wir die Abgase des nahenden Autos wahrnehmen können, ist es möglicherweise schon zu spät.
Aus der Tatsache, dass Geruchsinformationen in der Regel über kurze Distanzen transportiert werden, erschließt sich, für welche Lebensbereiche sie relevant sind: für die Nahrungsaufnahme, für die Hygieneüberwachung, für die Sexualität und die soziale Interaktion sowie für Gefahren, die sofortiges Handeln erfordern. Denken Sie zum Beispiel an einen Brand. Solange Sie das Feuer bloß knistern hören und die Flammen lodern sehen, haben Sie noch Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Sobald Sie aber den Brand riechen können, sollten Sie sich schleunigst aus dem Staub machen.
Wir riechen an Lebensmitteln, um zu überprüfen, ob sie noch essbar sind oder ob wir sie besser wegwerfen sollten. Das Riechen ist übrigens auch stark mit dem Gefühl des Ekels verknüpft. Wenn wir Verdorbenes erkennen, dann auch, weil es in der Regel einen Geruch aussendet, den wir »zum Kotzen« finden. Dieses Ekelgefühl kann dann Erbrechen auslösen, um das verdorbene und daher potentiell schädliche Lebensmittel auf schnellstem Wege wieder loszuwerden, sollte es sich bereits in unserem Magen befinden. Gerüche geben uns ebenso einen Anhaltspunkt, ob etwas überhaupt ein Lebensmittel ist. Außerdem gibt es starke Verbindungen zwischen dem Geruch, dem Geschmack und dem Nährwert eines Lebensmittels. Aufgrund von Lernerfahrungen beim Essen können wir Vermutungen über den Geschmack einer Speise und ihren Kaloriengehalt anstellen.
Wussten Sie übrigens, dass das, was wir gern als den Geschmack eines Lebensmittels bezeichnen, in Wahrheit sein Geruch ist bzw. eine Kombination aus Geschmack und Geruch? Wir können nur fünf, vielleicht sechs Geschmacksrichtungen unterscheiden,² aber eine Milliarde Gerüche. Deshalb kennen wir vermeintlich so viele unterschiedliche »Geschmacksrichtungen«. Gerüche erreichen nämlich unsere Riechschleimhaut nicht nur über die Nase, sondern auch über den Rachen. Wie wir den Geruch eines Lebensmittels bewerten, hat auch etwas damit zu tun, wie satt wir sind, wie Forscherinnen um Martin L. Kringelbach von der Universität Oxford berichteten. Versuchspersonen mussten bewerten, wie angenehm sie den Geruch von Schokoladenmilch empfanden. Dann durften sie Schokoladenmilch trinken, bis sie satt waren, und mussten anschließend erneut ihren Geruch bewerten. Es stellte sich heraus, dass die Versuchspersonen diesen als weniger angenehm einstuften, wenn sie satt waren. Das bedeutet also, dass der Belohnungswert der Schokoladenmilch geringer wird und damit auch die Motivation, mehr davon zu konsumieren. Auf diese Weise limitiert der Geruchssinn auf natürliche Weise die Nahrungsaufnahme.
Sind Geruchsvorlieben angeboren oder erlernt?
AUCH EINE ANDERE KATEGORIE VON GERÜCHEN löst meistens Ekelgefühle aus, nämlich alle Gerüche, die mit Fäkalien, Erbrochenem und Verwesung einhergehen. Obwohl eine Aversion gegenüber solchen Gerüchen anscheinend universell und kulturübergreifend besteht, ist sie doch nicht angeboren. Wir haben aber gelernt, dass diese Art von Gerüchen auf Bakterien hinweist, die unserer Gesundheit gefährlich werden könnten. Dass es sich dabei nicht um vererbte Präferenzen handelt, zeigen die Reaktionen von Kleinkindern auf solche Gerüche und die Geruchsquellen: Sie gehen damit relativ unverkrampft um.
Es gibt aber anscheinend auch Gerüche, die wir alle lieben, Vanille zum Beispiel. Ist diese Vorliebe angeboren? Das könnte man denken, wenn man die Verhaltensmuster untersucht, die erst wenige Tage alte Säuglinge auf diesen Geruch hin zeigen. An ihren Gesichtsausdrücken und Bewegungen kann man ablesen, dass sie alle den Vanillegeruch lieben, sogar unabhängig davon, aus welchem Kulturkreis sie stammen.
Doch mit der Schlussfolgerung einer angeborenen Reaktion sollte man vorsichtig sein. Im Fall von Vanille haben Forscher herausgefunden, dass das aus der Nahrung stammende Vanillearoma nicht nur in die Muttermilch übergeht – wo die Babys es mit dem angenehmen Gefühl des Gestillt-Werdens assoziieren –, sondern bereits im Fruchtwasser gefunden werden kann. So prägt es wahrscheinlich schon vor der Geburt die Geruchsvorlieben von Säuglingen.
Gerüche als Indikatoren für Hygiene und mehr
WENN SIE VOR DER ENTSCHEIDUNG STEHEN, ob ein bereits getragenes, aber anscheinend makelloses T-Shirt noch einmal angezogen werden kann oder ob es besser in die Wäsche sollte, riechen Sie bestimmt daran. Auch wenn Sie sich an Ihre Partnerin kuscheln und einen strengen Körpergeruch an ihr wahrnehmen, werden Sie ihr wohl nahelegen, doch bitte wieder einmal zu duschen. Wir setzen also unseren Geruchssinn zur Kontrolle der Körperhygiene bei uns selbst, aber auch bei anderen ein. Aber gerade Körperausdünstungen scheinen eine ganz besondere Art von Gerüchen zu sein, wie wir weiter unten in diesem Kapitel noch ausführlich darlegen werden. Auf der einen Seite finden wir diese Gerüche unangenehm, besonders wenn sie von Fremden stammen, andererseits können sie abhängig von der Situation auch sehr anregend sein. Ob jemand fremd ist oder zur Familie gehört, welches Geschlecht oder Alter er hat, all das können wir an seinem Geruch ablesen.
Während viele Säugetiere, wenn sie aufeinandertreffen, sich gegenseitig beschnüffeln, um mehr übereinander zu erfahren, ist bei uns Menschen zumindest in unseren Breiten das Schnüffeln an anderen doch einigermaßen verpönt. Deswegen haben wir das Händeschütteln erfunden, behaupten zumindest israelische Wissenschaftler vom Weizmann-Institut für Wissenschaft in Rohovot. Die Forschergruppe um Idan Frumin und Noam Sobel filmte Menschen, nachdem diese einem Fremden die Hand zur Begrüßung gegeben hatten. Man stellte fest, dass diese Personen sich häufiger mit den Händen an oder in der Nähe der Nase berührten. Die Wissenschaftler interpretierten dieses Ergebnis als Ersatz für das Beschnüffeln, weil sie auch festgestellt hatten, dass beim Händeschütteln tatsächlich körpereigene Duftstoffe von einer Person auf die andere übertragen werden. Woran nach dem Handschlag gerochen wurde – an der Hand, die die andere Person berührt hatte, oder an der anderen –, hing vom Geschlecht des Gegenübers ab: War die per Handschlag begrüßte Person gleichgeschlechtlich, wurde öfter an der gegebenen Hand gerochen. War sie jedoch vom entgegengesetzten Geschlecht, wurde öfter die andere Hand beschnuppert. Die genauen Zusammenhänge zwischen diesem Verhalten und dem Geschlecht der beteiligten Personen müssen allerdings noch näher untersucht werden, so die Autoren dieser Studie.
Die Wissenschaft kann heute noch nicht bis ins letzte Detail erklären, wozu bestimmte Verhaltensweisen dienen, die mit dem Riechen in Verbindung stehen. Auch gibt es noch Unstimmigkeiten darüber, ob solche Verhaltensweisen eher angeborene oder erlernte Phänomene darstellen. Was wir jedoch als Schlussfolgerung aus den bisherigen Erkenntnissen ziehen können, ist, dass der Geruchssinn beileibe kein nutzloses Relikt aus unserer Vergangenheit darstellt. Er ist im Gegenteil ein hochpräzises Instrument, das wir aktiv nutzen, um unsere nähere Umgebung zu erforschen.
Auch über den Riechvorgang selbst haben Wissenschaftlerinnen in den letzten zehn Jahren bereits vieles herausgefunden. Wir wollen daher als Nächstes betrachten, wie die Informationen, die in einem Riechstoffpartikel, einem Molekül, enthalten sind, in eine Geruchswahrnehmung »übersetzt« werden.
DUFTSTOFFE UND GERÜCHE: VOM CHEMISCHEN MOLEKÜL ZUM SINNESEINDRUCK
WIE SCHON EINGANGS ERWÄHNT wurde der Mensch lange Zeit als »mikrosmatisches Tier« bezeichnet, dessen Geschmacks- und Geruchssinn angeblich eine eher untergeordnete Rolle spielten. Viel mehr Bedeutung schienen der Seh- und der Gehörsinn zu haben, zum Beispiel um Informationen aus der Umwelt zu sammeln. Auf der anderen Seite wurden und werden seit dem Altertum bis heute Düfte im Alltag eingesetzt, sei es im Rahmen von religiösen Ritualen oder um den eigenen Geruch zu maskieren. Um diesen Widerspruch aufzuklären begannen, Wissenschaftlerinnen Mitte des 20. Jahrhunderts, den Geruchssinn genauer zu erforschen.
Ein großes Problem war es allerdings, die entsprechende anatomisch-physiologische Struktur für den Riech-Stimulus zu finden. Während die Grundfarben (rot, blau, gelb) und die – ursprünglich – vier Geschmacksrichtungen (süß, salzig, bitter, sauer) sowie das Funktionieren von Seh- und Geschmackssinn bereits seit Jahrzehnten bekannt waren, fehlte etwas Essenzielles zum Verständnis des Geruchssinns: das sogenannte »missing link« zwischen Duftstoffmolekül und Riechsystem. Im Jahr 1991 wurde schließlich von der Neurophysiologin Linda Buck und dem Mediziner Richard Axel von der Columbia-Universität die Familie der Riechrezeptor-Gene entdeckt. So gelang es den Geruchsforscherinnen zusehends, den Geruchssinn besser zu verstehen. Beginnend mit dieser Entdeckung konnte das komplizierte System in kleinere Untereinheiten zerlegt und ihre verschiedenen Funktionen aufgeklärt werden. Die beiden Forscher, die den Grundstein hierfür gelegt hatten, erhielten für ihren unschätzbaren Beitrag 2004 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin. »A Nobel for Smell« titulierten David Julius und Lawrence C. Katz, zwei weltbekannte US-amerikanische Sinnesphysiologen, sehr treffend ihren Artikel anlässlich der Preisverleihung.
Wie funktioniert nun dieser Geruchssinn, der nicht nur unglaubliche Differenzierungsfähigkeiten, sondern auch eine erstaunliche Sensitivität für bestimmte flüchtige Verbindungen ausweist und dabei sogar so manches elektronische Gerät übertrifft? Nun, zu Beginn bedarf es eben einer solchen flüchtigen Verbindung, also eines Duftstoffmoleküls in der Luft. Dieses wird eingeatmet und gelangt so zu den Riechrezeptoren im hinteren Teil der Nasenhöhle. Die Riechrezeptoren sitzen in der Riechschleimhaut und sind umgeben von einer dünnen wässrigen Schleimschicht. Zusätzlich haben sie eine hydrophobe Bindungstasche, also eine Teilstruktur, die wasserabweisend ist, an der das Duftstoffmolekül »andockt«. Daher muss ein Duftstoffmolekül einerseits hydrophob sein, andererseits aber auch einen hydrophilen Teil aufweisen, um durch den wässrigen Schleim überhaupt erst zu den Rezeptoren vordringen zu können.
Wie die Struktur eines solchen Moleküls letztendlich jedoch mit seinem Duft zusammenhängt, ist noch ein großes Rätsel der Wissenschaft. Man weiß immer noch wenig über die essenziellen Charakteristika der Moleküle, und es ist auch für einen Parfümeur oder eine Wissenschaftlerin bis heute nicht möglich, den Geruch eines neuen, unbekannten Duftmoleküls vorauszusagen. Man kennt zwar grundsätzlich ein paar Struktureinheiten, die für bestimmte Düfte verantwortlich sind, wie zum Beispiel Schwefelverbindungen, die nach faulen Eiern riechen, oder Amine – das sind bestimmte Stickstoffverbindungen, die »fischeln« – und Ester mit ihrem fruchtigen Duft. Während man in der Optik die Wellenlänge direkt einer Farbe und in der Akustik die Frequenz einem Klang zuordnen kann, gibt es beim Riechen aber keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Molekül und seinem Duft. Verbindungen ähnlicher Struktur können komplett unterschiedlich riechen, während manche Duftstoffe verschiedener Molekül-Struktur wiederum einen sehr ähnlichen Geruch aufweisen. Die Arbeitsgruppe um Gerhard Buchbauer am Department für Pharmazeutische Chemie der Universität Wien synthetisierte in jahrelanger Arbeit eine Vielzahl von Duftstoffen aus dem ätherischen Vetiver- und vor allem Sandelholzöl, die kleine Veränderungen der Molekülstruktur aufwiesen, um zum Verständnis von Struktur-Geruchs-Beziehungen beizutragen. Zu allem Überfluss treten die meisten Gerüche auch nicht als einzelne Substanz auf, sondern als komplexe Mischung vieler verschiedener Duftstoffmoleküle, was es noch schwieriger macht, diesen Zusammenhang zu klären.
Doch kehren wir nach diesem kurzen Ausflug in die Chemie der Duftstoffe zum Thema zurück. Bei Säugetieren besteht das Riechsystem oder olfaktorische System aus mehreren Untereinheiten: dem trigeminalen System, dem eigentlichen olfaktorischen System, dem vomeronasalen System sowie einigen weiteren, die aber noch zu wenig charakterisiert wurden und zum Teil beim Menschen keine wesentliche Rolle spielen dürften.
DER »TASTSINN« IN DER NASE
DER NERVUS TRIGEMINUS, DER FÜNFTE HIRNNERV, besteht aus frei in der Nasenschleimhaut liegenden Nervenendigungen und vermittelt uns das Gefühl von Wärme, Kälte, Schmerz, Druck und Irritation. Er ist also kein Riechnerv, trägt aber zur Charakterisierung eines Dufts maßgeblich bei. Der kühlende Effekt des (–)-Menthols aus der Pfefferminze, der in hoher Konzentration übrigens in ein Hitzegefühl übergeht, ist ein klassisches Beispiel für einen stark auf den Trigeminus (trigeminal) wirkenden Duftstoff. Dieser Nerv versorgt das gesamte Gesicht und stellt so eine direkte Verbindung von scharfen Gerüchen und tränenden Augen dar. Reizt man ihn zu stark, wird ein Schutzreflex ausgelöst. Wenn wir die Nase zum Beispiel zu tief über eine Säure wie Essig stecken, ziehen wir reflexartig den Kopf zurück. Der Nerv steht zudem im Zusammenhang mit dem Zustand der Wachheit. Zu Zeiten, als Damen der feinen Gesellschaft ihre Oberkörper in enge Mieder steckten und deshalb gelegentlich in Ohnmacht fielen, hatte man immer ein Fläschchen »Riechsalz« bei sich. Dabei handelte es sich in der Regel um Ammoniumsalze, welche durch ihren beißenden Geruch rasch aus der Ohnmacht weckten, wenn man sie unter die Nase gehalten bekam.
Grundsätzlich scheinen alle Riechstoffe, wenn sie nur hoch genug konzentriert sind, zu einem gewissen Grad auch den Nervus trigeminus zu reizen, was dem Duft ein gewisses Prickeln verleiht.
DIE RIECHNERVEN – MIT NUR EINMAL UMSTEIGEN VON DER NASE INS GEHIRN
DAS OLFAKTORISCHE SYSTEM oder das Haupt-Riechsystem kann man als den eigentlichen Geruchssinn bezeichnen. Die Duftstoffmoleküle, die wir aus der Luft einatmen, gelangen durch die Nasenschleimhaut ins Riechepithel, also die Riechschleimhaut, eines spezialisierten Neuroepithel-Gewebes, das am oberen Ende der Nasenhöhle direkt unter der Siebbeinplatte liegt. In der Riechschleimhaut sitzen, eingebettet zwischen Stütz- und Basalzellen, Millionen von Riechneuronen, welche die herbeigeführten Duftstoffe wahrnehmen.
Nun, wie machen sie das? Die Riechneuronen sind langgestreckt – das eine ihrer Enden reicht in die Riechschleimhaut, wo es in einer Knolle endet. Von dieser breiten sich um die 12 Zilien, also feine, frei bewegliche Zellfortsätze, in der Riechschleimhaut aus und bilden die erste Kontaktstelle zu den Duftmolekülen, denn auf den Zilien sitzen die Riechrezeptoren. Das andere Ende der Riechneuronen verjüngt sich zu einem Axon – so nennt man den Ausläufer einer Nervenzelle –, welches sich mit bis zu 100 anderen Axonen von anderen Riechneuronen bündelt und durch eine der vielen kleinen Öffnungen in der Siebbeinplatte ins Gehirn tritt. Das bedeutet also: Ein Duftmolekül wird mit der Luft eingeatmet, durchdringt die Riechschleimhaut und dockt an die Riechrezeptoren auf den Zilien des Riechneurons an. Dadurch wird ein elektrisches Signal ausgelöst, denn die Duftmoleküle selbst bleiben natürlich in der Nase zurück. Das Signal aber läuft entlang des Riechneurons und von dessen Ausläufer, dem Axon, durch die Siebbeinplatte direkt in unser Gehirn. Das macht die Riechneuronen so einzigartig, denn sie stellen als einzige Neuronen eine direkte Verbindung zwischen Außenwelt und dem Gehirn dar! Sie sind zudem kurzlebig und werden ungefähr alle 40 Tage durch die Basal-Stammzellen erneuert. Auch das ist ungewöhnlich und liegt vermutlich daran, dass die Riechneuronen durch ihre Exposition mit der Umwelt Giften oder reizenden Substanzen ungeschützt ausgesetzt sind. Auf der anderen Seite der Siebbeinplatte vereinen sich noch weitere Axone, die durch andere Öffnungen ins Gehirn getreten sind, zum Riechnerv, dem ersten Hirnnerv, der in den Riechkolben führt.
Die Duftwahrnehmung beginnt also mit der Aktivierung der Riechneuronen. Bereits hier wird die Information über Identität, Qualität, Intensität und hedonische Valenz, also die »Angenehmheit«, des Geruchs aufgenommen und ist für jeden Duft spezifisch. Aber wie kann das bei derartig vielen möglichen Gerüchen funktionieren?
Es ist kompliziert, doch im Grunde ganz einfach: Die meisten Düfte bestehen aus mehreren unterschiedlichen Duftstoffmolekülen und aktivieren eine andere Art und Anzahl von Riechneuronen. Dieses Aktivierungsmuster ist für den speziellen Duft charak-teristisch wie ein Fingerabdruck. Der Schlüssel hierfür sind die Riechrezeptoren, die, wie bereits erwähnt, an den Zilien sitzen und von den Riechneuronen hergestellt (exprimiert) werden. Die Riechrezeptoren gehören zu der Familie der sogenannten G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Das sind biologische Rezeptoren in der Zellmembran, die Signale von bestimmten Proteinen (G-Protein) weitergeben. Sie stellen mit mehr als 1000 verschiedenen Mitgliedern die größte