Chillen in Flottillen: Raus aus dem Büro - rein ins Segelabenteuer
By Clara Mare
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Einen Tag lang nicht das Smartphone oder den E-Mail-Account checken? Undenkbar! Zumindest für Clara, Forscherin an der Universität und ihres Zeichens eingefleischter Workaholic. Für ihre Dissertation arbeitet sie schon mal bis spät in die Nacht oder brütet am Wochenende mit Kollegen über der nächsten Präsentation. Ihr gesamtes Leben misst sie in Erfolgen, im Job ebenso wie beim akribischen Training jeder einzelnen Muskelpartie im Fitnessstudio.
Genauso akribisch plant Clara ihren Urlaub – und bucht eine Ü30-Singlereise nach Italien. Eine gewöhnliche Pauschalreise würde sie natürlich niemals wählen, schließlich ist sie ja Individualistin. Statt Hotel und Sandstrand heißt es für Clara deshalb Segelboot und Wellengang: Sieben Tage lang wird sie in einer Flottille mit drei Schiffen durch die Gewässer rund um Sardinien schippern. Denn Segler, das sind verwegene Abenteurer, die nichts brauchen außer sich und ihr Boot. Glück, Entspannung und eine salzige Brise um die Nase – genau das braucht Clara jetzt!
Eine Auszeit zwischen Selbstfindung und Abenteuerurlaub
Mit an Bord sind 21 Mitreisende aus ganz Deutschland, von denen keiner ein Boot steuern kann. Außerdem Ove, der Pfeife rauchende Skipper mit einem ganzen Repertoire voller Horrorstorys. Und Teilzeitabenteurerin Clara? Die wird von der Bürostuhlakrobatin zur "Anker-Maus" der AMETHYST.
Auf 124 Seemeilen unter Segeln erlebt sie Flauten und Beinahe-Kollisionen, erträgt die Spannungen zwischen den Mitseglern und stellt fest, dass ein Keks und ein Glas Wein trotz Schlafentzug überglücklich machen können – und dass manchmal nicht das Ankommen der größte Erfolg einer Reise ist.
Ein ebenso humorvoller wie ehrlicher Reisebericht, der zum Mit-Segeln inspiriert. Lassen Sie sich von Claras Abenteuerlust anstecken!
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Book preview
Chillen in Flottillen - Clara Mare
VERHEIßUNGSVOLLES KENNENLERNEN
Tag 1: Samstag, 27. August 2016
»W enn du Zeit und Lust auf einen Kaffee/Tee hast, ich sitze am Düsseldorfer Flughafen gegenüber von Gate A63 auf der grauen Bank, lange blonde Haare, dunkle Brille. Grüße Clara.« Die Nachricht, die ich in mein Handy tippte, erinnerte mich irgendwie an eine Kontaktanzeige. Während ich auf Senden tippte, schaute ich mich aufmerksam um, ob jemand in Sichtweite just in diesem Moment zum Telefon griff, um meine Nachricht zu lesen. Es gab hier am Flughafen ziemlich viele Leute, die auf ihr Smartphone starrten oder es zärtlich streichelten, aber niemand schien sich von meinen Worten angesprochen zu fühlen. Doch dann kündigte mein Handy eine eingehende Nachricht von Andreas an. Er habe Zeit und Lust auf einen gemeinsamen Kaffee, sitze aber am Stuttgarter Flughafen. Das war jetzt irgendwie ungünstig!
Aber noch musste ich die Hoffnung nicht aufgeben, meinen lauwarmen Beuteltee in Gesellschaft zu trinken. Während ich an einem überteuerten Focaccia-Brötchen mit welkem Salat knabberte, blieb plötzlich jemand vor mir stehen. Unsere Blicke trafen sich, und wir wussten sofort, dass wir einander gesucht und gefunden hatten. Ich setzte ein freudiges Lächeln auf und wollte mein Gegenüber mit einem lässigen »Hallo« begrüßen. Doch aus meinem Mund kam nur ein schauriges Krächzen, gefolgt von einem Hustenanfall, der mir die Tränen in die Augen trieb. Das hatte ich nun davon, dass ich meine Erkältung in der letzten Woche nicht ordentlich auskuriert hatte. Ein Schluck lauwarmer Tee und ein Hustenbonbon halfen, meine Atemwege zu beruhigen und mich meiner neuen Bekanntschaft vorzustellen.
Was nach amourösem Blind Date klingt, war der Anfang meiner Ü-30-Single-Reise. Gesucht und gefunden hatte ich Annika, eine von 21 Mitreisenden, die zumindest vordergründig allesamt das Gleiche wollten wie ich: mitsegeln. Aus ganz Deutschland reisten 22 Menschen nach Sardinien – darunter auch Andreas aus Stuttgart sowie Annika und ich aus Düsseldorf –, um dort, verteilt auf drei Booten, eine Woche gemeinsam zu segeln. Annika und Andreas waren also nur zwei von vielen neuen Namen, die ich mir im Lauf des Tages würde merken müssen. Noch besser wäre es, wenn ich mir am Ende des Tages nicht nur ihre Namen, sondern auch die passenden Gesichter gemerkt haben würde.
Nachdem ich meine Stimme wiedergefunden und Annika den Schock verdaut hatte, den mein Gekrächze und der anschließende Hustenanfall hervorgerufen hatten, beschnupperten wir uns vorsichtig. Annika trug Jeans und ein weißes T-Shirt mit einem Aufdruck der US-amerikanischen Flagge. Ob das ein politisches Statement war, vermochte ich nicht zu sagen. Immerhin hatte Europa mit Barack Obama als Präsident seinen Glauben an die USA wiedergefunden. Doch auf Annikas T-Shirt war die Flagge wohl eher als modischer Aufdruck zu verstehen, der ihrem Outfit etwas Lässiges gab. Ich konnte ihre sportliche Figur erahnen, doch sie schien es nicht für nötig zu befinden, diese durch ein großes Dekolleté oder einen engen Schnitt zu betonen. Sie strahlte vielmehr eine sympathische Natürlichkeit aus. Mit ihren dunklen, kinnlangen Haaren und ihren großen, braunen Augen wirkte sie jugendlich, ohne dabei allzu süß auszusehen. In einem angenehm ruhigen Tonfall erzählte sie, dass sie die wohl kürzeste Anreise habe, da sie direkt in Düsseldorf wohne und mit der S-Bahn gekommen sei. Heiser belehrte ich sie eines Besseren. Zwar lebte ich in Aachen, doch hatte ich die letzte Nacht bei einer Freundin verbracht, die direkt neben dem Flughafen wohnte. Ich war von dort zu Fuß zum Gate gekommen. Damit war das Eis gebrochen. Wir lachten herzhaft – wobei mein heiseres Röcheln recht furchteinflößend klang – und diskutierten über die Vorzüge Düsseldorfs als lebenswerte Stadt. Ganz nebenbei erfuhr ich, dass Annika Mitte 30 war, Geschwister hatte, einen Segelschein besaß, aber dennoch glaubte, nicht segeln zu können.
Als wir gerade warm miteinander geworden waren, trennten sich unsere Wege vorerst schon wieder, als wir den Flieger bestiegen, der uns nach Italien bringen sollte. Annika nahm weit vorn Platz, während ich mich nach hinten durchkämpfen musste. Die Stewardess begrüßte jeden Reisenden mit einem gebleachten Lächeln und schien gar nicht zu merken, dass manche ihrer Gäste kurz davor waren, sich die Köpfe einzuschlagen, um in der Gepäckablage ein Plätzchen für ihr deutlich überdimensioniertes Handgepäck zu ergattern. Geflissentlich lächelte sie über jede Aggression hinweg.
Als ich meinen Platz im hinteren Teil des Flugzeugs schließlich gefunden hatte, scheuchte ich die beiden in meiner Reihe sitzenden Frauen hoch, um meinen Fensterplatz zu erreichen. Wie sich herausstellte, kannten die beiden Damen einander nicht. Es schien vielmehr so, als hätte man hier im hinteren Teil des Flugzeuges alle Single-Reisenden – bis auf Annika – versammelt. Die Dame in der Mitte berichtete mir ungefragt, sie habe ein spezielles Single-Angebot in einem Sportclub gebucht, woraufhin ihre Nachbarin am Gang ihr erklärte, sie habe eine Single-Segelreise gebucht. Ich wurde hellhörig und hakte nach. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei der Dame am Gang um meine Mitseglerin Katharina. Da wir unsere Reise über denselben Reiseveranstalter gebucht hatten, waren wir im Flieger offenbar auch in derselben Reihe platziert worden. Da meine unmittelbare Nachbarin, die Sportclub-Single-Dame, ihre Flugangst totzureden versuchte, mussten Katharina und ich unser Kennenlernen auf später verschieben. Mir machte das in diesem Moment wenig aus, denn angesichts des Fluglärms verstand sowieso niemand mein krächzendes Flüstern. Katharina und ich ließen die Dame in unserer Mitte brabbeln und lehnten uns in unseren Sitzen zurück.
Als der Flieger endlich abhob, wandte ich meinen Mitreisenden für einen Augenblick meine Kehrseite zu und blickte aus dem Fenster. Ich liebe den Blick von oben auf die Welt. Auch wenn diese Perspektive durch Google Earth inzwischen schon vertraut erschien, fand ich ihn wahnsinnig aufregend. Zunächst zogen noch einzelne Autos vorbei, dann irgendwann erkannte ich nur noch die Straßen, auf denen sich Bindfäden hin und her zu schieben schienen. Einzelne Gebäude wurden zu Flächen, entlang von Straßen reihten sich Dörfer auf, dann wieder konzentrierten sich die konzentrisch organisierten Städte an den großen, meist schon jahrhundertealten Handelsrouten, und im Hinterland erstreckten sich die Satellitenstädte. Ein Stadtforscher hatte dafür den Begriff »Zwischen-Stadt« erfunden. Von hier oben sah man die raum- und landschaftsverändernde Wirkung der menschlichen Eingriffe am besten. Ich erkannte nicht nur unterschiedliche Siedlungsstrukturen, sondern die Stadtplanerin in mir konnte sogar unterschiedliche Planungskulturen erahnen. Die Baustrukturen ließen erkennen, ob die Wirtschaft florierte und wie hier steuernd in die Bautätigkeiten eingegriffen wurde. Ich sah unterschiedlich dicht bevölkerte Landstriche und konnte die Einsamkeit in den ländlichen Räumen und das Gedränge in den Großstädten fast fühlen. Je höher das Flugzeug stieg, desto unbedeutender wurden die vom Menschen geschaffenen Landschaftsstrukturen. Die natürliche Topografie trat zutage, Flüsse, Seen und Gebirge schoben sich langsam am Fenster vorbei. Der Blick von oben auf die Welt berührte das Herz eines jeden Stadtplaners. Von hier oben sah alles friedlich aus.
Irgendwann hatte das Flugzeug seine endgültige Flughöhe erreicht und eine Schönwetterwolkendecke durchbrochen. Ich hätte mich am liebsten in die weißen Wolken hineingeworfen und musste meinen Kopf daran erinnern, dass sie mich nicht mit flauschig weicher Wärme umhüllen würden, sondern dass ich durch feuchtkalte Luft fallen und irgendwo auf dem Boden aufschlagen würde. Träge geworden, suchte ich nach Wolkenbildern und entdeckte wilde Kreaturen am Horizont. Aus einem Pferd mit Reiter wurde schnell ein geflügelter Drache, der sich schließlich in einen Kampfjet verwandelte. Ich schreckte hoch, als mein Kopf nach vorn sackte. Ich musste wohl kurz eingeschlafen sein.
An ein gepflegtes Nickerchen war jedoch nicht mehr zu denken, denn neben mir brabbelte noch immer die Sportclub-Single-Dame. Nachdem der Kapitän die Passagiere mit einer gelangweilten Durchsage begrüßt hatte, ließ ihr Adrenalinschub jedoch nach, und damit auch ihr Redefluss. Endlich hatte ich die Gelegenheit, Katharina ein wenig näher kennenzulernen, mit der mir ja immerhin ein gemeinsamer Urlaub bevorstand. Ich erfuhr, dass sie aus Hamburg kam und besonders früh hatte aufstehen müssen, um rechtzeitig am Düsseldorfer Flughafen zu sein. Hamburg, das immer wieder zu den lebenswertesten Städten gekürt wurde, hatte keine Direktverbindung nach Sardinien. Das sollte bei den Rankings zukünftig unbedingt berücksichtigt werden. Dieses Manko war Katharina in den 15 Jahren, die sie schon in Hamburg lebte, zugegebenermaßen noch nie aufgefallen. Sie erzählte mir, dass sie über 40 sei, was mich staunen ließ. Sie war ein so kleines, zierliches blondes Persönchen, das locker zehn oder mehr Jahre jünger hätte sein können. Neben ihr kam ich mir mit meinen etwas über 1,60 Metern vor wie ein Riese. Katharina trug eine dünne, blau-weiß gestreifte Bluse, weiße Hosen und flache Sandalen, deren Riemchen mit kleinen Glitzersteinchen besetzt waren. Die Art, wie sie ihre schulterlangen blonden Haare trug, ließ darauf schließen, dass sie ihre Frisur morgens nicht nur trocken, sondern auch ordentlich in Form geföhnt hatte. Mit wachem Blick und perfekt getuschten Wimpern blickte sie mich an.
Eine meiner ersten Fragen an sie – wie an alle, die ich im Lauf des Tages noch treffen würde – war: »Kannst du eigentlich segeln?« Wie schon bei Annika lautete die Antwort: »Nein, eigentlich nicht.« Das konnte ja ein lustiger Törn werden, dachte ich mir, wenn niemand der Teilnehmenden fähig war, ein Boot zu steuern. Auch ich war nicht gerade ein Segelprofi und hatte mich auf dem Wasser nie besonders sicher gefühlt.
Als Kind verbrachte ich die Osterferien mit meiner Familie und Freunden alljährlich in Holland, wo wir stets ein kleines Häuschen und eine Jolle mieteten, mit der wir kleine Ausflüge auf dem Heeger Meer machten. Auch wenn der Name mehr vermuten ließ, handelte es sich doch eher um einen überschaubaren See als um ein Meer. Ich entpuppte mich dennoch als Angsthase, der lieber zu Hause blieb und im Warmen Karten spielte. Aber schließlich zeigte die frühkindliche Segelerziehung doch noch Wirkung. Mit 13 Jahren meldeten meine Eltern mich in den Sommerferien zu einem einwöchigen Schnupperkurs auf dem Aasee in meiner Heimatstadt Münster an. Mein Interesse galt jedoch weniger dem Knotenlernen und Segelsetzen als vielmehr meinem Segellehrer, den ich anhimmelte wie ein verrücktes Huhn. Nach diesem Kurs erachtete mein Vater die Familie als ausreichend qualifiziert für weitere Segelreisen, und in den darauffolgenden Jahren charterten wir Boote auf Elba, Sardinien und in Griechenland.
Doch die auf diesen Reisen gesammelten Erfahrungen lagen nun in weiter Vergangenheit und waren irgendwo tief in meinem Hinterkopf vergraben. Ich fürchtete, die Kommandos an Bord würden mir wie eine Fremdsprache erscheinen und jegliche Theorie des Segelns wie ein unverständlicher Algorithmus. Ich fühlte mich absolut unqualifiziert, auch wenn Segelerfahrungen laut Veranstalter keine Bedingung für einen Reiseantritt waren.
Nun stellte ich mit einer Mischung aus Beruhigung und Entsetzen fest, dass es meinen Mitreisenden nicht anders ging. Es war zwar gut zu wissen, dass sie ebenso aufgeregt und unsicher waren wie ich, doch war es zugleich ungut zu hören, dass sie ebenso wenig in der Lage sein würden, das Boot zu steuern. Ich konnte also nur auf einen erfahrenen Skipper hoffen, der uns Amateuren erklären würde, wohin die Reise ging – und wie man dorthin kam.
Die erste Etappe unserer Reise hatten wir ohne Skipper zu bewältigen. Am Flughafen wartete ein Taxi, das wir auf Anraten des Reiseveranstalters bereits im Vorfeld bestellt hatten. Wir waren inzwischen eine ansehnliche Gruppe von drei Frauen – Annika, Katharina und ich –, der sich hier auch Andreas anschließen wollte, der zwischenzeitlich aus Stuttgart eingetroffen war. Bei unserem ersten Kontakt heute Morgen via WhatsApp hatten wir bereits die Profilbilder des jeweils anderen gesehen. Während Annika, Katharina und ich noch am Gepäckband standen und auf unsere Koffer warteten, schrieb Andreas, dass er vor dem Flughafengebäude in einem roten T-Shirt auf uns warte. Doch aus dem Flughafengebäude tretend, sah ich zahllose Menschen in roten T-Shirts, aber niemanden, den ich mit dem Profilfoto in Verbindung hätte bringen können. Ich erblickte sowohl an Frauen wie an Männern orangerote, feuerwehrrote, terrakottarote und bordeauxrote T-Shirts, rot gestreifte, gepunktete, karierte und bedruckte T-Shirts, langärmlige, kurzärmlige und ärmellose T-Shirts. Zum Glück hielt ein Taxifahrer ein Schild hoch, auf dem etwas stand, das meinem Namen sehr ähnelte. Daneben entdeckte ich einen Mann in Rot. Das musste er wohl sein, der Andreas. Wie sich herausstellte, war er Ende 40, doch sah man ihm seine Lebensjahre nicht an. Unter dem roten