Wunsch, Indianer zu werden: Versuche über einen Satz von Franz Kafka
()
About this ebook
Franz Kafkas kurzer Text »Wunsch, Indianer zu werden« erschien 1912 in seiner ersten Prosasammlung »Betrachtung«. Christoph König und Glenn W. Most haben Dichter, Literaturwissenschaftler und Philologen eingeladen, ihre ganz individuellen Lektüren dieses rätselhaften Satzes vorzustellen: Peter-André Alt, Christian Benne, Heinrich Detering, Daniel Kehlmann, Dagmar Leupold, Heinz Schlaffer und die Herausgeber selbst widmen sich Kafkas Prosatext und versuchen, ihn zu deuten.
Die Lektüren suchen, jede auf ihre Weise, den Text als ein Rätsel zu verstehen, indem sie auf verschiedene Fragen antworten: Ist der Satz grammatisch richtig oder fehlerhaft? Wie ist der Satz überhaupt zu konstruieren? Geht es um die Realisierung eines Wunsches? Schafft der Text, was nur im Stil des Texts selbst möglich ist? Oder wird skeptisch analysiert, was es bedeutet, einen Wunsch zu hegen?
Über Kafkas Schreib- und Denkweise verhandeln die Autoren ebenso wie über die Priorität von Methoden. Das Bild Kafkas als ein Dichter des Scheiterns wird infrage gestellt, seine Kreativität rückt in den Mittelpunkt. Methodisch stehen nebeneinander die syntaktische Analyse, die Erläuterung des kulturhistorischen Kontexts und die Form der poetischen Imagination.
Read more from Christoph König
»O komm und geh": Skeptische Lektüren der ›Sonette an Orpheus‹ von Rilke Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPeter Rühmkorfs Lyrik Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Related to Wunsch, Indianer zu werden
Related ebooks
Kafkas Verwandlung: Das Urteil", "Der Heizer", "Die Verwandlung" und weitere Erzählungen in neuem Licht Rating: 0 out of 5 stars0 ratings»Du bist die Aufgabe«: Aphorismen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSokrates: der kafkASKe Fortsetzungsroman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Transparenz der Folter: Franz Kafkas "In der Strafkolonie" aus Sicht der Postkolonialismus-Forschung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDem Andenken an Jiro Watanabe: Basho Matsuo Fünf Haikus Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLegenden um den eigenen Körper Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKafkas Zeiten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWirksame Fiktionen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsReichengasse: Essays von Anton Christian Glatz Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLovecraft und Duve: Das Motiv humanoider Fisch-Mensch-Hybriden in den Werken von H.P. Lovecraft und Karen Duve Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKAFKA: Essay Rating: 3 out of 5 stars3/5Eine ägyptische Königstochter Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsStillstand. Entrückte Perspektive: Zur Praxis literarischer Entschleunigung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKafka verstehen: Text + Deutung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsUnglaube auf der Akropolis: Ein Urtext und seine Geschichte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFranz Fühmann Die Briefe - Band 2: Briefwechsel mit Ingrid Prignitz Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFranz Kafkas Glauben und Lehre: Kafka und Tolstoi. Eine Studie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEine ägyptische Königstochter: Illustrierte Ausgabe Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKleist verstehen: Text + Deutung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDREI STROPHEN: Gedichte - Ukrainisch und Deutsch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEinstein: Einblicke in seine Gedankenwelt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKafka ist nicht rätselhaft: Argumente wider eine hartnäckige Fehleinschätzung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Asche des Phönix: Ein Leben zwischen Ost und West Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZerbrechlichkeit: Über Fragmente in der Literatur Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKafkas Gabel: Überlegungen zum Ausstellen von Literatur Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTh. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Wille zur Macht (vollständige ausgabe / I - II) Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsÜber Proust und Goethe: Auf der Suche nach einer Wahlverwandschaft Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGesammelte Schriften: ERgBd 2.1 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFjodor Michailowitsch Dostojewski: Eine biographische Studie Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Literary Criticism For You
Verstehen und Übersetzen: Ein Lehr- und Arbeitsbuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPhonetische Transkription des Deutschen: Ein Arbeitsbuch Rating: 2 out of 5 stars2/5Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLatein für Romanist*innen: Ein Lehr- und Arbeitsbuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBücherliebe – Was Bücherregale über uns verraten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPython-Programmierung für Germanist:innen: Ein Lehr- und Arbeitsbuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTräume in der Kinder- und Jugendliteratur: Erscheinungsformen und Funktionen von erzählten Träumen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTempus, Modus und Aspekt im Deutschen: Ein Studienbuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsScaffolding im Fremdsprachenunterricht: Unterrichtseinheiten Englisch für authentisches Lernen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer einfache Satz Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTesten und Bewerten fremdsprachlicher Kompetenzen: Eine Einführung Rating: 1 out of 5 stars1/5English Linguistics: An Introduction Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKleine deutsche Literaturgeschichte: erzählt an 20 Gedichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNeuere deutsche Literaturgeschichte: Eine Einführung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGermanistische Linguistik: Eine Einführung Rating: 5 out of 5 stars5/5Nichtstun als politische Praxis: Literarische Reflexionen von Untätigkeit in der Moderne Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsItalienisch lernen durch das Lesen von Kurzgeschichten: 12 Spannende Geschichten auf Italienisch und Deutsch mit Vokabellisten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGesprächslinguistik: Eine Einführung Rating: 0 out of 5 stars0 ratings»Steine in Hitlers Fenster": Thomas Manns Radiosendungen Deutsche Hörer! 1940-1945 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBerufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFremdsprachendidaktik: Eine Einführung Rating: 5 out of 5 stars5/5Deutsche Syntax: Ein Arbeitsbuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLiteraturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: Eine Einführung für Studium und Unterricht Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMusik im Fremdsprachenunterricht Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWeltliteratur im SPIEGEL - Band 2: Schriftstellerporträts der Sechzigerjahre: Ein SPIEGEL E-Book Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMorphologie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWortbildung im Deutschen: Aktuelle Perspektiven Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Reviews for Wunsch, Indianer zu werden
0 ratings0 reviews
Book preview
Wunsch, Indianer zu werden - Christoph König
Anmerkungen
Vorbemerkung der Herausgeber
Franz Kafka schrieb seinen Satz ›Wunsch, Indianer zu werden‹ um 1911 und veröffentlichte ihn, als einen von neunzehn kurzen Prosatexten, Ende 1912 in seinem ersten Buch ›Betrachtung‹. Wir legen mit diesem Bändchen ein ernstes Spiel verschiedener und verschiedenartiger Lektüren vor, an dem sich Dichter, Literaturwissenschaftler und Philologen beteiligt haben.
Die Lektüren versuchen, jede auf ihre Weise, den Text als ein Rätsel zu verstehen und das Rätsel des Texts zu lösen, indem sie auf verschiedene Fragen antworten, die sie jeweils für die entscheidende halten: Ist der Satz grammatisch richtig oder fehlerhaft, und welche Rolle spielen Konjunktion, Tempus und Modus? Wie ist die Satzkonstruktion überhaupt zu lesen? Steht für Kafka die Wahrnehmung einer fliehenden Bewegung im Vordergrund, wie er sie in seiner Zeit auf der Rennbahn, im Kino oder in der Malerei sah? Ist eine zeitgenössische philosophische Analyse der Wahrnehmung der Probierstein? Geht es allgemeiner um die Realisierung eines Wunsches? Und wenn dem so ist, führt der Wunsch ins Leere, wird der Wunsch zurückgenommen (und wenn dann, auf eine Weise, dass die Spuren davon noch erkenntlich sind), oder geht es um den Übergang zu einer unbedingten und ballastfreien Bewegung des Daseins? Oder spricht der Text auf radikal dichterische Weise und schafft, was nur in Text und Stil kraft der Eigenlogik der Imagination möglich ist, sei es das Rasende selbst oder – konkreter – einen Kentauren? Wird überhaupt skeptisch analysiert, was es bedeutet, einen Wunsch zu hegen, und wie der Wunsch tatsächlich aussieht, durchläuft der Wunsch diesen Gang der Erkenntnis?
Der Ernst des Spiels liegt auf verschiedenen Feldern: Über Kafkas Schreib- und Denkweise wird ebenso verhandelt wie über die Priorität von Methoden. Soll Kafka weiterhin als ein Dichter des Scheiterns gelten oder gibt es hier eine genuin poetische Produktivität? Und welchen Zugang soll man im Verständnis wählen? Die folgenden Lektüren entscheiden sich unterschiedlich: So stehen die syntaktische Analyse neben der Darlegung des kulturhistorischen Kontexts, und neben der Form der poetischen Imagination die Wirkung auf den Leser.
Gern erinnern sich die beiden Herausgeber, wie sie den Gedanken für dieses Buch fassten: anlässlich einer Tagung an der University of Chicago über Eli Friedlanders philosophische Biographie Walter Benjamins (2012). Benjamins Lektüre von Kafkas Prosatext findet sich in seinem Kafkaessay aus dem Jahr 1934 – er wird nun selbst kommentiert, als Position in der Geschichte der Interpretationskonflikte, die wir hier enggeführt haben. Unser Dank gilt allen Beitragenden, die sich auf dieses Spiel gern einließen und dabei die von uns vorgeschlagenen Regeln bereitwillig akzeptierten, und dem Verlag, der uns mit Energie und Witz unterstützte.
Christoph König • Glenn W. Most
Osnabrück • Florenz
September 2018
FRANZ KAFKA
Wunsch, Indianer zu werden
Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.[1]
CHRISTOPH KÖNIG
Erkenntniskritik des Wünschens
Kafkas Prosastück lautet:
Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.
Zwei Sätze treten syntaktisch auf, als verhielten sie sich zueinander komplementär. Der Punkt am Ende des Satzgefüges zwingt sie als einen Satz zusammen. Der erste Satzteil