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Der Moccatrinker von Lissabon: Eine Novelle
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Der Moccatrinker von Lissabon: Eine Novelle
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Der Moccatrinker von Lissabon: Eine Novelle

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"Sie finden mich in Lissabon im Paradiso, hatte er gesagt, es ist eines jener stillen Cafés, beinahe eine Bar, sogar mit einer kleinen Tanzfläche und einer Art Terrasse, zurecht gemacht für den Touristenverkehr, und dennoch so zurückgezogen, dass es nur wirklich wenige von denen finden. Sie müssen die theatralische Kulisse der Praca do Comerco umfahren, sie kommen dann nach einiger Zeit in ein Gewirr von Treppen und Gassen, die aufwärts führen. Es wird nach Fisch, Knoblauch und Nachtblumen, nach Schlaf und Schweiß riechen, dann werden Sie das Kastell St. George im Nachthimmel wie einen schwarzen Riesen aufragen sehen. An diesem Aussichtspunkt werden Sie stehen bleiben und zu träumen beginnen. Alle Fremden träumen um diese Zeit dort, wo Sie stehen geblieben sind..."
So beginnt eine portugiesische Nacht. Der bekannte Autor Murillho erzählt einem Neuling aus seinem Leben. Am Ende wird dieser Neuling sein Ghostwriter werden.
LanguageDeutsch
Release dateFeb 7, 2019
ISBN9783748104797
Der Moccatrinker von Lissabon: Eine Novelle
Author

Klaus Funke

Klaus Funke, in Dresden geboren, ist Autor zahlreicher bekannter und erfolgreicher Romane, Novellen und Erzählungen. Die meisten davon sind bei bekannten Verlagen erschienen.

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    Book preview

    Der Moccatrinker von Lissabon - Klaus Funke

    Über das Buch:

    Da ist eine geheimnisvolle Frau. Sie nennt sich Ninfa. Keiner weiß, woher sie kommt, welcher Nationalität sie angehört, wie alt sie ist. Aber sie ist verführerisch schön und scheint über magische Kräfte zu verfügen. Für den jungen Schriftsteller Franz Malef erscheint sie ein guter Geist, eine Art Fee zu sein, die ihn immer wieder auf die von ihr vorbestimmte Bahn zu geleiten sucht. Sie ist es auch, die ihn eines Tages mit einem berühmten, einem weltberühmten Schriftsteller zusammenbringt. Er heißt Raul Murillho, ist Portugiese und lebt in der Nähe von Lissabon auf seinem Anwesen. Dorthin lädt er den jungen Kollegen ein. Die beiden ungleichen Männer verbringen eine portugiesische Nacht miteinander. Der ältere erzählt aus seinem Leben. Der jüngere hört zu. Je länger Murillhos Erzählung dauert, desto mehr findet sich Malef in diesem Leben wieder. Es scheint ihm wie eine Spiegelung. Was bekommt der Leser nicht alles zu hören: Murillhos Pariser Studentenzeit, seine Bekanntschaft mit berühmten Zeitgenossen, seine Liebe mit der jungen Erfolgsschriftstellerin Francoise Saguin, seinen Kampf mit einem alten Feind, einem Jesuitenpater.

    Dieser war sein Lehrer schon im Jesuitenkolleg und später der Gönner und väterliche Freund seiner Geliebten Saguin. Wir hören von Murillhos erstem literarischen Ruhm, erleben ihn in seiner Häuslichkeit auf seinem Anwesen, lernen seine Frau kennen. Schließlich lässt er die Katze aus dem Sack – er hat sich ausgeschrieben, er kann nicht mehr. Er braucht einen Ghostwriter, um wenigstens vor der Welt noch den Anschein zu wahren. Wird Franz Malef dieser Ghostwriter werden? Eine furiose, bildstarke, sprachmächtige Erzählung. Amüsant mit vielen Seitenhieben auf den Literaturbetrieb.

    Über den Autor:

    Klaus Funke, in Dresden geboren, ist ein bekannter Autor erfolgreicher Romane, Novellen und Erzählungen. Mit „Der Moccatrinker von Lissabon legt er ein bisher noch nicht veröffentlichtes Werk vor. Es reiht sich in die Reihe von Neuerscheinungen bei BoD ein, wozu auch „Der zwölfte Gast, „Meine Verlage, „Ich wollte König werden, „Franzi und „Die Betrogenen u.a. gehören.

    Sie finden mich in Lissabon im Paradiso, hatte er gesagt, es ist eines jener stillen Cafés, beinahe eine Bar, sogar mit einer kleinen Tanzfläche und einer Art Terrasse, zurecht gemacht für den Touristenverkehr, und dennoch so zurückgezogen, dass es nur wirklich wenige von denen finden. Sie müssen die theatralische Kulisse der Praca do Comerco umfahren, sie kommen dann nach einiger Zeit in ein Gewirr von Treppen und Gassen, die aufwärts führen. Sie müssen dann aussteigen aus dem Taxi und diese Treppen und winkligen Gassen emporsteigen.

    Es wird nach Fisch, Knoblauch und Nachtblumen, nach Schlaf und Schweiß riechen, dann werden Sie das Kastell St. George im Nachthimmel wie einen schwarzen Riesen aufragen sehen, wenn Sie sich dann umwenden, werden sie unten den Hafen, die vertäuten Schiffe im nachtglitzernden Wasser liegen sehen. Dort unten ist auch die Stelle, wo der Tejo ins Meer fließt. Ich weiß, hatte er gesagt, an diesem Aussichtspunkt werden Sie stehen bleiben und zu träumen beginnen. Alle Fremden träumen um diese Zeit dort, wo Sie stehen geblieben sind. Dann, ein paar Schritte weiter nach links, werden Sie das Lokal sehen. Sie werden erstaunt sein über die zwei großen Ladenscheiben, die es zur Straße abtrennt, und dann hinter einer dieser Scheiben, an einem runden Tisch, werden Sie mich sitzen sehen. Vor mir eine Tasse Mocca und eine Zeitung in der Hand. Sie werden zuerst über mein gebräuntes Gesicht staunen, zu dem der graue Kinnbart in hellstem Kontrast steht. Alle, die mich zum ersten Mal sehen, sind über diesen Kontrast erstaunt. Treten Sie dann, wenn Sie mich entdeckt haben, in das Café, und fragen Sie den Kellner, der befrackt und beflissen auf Sie zueilen wird, denn man wird Ihnen den Fremden ohne Weiteres ansehen, fragen Sie ihn also ohne Umschweife:

    Wo sitzt hier Señor Murilho?

    Und er wird Sie zu mir an den Tisch führen…

    Ich stieg aus dem Taxi, genau an der Stelle, wo die Treppen in die Oberstadt führen, ich roch den Nachtatem der Stadt, ich sah das Kastell St. George, diesen dunklen Riesen, und ich fühlte mich winzig, unbedeutend, ein Menschlein, ich sah unten den Hafen, sah wie sich das Mondlicht in den Wellen spiegelte und es zu mir, wie magische Strahlen, herauf flimmerte, ich sah die Schiffe am Kai, klein, fern, unerreichbar und ich blieb natürlich, wie von Murilho vorausgesagt, aus dem Taxi ausgestiegen, an dieser Märchenstelle stehen, um meinen Augen und meiner Seele zu trinken zu geben, denn mir dürstete nach solchem Eindruck. Erst eine ungeduldige Geste und ein Räuspern des Taxifahrers brachte mich zur Besinnung und ich gab ihm, immer noch berauscht und wie betäubt, das geforderte Geld.

    Dann, nachdem ich eine kurze, steile Felsentreppe überwunden hatte, sah ich das Lokal; wie eine grell bunt illuminierte Oase schimmerte es inmitten des Nachtdunkels, wie ein beleuchteter Edelstein unter den zahllosen, winzigen, an schwärmende Nachtinsekten erinnernden hellen Fenstern des in den Fels gebauten Viertels.

    Ja, dies musste das Paradiso sein. Da waren die zwei große Fenster, und im Näherkommen sah ich hinter dem einen eine Gestalt sitzen, genauso wie er sich beschrieben hatte, ich sah zuerst den grauen, fast weißen Kinnbart und den hellen, beinahe strahlenden Haarkranz, erst danach erkannte ich das dunkle, gebräunte Gesicht, aus dem die Augen, schwarz und groß hervorblitzten. Ich nickte dem Mann zu, doch er sah mich offenbar nicht, denn keine Reaktion ließ erkennen, dass er mich draußen vor der Glasscheibe im Dunkel des Abends entdeckt hätte.

    Ich trat ein. Ein dämmriger Schimmer umhüllte mich, wärmend und duftend wie ein Nachtmantel. Über den Tischen hingen kleine Lampen in Bastschirmen und zeichneten Kringel aus gelb freundlichem Licht auf die mit dunkelblauen Ornamenten bedruckten Tischdecken. Ich fühlte mich an Bekanntes, Heimatliches erinnert, doch zugleich spürte ich die Fremde, das gänzlich Andere. Es roch auch hier nach diesen Nachtgerüchen, die ich schon beim Aussteigen aus dem Taxi wahrgenommen hatte, jedoch viel stärker, intensiver: Knoblauch, Thymian, gegrillter Fisch, Rotwein und der betäubende Duft heißen, frisch gebrühten Moccas.

    Das Lokal war mäßig besucht. Insgesamt saßen hier nur ein Dutzend Gäste, verstreut an den Tischen, wie verirrte Schafe, mal allein, mal zu zweien, kein Tisch war voll besetzt. Mit den Augen suchte ich meinen weißbärtigen Mann, doch ich entdeckte ihn nicht gleich. Ein junger Kellner, tief gebräunt mit glänzenden dunklen Augen und gestyltem schwarzen Haar, das ihm borstig und wie dünner Draht vom Kopfe abstand, trat plötzlich, wie aus dem Nichts auf mich zu, und ich sagte ihm den Namen: Senior Raul Murilho! suchte nach dem portugiesischen „bitte", fand es nicht, dieses Wort, flüsterte unbeholfen: please! und fühlte mich mit einem Mal fremd und hilflos.

    Der Kellner nickte, sagte: follow me please! aber er sagte das so, dass ich mich ertappt wusste, für einen Engländer hielt er mich nicht. Dazu hatte er die drei englischen Worte mit einer solchen Nachlässigkeit und Betonung ausgesprochen, die mir verraten sollte, er wisse nicht, woher ich käme, aber ein Engländer, oder aus einem englischsprachigen Land stamme ich bestimmt nicht, möglicherweise sei ich irgendein unbedeutender Fremder, wahrscheinlich ein Osteuropäer.

    Murilho hatte den Kopf abgewandt, starrte zum Fenster hinaus in die Nacht. Der Kellner sagte zu ihm irgendetwas auf Portugiesisch, ich verstand es nicht, es waren nur ein paar knappe Worte. Murilho fuhr herum, ich sah in seine übergroßen, schwarzen, erstaunten Augen, ein Lächeln, wie ein schwaches Erkennen glitt ihm, zuerst von diesen zwingenden, magischen Augen zur Stirn, die er leicht runzelte, dann zur Nase und von dort zu den Lippen, wo es wie ein Wassertropfen in einen See fiel, sich verstärkte, Kreise warf, zu den Augen zurückkehrte, um dort in einem fröhliches Leuchten aufzuglühen:

    Ah, Sie sind Herr Malef! Franz Malef, nicht wahr? Sein Deutsch, so unbeholfen es war, klang liebenswürdig, dunkel, kehlig, etwas rau: Ich freue mich, dass Sie hierher gefunden haben. Setzen Sie sich, bitte! Und er blickte zum wartenden Kellner, sagte wieder etwas Portugiesisches zu ihm, und als er gegangen war: Ich habe zwei Mocca bestellt. Der Mocca ist hier ganz vortrefflich, den müssen Sie probieren. Außerdem gibt er unserem Geist, Sie werden sehen, die richtige Schärfe, die wir brauchen werden für diese Nacht.

    Ich hatte ihm zur Begrüßung die Hand gegeben, hatte eine warme, weiche, zugleich aber fleischige Arbeitshand in den Händen gehalten, und daran gedacht, mich dieses Händedrucks sogleich erinnernd, wie wir uns in Zagreb kennen gelernt hatten. Auch dort war es merkwürdigerweise in der Oberstadt gewesen, die einem Hügel gleich, das Häusermeer, die grässlichen aus Titows Zeiten stammenden Neubauten, überragte. In einer der Tavernen hatte ich gesessen, allein, bei einem Schoppen dunklen dalmatinischen Tischweines, und auf Russalka gewartet. Sie wird sich verspätet haben, dachte ich zuerst, dann aber, nach einer halben Stunde, wusste ich, sie würde überhaupt nicht kommen. Unentschlossen wartete ich noch einige Zeit, nippte an meinem Weinrest. Da sah ich plötzlich an einem der Nachbartische einen Mann sitzen. Er war vom Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, schwarzer Rollpulli, schwarze Seidenhosen, schwarzen, kragenlosen Blazer, auch schwarze Schuhe und schwarzseidene Socken. Sein Kopf und die Hände aber, die enthüllten Körperteile also, kontrastierten dazu in gelb glänzendem Braun, während dazu nun wieder sich sein weißsilberner Haarkranz und ein ebenso farbiges Kinnbärtchen lebhaft abhoben. Eine beeindruckende Erscheinung, dieser Mann, dachte ich, und mich befiel, ob meiner eigenen, vulgären Äußerlichkeit, an die ich sofort denken musste, lebhafter Neid. Hatte er eine hohe, freie, glatte Stirn, die von Kühnheit, Freiheitsdrang und Gedankentiefe kündeten, war die meine gefurcht, gefältelt und blass, eher breit und gar nicht hoch, hatte er feinnervige, kräftige Hände, Arbeitshände, Sport geübte Hände, und besah ich mir die meinen, so blickte ich auf weißliche, zarte Mädchenhände, die keine schwere Arbeit leisten konnten und jeder Sportlichkeit der größte Feind waren. Und dann seine Augen:

    dunkel, sprühend, dabei tiefträumerisch, und von warmer Herzlichkeit, während ich wusste, meine Augen hatten unsicheres Flackern und Distanz, konnten niemals das verströmen, was ich im Herzen fühlte.

    So saß ich und beobachtete den Mann. Wer mochte er sein, was wäre seine Profession? dachte ich. Ich kam nicht dazu, weiter nachzudenken, denn der Mann, der gesehen hatte, dass ich ihn beobachtete, sprach mich an. Er sagte etwas zu mir in einer fremden Sprache, und ich bemerkte nicht gleich, dass es Portugiesisch war. Natürlich verstand ich kein Wort, nur der Klang der Sprache verriet mir, es müsse eine iberische Sprache sein, spanisch wäre es aber nicht, denn da kannte ich ein paar Brocken. Ich musste ein ziemlich dummes und überrumpeltes Gesicht gemacht haben, denn er wechselte jetzt die Sprache, sprach zuerst Englisch und dann Deutsch: Verzeihen Sie, mein Herr, sie scheinen mich zu kennen oder Sie verwechseln mich mit einem Ihrer Bekannten? Was kann ich für Sie tun? Er sprach das Deutsche kehlig und dumpf mit einem angenehmen, fremden Akzent.

    Ich antwortete: Nein, nein ich verwechsle Sie mit niemandem, ich besah mir nur Ihr Äußeres, Ihre Gestalt, Ihre Kleidung und rätsele nun, wen ich vor mir haben könnte: Einen Jesuiten, einen Geheimbündler oder einen Künstler.

    Er lachte und antwortete: Sie haben gut geraten, denn ich bin von allem etwas. Da lachte auch ich.

    In diesem Augenblick trat ein Fremder an den Tisch meines neuen Bekannten, er sprach ihn an, ich glaube, es war wieder dieses Portugiesisch. Sie wechselten nur ein paar Sätze, da sprang mein Tischnachbar auf, er wandte sich mir zu, rief: Wenn Sie einmal in Lissabon sind oder dorthin aufbrechen sollten, rufen Sie mich an. Wir sollten unser begonnenes Gespräch fortsetzen. Jetzt aber, Sie entschuldigen, muss ich in einer äußerst wichtigen Angelegenheit davongehen. Bitte entschuldigen Sie, sagte er noch einmal, reichte mir eine Visitenkarte und er gab mir die Hand, jene Hand, an deren Berührung ich mich jetzt, hier im Café Paradiso, sogleich erinnerte, an diese weiche, feinnervige, zugleich aber fleischige Arbeitshand.

    Kaum war er gegangen, als Russalka erschien. Mit ihrem federnden hüftdrehenden Schritt kam sie auf mich zu und ich wunderte mich, denn ihr Hinken, das sie sonst kaum unterdrücken konnte, war nicht zu sehen. Die Gäste, an denen sie vorbeischwang, blickten auf. Es war wie immer: Überall, wohin sie kam, erregte sie sofort alle Aufmerksamkeit. Na, hast du dich ohne mich gelangweilt, fragte sie, und zum heraneilenden Kellner: Einen großen Wermut, bitte!

    Ich vergaß augenblicklich meinen entschwundenen Tischnachbarn, vergaß mein Interesse für ihn, sah nur noch diese Frau ... - und doch habe ich später nie genau gewusst, ob es sie, Russalka, nicht wieder gewesen wäre, die dieses zufällige Treffen und die folgende Zusammenkunft mit dem großen Murilho zuwege gebracht habe. Vielleicht war ihr Zuspätkommen Absicht gewesen. Solche Arrangements gehörten zu ihren Tricks. Wie ich später erfuhr, kannten sie sich Russalka und Murilho schon lange ...

    Immerhin, Raul Murilho, war ein Weltbestsellerautor, einer, dessen Bücher Millionenauflagen erreichten, ein Magier der Literatur, wie er von vielen genannt wurde, eine Kultfigur. Ein Wunder, dass er einen wie mich an sich heranließ, mich überhaupt eines Blickes gewürdigt hatte, wo er doch sonst sehr wählerisch, auch bei der Auswahl seiner journalistischen Gesprächspartner wäre, wie es immer wieder hieß.

    So setzen Sie sich doch, hörte ich Raul Murilho sagen, ich schrak auf, besann mich, ach, ich sei ja in Portugal, in Lissabon, dachte ich und ich sah Murilho eine weitausholende, einladende Geste machen.

    Als wir uns das letzte Mal sahen, sagte er mit einem Lächeln, da wussten Sie noch nicht genau, mit wem sie es zu tun haben. Ist es nicht so?

    Ich nickte, wagte ein unsicheres, zaghaftes Lächeln, blinzelte. In der Tat, so sei es gewesen, aber jetzt ...

    Jetzt aber wissen Sie, wer Ihnen gegenüber sitzt. Sie haben über mich und von mir gelesen, was sie kriegen konnten, und – er dehnte den Satz, lehnte sich zurück, zwinkerte mir zu und hob die Mokkatasse an den Mund, sodass seine schwarzen Augen über den goldgebänderten Tassenrand mir geradewegs und herausfordernd ins Gesicht blickten, und, fuhr er fort, immer noch die Tasse in dieser Schwebe haltend, und da Sie selbst auf dem Weg sind, auf dem Weg, den wir alle, die wir uns Autoren, Schriftsteller, Verfasser, Texter und wer weiß wie nennen, gehen müssen, erhoffen Sie sich viel, ja alles von unserem Gespräch. Deshalb sind Sie gekommen!

    Wieder nickte ich, ich war irritiert, konnte nichts antworten, und, als mein Blick zufällig an einen der Nachbartische geriet, zuckte ich zusammen. Dort saß, es war unverkennbar - das rote Haar, der Rücken, der gebogene schlanke Hals, dort saß ...!

    Ja, dies könne nur Russalka sein, dachte ich, und sie unterhielt sich angeregt mit ihrem Tischpartner, einem älteren Herrn mit gerötetem, glänzenden Gesicht. Wie war sie nur hierhergekommen? Warum hatte sie, als wir uns in Berlin verabschiedet hatten, kein Wort gesagt. Ich wandte den Blick ab, sah Murilho mit flackernden Augen unsicher an.

    Der musste wohl mein Unbehagen gespürt haben, er wandte sich um, doch, als ich seinem Blick folgte und wieder zu diesem Nachbartisch hinüberschaute, saß dort eine ganz normale Frau, schwarzes, längeres Haar, olivenfarbiger Teint, offenbar ein Einheimische mit einem ausländischen, und wie sein rötliches Haar verkündete, einem Nordländer, einem Schweden, Dänen oder Iren zusammen.

    Hatte ich mich getäuscht? Trügten mich meine Sinne? Ich war irritiert, unsicher, vielleicht zittern sogar meine Hände, dachte ich nervös und blickte auf meine Finger, die auf dem Tisch lagen, als gehörten sie nicht mir. Mein Herz klopfte plötzlich wie wild.

    Dieses Weib! dachte ich, denn inzwischen hatte ich im Umgang mit Russalka so viel Seltsames und Unerklärliches erlebt, dass ich insgeheim wirklich vermuten konnte, sie wäre tatsächlich hier irgendwo, hätte sich herbeigezaubert und sie wolle mich foppen und zum Narren machen.

    Sie scheinen verwirrt, Junger Mann, hörte ich Murilho sagen, ich gab mir einen Ruck und blickte ihm nun wieder ins gebräunte, markante Gesicht des bekannten Schriftstellers. Er hatte die Moccatasse abgesetzt, sich mit seinen gepflegten, wohlgeformten Fingern eine Brasil aus dem perlmuttfarbenen Etui gezogen, sie langsam und genussvoll in Brand gesteckt, und schaute mich jetzt mit einem satten, etwas herausfordernden Lächeln an.

    Ja, ich weiß, deshalb sind Sie gekommen, wie Sie es im Übrigen kaum erwarten konnten, mich zu sehen, mich, von dem Sie nun wüssten, wer ich sei, ja natürlich (er lachte) besonders nach der hastig gelesenen Lektüre aus meinem Leben und der eines meiner letzten Bücher, des Druiden, wahrscheinlich, Sie sind beinahe atemlos hier heraufgeklettert, um mich endlich zu fragen, was mich im Übrigen immer gefragt wird, wie, Señor Murilho sind Sie zu dem geworden, der Sie heute sind. Wie schafft man dieses Wunder? Das Wunder des öffentlichen, des bekannten Lebens eines Weltmenschen. Ist es nicht so, Herr Malef?

    Ich schwieg, aber in meinen Augen sah er Zustimmung, weshalb er fast ohne Unterbrechung fortfuhr: Nun, es ist ganz einfach. Immer ist es das Einfache, was so Enormes erreicht. Ich sage Ihnen, bei mir, wie bei allen übrigens, welche die gleiche Höhe erklommen haben, ist es der Zufall gewesen und das Glück, und ein wenig Talent. Denn, wenn diese drei Elemente zusammenstoßen, Zufall, Glückt und Talent, wenn Sie die richtige Zeit, den richtigen Ort, die richtige Temperatur haben, die richtigen Umgebungsbedingungen haben, dann entsteht, wie in der Chemie, wie es in den Naturwissenschaften uns oft belegt wird, etwas Neues, ein solches Produkt, ein Wunder wie ich es bin. Ja, ich bin ein Wunder, da staunen Sie, ein Wunder und ein Produkt, aber eben auch, und zu einem nicht unwesentlichen Teil, das Produkt, das Wunder aus mir selbst. Wie Nietzsche sagt: Die Erschaffung aus uns selbst. Der Wille und die Vorstellung in wunderbarer Symbiose! Wie mag das zugehen, fragen Sie? Ich will es Ihnen sagen. Natürlich, das weiß ich jetzt, damals, als es sich zutrug, als ich anfing, zu dem zu werden, der ich heute bin, als ich mich zu verwandeln begann, als ich wurde, der ich bin, da wusste ich nichts, nahm alles hin, wunderte mich nicht einmal, und doch war alles von Anfang an einer bestimmten, geheimnisvollen und wie es mir lange Zeit schien, von mir unbeeinflussbaren Gesetzmäßigkeit unterworfen ...doch, das ist die Unwahrheit, denn wir sind es selbst, wenn wir uns einmal erkannt haben, welche uns die eigenen Gesetze machen, die zu uns passenden, da kommt eines zum anderen und immer fügt es sich zu unserem Vorteil. Der Teufel wie auch Gott, beide sind immer nur auf der einen Seite, auf der des Glücks oder der des Unglücks. Ist es nicht so?

    Er machte eine Pause, in der er mit gespannter Erwartung die Spitze seiner Zigarre betrachtete. Mir schien, als konzentriere er alle seine Geisteskräfte darauf, zu warten, bis der inzwischen mehrere Zentimeter lange Aschestab seiner Brasil, der wie eine Vulkanspitze vorne weiß und zum noch unverbrannten Tabakkörper grau werdend, abfiel, und, ohne irgendein Geräusch abzugeben, im kristallenen Ascher zerstäuben und nur den rotglühenden Glutkegel zurücklassen würde.

    Ja, sagte er, als die Asche gefallen war und er erleichtert aufgeseufzt hatte, ja alles begann auf diesem Weg, auf den ich zuerst geschoben wurde und den ich dann selbstständig beschritt – alles, alles beginnt mit der Familie. Mit der Familie, in die man hineingeboren wird und aus der man dann später, wie gesagt wird, heraustritt. Was wäre ein Cäsar, ein Napoleon, ein Thomas Mann, und im Tragischen, solche Männer wie Kafka und Oscar Wilde ohne ihre Familien, mit der sie verbunden waren, die sie gezeugt und empor getragen und dann ausgestoßen haben, ja, solche Großen, die ihren Grundkonflikt mit der Familie bereits im Kindesalter in sich trugen oder ihn auslebten, exzessiv ausspien später, als sie berühmt wurden. Vielleicht, nein bestimmt sogar dadurch nur konnten sie dann das leisteten, was alle Welt von ihnen kennt ... Die Familie ist unser Gärbottich, unser Mikroklima, aus der wir im Positiven, wie im Negativen unsere Genialität gebären.

    Sollte dies bei Ihnen ähnlich sein, so nehmen sie das als ein erstes günstiges Zeichen ...

    Murilho schwieg, wie ein Dirigent, der den Taktstock hebt und das Orchester in wartende Stille versetzt.

    Ich war überrascht und ich versuchte meinen Gesichtsausdruck, der in diesem Moment ziemlich unverständig, um nicht zu sagen, blöde ausgesehen haben muss, hinter einem krampfigen Lächeln zu verbergen. Murilho tat, als sähe er nichts. Er hatte die Zigarre mit großem Bedacht, ja mit einem fast zärtlichen Ausdruck, indem er, wie ich verwundert sah, den kleinen Finger der rechten Hand in graziöser Weise abspreizte, auf den Rand des Aschers gelegt, wieder die Moccatasse ergriffen, und hielt sie nun wieder in derselben Geste wie vor einigen Minuten an seinen Mund.

    Sie muss doch leer sein, diese Moccatasse, dachte ich, warum macht er diese Geste, dieses Tasse heben, will er mich examinieren, prüfen, beobachten, will er mir einen Teil seiner Züge verdecken. Ein Schauspieler, ein Scharlatan! dachte ich für Sekunden.

    Und doch schien er meine Gedanken erraten zu haben, denn, als er begonnen hatte, das von der Familie zu sagen, hatte ich sehr wohl an die meine gedacht und an die Zerwürfnisse, die es seit frühester Kindheit mit mir gegeben hatte, und ich versuchte irgendeinen Gedankenbezug zwischen meiner Leidenschaft zum Schreiben und diesen familiären Streitigkeiten, diesen fortwährenden, immer unumkehrbarer werdenden Zerfall, ja bis zum endgültigen Bruch mit den Meinen, herzustellen. Ich fühlte mich von diesem Murilho beobachtet, ertappt, doch nur einen Augenblick machte er diese Pause und hatte dieses Lauern im Blick, denn bald setzte er die Tasse wieder ab und sprach weiter:

    Ich stamme aus einer begüterten Familie, aus einer Lissabonner Familie im Norden der Stadt, oder eigentlich müsste ich sagen, aus einer reichen Familie des ländliches Umfeldes, denn begütert sein, heißt auch immer, zu bedenken, aus welchem Umgebungskreis man kommt. Wer bei uns auf dem Lande reich ist, der ist am Stadtrand einer solchen Millionenstadt wie Lissabon schon nur mehr begütert, während er im Zentrum wohnend, als bloß noch wohlhabend bezeichnet wird, einer aus der Mittelschicht ist man mitten in der Stadt, aber im ländlichen Rand erscheint man schon zur Oberschicht gehörig, auf dem flachen Lande aber, wie man sagt, ist man dann bereits ein Patron, einer, den die arme, ländliche Bevölkerung achtet und ehrt, dessen Wort Gewicht hat, dessen Alltagssprüche Weissagungen gleichen. Wir waren also eine reiche Familie, und haben doch wie ein Vertreter der Mittelschicht in der City, das gleiche Geld, die gleichen Kontostände, dieselben „Reichtümer" und Werte besessen ...

    Murilho sprach das Wort „Reichtümer" mit einer seltsamen Betonung aus und ich wusste nicht, war es Stolz oder Herablassung, die in seinen Worten lag.

    Wir gehörten also zu den Reichen, obwohl mein Vater, anfangs mit dem eigenen Wagen fuhr und später mit einem Fahrer in seine Bank in der City kutschiert wurde, in der er einer der drei Manager, früher sagte man: Leitender Angestellter, gewesen ist. Meine Mutter widmete sich dem Haus, dem Garten und uns vier Kindern.

    Vier Jungen, wissen Sie, sagte Murilho, und er schlug sich mit der Faust an die Brust. Sie hatte portugiesische Sprache und Französisch studiert und eine Zeitlang, bis sie meinen Vater kennen lernte, in einem Fremdspracheninstitut gearbeitet. Aber sie war eine gute Katholikin, während mein Vater alles Religiöse zwar ertrug, duldete und soweit es unserer Erziehung und Entwicklung dienen konnte, auch förderte, aber er ist in seinem Herzen ein Freigeist, allerdings mit einem Hang zu allem Mystischen, Zeit seines Lebens geblieben.

    Vier Jungen. Ich war der dritte von oben! Murilho macht ein Zeichen mit der Hand, als wolle er verschiedene Etagen anzeigen. Der Dritte! Bei uns war es nach dem Willen des Vaters so: Der Erste musste Staatsbeamter werden, der zweite Militär, ich sollte zuerst ins Jesuitenkolleg, um dann Jura zu studieren, und der Kleine, Alonso, den hatten die Eltern zum Künstlerberuf auserwählt. Aber er ist keiner geworden.

    Nun ja, er lachte, wir wurden alle etwas anderes. Die Zeiten waren nicht mehr so, wie zu meines Vaters Jugend. Das muss er wohl außer acht gelassen haben. Dennoch, mit acht Jahren kam ich auf ein Jesuitenkolleg. Es lag im Süden, in den Bergen, in der Nähe von Castro Verde, sagte Murilho und machte wieder eine seiner ausholenden Gesten, als wolle er die Höhe dieser Berge anzeigen. Ich kam also dahin, in dieses abgelegene Kastell, das einem Kloster nicht unähnlich, mit Natursteinmauern umgeben, aus den Steineichen ragte, wie eine letzte mittelalterliche Burg. Meine Kameraden, gleich mir aus wohlhabenden städtischen Familien, wir alle waren in den ersten Monaten hoffnungslose Romantiker. In meiner Kammer, die ich mit noch einem Jungen, der aus Espinho, das an der Küste liegt, stammte, saß ich oft am Fenster, träumte mich hinaus, ließ meinen Blick über die gewellten Bergkämme gleiten, dachte ich wäre der edle Spanier Inigo Lopez de Recalde aus dem Hause Loyola. Ich säße, wie er durch das Geschick (nun gut, bei ihm war es eine Kriegsverwundung, die er sich bei der Verteidigung von Pamplona gegen die Franzosen 1511 an beiden Beinen zugezogen hatte) zum Grübeln und Nachdenken verdammt, hier in diesem Kloster, wie er in seiner Burg. Doch ich liebte wie er die Literatur. Und gerade die Literatur macht aus uns ja oft das, was wir vorher von uns nie gedacht und gewusst hätten. Was erweckt sie nicht alles in uns, ist es nicht so, Herr Malef? Ist es bei Ihnen nicht auch so gewesen? Inigo las und liebte Ritterromane und Ritterromantik und er bekam, auf seine Heilung hoffend und harrend, zwangsläufig auch das Leben Christi und einiger Heiliger zu lesen. Das wurde sein Wendepunkt. Er wurde zum Begründer des Jesuitenordens.

    Er wurde Ignatius de Loyola, als den wir ihn alle kennen, und von dem wir in unserem Kolleg beinahe täglich zu hören bekamen. Bei mir war es umgekehrt und doch auch wieder gleich. Während er, phantastisch von Natur, aus einer vorzeichnet erscheinenden Bahn geschleudert, die ihm das glänzendste Glück verheißen hatte, jetzt durch die unglücklichen Umstände zur Untätigkeit gezwungen war, geriet er, durch seine Leiden und das Fieber angestachelt, in einen seltsamen Geisteszustand. So glaubte er, die Taten des Heiligen Franziskus oder des Dominikus, die in allem Glanz geistlichen Ruhmes vor seinem Geiste

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