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Verachtung ist der wahre Tod: Paderborn-Krimi
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Verachtung ist der wahre Tod: Paderborn-Krimi

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Das "Enfant terrible" der Paderborner Polizei ist zurück! Gibt es irgendetwas Positives, das sich über Polizeioberkommissar Jürgen Kleekamp sagen lässt? Für seinen Dienstgruppenleiter ist er ein Kollegenschwein und Zyniker. Und seine junge Streifenpartnerin, Natalie Börns, hat es nicht leicht mit ihm. Doch zwei Fälle, die sie gemeinsam lösen konnten, haben sie zusammengeschweißt. Und die Tatsache, dass beide einander bereits das Leben gerettet haben. Als der Oberkommissar zum Einsatz auf den heruntergekommenen Hof eines Tierquälers fährt, findet er die grausam zugerichtete Leiche einer jungen Frau. Und er wäre nicht Kleekamp, würde er sich nicht in den Fall festbeißen wie ein Terrier. Zusammen mit Natalie ermittelt er auf eigene Faust und hinter dem Rücken seiner Kollegen von der Kripo. Sie nehmen die Spur eines gefährlichen Psychopathen auf und ahnen nicht, wie nahe sie ihm sind …
LanguageDeutsch
Release dateFeb 25, 2019
ISBN9783954751952
Verachtung ist der wahre Tod: Paderborn-Krimi

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    Book preview

    Verachtung ist der wahre Tod - Joachim H. Peters

    Info

    Joachim H. Peters

    Verachtung ist der wahre Tod

    Paderborn-Krimi

    Prolibris Verlag

    Alle Rechte vorbehalten,

    auch die des auszugsweisen Nachdrucks

    und der fotomechanischen Wiedergabe

    sowie der Einspeicherung und Verarbeitung

    in elektronischen Systemen.

    © Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2019

    Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29

    Titelbild: © Joachim H. Peters

    Schriften: Linux Libertine

    E-Book: Prolibris Verlag

    ISBN E-Book: 978-3-95475-195-2

    Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.

    ISBN: 978-3-95475-186-0

    www.prolibris-verlag.de

    Der Autor

    Joachim H. Peters, Baujahr 1958, schrieb 2008 seinen ersten Kriminalroman, seither sind dreizehn Bücher von ihm erschienen. Der Kriminalbeamte steht aber auch als Schauspieler, Kabarettist, Leser oder Moderator auf der Bühne. Der gebürtige Gladbecker lebt und arbeitet seit 2004 in seiner Wahlheimat Detmold. Im Prolibris Verlag veröffentlichte er drei Kurzgeschichten in den kriminellen Weihnachtsanthologien aus Ostwestfalen-Lippe und nun auch einen Kriminalroman.

    Für Katharina und Antonius Linnemann

    Danke für viele Jahre Kultur und Literatur in Paderborn

    Verachtung ist der wahre Tod

    Friedrich Schiller

    Vorwort

    Liebe Leserinnen und Leser!

    Alle Personen sowie die Handlung im dritten Band dieser in Paderborn spielenden Krimiserie sind wieder reine Fiktion und frei erfunden. Allen voran Jürgen Kleekamp, dieses »Enfant terrible« der Paderborner Polizei. Daher sind alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sowie Vorkommnissen oder Handlungen rein zufällig und unbeabsichtigt.

    Was jedoch real existiert, ist die wunderschöne Domstadt in der Region Hochstift, die im Gegensatz zur Romanhandlung natürlich sehr viel sicherer und auch immer eine Reise wert ist.

    Joachim H. Peters

    Prolog

    Mein Gott, wie unglaublich schön sie war. Ihr Kopf war zur Seite gesunken und ein Meer aus langen kastanienbraunen Haaren ergoss sich um ihr ebenmäßiges Gesicht. Ein Gesicht das keine Makel hatte. Reine, nur ganz leicht gebräunte Haut. Ausdrucksstarke, aber nicht zu kräftige Augenbrauen und eine gerade schmale Nase, die proportional gut zu ihrem Mund mit den sinnlichen Lippen passte. Ihre Augen waren geschlossen, doch das war normal. Das starke Beruhigungsmittel, dass er ihr verabreicht hatte, tat seine Wirkung.

    Er konnte sich an diesem schönen Gesicht nicht sattsehen. So mussten die Göttinnen der Antike ausgesehen haben. Sein Blick glitt über ihren schmalen Hals zu ihrer unbedeckten Brust, die sich kaum merklich hob und senkte.

    Nur mühsam widerstand er der Versuchung, ihre Brüste mit den kleinen Höfen um die Warzen herum zu berühren. Er ließ die Kamera weiter über ihren Körper gleiten und zeichnete jedes Detail penibel genau auf. An dem kleinen Muttermal auf ihrem Bauch, knapp oberhalb ihrer rechten Leiste, ließ er das Kameraobjektiv einen kurzen Augenblick verharren, dann wanderte es über ihre rasierte Scham hinunter bis zu ihren Füßen.

    Wirklich ein makelloser Körper, der da vor ihm lag. Fast zu schade, ihn zu zerstören, aber das Problem war ja nicht der Körper, sondern die Frau, die ihn besaß. Eine dumme und arrogante Person, die den Fehler gemacht hatte, ihn zurückzuweisen. Ihn, der ihr alles hätte geben können. Alles, was eine Frau sich wünschte. Seine Schönheit, seine Intelligenz, seine Zuwendung.

    Das alles hatte sie verschmäht und nun würde er ihr eine andere Art der Aufmerksamkeit zukommen lassen müssen. Sie für dieses törichte Verhalten bestrafen.

    Er trat an das Fußende des blanken Edelstahltisches und befestigte die Kamera auf dem dort bereitstehenden Stativ. Ein kurzer Blick auf den Monitor zeigte ihm, dass die Ausrichtung perfekt war. Nach Beendigung der Aufnahme würde er das Video auf seinen Rechner überspielen und unter ihrem Vornamen in der Datei »Opfer« ablegen. Die herauskopierten Bilder würde er sorgfältig der Reihenfolge nach ordnen und entsprechend beschriften. Er liebte es, wenn alles seine Ordnung hatte.

    Nach einem letzten prüfenden Blick auf die Kamera lächelte er zufrieden. Der Akku war voll und würde ausreichen. Als er sich wieder dem Tisch zuwandte, war er entspannt. Jedes Detail war vorbereitet, alles war geregelt. So musste es sein. Er konnte beginnen.

    Langsam und sorgfältig streifte er sich die Latexhandschuhe über und band sich die weiße Einwegschürze um. Nur keine Flecken oder Spuren an seiner Kleidung verursachen! Die könnten später einmal fatale Folgen haben. Als er sich über sie beugte, stieg ihm ihr Parfüm in die Nase. Er wusste, dass es sich dabei um »Blue« von Dolce & Gabbana handelte. Der aufsteigende Geruch erregte ihn und ließ ihn einen Moment lang innehalten. Doch dann besann er sich seines Plans.

    Ein letztes Mal ließ er den Blick über ihren Körper schweifen, den sie ihm freiwillig nicht hatte geben wollen.

    Nun gut, er hatte ihn sich trotzdem geholt und nach ihm würde niemand mehr Interesse an ihm haben. Er richtete die Operationsleuchte exakt auf ihren Kopf aus und nahm das Skalpell, das auf dem silbernen Besteckwagen bereitlag.

    Kapitel 1

    Thomas Golzig raufte sich die Haare. Verärgert griff er zu seinem Kaffee. Bereits nach einem kleinen Schluck schob er die Tasse angewidert von sich. Die starke schwarze Brühe war mittlerweile kalt, weil er sich schon sehr lange auf das vor ihm liegende Formular hatte konzentrieren müssen. Normalerweise scheute der Leiter einer Dienstgruppe bei der Paderborner Polizei keine schriftlichen Arbeiten, aber das hier war etwas anderes. Im Rahmen seiner Führungstätigkeit hatte er die Aufgabe, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beurteilen, und das bereitete ihm eigentlich keine Schwierigkeiten. Mit den meisten arbeitete er schon eine Weile zusammen und kannte all ihre Stärken und Schwächen. Doch der Begriff Schwäche war eine gewaltige Untertreibung für das Verhalten und die Einstellung von Polizeioberkommissar Jürgen Kleekamp.

    Golzig ließ sich gegen die Stuhllehne sinken und blickte zur Zimmerdecke hinauf. Würde man von ihm verlangen, Kleekamp mit drei Worten zu beschreiben, wäre dies sehr einfach: Arschloch, Kollegenschwein und Zyniker. Aber so funktionierte das polizeiliche Beurteilungssystem nun mal nicht. Widerstrebend richtete er sich wieder auf und griff nach dem Bleistift. Was konnte man überhaupt Positives über Kleekamp sagen?

    Er hatte eine gute Nase, was Spuren anging, er war vollkommen angstfrei, und wenn er sich wie ein Terrier mal in eine Sache verbissen hatte, dann ließ er nicht mehr so schnell los. Zusammen mit Natalie Börns, die als Berufsanfängerin erst vor drei Jahren in die Domstadt und zu seiner Dienstgruppe gekommen war, hatten die zwei eine Reihe von brutalen Serienmorden aufgeklärt und in einem weiteren Fall mehrere junge Mädchen aus den Händen eines religiösen Fanatikers befreit. Ihre gute Zusammenarbeit war umso erstaunlicher, da es anfangs so ausgesehen hatte, als würden Kleekamp und Börns niemals auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Die beiden Fälle hatten sie jedoch zusammengeschweißt und jeder hatte dem anderen bereits einmal das Leben gerettet.

    Golzig lief auch jetzt wieder ein kalter Schauer den Rücken herunter, wenn er an diese dramatischen Ereignisse dachte. Er wischte sich mit der Hand durchs Gesicht und schüttelte sich. Zurück an die Arbeit!

    In diesem Moment öffnete sich die Tür seines Büros und Willi Martini hielt eine Kanne hoch. »Noch einen Kaffee?«

    Golzig nickte und wollte ihm schon den Becher hinhalten, als er sah, dass sich darin ein kaltgewordener Rest befand.

    »Du siehst irgendwie scheiße aus«, bemerkte der dicke Wachhabende grinsend, während er zusah, wie Golzig die Tasse mit der schwarzen Brühe in das Waschbecken kippte und ausspülte.

    »Ich muss eine Beurteilung schreiben«, antwortete Golzig und verzog angewidert das Gesicht.

    »Lass mich raten«, verlangte Martini. »Bei deiner miesen Laune ist es die von Jürgen, richtig?«

    Golzig nickte ergeben und hielt dem Dicken seine Tasse hin.

    »Na, darum beneide ich dich wirklich nicht. Lass noch ein paar gute Haare an ihm. Jürgen ist zwar ein Arsch, aber auch kein ganz Schlechter.« Martini schlurfte aus dem Raum und schloss grinsend die Tür hinter sich, ohne auf Golzigs Antwort zu warten.

    Der ließ sich seufzend wieder auf seinen Bürostuhl sinken. Nach und nach ging er die einzelnen Punkte durch. Körperliche Belastbarkeit konnte er kaum jemandem bescheinigen, der übergewichtig war und dem Alkohol mehr als normal zusprach. Golzig scheute sich jedoch davor, das Wort Alkoholiker auch nur zu denken. Außerdem weigerte sich Kleekamp, abzunehmen und seinen sonstigen Lebenswandel zu ändern. Sport war ihm verhasst und seine Ernährung bestand überwiegend aus Fast Food. Dabei hatte er bereits zwei Herzinfarkte hinter sich, von denen ihn einer fast das Leben gekostet hätte. Um dem Fass die Krone aufzusetzen, hatte er die Reha dann auch noch eigenverantwortlich und gegen den Rat der Ärzte abgebrochen. Kleekamp war einfach nicht zu helfen. Dazu kam seine große Klappe, seine vollkommene Resistenz gegen jede Form von Autorität und sein unmögliches Benehmen.

    In diesem Punkt war der schmuddelige Oberkommissar konsequent. Unter seinen ruppigen und provozierenden Umgangsformen hatten nicht nur seine Kollegen und Mitbürger zu leiden, sondern genauso seine Vorgesetzten. Sein Lieblingsfeind war Polizeioberrat Hartmann, den Kleekamp hasste wie die Pest. Allerdings ließ sich auch Hartmann keine Gelegenheit entgehen, gegen ihn zu ermitteln. Was nicht schwierig war, denn Kleekamp hielt, was Dienstaufsichtsbeschwerden bei der Paderborner Polizei anging, einen einsamen Rekord. Das war nur einer der Gründe, warum er trotz seines Alters immer noch Oberkommissar war. Selbst Kollegen, die jünger waren und ihre Ausbildung viel später als er abgeschlossen hatten, waren bereits an ihm vorbeigezogen. Ein Umstand, der Kleekamp jedoch nicht scherte.

    Als Golzig ihn mal auf den finanziellen Aspekt eines höher dotierten Dienstranges ansprach, hatte er nur abgewinkt. »Dann würde meine Olle ja noch mehr Kohle kriegen. Das fehlte mir gerade noch!« Golzig wusste, dass Kleekamp seit etlichen Jahren geschieden war und zwei mittlerweile erwachsene Kinder hatte, aber er hatte auch gehört, dass Kleekamp jeglichen Kontakt zu seiner Familie abgebrochen hatte. Keine Familie, keine Freunde. Ein absoluter Einzelgänger. Lediglich Natalie Börns hatte einen gewissen Zugang zu ihm.

    Thomas Golzig kaute auf seinem Bleistift herum. Wenn er alles in die Waagschale warf, was ihm zu Jürgen Kleekamp einfiel, würde er nicht umhinkommen, ihm eine Beurteilung zu schreiben, die unter dem Durchschnitt war. Und das war genau das, was Polizeioberrat Hartmann von ihm erwartete.

    Golzig hatte jedoch nicht vor, Kleekamp mit einer negativen Beurteilung an Hartmanns Messer zu liefern. Also würde er sie notgedrungen so formulieren, dass er Kleekamp noch soeben am untersten Rand des Durchschnitts ansiedelte. Dafür würde er sich bei Hartmann garantiert eine blutige Nase holen. Denn Kleekamp war zwar das Enfant terrible der Paderborner Polizei, aber immerhin sein Kollege und kein schlechter Polizist. Wenn er sich erst mal in einen Fall verbissen hatte, dann konnte er sogar ein guter Ermittler sein. Ja, wenn, dachte Golzig. Angewidert blickte er auf den inzwischen weichgekauten Bleistift und warf ihn den Papierkorb.

    Kapitel 2

    Das Objekt der Beurteilung versuchte gerade krampfhaft, Currysauce von seinem hellblauen Diensthemd zu wischen, was aber lediglich zur Folge hatte, dass sich der hässliche rote Fleck nur noch vergrößerte. Kleekamp fluchte und feuerte die Schale mit der scharfgewürzten Wurst wütend in den Mülleimer. Er war just in dem Moment von einem Fahrradfahrer angerempelt worden, der verbotswidrig den Gehweg benutzt hatte, als er einen Bissen nehmen wollte. »Pass doch auf, du Arsch!« hatte Kleekamp ihm nachgerufen, als Antwort aber nur einen Stinkefinger erhalten. Hatten diese kleinen Wichser denn heute gar keinen Respekt mehr?

    »Mensch Jürgen, reg dich nicht auf!«, versuchte seine Kollegin Natalie Börns ihn zu beruhigen. Sie bezahlte noch, während Kleekamp schon auf dem Weg zum Streifenwagen war, der auf der anderen Straßenseite im Halteverbot parkte.

    Der Mann in dem zum Imbiss umgebauten Anhänger blickte Kleekamp hinterher. »Der ist aber geladen. Was sagen denn seine Freunde zu diesem Verhalten?« Er blätterte drei Scheine auf die Theke.

    »Nichts, Kleekamp hat keine Freunde!«, antwortete Natalie trocken und steckte das Wechselgeld ein.

    Wenn einer Jürgen Kleekamp kannte, dann Natalie. Schon an ihrem ersten Tag auf der Paderborner Wache hatte er sie auflaufen lassen. Sie, das Küken aus der Polizeischule, er der alte desillusionierte Streifenbeamte, zusammen auf einem Wagen.

    Sie erinnerte sich lebhaft daran, wie er versucht hatte sie rauszuekeln, sie brüskiert und gemobbt hatte. Außerdem hatte er ihr den Spitznamen »Bunny« verpasst, nachdem sie sich als Vegetarierin geoutet hatte. Aber dann waren sie in diesen dubiosen Mordfall verwickelt worden und am Ende waren sie beide in Lebensgefahr geraten. Und auch wenn Jürgen ein Arschloch war, hatte er doch keine Sekunde gezögert sein Leben für sie zu riskieren.

    Mittlerweile kannte sie ihn besser als alle anderen Kollegen. Er war ein Trinker, Choleriker und übler Zyniker. Sie hoffte nur, dass es nicht der Dienst war, der ihn dazu gemacht hatte. Sie verspürte Unbehagen bei dem Gedanken, dass sie vielleicht einmal genauso werden könnte. Jürgen hasste Frauen und Vorgesetzte, denn beide erwarteten etwas von ihm, das er nicht zu geben bereit war. Sein Verhältnis zu einer Prostituierten wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden, nachdem sie getötet worden war und der Mörder ihn bei der anschließenden Verfolgung ebenfalls fast umgebracht hätte.

    Seine Familie kannte sie nicht. Er hatte Kinder, sprach jedoch nie über sie. Er war ungepflegt und sicherlich kein Vorzeigebeamter. Aber er hatte das Herz am rechten Fleck und sie wusste, dass seine raue Schale und seine rüde Art oft nur Schau waren. Eine Art Maske, um der Trostlosigkeit seines Lebens nicht das wahre Gesicht zeigen zu müssen.

    Sie mochte ihn und würde immer zu ihm halten, egal was er tat. Jetzt galt es, ihn erst mal dazu zu bewegen, sich umzuziehen und den Dienst nicht mit einem Hemd zu versehen, das aussah, als gehe er mit einem Bauchschuss auf Streife.

    »Na, dann fahre ich mal zur Wache, oder?« Natalie ließ sich auf den Fahrersitz fallen und steckte den Schlüssel ins Schloss.

    »Wieso das denn?«, kam die prompte Frage.

    »Du kannst doch wohl nicht den ganzen Tag so rumfahren!«

    »Machen wir unseren Dienst bei der Polizei oder nehmen wir an einem Schönheitswettbewerb teil, Frau Saubermann?«, fragte Kleekamp mit einem schiefen Grinsen.

    Natalie wollte gerade etwas darauf erwidern, als das Funkgerät ihr zuvorkam. »Atlas 11/31, Kinder haben an der Alme im Bereich Ziegenberg im Wasser einen Damenschuh gefunden.« Der Kollege unterbrach seinen Funkspruch, und Kleekamp nutzte sofort die Chance, ihm in die Parade zu fahren. Natalie sah, wie ihm dabei die Halsschlagadern anschwollen.

    »Sagt mal, seid ihr jetzt komplett bekloppt geworden? Was sollen wir denn da? Müssen wir uns um jeden Scheiß kümmern?«

    Aufgrund des wütenden Ausbruchs herrschte eine Sekunde lang Stille im Funk. Dann meldete sich die Leitstelle erneut zu Wort. »Wenn du mich mal ausreden lassen würdest, wüsstest du, worum es geht. Also halte dich am besten an das alte Sprichwort: Vor Inbetriebnahme des Mundwerks Gehirn einschalten!« Dieses Mal ließ der Kollege Kleekamp keine Chance zur Erwiderung. »Die Kinder haben nicht nur einen Schuh gefunden, es steckt wohl noch ein Fuß darin.«

    Natalie schluckte, als sie sich vorstellte, was sie dort erwartete. Auch Kleekamp war einen Moment lang sprachlos.

    Der Kollege hakte nach. »Also was ist? Übernehmt ihr das oder soll ich einen anderen schicken?«

    »Was ist mit der Kripo? Sind die schon informiert?«, wollte Kleekamp wissen. Das war eigentlich eher eine Sache für die Kollegen in Zivil.

    »Fahrt erst mal hin, sichert den Fundort und meldet euch dann noch mal«, kam die genervte Antwort der Leitstelle.

    Natalie wendete bereits den Streifenwagen und machte Anstalten, nach dem Schalter für Blaulicht und Martinshorn zu greifen, als Kleekamp ihre Hand wegschob. »Warum willst du denn mit Sonderrechten fahren?«

    »Na, das ist doch möglicherweise ein Tatort, der schnell gesichert werden muss«, wandte sie ein.

    »Erst mal ist es nur der Teil einer Leiche, genauer gesagt ein Fuß und der läuft uns ja wohl nicht mehr weg, oder?« Kleekamp lachte über seinen eigenen Witz und ergötzte sich nebenbei am erstaunten Gesicht seiner jungen Kollegin. »Also immer langsam mit den jungen Pferden«, schlug er vor, drehte die Sitzlehne etwas herunter und machte es sich bequem. Es sah eher so aus, als begänne er eine Urlaubsfahrt, und nicht, als seien sie auf dem Weg zu einem Leichenteil.

    Natalie seufzte, dann gab sie Gas.

    ***

    Schon von Weitem sahen die beiden die Kinder am Straßenrand stehen und aufgeregt winken. Natalie stoppte den Wagen und Kleekamp ließ das Fenster herunter. »Habt ihr angerufen?«, fragte er in barschem Ton.

    Natalie sah, dass die drei Jungen und das Mädchen sofort eingeschüchtert waren. Ein Junge nickte zögerlich und hielt sein Handy hoch. Kleekamp wuchtete sich aus dem Wagen und blickte ihn an. Der Zehnjährige schien im Erdboden versinken zu wollen. Als Kleekamp ihm auch noch die Hand auf die Schulter legte, zitterten ihm die Knie.

    »Das hast du gut gemacht. Wie heißt du?«

    »Marvin«, erwiderte das Kerlchen schüchtern, und die anderen nickten, als ob eine Bestätigung nötig sei, dass er wirklich Marvin war und angerufen hatte.

    Natalie war ebenfalls ausgestiegen und um den Wagen herumgekommen. »Hallo, ich bin Natalie. Na, was habt ihr denn gesehen und wo?«

    Das kleine Mädchen mit den blonden Zöpfen ergriff ihre Hand und zog sie ein Stück mit sich. Sie schien sich lieber der jungen Frau mit den kurzen dunklen Haaren anvertrauen zu wollen als dem dicken Polizisten mit dem rotverschmierten Hemd. »Das ist da drüben.« Die Kleine zog Natalie weiter in Richtung Böschung.

    Die sah sich um und war froh, dass Kleekamp hinterherkam. Selbstverständlich war das nicht, denn Jürgen hatte bisweilen eine seltsame Vorstellung davon, wie Teamwork aussah. Anfangs hatte sie das gestört, aber mittlerweile wusste sie, dass es zwar wie Desinteresse wirkte, er sie dabei trotzdem nie aus den Augen ließ. Oft war er ein echtes Arschloch, manchmal tat er auch nur so.

    Die anderen Kinder folgten ihnen mit einigem Abstand. Natalie musste sich mehrmals bücken, um unter tiefhängenden Zweigen hindurchgehen zu können. Hinter sich hörte sie Kleekamp leise fluchen, der mit seinem Hemd an einem Strauch hängen geblieben war. Man konnte den Kindern deutlich anmerken, dass Kleekamp ihnen nicht ganz geheuer war.

    Nach einiger Zeit erreichten sie die Alme. Die Kleine blieb stehen, blickte zu Natalie auf und deutete daraufhin zum anderen Ufer. »Da drüben!«

    Natalie folgte ihrem Fingerzeig und dann sah sie es. Auf der anderen Uferseite hatte sich ein abgebrochener Ast mit vielen Blättern an der Böschung verhakt und so ein natürliches Hindernis erzeugt. Mitten im noch frischen Grün des Laubs konnte Natalie nicht nur einen roten Damenschuh mit hohem Absatz erkennen, sondern auch, dass der Schuh tatsächlich nicht leer war. Durch die Blätter schimmerte der Fuß, der in dem Schuh steckte und darüber der Unterschenkel. Mehr gab es offensichtlich nicht, denn einen kompletten Körper hätte der Zweig nicht verdecken können.

    »Und? Was ist nun?«, wollte Kleekamp wissen, der keuchend neben Natalie und dem Mädchen angekommen war.

    »Da ist es!« Natalie zeigte auf den Fundort.

    »Mist, das hat uns gerade noch gefehlt.« Kleekamp schnaufte verärgert.

    »Ich weiß nicht, warum ausgerechnet wir immer mit irgendwelchen Leichen zu tun haben.« Natalie schüttelte resigniert den Kopf.

    »Ach, komm, halb so schlimm«, wiegelte Kleekamp ab, »aber wieso muss dieses Ding«, er deutete auf das Bein, »auf der anderen Seite der Alme liegen?«

    Natalie glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Das war mal wieder typisch. Sie

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