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Indian Cowboy: Der Jäger
Indian Cowboy: Der Jäger
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Indian Cowboy: Der Jäger

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About this ebook

"Wenn du mal einen beschissenen Job brauchst, den keiner machen will, dann melde dich bei mir", sagt ausgerechnet ein FBI Agent zu Ryan Black Hawk.
"Ich arbeite nicht für das FBI!"
"Nicht für die. Für mich."
Als Ryan unehrenhaft aus der US Air Force entlassen wird, bleibt ihm keine andere Wahl. Zu Fuß macht er sich auf den Weg in eine ungewisse und gefährliche Zukunft.
Als er der geheimnisvollen Keshia begegnet, soll sich alles ändern. Fast vergessene Gefühle verzaubern die beiden jungen Menschen.
Doch dann kommt alles anders.
LanguageDeutsch
PublisherTWENTYSIX
Release dateFeb 26, 2019
ISBN9783740757410
Indian Cowboy: Der Jäger
Author

Brita Rose Billert

Zur Autorin: Brita Rose Billert ist 1966 in Erfurt geboren und ist Fachschwester für Intensivpflege und Beatmung, ein Umstand, der auch in ihren Romanen fachkundig zur Geltung kommt. Ihre knappe Freizeit verbringt sie mit ihrem Pferd beim Westernreiten durch Kyffhäuserland und Eichsfeld in Thüringen. Sie hat durch ihre Reisen in die USA und Kanada einige Freundschaften mit Native Indians in Utah, South Dakota und British Columbia geschlossen. Diese Begegnungen, die Liebe zu den Pferden und ihrem Job inspirieren sie zum Schreiben. 13 Romane sind derzeit publiziert, zwei davon in englischer Sprache. Autorenhomepage: www.brita-rose-billert.de

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    Book preview

    Indian Cowboy - Brita Rose Billert

    Auftrag

    Kapitel 1

    Zeit der Dämmerung

    Gegen zehn Uhr Morgens wurde Sergeant Ryan Black Hawk von der Arrestzelle in General Major Barkleys Büro geführt. Ryan blieb vor dem Schreibtisch stehen, hinter dem Barkley, Taylor und ein junger Lieutenant Platz genommen hatten. Mit nur zwei Sätzen verkündete Barkley seinen Beschluss.

    „Sergeant Hawk, Sie sind mit sofortiger Wirkung unehrenhaft aus dem Dienst der US Air Force entlassen. Aufgrund des von Ihnen verursachten Schadens an Personen, des Dienstwagens, der Befehlsverweigerung, Unzuverlässigkeit und Desertation sehe ich eine weitere Zugehörigkeit für unvertretbar. Da Sie nun Zivilperson auf Militärgelände sind, wird Sie der Lieutenant auf Ihr Zimmer begleiten, damit Sie Ihre Sachen packen können. Danach wird er sie direkt zum Ausgang begleiten."

    Barkleys Worte klangen wie abgefeuerte Schüsse. Ryan gefror das Blut in den Adern. Er atmete tief durch. Mit keiner Regung ließ er erkennen, was er dabei empfand. Obwohl er Barkleys Urteil kaum anders erwartet hatte, spürte er, wie gefährlich der Boden unter seinen Füßen wankte. Jedes Wort war überflüssig. Da er jetzt keinem Befehl mehr unterstellt war, wandte sich der Lakota grußlos um und ging zur Tür hinaus. Der Lieutenant sprang auf, um ihm eilig zu folgen.

    Barkleys grimmiger Blick folgte den Männern. Kaum hörbar sagte Taylor: „Er war mein bester Mann. So einen finde ich nie wieder."

    *****

    Dunkle Wolken türmten sich bedrohlich über das Land um die Black Hills. Dämmerung beherrschte den Tag. Drückende Schwüle kündete das heranziehende Gewitter an. Es war unheimlich still. Nicht ein Vogel sang und die dicke Luft schluckte die Motorengeräusche des Highway 90.

    Von dort kam ein junger Mann zu Fuß. Er schien es nicht eilig zu haben, bummelte aber auch nicht. Über der Schulter hing eine schwarze Tasche und obwohl es nicht notwendig gewesen wäre, trug er eine Sonnenbrille. Keine Straße und kein Weg führte in diese Richtung, in die er zielstrebig lief. Es schien, als wüsste er dennoch wohin er wollte. Das Shirt hatte er durch den Gürtel gesteckt. So baumelte es im Takt seiner Schritte hinter ihm her. Ryan Black Hawk wusste genau, wohin er wollte. Er kannte den Weg. Nicht das erste Mal legte er ihn zu Fuß zurück. Nach etwa zwei Stunden Fußmarsch hatte er den Waldrand der Black Hills erreicht. In den Bergen würde er Schutz vor dem Gewitter finden, das wahrhaftig schnell heraufzog. Die Jeans klebte an der Haut und die Zunge am Gaumen. Auch der dunkle Wald bot keine kühlende Erleichterung. In den Sportschuhen schien ein Feuer zu brennen. Ryan ignorierte das alles. Sein Gesicht wirkte versteinert und seine Gedanken quälten ihn. Schließlich steckte er die Brille weg. Im dichten Wald war es dunkel. Auch hier folgte der Lakota keinem Weg. Seine Füße berührten den weichen Mischwaldboden, verrottende Nadeln, welke Blätter, Moos und Äste. Es roch danach. Ein kaum hörbares Geräusch, das nicht hierher gehörte, ließ Ryan stoppen und aufhorchen. Er vernahm deutlich ein menschliches Stöhnen. Ryan verzog die Mundwinkel zu einem Grinsen und wartete.

    Stille.

    Dann stöhnte wieder jemand. Es kam oben vom Hang. Ryan ließ die Tasche zurück, kroch hinauf und blieb schließlich am Boden liegen. Sein Grinsen wurde breiter, als er die Ursache erkannte. Wieder drang ein klägliches Stöhnen zu seinen Ohren. Ryan erhob sich. Obwohl der Lakota es immer vermied, sich ungebeten in die Angelegenheiten anderer Leute zu mischen, schien es hier äußerst notwendig zu sein. Ein weißhaariger Mann, nur mit einer Unterhose bekleidet, hing verkehrt herum am untersten Ast eines Baumes. Sein Kopf schwebte über dem Boden, während seine Arme in einem großen Ameisenhaufen hingen. Die Tiere verteidigten tapfer ihre Behausung und waren nicht im geringsten mit dem Eindringling einverstanden. Ryan zog sein Messer und schnitt den Strick durch. Der Alte plumpste in den krabbelnden Haufen und krächzte. Kraftlos fluchte er und versuchte vergeblich aufzustehen. Ungeschickt fuchtelte er umher.

    Ryan grinste spöttisch über die seltsame, lächerliche Kreatur und wandte sich zum Gehen.

    „Hey! Du!, schnaufte der Alte. „Du kannst mich doch nicht einfach hier... Er ächzte, während er umständlich versuchte auf die Beine zu kommen, „...hier liegen lassen. Verflucht nochmal!"

    Ryan hielt inne und blickte zurück.

    „Vielleicht hast du es ja nicht anders verdient", entgegnete er unberührt.

    „Diese verfluchten Stinktiere bringe ich um! Undankbares Volk!"

    Der Alte hatte wieder genug Luft in seinen Lungen, um kräftig zu fluchen. Auf allen Vieren krabbelte er aus dem Haufen der tapferen, kleinen Tiere und streifte immer wieder über seine feuerroten Arme. Einige Leichen fielen zu Boden. Als er sich in Sicherheit glaubte, lehnte er sich erschöpft an einen Baumstamm und warf einen ersten Blick zu seinen Retter. Der kleine Alte grinste, hustete und sagte mit heißerer Stimme: „Danke! Ich schulde dir was."

    Wind kam auf und fuhr in die Blätter der Bäume. Es rauschte. Ryan sah nach oben.

    „Ist was im Anzug. Habe es letzte Nacht schon in meinen alten, morschen Knochen gemerkt. Ich bin übrigens Samuel Gabriel Anthony Williams. Für dich Sam, wenn du mir deinen Namen verrätst."

    Ryan sah skeptisch zu ihm herab und musterte ihn. Er war klein, untersetzt und hatte kurze, krumme Beine. Seine weißen Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab. Doch der Bart machte einen äußerst penibel gepflegten Eindruck. Seine dicke Nase erinnerte an eine Kartoffelknolle und seine Augen blinzelten Ryan neugierig entgegen.

    „Ryan", sagte der schließlich.

    Sam lachte mit rauchiger Stimme.

    „Du gefällst mir Bürschchen. Bist Indianer. Siehst aus wie ein Air Force Verschnitt auf Urlaub. Ein anderer wäre nie auf die blödsinnige Idee gekommen, durch dieses gottverlassene Stück Wald zu streifen. Mein Glück. Sonst hätten die Ameisen meine Gebeine abgenagt."

    Der alte Sam wechselte in seiner Stimmung vom unfreundlichen Knurren in einen eigenwilligen Humor. Er lachte und winkte Ryan zu sich heran.

    „Komm Junge! Hilf einem alten Mann mal auf die Beine. Mir brummt noch immer der Schädel von der verdrehten Welt."

    Ryan trat einen Schritt auf ihn zu und reichte ihm den Arm. Der Alte packte ihn am Handgelenk und zog sich auf. Dann tat er die ersten steifen Schritte.

    Der Wind wuchs zum Sturm.

    Der Donner grollte.

    Es wurde höchste Zeit für Ryan, die Höhle aufzusuchen. Erneut wandte er sich zum Gehen.

    „Der Blitz soll mich treffen, dass ich sofort tot umfalle, wenn ich ein Lügner bin. Ich bin Geschäftsmann und immer ehrlich zu allen gewesen!", schrie Sam durch das laute Rauschen des Sturmes in den Baumkronen. Äste knackten bedrohlich. Einer fiel zu Boden. Ryan blieb gleichgültig und setzte unbeirrt seinen Weg fort.

    „Warum sollte dich unser Schöpfer also auf deinem Weg zu mir geschickt haben? Um mir mein Leben zu retten! Er wollte mich noch nicht da oben haben!", rief der Alte ihm nach.

    „Schon mal was von der Hölle gehört?"

    Er hörte den Alten hinter sich krächzend lachen.

    „Der Teufel hat Angst vor mir."

    Ryan verschwand hangabwärts. Der Sturm spielte wütend mit den Baumwipfeln. Das heulende Pfeifen wurde lauter und die raschelnden Blätter sangen dazu. Ryan griff nach seiner Tasche. Nun würde er sich beeilen müssen, um seinen Unterschlupf an den Felswänden zu erreichen. Vielleicht würde er die Nacht dort verbringen müssen. Als er die Tasche über die Schulter warf, sah er den alten Mann, der sich Sam nannte, eilig auf sich zu humpeln. Direkt vor ihm blieb er stehen. Ryan rührte sich nicht von der Stelle. Seine versteinerte Miene wirkte gleichgültig.

    „Komm Junge. Hier ganz in der Nähe steht meine Hütte. Ich lade dich ein. Wenn du mich ein wenig stützt, könnten wir es beide noch schaffen."

    Der eigenartige Alte schien es ehrlich zu meinen. Besorgt blickte er Ryan an und wartete auf eine Antwort.

    Ryan nickte schließlich.

    „Okay."

    Als die beiden Männer das Blockhaus auf einer Waldlichtung erreichten, zuckten Blitze durch die Finsternis. Ryan erkannte einen Schuppen beim Haus, vor dem ein relativ neuer Geländewagen parkte. Die beiden Männer hatten die Tür gerade erreicht, als der Regen herunterprasselte. Die Wassertropfen sprangen wie Kieselsteine über den harten Boden. Sam warf die Tür hinter sich ins Schloss und schaltete das Licht an. Er atmete schwer. Der Weg hatte ihm die letzte Kraft geraubt. Mühsam schleppte er sich zum Tisch und ließ sich auf einen der Stühle sinken.

    „Setz dich, Ryan."

    Ryan stand am Fenster und sah hinaus. Die Wassermassen schütteten herab, trommelten gegen die Scheiben und auf das Dach des Blockhauses. Dann setzte er sich zu dem Fremden an den Tisch und schob die Tasche unter den Stuhl. Schweigend musterte er den Raum, der zweckmäßig eingerichtet und mit allerhand Firlefanz dekoriert war. Sein Blick streifte über einen Schreibtisch, auf dem ein Computer stand. Daneben stand ein schmaler Metallschrank. An einer alten Winchester blieb Ryans Blick schließlich hängen. Wie zur Dekoration zierte sie die Holzwand, neben Fellen, Bildern und einigen Jagdtrophäen. Sam beobachtete ihn.

    „Ich werde mir mal was zum Anziehen suchen und das Feuer in Gang bringen. Und ich habe einen Mordshunger", meinte er.

    Sam erhob sich und verschwand durch die Tür in das Zimmer dahinter.

    Ryan untersuchte den Küchenherd, der jedem Museum Ehre gemacht hätte. In einem Korb lag Anmachholz und daneben einige aufgestapelte große Scheite. Als Sam den Wohnraum betrat, brannte das Feuer bereits. Er nickte Ryan dankend zu und schob eine gusseiserne Pfanne auf die Herdplatte.

    „Kaffee oder Tee?", fragte er.

    „Kaffee. Schwarz", antwortete Ryan.

    „Ich hoffe du magst Truthahn?", fragte Sam, während er Kaffee kochte.

    „Ja", antwortete Ryan knapp.

    Sam schüttelte den Kopf. Dann schnitt er Truthahnfleisch in Streifen und quetschte diese in eine Pfanne. Ryans Gedanken schweiften ab. Er versuchte herauszufinden, weshalb er jetzt hier saß. Was hat das zu bedeuten? Weshalb hat mich Wakan Tanka zu diesem Fremden geschickt? Den Tag hätte der alte Mann ohne mein Auftauchen mit Sicherheit nicht überlebt. Und nun bin ich in seinem Haus...

    Sam unterbrach Ryans Gedanken, als er eine große Kaffeetasse vor den Lakota schob.

    „Danke", antwortete Ryan sporadisch.

    Bratenduft drang in seine Sinne und holte ihn vollends in die Gegenwart zurück. Der Alte machte nun einen sehr zivilisierten und gepflegten Eindruck, der im ganzen Gegensatz zu seiner Erscheinung im Wald stand. Wortlos stellte der Alte Mann das Essen auf den Tisch. Dann murmelte er ein Gebet.

    Ryan spürte eine eigenartige Leere tief in sich. Angst und Wut waren verflogen. Plötzlich war ihm alles gleichgültig. Nur das Gefühl von Hunger drang, mit dem Duft des Bratens, in sein Bewusstsein. Lange Zeit hatte er nichts vergleichbares genossen. Der alte Waldschrat war tatsächlich ein guter Koch und Gastgeber. Ryan schmunzelte.

    „Danke. Das Essen ist wirklich sehr gut", bedankte sich Ryan höflich bei seinem Gastgeber.

    Die Augen des Alten begannen zu leuchten, als er Ryan offen anlächelte.

    „Das freut mich, Junge", krächzte Sam.

    Draußen tobte das Gewitter. Stürmische Böen peitschten den Regen gegen das Haus. Am Schuppen klapperte ein loser Fensterladen. Der Donnerhall klang wie die anrollende Kugel einer Bowlingbahn und entlud sich in einem lauten Krachen.

    Als Sam das Geschirr abgeräumt hatte, holte er eine Flasche Whisky und zwei Gläser. Ohne zu fragen schenkte er ein. Ohne ein Wort nahm er sein Glas und trank es in einem Zug aus.

    „Manchmal tut das gut. Dann weiß man, dass man noch lebt", sagte Sam leise.

    Ryan zögerte. Schließlich griff er nach dem Glas und trank es ebenfalls in einem Zug aus. Sam hatte Recht. Es tat gut das Brennen in der Kehle zu spüren. Das war wahrscheinlich der beste Whisky, den er jemals getrunken hatte. Kein Vergleich zu dem billigen Fusel ohne Geschmack, der ihm jahrelang nur Löcher in die Magenwände gefressen hatte. Ryan atmete tief durch, als würde er einen tiefen Zug an der Zigarette nehmen. Sam goss Kaffee nach und blickte Ryan direkt an.

    „Du bist der erste Fremde, der jemals meinen Claim betreten durfte. Ich mag keine Fremden, die hier herumschnüffeln. Du hast ja gesehen, wohin das führen kann."

    Ryan musste grinsen.

    „Die Winchester da gefällt dir?"

    „Ja."

    „Ich schenke sie dir."

    Ryan schüttelte den Kopf.

    „Ich brauche kein Gewehr, das eine Wand ziert."

    Sam lachte rau.

    „So? Was dann?"

    Ryan schwieg.

    „Bist du bei der Air Force? Du siehst so aus."

    Ryan verzog geringschätzig die Mundwinkel.

    Sam beobachtete das sehr aufmerksam.

    „Pilot?"

    „Nein."

    „Es gibt dutzende verschiedene Jobs bei der Air Force. Aber wie ein Koch siehst du nicht aus und auch nicht wie einer vom Putzgeschwader. Ich kann es mir nicht erklären, aber wenn ich dich so ansehe, möchte ich dir nicht mit einer Waffe in der Hand gegenüber treten müssen."

    Um Ryans Mundwinkel herum spielte nun ein spöttisches Lächeln, das beinahe hochnäsig wirkte.

    „Fahrer", antwortete er schließlich.

    Sam hob die Augenbrauen.

    „Dann würde ich meinen mir heiligen Claim dafür verwetten, dass du derjenige warst, den sie zwei Tage lang gejagt haben. Sie haben es in den Nachrichten gebracht. Du musst sie ganz schön wütend gemacht haben."

    Sam deutete auf den Verband an Ryans Arm.

    „Angeschossen und dem FBI mit deren Jeep entwischt, kicherte Sam. „Und dann hat dich die US Army gefeuert, nachdem du dich ihnen gestellt hast?

    Ryan staunte über die hellen Gedanken des Alten.

    „So ist es", nickte Ryan.

    „Was zum Teufel hast du verbockt?"

    „Du fragst zu viel, Sam."

    Sam hob abwehrend die Hände.

    „Schon gut. Geht mich ja auch nichts an."

    Ryan nahm die Kaffeetasse in beide Hände und trank.

    Sam erhob sich schwerfällig, humpelte zum Schreibtisch und kramte herum. Dann schob er Ryan einen Zettel zu.

    „Vielleicht ist das was für dich."

    Ryan starrte auf den Zettel, auf dem mit blauer Tinte in akkurater Schrift eine Nummer geschrieben war.

    „Was ist das?"

    „Wenn du einen verdammt gut bezahlten Job suchst, ruf an. Ich denke, du kannst gut mit Waffen umgehen, Auto fahren und Leute wie mich aufspüren, die sonst niemand findet."

    „Kann ich."

    „Gut. Aber nun kommt der Haken an der Sache, mein Junge. Kannst du auch Leute aufspüren, die gar nicht gefunden werden wollen?"

    Ryan hob den Blick zu Sam. An seiner Nasenwurzel bildete sich eine argwöhnische Falte.

    „Kopfgeldjäger."

    Sam nickte langsam.

    Schweigend schob Ryan den Zettel in seine Hosentasche. Grelle Blitze zuckten vor den Fensterscheiben. Äste krachten und ein Baum schien unter der Gewalt des Sturmes zu zerbrechen. Noch immer peitschte der Sturm den Regen gegen das Haus. Donnerschläge krachten, Kanonenschüssen gleich, durch den Lärm.

    „Du bleibst die Nacht über hier", entschied Sam.

    „Morgen früh nehme ich dich mit hinunter in die Stadt."

    Ryan nickte zustimmend.

    *****

    Die Sonne stand gerade über den Kämmen der Schwarzen Berge, als Ryan zu Sam in den Wagen stieg. Der schwarze Dodge Truck gefiel ihm. Der Alte wirkte dagegen wie ein Zwerg. Wenige Federwolken standen am blauen Himmel. Nichts erinnerte an das gestrige Gewitter. Doch die Luft war angenehm frisch und klar. Der RAM rollte den Waldweg hinab, bis zur asphaltierten Straße. Das Sonnenlicht flirrte durch die Baumkronen. Die Straße wand sich, wie eine platt getretene Schlange, durch die Berge. Aus dem Radio kam Countrymusik. Einen Augenblick glaubte Ryan, dass die Welt wieder völlig in Ordnung war. Der Schein trügte. Das wusste er. Als der Wagen den Wald in östlicher Richtung verließ, blendete die Sonne. Brummend verzog Sam das Gesicht und klappte die Sonnenblende herab. Die Stadt, Rapid City, lag direkt vor ihnen. Die Straße führte nun, wie ein Lineal, geradeaus. Wenig später steuerte Sam den Truck in eine Einfahrt. Er öffnete das Rolltor mit einer elektrischen Fernbedienung vom Wagen aus. Hinter ihm schloss es sich wieder automatisch.

    „Da sind wir. Komm mit, Junge", sagte Sam und stieg aus.

    Ryan schmunzelte, weil der Alte ihn immer wieder als Junge bezeichnete. Es war Sams Art, aber Ryan nahm ihm das nicht übel. Er mochte diesen eigenartigen und eigenwilligen alten Mann auf unerklärliche Weise. Ryan musste sich sein Erstaunen eingestehen, als er Sam durch das Lager folgte. Er ahnte, was für ein Geschäft Sam führte. Als er das Ladengeschäft betrat, bestätigte sich seine Vermutung. Sam hatte ein Waffengeschäft. Ryan sah sich um. Waffen aller Art und für jeden Geschmack, viele verpackt, einige in der Auslage unter Glas.

    „Such dir eine Gute heraus. Ich will nicht bis in alle Ewigkeit in deiner Schuld stehen. Du hast mir das Leben gerettet, Junge."

    Der Alte grinste, denn die Verwunderung des Lakota war ihm nicht entgangen.

    Schweigend sah der sich die Waffen an und wanderte mit seinem Blick von einer zur anderen.

    „Lass dir ruhig Zeit. Ich öffne erst in einer halben Stunde."

    Sam schaltete den Computer an und sortierte die Post. Ab und an lachte er krächzend auf oder fluchte leise.

    „Ich dachte an eine kleine, handlich und mit kurzem Lauf, halbautomatisch. Was meinst du zu der da?", fragte Ryan schließlich.

    Sam kam heran und schüttelte den Kopf.

    „Spielzeug für Leute, die Eindruck schinden wollen. Damit kannst du maximal Hühner erschrecken."

    Sam lachte.

    „Ich zeige dir das Profiwerkzeug."

    Sam packte seinen Ladentisch voll Kartons.

    „Colts sind etwas aus der Mode gekommen, obwohl sie technisch natürlich auch durchaus akzeptabel sind. Das hier sind halbautomatische Pistolen, selbstladend, neun Millimeter Kaliber verschiedener Hersteller. Sehr beliebt bei Polizisten und Agents. Alle unauffällig zu tragen und leicht mit einer Hand zu bedienen. Die reiferen Herrschaften setzen oft auf Smith und Wessen oder Browning. Die jungen Kunden greifen mit Vorliebe zu Beretta oder Glock, lächelte Sam. „Für deine Zwecke scheint mir die hier optimal zu sein. Die ist so gut wie unsichtbar und hat eine Durchschlagkraft wie ihre großen Schwestern. Hohe Schussgeschwindigkeit also. In der geübten Hand die beste Lebensversicherung. Und absolut keine Ladehemmungen.

    Ryan nahm die Pistole in die Hand, betrachtete sie von allen Seiten und prüfte die Lage in seiner Hand und in Abschussposition.

    „Sie gehört dir und tausend Schuss Munition dazu."

    Ryan legte die Pistole zurück auf den Tisch.

    „Washte", nickte er.

    „Washte", grinste Sam und nickte ebenfalls.

    Dann packte er alle anderen Pistolen wieder sorgfältig weg. Er behandelte die Waffen wie rohe Eier.

    „Glaubst du, ich kann damit in der Bank auftauchen?"

    „Junge! Du willst doch nicht etwa...", flüsterte Sam entsetzt.

    Ryan lachte amüsiert.

    Es war das erste Mal, seit der Entlassung, dass er lachte. Und es war das erste Mal, dass ihn Sam so ausgelassen lachen hörte, ohne Hohn und ohne Spott. Sam ließ sich davon anstecken.

    „Nein, will ich nicht. Ich brauche nur etwas Bares."

    „Das kann ich dir auch auszahlen. Karte? Wie viel?"

    „Fünfhundert und gib mir bitte ein Schulterhalfter dazu und den kleinen schwarzen Rucksack dort."

    Sam nickte und gab Ryan, was er wünschte.

    „Ich würde mich freuen, dich irgendwann mal wieder bei mir zu sehen. Du bist mir jeder Zeit willkommen, Junge. Und du weißt, wo meine Hütte steht."

    Ryan packte alles in den neuen Rucksack.

    „Weißt du, die würdigste Art für einen Mann zu sterben ist abends am Feuer einzuschlafen oder im Kampf erschossen zu werden. Erzähle niemals jemandem, dass du den alten Sam in so einer peinlichen Situation vom Baum abgeschnitten hast." Ryan presste die Lippen aufeinander und kniff die Augen zu kleinen Schlitzen.

    „Welchen Baum?", grinste er schließlich.

    Sam begleitete Ryan zur Tür und schloss seinen Laden auf.

    Zu Fuß ging Ryan die Straße hinunter ohne sich noch einmal umzusehen.

    *****

    Wenig später tauchte Ryan am Haus seiner Schwester, Carry Crowman, auf. Der Lärm der spielenden Kinder war weithin zu hören. Seine Nichte, die mit einer ganzen Horde Knirpse auf dem Spielplatz Ball spielte, entdeckte ihn zuerst. Sofort rannte Joan zu ihrem Onkel und sprang ihn an.

    „Ryan! Ryan!", rief sie laut und klammerte sich an ihm fest. Ryan lachte.

    „Hallo Jo, du kleiner Wirbelwind. Wie geht es?"

    „Gut, und dir?"

    „Auch. Ist deine Mom zu Hause?"

    „Ja drin. Sie packt gerade die Sachen zusammen."

    Ryan musterte Joan skeptisch.

    „Keine Angst. Nicht was du denkst."

    „So? Was denke ich denn?"

    Joan kicherte.

    „Kein Auszug, nur ein Umzug. Das hat der große Kriegsrat entschieden."

    Ryan grinste.

    „Kannst du Fußball spielen? Mir fehlt noch ein guter Spieler in der Mannschaft. Mason, stellt sich viel zu ungeschickt an."

    „Er kann ja nicht mal richtig alleine laufen, lachte Ryan. „Na dann...steig ab, du Klammeraffe.

    Ryan klemmte seine Reisetasche hoch in die Astgabel des Baumes am Spielplatz, in der der schwarze Rucksack steckte. Joan strahlte, als ihr Onkel sie zum Spielfeld begleitete, das von Wäscheplatz, Sandhaufen, Hauswand und einem liegenden Baumstamm am Straßenrand eingegrenzt war. Die anderen Mitspieler, alle etwa in Joans Größe und Gewichtsklasse, hatten keine Einwände. Lärm brauste auf, lauter und schriller als vorher.

    Carry schüttelte den Kopf und lächelte, während sie die Tassen aus dem Schrank in Zeitungspapier wickelte und in einen der Kartons packte. Sie konnte nicht ahnen, wer da draußen vor der Tür mit den Kindern hinter dem Ball herjagte.

    Ryan schoss. Joan schrie begeistert Tor! Tor!, während Mason im Sandhaufen saß und sich Sandkörner in den Mund steckte. Nun stürmten die Kinder von allen Seiten heran, um den Ball zu ergattern. Ryan versuchte ihnen den Ball wieder abzujagen. Im Getümmel kamen ihm die kleinen Füße in den Weg. Er stolperte darüber, rollte sich über die Schulter ab und fing den Ball mit den Händen, was natürlich lautstarken Protest von allen Seiten heraufbeschwor. Joan klärte ihn

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