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Die Wende: Die letzten 20 Jahre einer brüchigen Mauer: Historischer Roman
Die Wende: Die letzten 20 Jahre einer brüchigen Mauer: Historischer Roman
Die Wende: Die letzten 20 Jahre einer brüchigen Mauer: Historischer Roman
Ebook314 pages4 hours

Die Wende: Die letzten 20 Jahre einer brüchigen Mauer: Historischer Roman

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About this ebook

Zwei Freunde, die zu erbitterten Feinden werden – ein falsches Spiel, aber für die gute Seite! Oder? Die Geschichte über zwei Stasi-Agenten, die eine tiefe Freundschaft verbindet, wird auf eine harte Probe gestellt, als sich herausstellt, dass der eine in Wahrheit für die CIA arbeitet.

Thedy van Goys Agententhriller aus der Ära des Kalten Krieges zeigt das harte Gesicht der Realität zu der Zeit, als eine Mauer mitten durch Berlin lief – und Ost wie West ihre Ziele erbarmungslos verfolgten.
LanguageDeutsch
Release dateMar 22, 2019
ISBN9783837221152
Die Wende: Die letzten 20 Jahre einer brüchigen Mauer: Historischer Roman

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    Die Wende - Thedy Van Goy

    1989-2019

    Prolog

    Wenn Menschen vier Mauern aufstellen und das Ganze überdecken, dann haben sie etwas Nützliches geschaffen und fühlen sich hinter diesen vier Wänden in ihrem Heim nun sicher und geborgen. Wenn Menschen aber eine eigentlich sinnlose Mauer quer durch eine ganze Stadt bauen, fühlen sich die Leute beiderseits der Mauer verunsichert. Und da Fenster in dieser Mauer fehlen, können sich gute Freunde nicht einmal mehr zuwinken.

    In diesem wahrhaft spannenden Umfeld spielt nachfolgender Roman. Trotz des Begriffs „ROMAN, alles hat sich so zugetragen und alle Standorte existierten wirklich oder sind selbst heute noch unverändert vorhanden. Der Leser wird so zurück in eine Zeit des Kalten Krieges versetzt und vor allem mit einbezogen; ein kalter Krieg der auch immer wieder „heiß wird und dabei Menschenleben fordert.

    Sich bis dahin wohlgesinnte Bürger werden unvermittelt zu Feinden. Nur weil sie nicht mehr zusammen leben, sondern durch eine starre und tote Mauer getrennt sind. Natürlich sind sich nun alle auf der westlichen Seite der Mauer einig: Hier leben die Guten, über der Mauer aber die Bösen. Östlich der Mauer denkt man dann genau gleich, nur natürlich umgekehrt, was die Guten und die Bösen betrifft.

    So leben die beiden Hauptfiguren Michael und Uli als Freunde östlich der Mauer, finden aber immer wieder auch Wege auf die andere Mauerseite. Das macht sie dann, wenn man der oben erwähnten Logik folgt, mit der Zeit zu erbitterten Feinden. Beide Agenten wissen zum Schluss nicht mehr, ob sie nun die Bösen oder die Guten sind und auf welcher Seite das bessere Gewissen zu Hause ist. Im Jahre 1989 macht dann das einstürzende Mauerwerk dem Spuk glücklicherweise ein Ende, aber nur noch für einen der beiden ehemaligen Freunde.

    Die Namen der beteiligten Personen wurden geändert, nicht aber die Namen der Standorte und nicht die Namen der beteiligten Prominenz.

    Der „ROMAN, im Vorfeld eines dritten Weltkrieges, wird aber auch zum Tatsachenbericht und korrigiert in diesem Fall sogar die gängige Geschichtsschreibung. Lassen Sie sich überraschen. Dies ist nur möglich, weil der Autor in diesen zwanzig „Mauer-Jahren direkte Kontakte zu den Geheimdiensten pflegte und sich regelmäßig auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs" aufhielt. So gehörte er abwechselnd mal im Westen oder dann im Osten zu den Guten.

    Der Autor widmet dieses Buch dem dreißig-jährigen Jubiläum einer endlich im Jahre 1989 zusammengebrochenen Schandmauer.

    Ich wünsche den Lesern viel Spannung und Unterhaltung.

    2019 - Der Autor Thedy Van Goy

    1. Familie Winkler zieht ins Marzahn

    Am 23. April 1951 kommt Uli Winkler, Sohn eines angesehenen hohen SED-Funktionärs der DDR, in Berlin auf die Welt. Es existiert noch keine Mauer, so dass man in Ost-Berlin schutzlos dem Westen ausgeliefert ist. Die Familie Winkler lebt in einer primitiven Altbauwohnung, ein Klo befindet sich im Treppenhaus, wo ein entsprechender Duft durch die Schlucht der Treppenanlage streicht, vermischt mit dem feinen Duft von Bohnerwachs. Erst 1976, Uli feiert bereits seinen 25. Geburtstag, bezieht der Vater Winkler eine Wohnung in der komfortablen Plattenbau-Siedlung in der Ostberliner Trabantenstadt Marzahn. Vater Winkler ist sehr stolz auf diese Wohnung mit Dusche und warmem Wasser, werden doch diese Blocksiedelungen als ein Zeichen des Fortschritts im noch jungen DDR-Staat angesehen. So leben hier hauptsächlich hohe Funktionäre, wichtige Parteimitglieder und natürlich auch die Mitglieder der Geheimdienste, vor allem Staatssicherheits-Leute (Stasis) aber auch Agenten des KGB von der befreundeten UdSSR. Solche Neubauten können nach westlichen Maßstäben ungefähr 15 Jahre lang ab dem Erstbezug genutzt werden. Dann, mit den ersten Ermüdungserscheinungen im Bad oder in der Küche, aber auch an Türen und Fenstern bis hin zu den Raufasertapeten, zeigt sich nun das große Problem bezüglich eines sonst ganz normalen Unterhalts. Ersatzteile sind nämlich in der DDR praktisch unmöglich zu beschaffen. In allen Fachgeschäften herrscht in den Regalen gähnende Leere. So nützt denn, wenn das Material fehlt, auch handwerkliches Geschick wenig. Nur wer gute Beziehungen zum Außenhandelsministerium hat, als strammer Parteigenosse gilt, dann bereit und in der Lage ist, horrende Preise für Ersatzteile zu bezahlen, kann auf Hilfe hoffen. Es geht hier meistens um Waren, welche durch Westgesellschaften finanziert werden und im Osten gelagert werden. Mit diesen vom Westen in den Osten exportierten Zulieferteilen wird dann in Ostberliner Werken kostengünstig produziert. Die Vorratslager an wertvollen Teilen wie Beschlägen, Griffen und vielem anderem sind dabei laufend der Schwindsucht unterworfen, die Lager reduzieren sich schnell und unerklärlich. Natürlich kommen diese wichtigen Unterteile wieder in den Umlauf, Beschaffung nennen die Hintermänner solche Transaktionen, der Begriff „gestohlen wäre zutreffender. Westlichen Gesellschaften sind diese Machenschaften allerdings schon längst bekannt. Anlässlich der jährlichen Preisverhandlungen im zuständigen Ministerium wird dieser Wert an „natürlichem Schwund an den vom Ministerium angebotenen Preisen als zusätzlicher „Spezialrabatt wieder in Abzug gebracht. So bezahlt der DDR-Staat gleich selbst die von den Funktionären gestohlenen Waren automatisch an den Westen zurück, während sich dabei die Diebe eine an DDR-Verhältnissen angepasste „goldene Nase verdienen. Solch eine goldene Nase ist dann bereits ein gebrauchter  und stinkender Trabi (DDR-Automarke Trabant) oder ein Urlaub am Strand des Schwarzen Meers, bei den sozialistischen Brüdern in Bulgarien.

    Die Plattenüberbauungen aber, das kann man schon heute vorausahnen, werden in ein paar Jahrzehnten völlig verwahrlosen und bald einmal als nicht mehr bewohnbar eingestuft werden müssen. Das wundert hier aber niemand, werden doch am laufenden Band neue Plattensiedlungen in die Landschaft gestellt, während man die alten Ruinen einfach vor sich hin zerfallen lässt. Architektonisch natürlich eine Katastrophe. Auch wenn im Westen immer wieder behauptet wird, dass der sogenannte Bauern und Arbeiterstaat eigentlich ein kapitalistischer Staat von hohen Funktionären sei, ist das so nicht ganz richtig. Nur gerade eine intime Bande, vorerst um den Vorsitzenden Ulbricht, dann um Stoph, Honecker und zuletzt Krenz genießen solche Geldprivilegien. Die meisten anderen wichtigen Partei- oder SED-Funktionäre (Sozialistische Einheitspartei Deutschland) müssen sich dank ihren Beziehungsnetzen mit einfacheren Bevorteilungen bescheiden. Eben beispielweise eine Wohnung im Quartier Marzahn oder dann mit einem gesponserten Badeurlaub auf der Krim oder an den Stränden von Rumänien und Bulgarien. Die Hotels oder Campingplätze an den schönen Sandstränden des Schwarzen Meeres sind allerdings genauso verwahrlost wie die Plattensiedlungen zuhause. Was soll es, wer wenigstens einmal im Jahr frische Meer Luft genießen darf, hat schon viel Glück! Natürlich sind im Arbeiter- und Bauernstaat alle korrupt, welche dazu Gelegenheit haben. Einbringen tut das Ganze allerdings nicht übertrieben viel, weil in den Regalen des Detailhandels regelmäßig gähnende Leere herrscht und man in den späteren Intershop-Läden nur mit Devisen bezahlen kann. So gehört dann der Kofferträger in einem 5-Sterne Interhotel, in welchem praktisch nur Gäste aus dem Westen absteigen, zu den eigentlichen Kapitalisten. Mit den spendierten dollarschweren Trinkgeldern kann der Boy sich mehr Luxus leisten als mancher hoher SED-Funktionär. Die westlichen Manager staunen auch immer wieder, wenn sie mit einem Kofferboy ins Gespräch kommen, über die oft hohe Intelligenz und Bildung dieser einfachen Gehilfen. Oft haben sie sogar einen Universitätsabschluss, mit welchem sie im Arbeiter und Bauernstaat kaum die Marmelade aufs Brot verdienen können. Natürlich interessiert sich auch der Geheimdienst, also die Stasi für solche gescheiten Kofferboys. Manager aus dem Westen zu beschnüffeln und auszuhorchen kann für die Stasi interessant sein. Die ganz gescheiten Kofferboys stellen sich allerdings bei solchen Angeboten dann lieber dumm und überlassen die Schnüffelei den wirklichen Dummen.

    So wächst der kleine Uli in einfachen Verhältnissen in Berlin auf. Sein Vater, eine wichtige Persönlichkeit in der SED steigt ständig in der Hierarchie und ist heute Generaldirektor in einem Werk mit 1500 Mitarbeitern. So ein Job wäre ohne bekennende Parteizugehörigkeit nie und nimmer erreichbar. Sein Lohn ist allerdings, entsprechend der kommunistischen Ideologie im Arbeiterstaat, entsprechend karg. Es werden Bauteile für Normfenster hergestellt. Hauptabnehmer sind die weiterverarbeitenden Industrien aus dem Westen. Größere Unternehmen aus dem Westen werden als Abnehmer dennoch zwingend zu Investitionen in den Personalbestand des DDR-Fensterbau Kombinats verpflichtet. Sogenannte exportbegleitende Holzbauingenieure müssen von den Westgesellschaften beschäftigt und natürlich auch bezahlt werden. So beschäftigt der westliche Hauptabnehmer in Hamburg zwei Ost-Berliner Ingenieure. Bezahlt werden diese über die Außenhandels-Zentrale. Der westliche Kunde zahlt so die Saläre (je US$ 3000 monatlich) an die Zentrale, welche ihrerseits dann die zwei Mitarbeiter bezahlt. Je 500 Ost-Mark für jeden der beiden Ingenieure, lässt die Zentrale springen, was einem aktuellen West-Wert von DM 100 entspricht. Der Rest geht an das Ministerium für administrative Spesen. Die Kunden im Westen erwarten für Ihre harten Devisen von den beiden Ingenieuren jetzt aber entsprechend motivierte, echte und produktive Entwicklungsarbeit für laufende Verbesserungen im Herstellungsprozess. Das könnte man allerdings bei den läppischen DM 100 glatt vergessen! Deshalb werden die beiden Männer zusätzlich und natürlich „schwarz", direkt vom Westen mit je nochmals US$ 3000 Cash beglückt, was umgerechnet einem Wert von zirka 18.000 Ost-Mark entspricht. Natürlich erhalten die beiden Mitarbeiter weitere US$ 1.000 als Pauschalspesen ebenfalls schwarz. So sieht dann die Sache etwas anders aus. Da die östliche Zusammenarbeit mit westlichen Unternehmen von der DDR-Zentrale aber allgemein mit Argwohn betrachtet wird, ist einer der beiden Ingenieure auch noch Mitglied der Stasi (Ministerium für Staatssicherheit) und beschnüffelt so laufend seine westlichen Arbeitgeber und kontrolliert dabei erst noch seinen Kollegen, der wiederum seinem Arbeits-Kollegen natürlich auch nicht über den Weg traut. Dieses Spiel wird von den Westunternehmen relativ schnell einmal durchschaut, nicht aber von der Stasi oder den Ingenieuren, welche beide tatsächlich glauben, ihre Mission bleibe geheim. Bei der Stasi kassiert dann der Ingenieur Michael nochmals ein Salär von gut 5.000.- Ostmark. Das macht zusammengerechnet nur für Michael die stolze Summe von DDR-Mark 5.500 plus US$ 4.000 inkl. Spesen. Natürlich würde das Michael theoretisch erlauben ein luxuriöses Leben zu führen. Also täglich Fleisch auf dem Teller, was aber, wenn die Regale beim Fleischer laufend gähnend leer sind, nicht möglich ist. Auch regelmäßig neue Kleider könnte Michael sich leisten, aber auch hier hängen nur ein paar veraltete Ladenhüter einsam an den Kleiderbügeln. Selbst einen Trabi könnte sich Michael problemlos leisten, wenn er denn lieferbar wäre. Hier haben aber Michael und sein Kollege Hans allerdings Glück. Da die Direktion im Westen bei den regelmäßigen Besuchen in der DDR keine Lust zeigt, von den beiden Mitarbeitern im Trabi wie Cocktails durchgeschüttelt zu werden, wird den beiden noch je ein komfortabler Opel-Admiral von den West-Unternehmen spendiert. Das macht natürlich den Trabi überflüssig. So werden die beiden Ingenieure bei Fahrten mit ihren Limousinen, versehen mit einer DDR-Kennzeichen-Nummer, bestaunt als wären sie Ulbricht persönlich. Die Dollars allerdings sind dann für die beiden Ingenieure insofern wertvoll, als sie damit in den sogenannten Intershops (Staatliche Läden) einkaufen könnten, wenn dort das Sortiment nicht auf wenige Luxusartikel beschränkt wäre. Was nützen einem 20 Aftershaves, 50 Flaschen irischer Whisky oder tausend Kondome, wenn es dort kein Klosett-Papier, keine Seife oder Zahnbürsten, aber auch keine westliche und modische Kleider zu kaufen gibt? Ob dem Vater, Direktor Walter Winkler, bekannt ist, dass einer seiner beiden Opelfahrer Mitglied der Stasi ist, weiß zurzeit niemand. Dem alten Winkler kann das egal sein, profitiert er doch anlässlich der Besuche von westlichen Geschäftsfreunden regelmäßig von großzügigen Geschenken, welche in der DDR schlicht nicht zu beschaffen sind. Dazu gehören auch Medikamente für seine krebskranke Frau Maria.

    So leben die Menschen in der DDR ein einfaches Leben ohne Luxus. Jeder hat ein Dach über dem Kopf, verhungern muss keiner. Jeder bekommt Arbeit, auch wenn er diese nur ganz selten selbst auslesen kann. Arbeitslosigkeit in der DDR – was ist das? Wer keinen Job hat, bekommt einen, zum Beispiel als Straßenfeger, selbst dann wenn dieser Job schon besetzt ist, fegt der Neue eben noch ein zweites Mal dem gestandenen Kollegen hinterher – so einfach geht das. Der Westen kann hier nur staunen. Ebenfalls erhalten die Bürger, aber nur wenn sie verheiratet sind, eine Wohnung zugeteilt, welche erst noch möglichst nahe der Arbeitsstätte liegt. Ledige Genossen und Genossinnen sollen bei den Eltern wohnen, Konkubinate sind höchst unerwünscht, unmoralisch und eigentlich verboten. Frauen und Männer sind gleichberechtigt und haben absolut den gleichen mickrigen Lohn. Für den kleinen Uli steht selbstverständlich ein Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte zur Verfügung, so dass seine Mutter Maria von 6 Uhr bis 19 Uhr in der Küche eines Restaurants arbeiten kann und Uli ist gut versorgt. Wenn man noch ein, zwei gute Freunde hat und das Wetter schön ist, dann lässt es sich auch in der DDR leben. Nur mit den Freunden ist das halt so eine Sache. Wem kann man trauen, mit wem kann ich über die leeren Laden-Regale herzhaft fluchen und mich über die schlechte Luft beklagen oder die arroganten Beamten zur Hölle wünschen? Wer sich hier bei einem „Michael anfreundet, läuft unweigerlich in den Hammer, einem Stasi-Mitglied darf man solches nicht anvertrauen. Allzu aufmüpfige Zeitgenossen können schnell mal einen „Gratis-Urlaub in Sibirien genießen! Allerdings, wer den Michael nicht genauer kennt, würde ihm niemals eine Stasi-Mitgliedschaft zuordnen – ein allenfalls verhängnisvoller Fehler. Deshalb gilt die DDR-Devise: Misstrauen in alle Richtungen sichert ein ruhiges, aber eben auch langweiliges Leben. „No Risk, No Fun, würde man deshalb im Westen sagen und so outet man sich nach einiger Zeit hin und wieder bei dem einen oder anderen Zeitgenossen. Wer dabei nicht in den Fettnapf trampt und wem es gelingt wirklich echte Freunde und um Himmels Willen keine Genossen zu gewinnen, der kann, wenn nun noch das Wetter stimmt, auch in der DDR den Tag genießen. An Regentagen erlebt man dafür hautnah die überall fehlenden Filteranlagen der Industrie, spürt man die stinkenden Abgase der Trabis und die fehlende Straßenreinigung. Die ganze Schmutzluft wird durch den Regen ausgewaschen und die saure Sauce auf die Köpfe der armen Bürger ausgeschüttet. Auf den Straßen bildet sich eine schleimige, graue und klebrige Masse. Gnad Gott wer hier ausgleitet und in der Brühe eine Bauchlandung macht! Jetzt hilft wirklich nur noch der echte Freund, mit dem man so richtig zünftig über die DDR fluchen kann! Aber bitte nicht zu laut, Michaels lauern überall und hinter jeder Ecke. Einzig die westlichen Geschäftsleute können sich sehr viel erlauben. Wenn Michael als Aufpasser nicht abkömmlich ist, wird er an Konferenzen subito durch einen Ersatz-Stasi ersetzt. Dieser notiert dann den heiter langen Tag irgendwelches Zeug in sein kleines Büchlein, ohne auch nur einmal den Schnabel aufzumachen. So wird er natürlich als Geheimdienstler entlarvt. Jetzt ist es immer ein besonderer Spaß für die Manager aus dem Westen den Stasi auf die Rolle zu schieben. „Der da an der Tischecke, der auf dem Maul hockt, schaut ihn euch an, ist ein widerlicher Stasi-Stinkstiefel, der nicht einmal Deutsch versteht, geschweige denn spricht! Der für das DDR-Management im Hals erstickende Lacheffekt liegt nun darin, dass der arme Stasi auf diese Frechheit gar nicht reagieren kann, wenn er sich nicht verraten will. Natürlich kann er Deutsch und je nach Situation auch jede Fremdsprache. Die Westmanager schütteln sich jetzt dagegen ganz offen vor Lachen. Den verhandelnden DDR-Spezialisten vom Fensterkombinat ist das ganze natürlich sehr peinlich. So erklären diese sich jeweils, aber nur wenn sie ganz sicher sind, dass keine Abhörmikrophone vorhanden sind, dass diese Beisitzer russische Agenten seien, die tatsächlich kein Deutsch sprechen würden und welche man einfach auf Befehl tolerieren müsse, auch wenn einem die Sache unangenehm sei. Das glaubt dann allerdings kaum einer der westlichen Gäste, auch wenn es tatsächlich hin und wieder auch mal russische Schnüffler sind, welche dann aber gut Deutsch sprechen.

    Die Nächte wären dann eigentlich zum Feiern da, nur nicht in Ostberlin. Wer Westberlin nachts erlebt, der steht in einer Flut von Lichtern, Reklamen blinken in allen Farben, die ganze Stadt ist hell erleuchtet, die Nacht wird zum Tage. Ostberlin wird dagegen zur Geisterstadt. Keine Reklame, das ist kapitalistisches Getue, um Energie zu sparen sind nur ganz wenige Straßenlaternen beleuchtet, ansonsten ist alles schwarz und trist. Ausgehen – mein Gott was soll das? Da hilft schon wieder nur die private Wohnung, in der man mit Freunden feiern kann. Wenn man Glück hat gibt es keinen Stromausfall – und wenn doch, dann nützt man die Gelegenheit, um endlich einmal die süße Nachbarin zu küssen. So lebt es sich unter entsprechender Kompromissbereitschaft eben auch im sozialistischen Bauern- und Arbeiterstaat leidlich. Fehlende Ausgangsmöglichkeiten sorgen für attraktive Geburtenraten, Kondome gibt’s nur im Intershop gegen Dollars, so dass man sich um Nachwuchs in der DDR nicht sorgen muss.

    Der kleine Uli besucht die Grundschule in Berlin. Zuerst die Unterstufe, dann die Mittelstufe und schließlich die erweiterte Oberstufe EOS. Mit etwa 12 Jahren erlebt Uli die nun vollendete Schutzmauer erstmals so richtig und er begreift und erkennt dieses Werk als Schutzwall gegenüber dem verdorbenen Westen. In der EOS macht er das Abitur, was nur dank der Mitgliedschaft von Papa Winkler in der SED erst möglich ist. Als Kind hat er nachts geschlafen, so dass ihm die düsteren Berliner Nächte bis ins heutige Jünglingsalter nicht groß gestört haben.

    In der Schule wird hauptsächlich ideologisiert und vor allem militarisiert. Das gefällt dem jungen Uli zunehmend mehr. Auch wenn man in Westberlin den Kopf schüttelt über die schrulligen Genossen im Osten, sollten sich eingefleischte Kapitalisten einmal Gedanken darüber machen, was denn so unwahr und gelogen ist an den ideologisierenden und immer erfolgreicher werdenden Theorien der Klassenlehrer in der DDR:

    • Kapitalisten sind unehrlich und haben keinerlei Skrupel Menschen auszunützen.

    • Wer es zu etwas bringen will und Karriere machen will, hat eine „braune Zunge".

    • Kapitalisten vernachlässigen ihre Kinder und rennen nur dem Geld nach.

    • Kapitalisten sind Scheinmoralisten, sie predigen Wasser, trinken dann aber selber Wein.

    • Kapitalisten hinterziehen Steuern und verstecken ihre Vermögen in der Schweiz.

    .

    • Kapitalisten weinen am Grab und gehen dann mit den Miterben vors Gericht.

    • Kapitalisten ziehen ihre Geschäftspartner über den Tisch.

    Wer betrogen wird ist selbst schuld, man muss eben clever sein.

    • Kapitalisten verabscheuen Untreue, wenn sie nicht gerade selbst im Puff sind.

    • Kapitalisten protzen mit teuren Autos, welche allesamt auf Pump gekauft sind und eigentlich den Banken gehören.

    • Kapitalisten reden von Demokratie und erpressen dann die Schwachen.

    • Kapitalisten führen Krieg, um in die Waffenindustrie investieren zu können.

    • Kapitalisten saufen sündhaft teuren Wein und servieren den Kindern eine Wurst.

    • Kapitalisten fressen Bananen, welche von hungernden Bauern gepflückt wurden.

    • Kapitalistenherren lassen Frauen skrupellos für 30% weniger Lohn schuften.

    usw.

    Erzählt man neun Schuljahre lang all die obigen Geschichten den Kindern, so kann man wohl ohne großes Erstaunen feststellen, dass diese sogar geglaubt werden. Als cleverer Lehrer im Osten kann man dann das Ganze mit Hilfe der Medien noch visuell beweisen! Solange die Mauer den Westen vor den Kommunisten im Osten schützt, kann man sich im züchtigen Westen über die grauenhaft verlogenen Ostberliner reichlich auslassen – Herr, lasse um Himmels Willen diese Mauer nicht einstürzen! Dabei ist man nicht so sicher, wo nun eigentlich das Wort „ANTIFASCHISTISCHER SCHUTZWALL" erfunden wurde. Im Osten oder im Westen? Eines aber ist sicher: Auf beiden Seiten leben eigentlich die gleichen deutschen Bürger.

    Nun, Uli war von seinem Lehrer begeistert, verehrt auch seinen Vater, wie sich das gehört und möchte nun in den Dienst des Arbeiter- und Bauernstaates treten. Zuerst als Volkssoldat und dann am liebsten als Grenzbeamter, wo er den spärlich einreisenden Idioten aus dem Westen so richtig den Marsch blasen kann, oder auch den einen oder anderen illegalen Grenzgänger abschießen, wie Uli das schon bei den am Band vorbeilaufenden Blechhasen am Jahrmarktstand geübt hat. Auch erinnert sich Uli gerne an seine Schulzeit, da war er beliebt. Mit seinen Kollegen und Kolleginnen hatte er ein gutes Einvernehmen. Manchmal, wenn man besonders ausgelassen war, stieg Uli auf einen Stuhl, hielt die Hände, wie wenn er ein Megaphon hätte, vor den Mund und sagte langsam und mit gespieltem amerikanischen Akzent: „ICH BIN EIN OSTBERLINER!"

    2. Uli und Michael lernen sich kennen.

    Ende Mai, man schreibt das Jahr 1976, Vater Walter Winkler hat seinen Mitarbeiter Michael zu sich nach Hause eingeladen, es soll die Berufung vom Erich[1] zum Generalsekretär der SED gefeiert werden. Dabei lernt der Michael, inzwischen ein Mann in den Vierzigern, den Erich persönlich kennen, der noch im selben Jahr Staatsratsvorsitzender der DDR wird, aber auch der Uli, der Sohn von Walter Winkler, wird Michael vorgestellt. Auch Generalleutnant Kleinjung von der Volksarmee und andere Prominente, auch aus dem Westen, sind anwesend. Michael hat dem jungen Uli von allem Anfang an imponiert. Aber auch Uli Winkler, in seiner zackigen Volkssoldaten-Uniform machte beim Michael Eindruck.

    Dass die Beiden bald einmal Freunde werden sollten, wussten sie in diesem Moment natürlich noch nicht. auch dass Michael ein Stasi-Mitglied ist, kann Uli nicht wissen. So geht es für einmal hoch und her zu in der Wohnung in Marzahn. Willi Stoph, aktueller Vorsitzender des Staatsrats, hat sich für die Feier entschuldigt, aber dafür gesorgt, dass in der Wohnung von Walter Winkler und zusätzlich in der freistehenden Wohnung auf dem gleichen Flur ein Buffet aufgestellt wurde, das keinerlei Wünsche offen lässt. Kaum einer der Gäste, in den völlig überfüllten zwei 4-Zimmer-Wohnungen hatte in den letzten Wochen je Fleisch auf dem Teller gesehen.

    Heute aber, fehlte es an gar nichts: feinster Beluga-Kaviar vom Schwarzen Meer, Bärensteaks aus den Karpaten, Wildlachs aus Irland, frische Austern, Seezunge, Jungrinderfilet bis hin zu Spanischen Nieren, einfach alles was das Herz begehrt. Auch die Getränke stehen in nichts nach. Feinster Champagner aus Reims, Gevrey-Chambertin Premier Cru, alter Schottischer Whisky und Cognac aus Frankreich. Auch Zigarren von den sozialistischen Genossen aus Cuba fehlen nicht. Weiß der Teufel wie das Ganze beschafft wurde, oder soll man sagen, weiß der Willi Stoph wie man zaubern kann? Vater Walter Winkler hat aus einem befreundeten Kombinat einige besonders junge und hübsche Mädchen eingeladen, Mutter Maria ist zum Glück auf Besuch bei ihrer Schwester, so dass keine besonderen Etiketten mehr gelten. Die Mädchen sind keine Professionellen und lassen sich nicht bezahlen. Es ist bekannt, dass wenn Direktor Winkler zur Party einlädt, immer auch einige sehr attraktive Manager aus dem Westen in feinstem Zwirn anwesend sind, dabei sind sie dann nicht einmal alle verheiratet. Aber auch Michael ist ein besonderer Schwerenöter, welcher als Liebhaber einen guten Ruf genießt, wobei auch die Rücksitzbank des „Admirals" das seine dazu beiträgt. Weibliche Gäste, welche schlussendlich leer ausgingen und keinen Kavalier fanden, konnten sich immerhin an einem exzellenten Mahl erfreuen. Uli hat es natürlich einfach, kann er doch im Morgengrauen seine Soldatenuniform im eigenen Zimmer fallen lassen. Unten auf den Parkplätzen in der noch dunklen Berliner Nacht, beginnen die Trabis einiger Gäste und der Opel von Michael rhythmisch zu schaukeln, jetzt ist das Schütteln durchaus erwünscht.

    Uli erlebt so ein Fest zum ersten Mal. Normalerweise werden solche Partys in einer Kneipe, etwas außerhalb Berlins, auf einem Hügel bei Potsdam, mitten in einer idyllischen Kleingartensiedlung gefeiert. Der Wirt dieser Gaststätte war heute ausnahmsweise für das ganze Catering verantwortlich und hat alles Nötige herangekarrt. Der Jubilar Erich hat das so gewünscht, er wollte sich unbedingt in Berlin feiern lassen. So hatte der Sohn von Winkler seinen ernsten und seriösen Vater zum ersten Mal von einer ganz anderen Seite kennen gelernt. Uli ist etwas verunsichert darüber, was er nun von der vergangenen Nacht halten soll. Mama Winkler auf jeden Fall wird von ihm nichts erfahren und von Vater Winkler natürlich erst recht nicht. Zum Glück hat Michael dem Uli im letzten Moment noch ganz verstohlen ein Kondom in die Hand gedrückt, bevor dieser mit einem Mädchen an der Hand im Zimmer verschwunden ist. Uli hatte nicht mit so einem Ausgang gerechnet und wäre gar

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