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Es war einmal ein Dimensionsportal
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Es war einmal ein Dimensionsportal

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About this ebook

In dieser Anthologie trifft die Science-Fiction völlig unverhofft auf klassische Märchenmotive.Ohne Vorwarnung öffnet sich ein Portal, ein Wurmloch wird erzeugt, ein Unfall lässt einen Riss zwischen den Welten entstehen. Wer oder was auch immer auf die andere Seite tritt, findet etwas mit dem er absolut nicht gerechnet hat.Wenn Märchen durch die Dimensionen reisen ist alles möglich.Transdimensionale Touristen, künstliche Intelligenzen, die tragische Helden therapieren und weltraumreisende Zwerge sind erst der Anfang.Treffen Sie auf Erinnerungen aus der Kindheit in einem völlig neuen Kleid, wenn beliebte Märchen unerwartet auf die Zukunft treffen!
LanguageDeutsch
PublisherMystic Verlag
Release dateMay 6, 2019
ISBN9783947721313
Es war einmal ein Dimensionsportal

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    Es war einmal ein Dimensionsportal - Sven Haupt

    Bartsch

    Jack und die Bohnenranke

    Es war einmal ein junger Mann von trauriger Gestalt. Vermutlich ist das nicht der beste Satz, um eine Geschichte zu beginnen, doch wenn jemand von so trostlosem Erscheinungsbild ist wie der erwähnte junge Mann, dann lässt das dem Autor keine andere Wahl, als die Tatsachen auf den Tisch zu packen. Was soll man denn auch sonst tun?

    Den Leser anlügen?

    Niemals!

    Doch zurück zum traurig aussehenden jungen Mann. Von seinen Freunden wurde er Jack genannt, jedenfalls behauptete er das. Da er keine Freunde hatte, gab es auch niemanden, der die Behauptung hätte verifizieren können. Seine Geburtsurkunde verriet jedoch, dass er eigentlich Adelbert hieß. Der gewünschte Spitzname und die fehlenden Freunde kamen also nicht von ungefähr.

    Jack, wie wir unseren Freund nun aus Respekt nennen wollen, wollte sich eigentlich nur eine Packung Milch kaufen. Milch faszinierte ihn.Irgendwann musste schließlich einmal ein Mensch auf die Idee gekommen sein, ein armes Kalb, um die nährende Brust der Mutterkuh zu bringen. Ein Akt von geradezu unermesslicher Boshaftigkeit, der jedoch Köstlichkeiten wie Käse und Jogurt hervorgebracht hatte. Man durfte eben nur nicht zu sehr darüber nachdenken, wie es dazu gekommen war.

    Na, jedenfalls ergab es sich, dass ausgerechnet an diesem Tag auf dem Supermarktparkplatz ein kleiner Flohmarkt sein Unwesen trieb.

    Und wenn Jack etwas mehr mochte als Packungsmilch, dann war es alter Plunder. Jack war ein Trödelkönig, sowohl in Sachen antiker Gegenstände als auch in seiner Eigenschaft, geflissentlich immer zu spät zu kommen.

    Schon bei seiner Geburt ließ er seine Mutter erst zwei Wochen über den Geburtstermin hinaus warten und sich dann beim Entbunden werden derartig viel Zeit, dass es seine Erzeugerin mit so einem chronischen Zuspätkommer schlichtweg nicht einmal probieren wollte und sich kurzerhand aus der Welt verabschiedete.

    Seinen Trödelwahn konnte diese Aufopferung der Mutter jedoch nicht verhindern und so verpasste er souverän seine gesamte Schulzeit, seinen Abschluss und somit auch die Chance, sich einen vernünftigen Job zu suchen.

    An Milch verschwendete Jack schon keinen Gedanken mehr. Sein Gehirn schmolz schier dahin beim Anblick des ganzen Plunders. 'Oh, welch schöne Tasse', war ein Satz, den er mehr als nur einmal dachte und sich selbst darüber wunderte.

    Er hatte keinen Bedarf an Tassen. Seine Milch trank er direkt aus der Packung, jeglichen anderen Flüssigkeiten hatte er mit dem Tod seiner Mutter abgeschworen. Dennoch: Schick waren die Tassen ja doch. Ein Stand zog Jack besonders in seinen Bann.

    Ein unscheinbarer Tisch mit einem noch unscheinbareren Mann dahinter, in seiner Unscheinbarkeit Jacks Trostlosigkeit in nichts nachstehend, der vor sich lediglich einen einzigen, pistolenartigen Gegenstand ausgelegt hatte. Jack war fast so, als würden alle anderen Menschen auf dem Markt diesen einen Stand übersehen, nur er war darauf gestoßen. Womöglich sein großer Fang? Er trat an den Fremden heran. »Was ist denn das für ein Ding?«, fragte Jack.

    »Wer fragen muss, kann es sich nicht leisten!«, sagte der Fremde.

    »Na das wollen wir mal sehen. Ich kaufe es!«

    »Aber Sie wissen doch gar nicht, was es ist!«

    »Spielt das denn eine Rolle?«

    »Warum es dann kaufen?«

    »Weil ich es will!«

    »Aber Sie wissen doch gar nicht, was es bringt. Warum es also wollen?«

    »Wollen Sie denn gar nicht verkaufen?«

    »Doch klar!«

    »Warum dann die vielen Nachfragen?«

    »Warum etwas kaufen, das man vielleicht gar nicht braucht?«

    »Ich gebe Ihnen zwanzig Euro!«

    »Verkauft an den Höchstbietenden!«

    Wenn Jack gewusst hätte, dass er gerade Besitzer einer absolut toperhaltene GamJun 7 geworden war, und ihm dann noch jemand gesagt hätte, was so eine GamJun 7 macht, dann wäre die nächste Runde Milch des gesamten Marktes wohl auf ihn gegangen.

    Die GamJun 7 unterscheidet sich von ihren vier Vorgängermodellen maßgeblich durch ein paar bunte Knöpfe und Hebel, denen allen nicht zu viel Bedeutung und Aufmerksamkeit zukommen sollte, wie auch der Tatsache, dass die GamJun-Produktion die Reihenzahlen 5 und 6 schlichtweg übersprungen hatte. Das lag an einem Wechsel der Geschäftsführung, die aufgrund seiner außerordentlichen Fähigkeiten im Würfelspiel früh an den elfjjährigen Gnork fiel. Dieser bestand zu neunzig Prozent aus undefinierbaren Tentakeln und hatte leider ebenso wenig Verständnis vom Führen einer Firma wie auch von Zahlen allgemein außer der Nummer 7. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass dies nicht die rosigste Zeit des Betriebs gewesen war.

    Erst als Gnork im zarten Alter von 13 Jahren seinen Würfel-Meister in einem gewöhnlichen Huhn fand, kam der erhoffte Erfolg zurück. Man produzierte zwei, drei wirklich gute GamJuns und das Huhn verkaufte im richtigen Moment für einen Millionenbetrag, weshalb es heute noch auf Platz 2 der reichsten Federviecher der gesamten Galaxis gelistet ist. Dem Vogel auf Platz 1 habe man Kentucky Fried Chicken zu verdanken, wird gemunkelt, doch bestätigtes Wissen gibt es dahingehend nicht.

    Jack wog den eigenartigen Gegenstand in seiner Hand und drehte sich noch einmal zu dem unscheinbaren Flohmarktstand um. Der jedoch war komplett verschwunden. Das lag nicht etwa an irgendeiner Zauberei, Jack hatte gute fünf Minuten reglos Löcher in die Luft gestarrt und der Verkäufer – nun ja völlig ausverkauft – schlichtweg seinen Stand abgebaut. Doch für Jack lag diesem kleinen Moment der falschen Wahrnehmung ein unfassbarer Zauber inne. Er entschloss sich zu etwas, das wohl alle hirnlosen Humanoiden – also der Großteil der existierenden – für sich entschließen würden, wenn sie auf einem Flohmarkt von einem dubiosen Stand eine noch ominösere Pistole erstanden hätten:

    Er wollte verdammt noch mal auf irgendetwas schießen.

    Im heimischen Garten angekommen, den er ob seines Zuspätkommens im Kreißsaal mit der Geburt von seiner Mutter geerbt hatte, polierte er die GamJun 7, von der er nicht wusste, dass sie eine war, was ihm aber auch nicht helfen würde, wenn es ihm einer gesagt hätte, weil er absolut ahnungslos war, was eine GamJun 7 bitte tun könnte. Er richtete die Pistole auf ein beliebiges Gebüsch und drückte ab. Nichts tat sich. Jedenfalls nichts, was die ungeschulten Augen eines Adelberts, der Jack genannt werden wollte, wahrnehmen konnten. Und auch nichts, was sich außerhalb des gewöhnlichen Spektrums eines Gebüschs – rascheln, vom Wind durchkämmt werden, wieder rascheln – bewegte.

    Frustriert knallte er die Knarre auf den Tisch und ging ins Bett – eine Abwehrstrategie, die er sich früh im Leben angeeignet und nie wieder abgelegt hatte.

    Als seine damalige Freundin ihn verließ, hielt er einen zweiwöchigen Kurzwinterschlaf in ihrem Bett.

    Als sein Chef ihn entließ, machte er es sich auf dem Sofa im Ruheraum für gute vier Wochen bequem – einen Zeitraum, in dem der Chef selbst entlassen und durch jemanden ersetzt wurde, der keine Ahnung hatte, dass Jack entlassen worden war, wodurch Jack seinen Job zurückbekam, was er jedoch aufgrund seines tiefen Schutzschlafes nicht mitbekam und so wurde er letztlich aufgrund der fehlenden Arbeitsleistung erneut entlassen. Aber immerhin war er gut ausgeschlafen, als er das Bürogebäude verließ.

    Als Jack sich von seinem Nickerchen erhob, war es dunkel in seinem Zimmer und jemand hämmerte gegen seine Haustür. Beides fand Jack nicht weiter ungewöhnlich.Er hatte es einfach akzeptiert, dass gelegentlich Menschen an seiner Haustür vorstellig wurden, die er dann wohlwollend ignorierte. Wenn er gewusst hätte, dass vor seiner Tür der Vizevorsitzende des intergalaktischen Bau- und Umweltamtes stand, er würde es vermutlich ebenso mit einem Schulterzucken quittieren als wäre der Weltraumpapst persönlich bei ihm im Badezimmer aus dem Wasserhahn geflossen.

    Da er jedoch nichts von der Existenz auch nur einer dieser Personen wusste, war ihm alles einfach nur egal. Er öffnete seinen Rollladen und so offenbarte sich ihm die Quelle der Dunkelheit: Über Nacht war in seinem Garten eine geradezu lächerlich monströse Bohnenranke gewachsen. In ihrem saftigen Dunkelgrün erhob sie sich bedrohlich aus seinem Garten und ragte derart weit in den Himmel, dass Jack gar nicht ausmachen konnte, wo sie aufhörte.

    Und genau da lag das Problem des intergalaktischen Bau- und Umweltamtes, das über Nacht feststellen musste, dass irgendein Idiot eine überdimensionale Bohnenranke mitten durch die neue Hauptverkehrstrasse des Sonnensystems gerammt hatte. Mehrere Bauarbeiter waren bei diesem Akt ums Leben gekommen und nun galt es, den Schuldigen auszumachen.

    Dass der die Tür nicht öffnete, war für Herlor Mitroksa vom Planeten Edwokan nur ein weiteres Indiz für seine Schuld.

    Nebenbei hatte die Bohnenranke auch noch sauber einen Planeten gepierct, aber das war der Zuständigkeitsbereich der Behörde für wahllose Planetenvernichtung und ihm deshalb herzlich egal. Herlor hatte sich in jahrelanger Schwerstarbeit vom kleinen Licht zum großen Strahler hochgearbeitet und war jetzt nicht bereit, sein Licht von einer verdammten Bohnenranke in den Schatten stellen zu lassen.

    Er hasste Bohnen. Maßgeblich, weil sie das einzige Agrarprodukt waren, das auf Edwokan angebaut wurde, und er somit Jahre seiner Jugend damit zwangsernährt worden war, aber vor allem aus Prinzip. Hass stand Menschen in Führungspositionen einfach gut zu Gesicht. Er hämmerte erneut gegen die Tür. Mit noch mehr Hass.

    Jack bekam davon nur am Rande mit, da er inzwischen in seinen Garten geschlichen war. Jedenfalls in das, was die Bohnenranke von seinem Garten übrig gelassen hatte. Das Gewächs hatte locker den Großteil der Grünfläche okkupiert und wirkte auch nicht so, als würde man ihm mit gewöhnlichen Handwerksgegenständen wie einer Laubsäge beikommen.

    Jack fand sich also mit der Existenz der Bohnenranke ab. So machte er es für gewöhnlich, wenn er erkannte, dass er mit seinem Latein am Ende war. Auf diesem Weg war er schon einmal zu einem Mitbewohner gekommen. Vor einigen Jahren war ein Wohnungsloser in sein Haus eingedrungen und hatte dort gute sechs Jahre mit Jack friedlich koexistiert. Nur gelegentlich gab es Streit, weil er leere Milchpackungen zurück in den Kühlschrank stellte. Das gehört sich einfach nicht.

    Nun eben kein Garten mehr, sondern Bohnenranke, war ein Gedanke, den Jack völlig okay fand.

    Anders ging es Herlor, der beim Klopfen an der Tür zu einer derart hasserfüllten Variante übergegangen war, dass die Tür unter einem lauten Ächzen letztlich aufgab und zerbarst. Da es nun unangenehm zu ziehen begann, konnte auch Jack den Störenfried an der Tür nicht weiter ignorieren. Gute Güte, er würde wohl mit ihm reden müssen.

    »Intergalaktisches Bau- und Umweltamt, Herlor Mitroska der Name, guten Tag«, sagte der Eindringling und log dabei, da er für sich bereits entschieden hatte, dass dies kein guter Tag, sondern viel mehr die Ausgeburt einer der achtzehn Höllen sein musste. Jack starrte ihn nur kurz an, zuckte mit den Schultern und schwieg.

    »Ich bin hier wegen dieses Dings in ihrem Garten«, versuchte Herlor es erklärend.

    »Bohnenranke!«

    »Wie bitte?«

    »Das ist eine Bohnenranke!«

    »Ja, das sehe ich, ich bin schließlich vom Umweltamt.«

    »Ja, ich weiß, vom intergalaktischen Bau- und Umweltamt, ich habe zugehört.«

    Jack machte eine Geste, die Herlor signalisierte, dass er doch bitte eintreten möge. Herlor schlich vorsichtig ins Haus. Wer schließlich aus dem Nichts eine Riesenranke erschuf, dem war für gewöhnlich eher mit Argwohn zu begegnen. Er setzte sich. Jack bot ihm einen Kaffee an. Auf Herlors fragenden Blick, was denn Kaffee sei, antwortete Jack: »Der wird aus Bohnen gemacht.«

    Herlor verzichtete. Er hasste Bohnen. »Also, was gedenken Sie wegen dieser riesigen Ranke zu tun?«, suchte Herlor das Gespräch.

    »Akzeptieren!«

    »Was?«

    »Ich akzeptiere, dass ich nun keinen Garten mehr habe. Das ist doch schon viel wert, finde ich.«

    Gerade wollte Herlor zu einer pfiffigen Antwort ausholen, die ihm sicherlich auch irgendwann noch eingefallen wäre, als eine Polizeisirene das Geschehen unterbrach.

    »Hier sprich die Polizei. Machen Sie die monströse Ranke weg und kommen Sie mit erhobenen Händen raus!«, schrie eine Stimme durch ein Megafon. Die Stimme gehörte zu Jörg, der als Kleinstadtpolizist endlich seine große Stunde gekommen sah, und deshalb gleich mal alle Register respektive Waffen zog.

    »Jörg, das ist nur eine Bohnenranke«, sagte sein Kollege Achim, der sich in seiner bereits 25-jährigen Dienstzeit im gesamten Revier einen starken Ruf durch seine besonderen Fähigkeiten im »reglos am Schreibtisch sitzen bis der Tag vorbei war« erarbeitet hatte.

    »Verdammt, solchen Leuten können wir das doch nicht durchgehen lassen. Erst bauen sie riesige Bohnenranken und dann kommt der Kommunismus übers Land. Wehret den Anfängen, hat meine Mutter damals immer gesagt«, zischte Jörg und nahm wieder das Megafon zur Hand. »Wenn Sie nicht rauskommen wollen, dann komme ich eben rein«, blökte er. Jack machte keine Anstalten, darauf zu reagieren. Er hatte für sich entschieden, dass es das Beste wäre, die Situation einfach so zu nehmen, wie sie jetzt kommen würde. Herlor hingegen rückte seine Krawatte zurecht und checkte in einer Fensterscheibe noch einmal seine Frisur. Er hatte sich als Bewohner der Erde verkleidet, als besonders adretter Bewohner natürlich, da war er eitel. Jörg hielt seine Pistole vor sich in der Luft und marschierte schnurstracks durch die offene Tür ins Gebäude, nur um erstaunt stehen zu bleiben, als er Jack und Herlor am Esstisch beim Kaffee erblickte. »Ich nehme auch einen«, waren die ersten Worte, die Achim äußerte, als er seinem jungen Kollegen über die Schulter blickte. Jack zuckte mit den Schultern, schlich in die Küche und goss eine weitere Tasse ein.

    »Guten Tag, Herlor Mitroska, intergalaktisches Bau- und Umweltamt. Und Sie sind?«

    »Jörg«, sagte Jörg.

    »Achim«, sagte Achim. Jack wunderte sich darüber, dass sich niemand darüber wunderte, dass Herlor angab, von einem intergalaktischen Amt zu kommen.

    »Also, meine Herren, als ranghöchster Anwesender bestimme ich über das weitere Vorgehen«, gab Herlor an.

    »Ranghöchster Anwesender? Also bitte. Achim hier ist schon seit über 25 Jahren dabei. Der war schon auf Streife, da waren Sie noch nicht mal geboren, oder Achim?«, sagte Jörg. Achim reagierte nicht groß, er war glücklich mit dem Kaffee und einer gemütlichen Sitzgelegenheit.

    Der Fall hatte sich zu seiner Zufriedenheit entwickelt und er war nicht bereit, sich in irgendeiner Weise weiter zu beteiligen.

    Herlor legte seinen Ausweis vor, der verdächtig nach deutschem Nachrichtendienst aussah.

    »Also, das hier ist mein Fall«, sagte er.

    »Nix da«, krakelte Jörg, »das hier ist meine Stadt und wenn hier irgendein Hobbygärtner eine Riesenbohne züchtet, ist das immer noch mein Problem. Und ich sage, die verdammte Bohne knall ich ab.«

    »Moment mal«, meinte Jack, einfach nur, um auch mal was gesagt zu haben. Die anderen Parteien schauten ihn fragend an. Er gab ihnen per Geste zu verstehen, dass da nichts mehr kommen würde. Jörg hielt immer noch seine Pistole in der Hand und deutete damit auf die Ranke.

    »Das Ding mach ich platt.«

    »Und dann? Dann fallen tonnenweise Bohnenteile auf die Erde, die in Sachen Gewicht vermutlich die Unendlichkeit erreicht haben dürften, wahrscheinlich sogar zweimal, was den Planeten komplett zerquetschen würde«, gab Herlor zu bedenken.

    Jörg gefiel es gar nicht, dass er sich hier irgendwas von einem Anzugträger anhören musste. Gerade wollte er gepflegt rot anlaufen und rumschreien, als ein elektronisches Zischen vor der Tür die Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein Mann im Anzug, der dummerweise exakt dasselbe Menschenkostüm wie Herlor gewählt hatte und ihm deshalb glich wie eine Milchpackung der anderen, stand im Türrahmen.

    »Guten Tag, die Herren. Merlor Hitroska mein Name, Präsident vom Planeten Gervla 5. Sie hätten nicht zufällig was dagegen, ihre Bohnenranke wieder aus unserem Planeten zu ziehen?«, fragte Merlor vorsichtig.

    Herlor und Jörg starrten ihn fragend an. Achim war eingeschlafen.

    Merlor schnupperte in den Raum hinein.

    »Rieche ich da Kaffee?«, fragte er. Jack stand auf, holte noch eine Tasse und bat Merlor hinein.

    »Herlor Mitroska, intergalaktisches Bau- und Umweltamt«, stellte sich Herlor vor.

    »Jörg, städtische Polizei«, gab Jörg zu Protokoll.

    »Ggrrzurzrzzz«, schnarchte Achim. Merlor und Herlor musterten sich gegenseitig, entschieden aber, das identische Erscheinungsbild unkommentiert zu lassen.

    »Also, diese Ranke da, die müsste aus unserem Planeten raus«, sagte Merlor.

    »Nun mal sachte, erst einmal muss diese Ranke hier aus unserem Planeten raus«, sagte Jörg.

    »Aber ich habe doch schon gesagt, dass das so einfach nicht geht«, gab Herlor zu denken.

    »Wir könnten sie sprengen«, sagte Jörg.

    »Oh, nein, nein, lieber nicht«, sagte Merlor.

    »Ach, dann doch wieder zurückrudern?«

    »Das hat doch alles keinen Sinn«, sagte Herlor.

    »Guten Tag, Mirlor Hetroska, Anwalt der intergalaktischen Baugewerkschaft. Ich würde gerne den Bohneneigentümer verklagen«, sagte ein dritter Mann, der exakt wie Herlor und Merlor aussah und sich im Schatten der Diskussion ins Gebäude geschlichen hatte.

    »Aber erst einmal muss die Ranke aus unserem Planeten raus«, gab Merlor an.

    »Sie muss generell sorgfältig zurückgebaut werden. Da brauchen wir viel Fingerspitzengefühl und botanisches Geschick«, gab Herlor an.

    »Ich schieße das Teil kaputt«, drohte Jörg.

    »Ziehhhhruuuuuuummmmss«, schnarchte Achim.

    Mirlor blickte ratlos zu Jack, der ihm bereitwillig eine Tasse Kaffee einschenkte, und sich weiter darauf beschränkte, gute Miene zu ungefähr allem zu machen, was das Schicksal jetzt noch in sein Haus werfen würde.

    »Ich ruf jetzt die Kavallerie«, rief Jörg und schlug mit der Faust auf den Tisch.

    »Das wirst du nicht tun, mein Sohn«, sagte eine mysteriöse Stimme aus dem Waschbecken in der Küche.

    »Diese Ranke ist ein Zeichen des Herrn oder der Herrin oder von wem auch immer. Es ist jedenfalls ein Zeichen und ich als Weltraumpapst beantrage hiermit, dass dieser Ort zu einer Pilgerstädte werden soll.«

    Die Truppe versammelte sich interessiert um das Waschbecken, aus dem die Stimme kam. Lediglich Achim schnarchte munter vor sich hin und Jack fand sich weiter mit allem ab.

    Aus dem Wasserhahn ragte ein gewöhnlicher Goldfisch mit Miniaturpapsthut hervor. Der Weltraumpapst war in der Galaxie nicht viel höher gestellt als ein gewöhnlicher Frühstücksdirektor, womit er jedoch jeglichen planetenspezifischen Behörden und Regierungen übergeordnet war, was besonders Jörg verärgern würde, wenn er auch nur einen Funken von dem verstanden hätte, was um ihn herum gerade passierte.

    Er war jedoch viel zu fokussiert darauf, die Bohnenranke wegballern zu wollen, um auch nur irgendetwas zu hinterfragen.

    Jedenfalls begann man deshalb bei der Papstwahl bewusst die absonderlichsten Kreaturen des Universums zu wählen. Nachdem die Menschen jedoch schon jahrelang den Papststuhl besessen hatten, wurde die Nummer zwei der absonderlichsten Kreaturen letztlich erwählt: ein gewöhnlicher Goldfisch.

    »Bauet mir ein Haus auf, dass ich einkehre unter euer Dach«, sagte der Weltraumpapst. Herlor zog den Fisch wortlos aus dem Wasserhahn, lief ins Bad und spülte ihn unter lautstarken Protesten des Fisches durch die Toilette zurück dahin, wo irgendjemand sich für seine Meinung interessieren würde.

    Er setzte sich wieder an den Tisch und überlegte kurz, doch einmal an diesem Kaffee zu nippen. Was könnte schon passieren? Er wurde jedoch durch Raumschifflärm von seinem Gedanken abgebracht. Raumschifflärm unterscheidet sich von gewöhnlichem Lärm darin, dass er immer hochfrequent fiept.

    Deshalb hassen Hunde Raumschiffe, was die Menschen nicht davon abgehalten hat, einige davon ins All zu schießen. Im Garten landete geradewegs eine Armada an Schiffen. Alle Hunde im Umkreis von fünfzig Kilometern wählten heroisch den Freitod, Herlor blickte missmutig hinaus.

    »Geben Sie uns die Bohnenranke!«, schrie eine Gruppe grünlich schimmernder Echsenhumanoiden.

    »Die Prophezeiung ist erfüllt. Die große Ranke ist niedergekommen, auf dass sie uns den Weg weise«, starteten einige Mönche vom großen Planeten der Prophezeiung spontan einen Gebetskreis um die Ranke herum.

    »Guten Tag, ist dies ein guter Zeitpunkt, um über Ihre Haftpflicht- und Zahnzusatzversicherung zu sprechen?«, rief ein Versicherungsmakler Jack zu, der nur teilnahmslos aus seinem Haus heraus starrte. Jörg nutzte die Gunst der Stunde und feuerte ein paar Salven aus seiner Knarre auf die Bohne ab, ohne jedoch einen signifikanten Erfolg zu verzeichnen. Außer natürlich, die Mönche zur Weißglut zu bringen und das Feuer von einigen anderen Völkchen auf sich zu ziehen, die spontan die Bohnenranke zu ihrem Heiland auserkoren hatten. So brach innerhalb kürzester Zeit die Hölle über den kleinen Ort hinein. Also nicht die Art von Hölle, die der Goldfischpapst proklamierte – eine Wiedergeburt als Fischstäbchen im Kühlregal – sondern die Art von Hölle mit Feuer und Gewalt und Explosionen. Herlor packte Jack an den Schultern und schüttelte ihn.

    »Sehen Sie, was Sie angerichtet haben? Verdammt noch mal, Sie müssen sich was einfallen lassen.«

    »Ich geh ins Bett«, knurrte Jack genervt. Er schubste Herlor zur Seite, schlich ins obere Stockwerk, rollte sich in seiner Decke ein und fiel in einen tiefen Schlaf. Er träumte von einer Milchpackung, die er vergessen hatte zu kaufen und die nun weinend in der Kühltheke eines Supermarktes saß. Am Ende des Traumes schlitzte sich die Packung selbst die Milchadern auf und zerfloss auf den Supermarktboden.

    Als Jörg wieder aufwachte, war es still. Er schaute sich um und stellte zu seinem Vergnügen fest, dass sein Haus noch stand.

    In die Pantoffeln geschlüpft stolperte er die Treppe hinunter. Im unteren Geschoss herrschte absolutes Chaos. Überall lagen erschossene Wesen verschiedenster Planeten. Naja, dachte sich Jack, dann lebe ich jetzt wohl auf einem Alienfriedhof. Er würde sich damit schon arrangieren können. Im Garten stand weiterhin die prächtige Bohnenranke. Es störte ihn tatsächlich etwas, dass sie die Sonne verdeckte. Er holte die GamJun 7 aus dem Schrank, richtete sie auf die Bohnenranke und drückte ab – woraufhin diese zu seiner leichten Verblüffung vollständig verschwand. Tja, dachte sich Jack, wenn sie mich mal gefragt hätten. Aber hat ja wieder keiner. Er legte die Knarre auf den Tisch und schlich wieder hoch in sein Bett. Im Hintergrund hörte er leise zwischen den Leichenbergen Achims Schnarchen. Und so lebten und schliefen Achim und Jack lange vergnügt auf einem Alienfriedhof zusammen, da Achim wusste, dass leere Milchpackungen nicht zurück in den Kühlschrank gehörten.

    Rosi

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