Die Welt kann ein Lächeln verändern
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Es heißt immer, reden hilft. Aber oft entstehen Missverständnisse ja gerade, weil man miteinander spricht. Niemand weiß das besser als Maik Martschinkowsky: Immer wieder verwickelt ihn die Welt in unentrinnbare Mono- und Dialoge, in peinliches Nicht-schweigen-Können oder intensives Gegeneinander-vorbei-Reden – und viel zu oft sind alle Beteiligten gnadenlos darum bemüht, den Konflikt aufzulösen.
Nicht dabei sein ist hier alles. Maik Martschinkowsky war aber immer dabei. Zu seinem Leidwesen, zu unserem Glück, denn so dürfen wir davon lesen. Ein Plädoyer wider gelangweilte Lebensfreude, bequeme Unwahrheiten und dumpfe Euphorie, den goldenen Durchschnitt und das Behagen in der Unkultur.
Und wer sich fragt, was den Autor sonst noch um-, an- oder wegtreibt, bekommt auch darauf eine Antwort. Wer sich das nicht fragt, bekommt sie trotzdem.
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Die Welt kann ein Lächeln verändern - Maik Martschinkowsky
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In einiger Sache
Als Kind war ich manchmal sehr traurig. Nicht dass meine Kindheit traurig gewesen wäre, im Gegenteil, ich hatte alles, was man sich wünschen konnte: eine liebevolle und nicht allzu durchgeknallte Familie, viele Freunde, viel Spielzeug, ein tolles Fahrrad und eine angemessene Menge kleiner Unfälle. Gemangelt hat es mir also eigentlich an nichts, außer … ja, außer gelegentlich an ein bisschen Fröhlichkeit. Einfach so. Dann hatte ich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kind in dieser 80er-Jahre-Werbung für ein bekanntes Multivitaminpräparat: ein Junge, der phlegmatisch aus dem Schulgebäude getrottet kommt und sich niedergeschlagen auf die Stufen setzt, während alle anderen Kinder laut schreiend und durch die Aussicht auf einen Nachmittag ohne Schule offenbar völlig aus dem Häuschen an ihm vorbei euphorisieren. Um wild in Pfützen herumzuhüpfen. Was man halt so macht, wenn man viel Energie und wenig andere Sorgen hat. Und mit einem Jungen, der das nicht macht, kann irgendetwas nicht stimmen. Also bekommt er in der nächsten Szene einen Löffel des beworbenen Wundermittelchens, und schon kurze Zeit später sieht man ihn ebenfalls wie wahnsinnig in den Pfützen herumspringen.
Nachdem meine Eltern die Werbung für dieses offenbar kindgerechte Ecstasy-Derivat zum ersten Mal gesehen hatten, kippten sie es hoffnungsfroh literweise in mich hinein. So als müsse einfach nur der Tank ausreichend aufgefüllt werden, damit der Motor wieder anspringt. Zunächst tat diese Medikation auch tatsächlich Wunder: Schon nach kurzer Zeit strahlte ich zumindest immer dann, wenn es wieder Zeit für meine Dosis war. Ich fand diesen mit künstlichen Vitaminen versetzten Zuckersirup wirklich sehr lecker. Und kurz nach der Einnahme hatte ich auch immer einen derartigen Energieschub, dass ich mindestens (mindestens!) dreimal auf und ab gesprungen bin, bevor ich mich wieder in meine Ecke verzog und weiter an schwarzen Lego-Burgen baute, die weder Ein- noch Ausgänge hatten.
Bald schon bekam die Einnahme dieses Zeugs den Charakter einer Belohnung fürs Traurigsein, und ich entwickelte eine Angst davor, dass es wieder abgesetzt werden könnte, wenn es mir besser ginge. Also bemühte ich mich häufiger selbst um eine möglichst niedergeschlagene Stimmung, in der Hoffnung, so den gefürchteten Entzug abwenden zu können. Spätestens seitdem war mir Tristesse auf die Seele tätowiert, und ich wusste: »Es ist nicht dein Lächeln, dass die Welt verändert. Es ist die Welt, die dein Lächeln verändert.«
Meine Eltern aber gaben den Versuch, meine fehlende Fröhlichkeit durch die Unterstützung von Aufputschmitteln zu bekämpfen, dennoch auf. Trotzdem entwickelte ich mich zu einem mehr oder weniger normalen, wenn auch immer etwas dunkel gekleideten Jugendlichen. Ich ging beflissen den üblichen Pflichten als Jugendlicher nach, verärgerte Lehrer oder Chefs von Aushilfsjobs, traf mich zum Austausch von Gedanken und Körperflüssigkeiten mit anderen Jugendlichen und verschwendete gemeinsam mit Freunden möglichst viel Zeit mit Dingen, an die man sich bis zu seinem Tod noch gern erinnert.
Mein späteres langes genaues Studium der Philosophie machte mich dann endgültig von einem grundlos traurigen Kind zu einem aus guten Gründen deprimierten Erwachsenen.
Hin und wieder kann es jedoch passieren, dass mich auch die alte, unkontrollierte Schwermut längst vergangener Zeit wieder heimsucht. Dann verwandle ich mich gleichsam zurück in das vitaminsaftabhängige Kind, setze mich niedergeschlagen auf irgendwelche Treppenstufen und mache mir dunkle Gedanken ohne Ein- und Ausgänge oder suche nach der Pfütze, in der ich beim Herumspringen einst meine Unbeschwertheit verloren habe.
Meist sind das glücklicherweise nur einzelne Momente oder kurze Phasen. Da sich dann jedoch alle Traurigkeit in in einem einzigen Augenblick sammelt, ist die Dichte dieser Schwermut so hoch, dass sie verheerende Auswirkungen auf meine Umwelt haben kann. Wenn ich in so einer Stimmung durch die Stadt streife, hören die Menschen, denen ich begegne, schlagartig auf zu lächeln und finden dieses Lächeln oft wochenlang nicht wieder. Die Vögel in meiner Umgebung verstummen und fliegen umgehend zurück in den Süden, Blumen verwelken, und mitten im Frühling fallen die ersten Blätter von den Bäumen. Frisch verliebte Pärchen, an denen ich vorbeitrotte, trennen sich, und Eltern entschuldigen sich unter Tränen bei ihren Kindern, ihnen das Leid der Existenz aufgebürdet zu haben. Wie ein Basilisk der Traurigkeit wälze ich in diesen Momenten durch die Straßen und verbreite emotionalen Verfall. Wen mein Blick trifft, dem versteinert das Herz.
Die Einzigen, die gegen diese schädlichen Auswirkungen immun zu sein scheinen, sind depressive Menschen, von denen schon so mancher nach meinem Anblick in guter Laune davongetanzt ist, weil in ihm plötzlich wieder ein Gefühl von Hoffnung keimte. Immerhin. Für die restliche Welt jedoch wäre mein Zustand auf Dauer der Untergang. Ich bin davon überzeugt, dass überall dort, wo sich im Weltall schwarze Löcher befinden, einst blühende Welten waren, in denen jedoch jemand einer derartigen Schwermut anheimfiel, dass diese Welten unter der Last zusammengebrochen sind und nur noch unendlich schwere Schwärze übrig blieb.
Nun, ich bin kein Freund pathetischer Abschweifungen, daher möchte ich direkt auf mein Anliegen zu sprechen kommen: Wie sich herausgestellt hat, sind diese schwermütigen Phasen eine Art Allergie. Und um eine unnötige Gefährdung der Menschheit, der Welt sowie der Galaxie abzuwenden, ist es enorm wichtig, dass ich alles, was solche traurigen Phasen bei mir auslösen könnte, meide. Dazu zählen ganz alltägliche Dinge: Ungerechtigkeit, Krieg, Ausbeutung, Grausamkeit, Nationalismus, Lügen, Dummheit und bisweilen auch Bürokratie. Daher würde ich darum bitten, auf diese Dinge in Zukunft weitestgehend, nicht nur in meiner Gegenwart, sondern ganz im Allgemeinen, zu verzichten.
Vielen Dank.
Diskursüberfall
Ich laufe in der frühen Nacht allein durch eine verlassene, dunkle Straße in Neukölln. Immer eine gute Idee. An einer sehr dunklen Ecke springt dann auch ein Typ aus dem Schatten und baut sich vor mir auf. Er ist zwei Köpfe kleiner als ich. Und spindeldürr.
»Hi«, sagt er in einem fast entschuldigenden Tonfall. »Überfall … Geld und Handy und so, weißt schon. Sorry.«
»Äh …«, sage ich, schaue mich um und mustere noch mal die kleine, zerbrechlich wirkende Gestalt vor mir. »Also, nimm mir das jetzt bitte nicht übel, aber … so ganz überzeugt bin ich noch nicht.«
Der Typ zieht die Stirn in Falten. »Wieso? Hast du was gegen kleine, dünne Menschen?«
»Nee, nein, nein. – Nur … also … hast du nicht vielleicht ein Messer oder so was? Das würde sich irgendwie authentischer anfühlen.«
Der Typ seufzt und stemmt die Hände in die Seiten. »Warum fragen eigentlich immer alle nach ’nem bekackten Messer? Ich mein, hey, es ist ’ne dunkle, verlassene Straße in Süd-Neukölln. Da hast du doch im Grunde damit gerechnet, dass du abgezogen werden könntest. Der Fall ist jetzt eben eingetreten, find dich halt damit ab, und gib mir einfach deine Wertsachen, statt hier jetzt noch rumzunölen.«
»Na ja«, sage ich und zucke mit den Schultern. »Sieh es doch mal aus meiner Sicht: Ich finde, zu einem richtigen Überfall gehört auch so ein gewisser Hauch von … Gefahr. Und deshalb fühle ich mich gerade einfach nicht wirklich überfallen.«
»Wie? Dunkle, verlassene Straße und Typ, der plötzlich aus dem Schatten kommt, reicht dir nicht, oder was?«, fragt der Typ leicht pikiert.
»Wenn ich ehrlich bin, nicht, nee.«
»Das ist ganz schön arrogant, mein Freund«, meckert er.
»Na, dass du denkst, es reicht, wenn du dich vor einem aufbaust und einfach nur sagst: ›Das ist ein Überfall, gib mir doch mal deine Wertsachen!‹, zeugt auch nicht grad von Bescheidenheit«, gebe ich zurück. »Und genau genommen, ist es … also, ehrlich gesagt, ist es auch ein bisschen faul.«
Der Typ verzieht das Gesicht und macht eine hinwerfende Geste: »Pfff, faul, Alder! Nur weil ich dir nicht gleich ’nen Knüppel über die Birne ziehe oder dir ein Messer unter die Nase halte oder was?«
»Ja. Oder ’ne Pistole.«
»Ha, noch besser, ’ne Knarre! Mann! Ich bin doch nicht hier, um dir das Gefühl zu geben, du wärst in ’ner Gangsterserie! Ich hab dich überfallen, du gibst mir deine Wertsachen, und dann gehen wir friedlich auseinander, was ist denn daran so schwer? Wir sind doch zivilisierte Menschen!«
»Ich find das halt einfach nicht überzeugend. Was passiert denn, wenn ich dir meine Wertsachen nicht gebe, hm? Da schon mal drüber nachgedacht?«
Der Typ blickt sich überlegend um und schürzt die Lippen. Dann seufzt er und schaut mich wieder an: »Okay. Pass auf, was hältst du davon: Du gibst mir nur die Hälfte deiner Wertsachen, dafür lassen wir das Messer weg?«
»Hä? Und was hab ich davon?«
»Na, dass wir das Messer weglassen.«
Ich schüttle irritiert den Kopf. »Woher soll ich denn wissen, ob du überhaupt ein Messer hast?«
Der Typ breitet die Arme aus. »Woher soll ich wissen, ob du überhaupt Wertsachen hast!«
»Mann, jeder hat doch heutzutage irgendwelche Wertsachen!«
»Laut Bild-Zeitung läuft auch jeder in Berlin mit ’nem Messer rum! Aber darum geht es doch gar nicht. Ich hab dir grad ’n echt gutes Angebot gemacht. Ich mein: Wann wird man schon mal nur zur Hälfte überfallen? Das solltest du dir wirklich nicht entgehen lassen! Also: Deal?«
Ich schüttle den Kopf. »Nee. Darauf lass ich mich nicht ein!«
Der Typ wirft den Kopf nach hinten. »Oha, ey, okay, mein letztes Angebot: Ein Drittel deiner Wertsachen, keine Waffen, aber dafür lässt du danach die Polizei aus dem Spiel.«
»Mein Handy lass ich mir auf gar keinen Fall klauen!«
»Okay«, ruft der Typ genervt. »Dann sagen wir: alles außer deinem Handy, keine Waffen, keine Polizei und … pass auf …« Er wühlt in seiner Hosentasche und holt ein kleines, zerknittertes Tütchen heraus. »Du bekommst zusätzlich noch meinen Rest Koks, damit du auch was davon hast, nicht die Bullen einzuschalten. Okay? Das ist wirklich mein letztes Angebot! Damit treib ich mich quasi selbst in den Ruin.«
»Pfff