Faschist werden: Eine Anleitung
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"Faschist werden" beschreibt, wie man sich innerhalb der Demokratie in Position bringen kann, wie man über die sozialen Medien das demokratische Chaos vorführt und welche argumentativen Muster zu beachten sind.
Michela Murgia hat eine provozierende Polemik über die italienische und europäische Gegenwart verfasst – und auch im deutschsprachigen Raum sollen politische Gegner, wenigstens rhetorisch, "gejagt" oder "entsorgt" werden. Geschichtsrevisionistische Vorstöße häufigen sich, sozial Schwache werden gegen Geflüchtete ausgespielt. Und der Grat zwischen solidarischem und reaktionärem Denken ist oft schmaler als gedacht – auch in uns selbst.
Mit Faschistometer zum Selbsttest.
Michela Murgia
Michela Murgia is an Italian novelist and politician. She has written travel books, political non-fiction and novels, for which she has been awarded the Premio Campiello and the Mondello International Literary Prize.
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Book preview
Faschist werden - Michela Murgia
Aus dem Italienischen von Julika Brandestini
Die italienische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Istruzioni per diventare fascisti bei Giulio Einaudi editore in Turin.
E-Book-Ausgabe 2019
© 2018 Giulio Einaudi editore s. p. a., Torino
© 2019 für die deutsche Ausgabe:
Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin
Covergestaltung: Julie August
Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.
Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.
ISBN: 9783803142597
Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3686 2
www.wagenbach.de
Für Francesco und Angelica
Und es ist bereits fünf nach zwölf
NÖTIGE VORREDE ZUR METHODE
Ich schreibe gegen die Demokratie an, weil sie ein seit ihren Anfängen heillos fehlerhaftes Regierungssystem ist. Es stimmt nicht, was Winston Churchill gesagt hat: Die Demokratie sei die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind. In Wahrheit ist sie schlicht und ergreifend die schlechteste und nichts weiter, aber es ist immer schwierig, das offen zu sagen, obwohl die alltägliche Erfahrung es doch eindeutig beweist.
Das Buch, das ihr in Händen haltet, ist nicht nur entstanden, um zu zeigen, dass die Demokratie völlig unbrauchbar ist, ja sogar schädlich für die Gemeinschaft, sondern auch, um nachzuweisen, dass ihre bewährteste Alternative – der Faschismus – eine wesentlich bessere, kostensparendere und effizientere Art staatlicher Organisation darstellt. Dieser Text soll vor allem eine Verständnishilfe für die gebildete Schicht sein, die der Demokratie überdrüssig geworden ist, denn der breiten Masse musste man schließlich noch nie erklären, dass der Faschismus die überlegenere Alternative ist. Mit der verborgenen Weisheit der einfachen Leute kehrt man im Volk, enttäuscht vom Unvermögen des demokratischen Systems, die Probleme der Menschen zu lösen, regelmäßig auf beinahe natürliche Weise zum Faschismus zurück.
Ich sage bewusst »beinahe«, denn zuweilen muss der Faschismus ein wenig nachhelfen, um sich durchzusetzen; historisch gesehen neigen Demokratien zu Anfang ihres allmählichen Niedergangs dazu, dem Faschismus gegenüber sehr feindselig zu sein und ihre Ablehnung auf jede noch so schamlose Weise zu organisieren, zum Beispiel durch Gesetze, die ihn verbieten sollen. Zum Glück ist der Faschismus geduldig. Er ist wie Herpes – wie immer sind die primitiven organischen Strukturen diejenigen, von denen man am meisten lernen kann –, der ganze Jahrzehnte in den Nervenwurzeln der Demokratie überdauern kann, als wäre er gänzlich verschwunden, um dann bei der ersten vorhersehbaren Schwäche des Immunsystems vernichtender denn je hervorzubrechen.
Eine junge Demokratie, besonders eine, die aus einem Krieg oder einem Bürgerkrieg hervorgegangen ist, wird auf den Faschismus sehr abwehrend reagieren, doch einer, sagen wir, etwa siebzig Jahre alten Demokratie ist ein Großteil ihres kollektiven Gedächtnisses abhandengekommen, und sie hat die Augenzeugen begraben, die mit ihren immergleichen Geschichten das staatstragende Gerede bestimmten. Darüber hinaus wird sie ausreichend ausgezehrt und korrumpiert sein, um nach und nach immer gewichtigere prinzipielle Kompromisse mit anderen Regierungsformen einzugehen. Wenn der Faschismus es dann klug anstellt und seine Chance nutzt, kann er es schaffen, ganze Staaten zu regieren, ohne eine Waffe in die Hand zu nehmen. Es werden vielmehr die Werkzeuge der Demokratie selbst sein, die es ihm erlauben, sich zu behaupten und sich schließlich ganz durchzusetzen.
Im Augenblick steht uns eine solche Überfülle an Möglichkeiten zur Kontrolle der Massen zur Verfügung, wie sie kein Faschismus des vergangenen Jahrhunderts besessen hat, und das erlaubt es uns, etwas nie Dagewesenes zu versuchen: mitten im Herzen eines jahrzehntealten demokratischen Systems aufzusteigen und die Herrschaft zu übernehmen, ohne je auf eine innere oder äußere militärische Aktion zurückgreifen zu müssen. Durch die Manipulation der demokratischen Instrumente kann es gelingen, ein ganzes Land zum Faschismus zu bekehren, ohne das Wort »Faschismus« in den Mund zu nehmen – das selbst in einer kraftlosen Demokratie zumindest ein wenig Feindseligkeit hervorrufen könnte –, und der faschistischen Sprache gleichwohl in allen Debatten zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen, sie für alle Anlässe hoffähig zu machen: so als wäre sie eine Schachtel ohne Etikett – weder rechts noch links –, die bequem von einer Hand zur anderen wandert, ohne dass jemand unmittelbar mit ihrem Inhalt zu tun hätte.
Der Inhalt. Der ist das entscheidende Problem. Ich kann nicht verhehlen, dass er wirklich problematisch ist, und in dieser Hinsicht ist es wenigstens in der Anfangsphase nicht leicht, den Kampf mit der Demokratie zu gewinnen. Wir leben nicht mehr in Zeiten, in denen man einfach die Überlegenheit einer Rasse über eine andere erklären oder offen sagen kann, dass nicht alle Meinungen ein Recht darauf haben, geäußert zu werden, vor allem dann nicht, wenn sie den Interessen des Staates zuwiderlaufen. Man kann das natürlich denken und bei einigen Gelegenheiten sogar sagen, aber sich als System anzubieten, das genau dies zu seinen politischen Grundsätzen erhoben hat, dürfte anfangs schwierig sein. Darum werdet ihr auf diesen Seiten nichts finden, was als »faschistische Idee« bezeichnet werden könnte. Der Versuch, den Faschismus auf der Ebene der politischen Ideen durchzusetzen, ist ein so langer, komplizierter, konfliktreicher Prozess, dass er sich schließlich als nutzlos erweist. Zu viele Jahre demokratischer Phrasendrescherei. Zu viele Gedenktage. Zu viel ideologisches Geschwätz über die Resistenza, das nur dazu geführt hat, dass sich alle an den Partisanen-Opa erinnern, aber niemand an den faschistischen. Das Verdienst der faschistischen Ideen hervorkehren zu wollen ist wenig produktiv. Konzentriert man sich dagegen auf die Methode, kommt alles ganz von selbst.
Da Methode und Inhalt einander in der Politik tatsächlich entsprechen, hat