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Fluchtpunkt Hollywood
Folge 1
Eine ganze Kultur wanderte
aus, als die Nazis die Macht
übernahmen. Mit Beginn des
Zweiten Weltkrieges wurde die
 
    
Eine Spurensuche bei letzten
Überlebenden des deutschen Anti-
Nazi-Exils in Hollywood


Der unbekannte Emigrant
Mit 28 Jahren war Paul Falkenberg ein typischer
Intellektueller der Weimarer Republik: klassisch gebildet,
modern eingestellt, politisch aber eher desinteressiert.
Eine steile Karriere als Filmcutter schien ihm vorgezeichnet
– bis er eines Tages eine fatale Begegnung hatte ...

Von Gundolf S. Freyermuth

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K aum ein Schriftsteller von Rang hat den Nazis dienen wollen, komplette For-
  

  
  
  
 
  
 
 
 
 
Spitzenwissenschaftlern, die ihre Heimat verlassen mussten, waren allein 19 Nobel-
preisträger, die Mitarbeiter von Filmproduktionen fanden sich fast vollständig in Holly-
wood wieder – eine ganze Kultur wanderte aus.

    





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nach der unfreiwilligen Befreiung durch die Alliierten wenig Neigung. An das Schicksal
der Emigranten, der Bewohner des »Anderen Deutschland«, als dessen Repräsentant

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Kultur auf Kosten einer anderen erlebt.«

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Die gewiss aber nachhaltigste Wirkung auf die Nachkriegsgenerationen haben die emi-
grierten Regisseure und Drehbuchautoren, Kameramänner und Cutter, Schauspieler und
Produzenten gewonnen, die Schöpfer von Filmen wie Casablanca oder Zwölf Uhr Mit-
tags, Verdammt in alle Ewigkeit oder Ninotchka, Fluss ohne Wiederkehr, Boulevard der
Dämmerung oder Manche mögen‘s heiß+ ;
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sie heimgekehrt – in unsere Köpfe und Herzen.

Wenige nur im bundesdeutschen Millionenpublikum wissen allerdings, dass die Men-


schen, die diese Hollywood-Filme schufen, nicht in Connecticut oder North Dakota auf-
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einem moralischen, sondern auch im historischen Sinne.

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Denn viel mehr als mit dem Wahn von gestern, hat unser Leben in der Bundesrepublik
heute mit dem damaligen Alltag in den freien Ländern zu tun, den die Emigranten als



 

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Kustos der Deutschen Kinemathek in Berlin, und dem Fotografen Michael Montfort,
nach New York und Hollywood gereist. Hier zumeist, und nicht in unserer Nachkriegs-
Republik, kann man sie noch treffen, die Akteure des Nicht-Mitmachens, die Helden des


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Sohn eines liberalen Lehrerehepaares nicht, erst recht keine der Nazis. Den Völkischen
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Kulturhauptstadt Europas, tonangebend in Literatur,


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der lockeren Sitten, grell und schrill und hektisch,
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Weltverschwörung«. Was oder wer das sein soll,
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Damm fern, die trauten sich nicht vom Schatten der Bäume und Hauseingänge weg.«

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Filmcutter ist seit seiner Mitarbeit an Fritz Langs M und Carl Dreyers Vampyr ein ge-

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»In meinem Leben ist nicht viel passiert«, sagt er mit einem keineswegs freundlichen
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»Den Schritt in die Emigration haben Sie ein gutes Jahr vor den meisten Ihrer Leidens-
genossen vollzogen«, frage ich, »war das nicht, gemessen an dem, was man damals
wissen konnte, eine sehr heftige Reaktion auf ein isoliertes Ereignis?«

»Vielleicht habe ich es deshalb so stark empfunden«, sagt Falkenberg und schaut
noch um einiges böser, »weil ich an so was nicht gewöhnt, nicht abgestumpft war. Die
meisten haben damals in Deutschland derlei in der Schule oder sonst wo erlebt, und
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Reich weitet seinen Machtbereich konsequent aus. In immer mehr Staaten gelangen
faschistische oder rechtsdiktatorische Regierungen an die Macht, und auch die wenigen
verbleibenden Demokratien verschärfen aus Furcht vor Hitler-Deutschland die Restrik-
 
 


 
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später ist er Assistent des spanischen Filmregisseurs Luis Buñuel, ebenfalls ein Europa-
Emigrant, der am Museum of Modern Art Unterschlupf gefunden hat.

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heimisch. Der Alltag verläuft in New York, der ersten Station so vieler Einwanderer-


  
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Berliner im zersiedelten Los Angeles so sehr vermissen. Und es gibt die Kneipen und
Restaurants von Yorkville, mit Leberknödeln und Hackbraten, Wiener Schnitzeln und
Königsberger Klopsen.

»War das etwas, was Sie vermisst haben?


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»Haben Sie Lust, zum Lunch dorthin zu fahren?« schlage ich vor.

»Ja, warum nicht«, sagt Falkenberg und scheint durchaus erfreut.

In Yorkville, dem traditionellen deutschen Viertel, fanden einst die Freiheitskämpfer



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es gibt auch Partei-Krawalle und Antisemitismus. Die alten Yorkviller halten aggressiven
   

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Heights niederlassen, dem »Vierten Reich«, wie die Emigranten selbst frotzeln.

Doch Ende 1941, als Falkenberg nach New York


kommt, ändert sich die Situation. Der Krieg-
seintritt der USA lässt die alteingesessenen
Yorkviller eine radikale patriotische Wendung
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»Waren Sie damals schon Amerikaner?«, frage


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durch den Mittagsverkehr vorwärts schiebt,
  
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»Bekamen sie als Noch-Deutscher während des Krieges Probleme? »

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den, wenn ich verreisen wollte. Wollte ich aber nicht.«

»Und im Alltag, wenn man Sie an Ihrem Akzent als Deutscher erkannte?«

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Falkenberg sieht sich kurz um.

»Ich war schon lange nicht mehr hier.«

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Mitten in Manhattan, in Sichtweite der Skyscraper, wirkt die urdeutsche Umgebung ge-
radezu unheimlich unzeitig, gespenstisch alt. Wie sonst nur in der DDR ist hier das Vor-
kriegsreich konserviert. Es ist, als stiegen wir in die Verliese einer Vergangenheit, deren
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Es klingt bitter, fast verzweifelt. Die Schmach dieses Menschenhandels ist unvergessen.

»Wiedergesehen habe ich sie nie«, sagt Paul Falkenberg. »Sie hatte schon das Billett.
Aber in der Nacht vor der Abreise traf sie der Schlag.«

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gefallen. Deutschland ist unendlich weit weg, das macht das Sprechen leichter. Diese
Entfernung, die wohltuende Distanz, war es wohl auch, die so viele Emigranten nach

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Falkenberg, nachdem er eine Weile schweigend gegessen hat. »Als die Nachricht vom
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»Haben Sie ...«

»Die Briefe«, spricht Falkenberg gedankenverloren vor sich hin, »die mir meine Eltern
in der Nazizeit geschrieben haben, liegen in der Germania Judaica in Köln. Ich habe sie
denen gegeben, weil ich nicht in der Lage bin, sie noch einmal zu lesen. Ich kann es
einfach nicht, es ist ...«

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diesem Augenblick wie ein nasser, wenn auch sehr leerer Sack vom Stuhl rutscht. Fast

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rinnen gehen ruhig auf sie zu, heben sie an den Armen hoch und schleifen sie durch die
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Als die Bedienung vorbeikommt, fragen wir, was passiert sei.

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Falkenberg grinst. »Darf ich Ihnen sonst noch etwas Unangenehmes erzählen?«

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Deutschland?«

»Nein, keinen Augenblick.«

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der Verdrängung, die mein vernaziter Klassenlehrer in den sechziger Jahren »Vergan-

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genheitsbewältigung« nannte und ebenso scheinheilig wie ungern in zwei, drei Schul-
 
 
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Schwierigkeiten hier«, sagt Falkenberg und grinst wieder. »Sehen Sie, das letzte Mal,
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 Kafka als Warner. Da fragten die mich: ›So, so, wer ist ein Warner, wer ist dieser
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dachte: ›Das ist Kafka.‹ Aber wie sollte man nun dem FBI erklären, wer Kafka war und
wovor er gewarnt hat?«

Noch heute kann man Falkenberg die diebische Freude an seinem damaligen Auftritt
ansehen.

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meisten kam das alles nicht in Frage.«

Wenn ein anderes Land als die USA zur Debatte gestanden hätte, dann Israel. Mehrere
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men selbständig macht, im Auftrag der Vereinten Nationen und anderer internationaler
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»Wann haben Sie zum ersten Mal wieder Deutschland besucht?«

»1954 war ich in Köln, aus Israel kommend. Meine Frau wollte ihre Schwägerin in Berlin


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erwähnt. Er gedenkt nicht, mir – und sich – das zu ersparen.

»Und ich habe zu meiner Frau gesagt, ich kann es nicht«, erzählt er weiter, »ich kann
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Fremdheit.«

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»Später besuchten Sie dann Berlin?« frage ich.

Falkenberg schaut weg, hinaus in die Jogger-Sommer-Eiscreme-Szenerie des Central


Park. Nach einer Weile antwortet er.

»Ja, zuerst 1961.«

»Wie hatte sich das Leben verändert, seit Sie die Stadt zum letzten Mal gesehen hat-
ten?«

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ihm an, dass ihm die konservative Wohlstandsrepublik, in der die Leute mit dem guten
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Einen Augenblick mustert er mich fast wohlwollend.

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sich sein Blick wieder. »Einmal war ich auf einer Party von Freunden, da waren Maler,
Schauspieler, Architekten. Es war eine angenehme, gelöste Atmosphäre, und ich dachte

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»Und ich hatte diese gespenstische Vorstellung: Was wird geschehen, wenn wieder
ein Hitler kommt, und die Leute wissen nicht, was sie tun sollen, weil ihnen das Brot
weggenommen wird, wenn sie nicht zu Kreuze kriechen?« Der alte Mann lacht unruhig.
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herunter, wendet sich aber wieder um.

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»Eins will ich Ihnen noch erzählen. Als ich mal einen meiner Dokumentar-Filme in

  
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Falkenberg schaut wieder sehr böse, und ich bekomme den Verdacht, dass all diese
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Die Haltung des alten Mannes ist gebeugt, aber sein Wille unbeugsam – unversöhnt der
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sen nach dem Leben trachteten, die verfolgten, erniedrigten, folterten, mordeten.

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Namensnennung-Keine DRUCKGESCHICHTE
kommerzielle Nutzung- Fluchtpunkt Hollywood. Erste Folge: Der unbekannte Emigrant (Einleitung
Keine Bearbeitung 2.0    * ' 4'!




 
 
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lizenziert. Um die Lizenz Eingearbeitet in die Kapitel: »Berliner Katakomben« und »Flucht aus
anzusehen, gehen Sie bitte Deutschland« des Buchs Reise in die Verlorengegangenheit, Rasch und
zu http://creativecommons. ?X` G$  •G{“   ` %
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org/licenses/by-nc-nd/2.0/
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