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Das Fundament 3/2008

Gedankenzeit
Dr. Dorothee Krumm, Hanau, Aus- und Fortbildungsleiterin

Es ist schon wieder kurz vor 18.00 sie ein Jahr früher in die Schule ge-
Uhr. Ich schließe den Schreibtisch ab ben, können sie schneller an die Uni
und eile zum Auto. Wenn ich mich und überhaupt, der Konkurrenz-
beeile, schaffe ich gerade noch den kampf wird immer härter, da muss
Einkauf, morgen geht es unmöglich, man früh anfangen. Und Entspan-
und es ist nichts mehr zu Hause da. nung? Ja, doch, die planen wir auch
Um 19.30 Uhr sind wir schon wie- ein. Unser Theaterabonnement ist
der verabredet; was koche ich nur? ganz nett – auch wenn’s nur mit vor-
– Ein Tag von vielen. Sie kennen das herigem Stress verdient wird. Und
alle, so oder anders. Unsere Zeit ist unsere Urlaubsreisen haben uns noch
begrenzt, der Tag, die Woche, das jedes Mal eine Fülle interessanter
Jahr, die Jugend - das Leben. Nicht Eindrücke gebracht. Wenn wir die
daran denken, keine Zeit. Fotos allerdings nicht gleich beschrif-
Komisch eigentlich. Ich fange an, ten, wissen wir gar nicht mehr, wo
darüber nachzudenken. Ja, klar, jeder das im Einzelnen gewesen ist.
Tag hat nun einmal nur 24 Stunden,
das war schließlich schon immer so.
Aber haben die Leute schon immer
so viel in einen Tag hineingesteckt?
Man muss die Zeit auskaufen – steht
schließlich schon in der Bibel. Sie Ja, wo war ich stehen geblieben?
meint allerdings etwas anderes, als Ach ja, ich fange an, über meine
wir häufig daraus machen. Zeit nachzudenken. Mir geht es
Wir wollen nichts verpassen, allmählich zu schnell zu im Leben.
wenn das Leben schon so kurz ist. Haben Sie auch schon bemerkt, wie
Unsere Nachbarn haben es schon alles immer noch mehr wird? Wo
viel schneller geschafft zum eigenen gibt es noch die stillen Momente,
Haus, und unsere Kinder sollen auch wo kein Radio, kein Fernseher läuft,
nicht benachteiligt sein. Wenn wir wo ich keine neuen Informationen

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– bewusst oder noch viel schlimmer noch regenerieren und innere Kraft
unbewusst – aufnehme? Meine schöpfen?
Aufgaben werden immer vielfältiger Ich habe angefangen, über meine
und komplexer. Ein kleiner Fehler Zeit nachzudenken. Und ich weiß,
hat direkt große Folgen. Aber wer dass ich nur etwas ändern kann,
hat noch Zeit, seine Arbeit gründlich wenn ich es selbst ändere. Ich meine
zu durchdenken? Schnelle Ent- nicht, dass ich aussteige in ein „alter-
scheidungen sind gefragt – sind sie natives“ Leben, alles verneine. Aber
deshalb vielleicht morgen schon wie- ich weiß, dass ich täglich entschei-
der überholt? Außerdem werde ich den muss, was jetzt wichtig ist und
laufend gestört. Dank (?) Handy bin was nicht. Manchmal sehe ich das
ich überall erreichbar und per Email sofort, manchmal brauche ich Zeit,
können heute Daten in Sekunden- um darüber nachzudenken, wie ich
schnelle in die ganze Welt verschickt das nächste Mal besser entscheiden
werden – Antworten werden natür- kann. Wo muss ich „Nein“ sagen,
lich genauso schnell erwartet. wo bin ich entbehrlich, was muss ich
Ja, wo war ich stehen geblieben? nicht wissen?
Ach ja, kennen Sie das? Man kann
kaum noch etwas zu Ende denken.
Man kommt nicht mehr zur Stille,
die Gedanken sausen nur so durch
den Kopf, auch wenn man sich
einmal ruhig hinsetzen will. Da steht Ich übe bewusst (das kommt nicht
man lieber wieder auf und erledigt von allein), Pausen zum Denken
etwas; es muss doch etwas laufen, einzulegen, wo ich zur Ruhe kom-
man will etwas sehen. Und nur Ge- me. Wie schön können Wolken
danken, das ist doch nichts, das sieht immer wieder neue Figuren bilden;
doch keiner, wir selbst auch nicht. warum nicht am Main den dahintu-
Und so eilen wir wie unsichtbar ckernden Schiffen hinterherschauen,
getrieben durch das Leben. Verarbei- ein Buch lesen oder mir Zeit für ein
ten wir noch das, was wir in uns auf- Gespräch nehmen? Oder auch die
genommen haben? Bilden wir uns ungewollten Pausen – jetzt habe ich
noch eine eigene Meinung? Wählen wegen der S-Bahn-Verspätung auch
wir noch aktiv aus oder lassen wir noch den Bus verpasst – eine Chan-
uns passiv beeinflussen? Können wir ce, das gerade Erlebte zu verarbeiten,

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bevor der nächste Programmpunkt


mich fesselt. Oder die schlaflose
Stunde in der Nacht. Ich kenne alte Ich kann Ihnen von einer guten
Menschen, die beten dann für ihre Hilfestellung berichten – die „Be-
Familien – schön, dieser Gedanke. triebsanleitung“ für unser Leben
Entscheidungen brauchen manch- vom Schöpfer unseres Lebens, die
mal Zeit zum Reifen, damit wir Bibel. Ja, ich weiß, das ist nicht ge-
selbstbestimmt bleiben – wollen Sie rade der modernste Tipp, aber mir
etwa fremdbestimmt sein? hat er geholfen und vielen anderen

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auch. Und ich habe mir meine


eigene Meinung darüber gebildet.
Und je mehr ich in der Bibel lese,
umso mehr verstehe ich, was sie
meint. Zu meinen Gedanken über
die Zeit habe ich zum Beispiel eine
Aussage Jesu gefunden: „Himmel
und Erde werden vergehen, meine
Worte vergehen nicht (also gar nicht
so unmodern, oder?). Ihr seid in
Gefahr! Passt auf, dass euch nicht die
Gier nach Luxus und Wohlstand,
auch nicht die Sorgen des Alltags vom
Ziel ablenken!“ (Lukas 21, 33 - 34).
Mir ist dazu die schreckliche fort: „Bleibt wachsam und betet ...“
Geschichte vom Untergang der Ich vergesse so schnell, wie Gott
Titanic eingefallen. Am Ende stand mir schon in meiner Zeiteintei-
nur noch die Frage: Wer bekommt lung geholfen hat, wenn ich ihn
einen Platz im Rettungsboot? mit einbezogen habe. Notwendige
Keiner hätte einen solchen Platz Dinge waren oft schneller erledigt,
gegen ein Feinschmeckermenü als ich geglaubt hatte, und ich hatte
oder die neueste Mode von Paris Zeit für das, was mir Gott wich-
eingetauscht. Aber nur eine Stunde tig machte, der lang verschobene
vor dem Unglück hätten sicher die Besuch, die stille Zeit mit Gott.
meisten diese Frage als Zeitver- Gott kann mehr, als wir ihm oft
schwendung betrachtet und sich zutrauen – der schnelle Parkplatz
geärgert, dass die gute Stimmung ohne lange Suche, das Schnäpp-
mit solchen ernsten Gedanken chen beim Einkauf, die plötzliche
„verdorben“ wurde. Lösungsidee, die innere Gelassen-
Und nun zum letzten Mal: Ich heit für eine gut strukturierte Pla-
fange an, über meine Zeit nachzu- nung. Aber es ist und bleibt immer
denken. Was ist jetzt wichtig im ein Risiko, eine Vertrauenssache
Leben? Alles, was dem Ziel dient, zwischen uns und Gott. Haben wir
von dem Jesus in der zitierten Stelle neuen Mut zu diesem Vertrauen!
spricht. Und er fährt dort noch

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