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Das Fundament 3/2008

Zeitzeichen: Keine Zeit!

Klaus-D. Rumpel, Bassum, ist Diplom- und Wirtschaftsingenieur und arbeitet


seit 2001 an einer Evang. Bekenntnisschule. Nebenberuflich ist er als Personal-
und Organisationsberater aktiv im Beraterkreis „Christen im Personalservice“
(CPS) tätig und gern gesehener Referent auf den Seminaren für Berufstätige
des DCTB.

Seit Einstein wissen wir, dass begann gleichsam die Ökonomi-


Zeit physikalisch relativ ist. Zeit sierung der Zeit. Erst nachdem
ist aber auch kulturell ein Phäno- man Zeit mit Geld verrechnen
men. Ein Blick in die Geschichte konnte, ließ sich Zeit „gewinnen“,
zeigt, dass die Orientierung an den „verlieren“, „sparen“, „stehlen“ oder
naturgegebenen Rhythmen bis ins „verschenken“. 1
Mittelalter völlig hinreichend war. Die Einführung erster öffent-
Erst der sich ausbreitende Handel licher Kirchen- und Rathausturm-
brachte ab etwa dem 14. Jahrhun- uhren machte Zeit zu einem uni-
dert die Notwendigkeit mit sich, versell gültigen Maß des täglichen
für die Bemessung von Arbeits- (Wirtschafts-) Handelns – und
leistung und pünktlicher Waren- den Menschen zusehends autonom
lieferung ein naturunabhängiges von den natürlichen Rhythmen der
Zeitmaß zu haben. Mit der auch in Tages- und Jahreszeiten. So vollzog
diese Zeit fallenden Lockerung des sich auch der Wandel weg von
bis dahin geltenden Zinsverbotes einem „zur rechten Zeit“, also der

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Zeitzeichen - keine Zeit!

„angemessenen“, „reifen“ Zeit, hin


zu einer „Rechtzeitigkeit“, neu-
deutsch „just in time“.
Zeit hatte aber immer auch
eine geistliche Komponente, wie
manche historische Uhren es auch
bildlich zeigen: die Aufforderung,
angesichts unserer Endlichkeit
verantwortlich mit der Ressource
Zeit umzugehen, darum die Zeit
„auszukaufen“ (Epheser 5, 16) und geklagt. Gott wird abgelöst durch
uns auf die „zeitlose“ Ewigkeit die Wissenschaft und Wirtschaft.
vorzubereiten. Indes wurde Zeit als Der Mensch glaubt, Zeit messen,
monetarisierbare und zusehends sie damit fassen und sie – wenigs-
vom Menschen verfügbare Grö- tens scheinbar – in seinen Besitz
ße immer weniger als Eigentum nehmen zu können. Einzig der
Gottes gesehen, über das doch am Tod setzt dem ein jähes Ende. Die
Ende im Sinne verantwortlicher öffentliche Rhythmisierung der
Haushalterschaft Rechenschaft Zeit durch das Glockengeläut dient
abzulegen ist. aber auch der Aufforderung, sich
Immerhin sah man beim Blick sozialer Handlungen und religiöser
auf die Kirchturmuhr noch nach Bräuche zu erinnern: zum Gottes-
oben, Richtung Himmel, und dienst zu gehen, über eine Geburt,
dabei gewiss nicht zufällig auch auf eine Hochzeit oder eine Beerdi-
das Kreuz! Im Zuge des Wandels gung zu erfahren. Dabei können
hin zum modernen Menschen, wir uns unseren eigenen Lebens-
der Gott nicht mehr zu brauchen zyklus neu in Erinnerung bringen.
meint, finden wir Zeit daher auch Auch die Arbeit der Woche zu
kaum mehr am Himmel, sondern beenden, die Feiertagsruhe (3.
bei uns selbst, individualisiert Gebot) zu beginnen oder beson-
„verfügbar“ am Handgelenk oder dere Festtage nicht zu vergessen,
auf dem Handy. Und gegen läu- dafür steht auch die öffentliche
tendes Kirchturmuhrwerk wird ja Rhythmisierung der Zeit durch
inzwischen vor Gericht zum Teil das Glockengeläut. Kirchenglo-
erfolgreich wegen Ruhestörung cken als Aufruf zum Innehalten,

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Das Fundament 3/2008

Begegnungen zu erleben und zum des, bestraft mit zunehmender


Austausch zusammenzukommen. Entfremdung von der inneren und
Mit der chronometrischen der äußeren Natur.“ 2
„Taktung“ der Zeit ist aber auch So sind wir heute zusehends
ein neuer Lebensrhythmus ein- vom Wetter und der Natur un-
gezogen. Ein an der Natur orien- abhängig geworden, aber immer
tierter Zeitlauf wurde mehr und abhängiger vom Ölpreis und
mehr ersetzt durch Zeittakt, Ma- den Börsen- und Devisenkursen.
schinentakt und zeitlich bestimm-
ten Geldwert. Arbeitszeit wird nun
monetarisiert und Zeit wird zum
bewirtschafteten Gut, das immer
als knapp erscheint. Dieses setzt
spätestens seit der Industrialisie-
rung und der damit verbundenen
Einführung von Stechuhren eine
unaufhaltsame Beschleunigungs-
dynamik sowohl für die Arbeits-
als auch der Lebensverhältnisse in
Gang. Nunmehr galt, „pünktlich
wie die Eisenbahn zu sein“, eben
im „Takt“, unabhängig von Witte-
rung oder Tageslicht, unabhängig,
ob der Mensch müde oder ganz
wach ist.
Takt ist steuerbar, aber immer
auch ein Zeichen für Gleich-
förmigkeit, und „steht für die Wenn nach Benjamin Franklin
Auflösung und die Abschaffung gilt, dass Zeit Geld ist, es aber nie
zeitlicher Besonderheiten. (...) genug Geld gibt, dann muss indes
Belohnt wurden die vertakteten auch Zeit immer knapp sein. Es
Gesellschaften (...) für solche gibt kein „genug“ und die Spirale
Anpassungsleistung an die Gleich- ist endlos. So richten sich heu-
förmigkeit mit einer deutlichen te Erlösungshoffnungen immer
Vermehrung ihres Güterwohlstan- weniger auf die Ewigkeit, als

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Zeitzeichen - keine Zeit!

vielmehr auf eine noch effizientere


Ausschöpfung der Lebenszeit und
die „rechtzeitige“ Auszahlung der
Lebensversicherung. 3
Auch der St. Galler Soziologe
Peter Gross folgert, dass der Verlust
der Ewigkeit eine immerwährende
Beschleunigung zur Folge hat, denn
für den Menschen, der keine Ewig-
keit mehr erwartet, muss die zeitlich
befristete Lebensspanne mit allem
aufgefüllt werden, was es zu erleben
gilt! 4 Heinrich Kemner sagt dazu:
„Wer keine Zeit hat, hat keine
Ewigkeit, und nur wer die Ewigkeit
gefunden hat, lebt erfüllte Zeit.“ 5
Wie viel Zeit haben wir heute moderne Sinnsuche, die sich heute
noch für die Pflege unserer Bezie- allenthalben widerspiegelt, mög-
hungen, die in unserer „zeitknap- licherweise ein Indiz, dass wir vor
pen“ Gesellschaft immer mehr lauter Chronometrie Wesentliches
leiden? 6 Wie viel Zeit wenden wir aus den Augen verloren haben?
für die Dinge auf, die auch in der
Ewigkeit einen Wert haben? Ist die Quelle: © factum 9/2007

1 vergleiche Geissler, K. A.: Vom Tempo der Welt, Herder, Freiburg 1999
2 ebd., Seite 73
3 vergleiche ebd., Seite 75
4 vergleiche Gross, P.: Die Multioptionsgesellschaft, suhrkamp, Frankfurt/M. 1994
5 Kemner, H.: „Da kann ich nur staunen“, Vlg. der Lutherischen Buchhandlung,
Gr. Oesingen 1994, Seite 31
6 Cochlovius, J.: „Der Blick für’s Ganze – Unsere Beziehungskrisen und ihre Über-
windung“, Gemeindehilfsbund (GHB), 2. Auflage, Walsrode 2002;
www.gemeindehilfsbund.de

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