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Rechtfertigung
inmitten der
Leistungs-
gesellschaft
Dr. Eberhard Hahn, Gunzenhausen,
Geistlicher Leiter des
Diakonissenhauses Hensoltshöhe.
Vortrag während der Süddeutschen
Herbsttagung 2005 in Villingen
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Rechtfertigung inmitten der Leistungssellschaft
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ein wirtschaftlicher Umbruch, eine Auf die Frage nach unserer Leis-
persönliche Veränderung – plötzlich tung fällt ein vollkommen neues
vermag ich meine Leistung nicht Licht, wenn diese Frage ins Licht
mehr zu bringen, ist sie nicht mehr der Bibel gestellt wird, wenn also
gefragt oder muss ich andere Priori- unser Tun und Lassen von Gott und
täten setzen. seinem Licht angestrahlt wird. Was
Das heißt nicht, dass Leistung wird erkennbar, wenn Gott zum
abgelehnt oder diskreditiert werden Thema „Leistung“ Stellung nimmt?
soll. Niemand überlebt mit der Il-
lusion vom Schlaraffenland, nach
der uns die gebratenen Tauben von
selbst in den Mund fliegen. Leis- 2. Gott leistet sich einen
tungsbereitschaft ist gefragt. Stu-
dentische Freiheit, die sich in einer
schockierenden Faux-Pas:
langen Aneinanderreihung von Par- seine Güte!
ties, Take it easy und „Morgen ist „Denn das Himmelreich gleicht einem
auch noch ein Tag“ erweist, stellt ein Hausherrn, der früh am Morgen aus-
fundamentales Missverständnis dar. ging, um Arbeiter für seinen Weinberg
Engagement und Ernsthaftigkeit einzustellen. 2 Und als er mit den
sind von großer Bedeutung. Aber Arbeitern einig wurde über einen Sil-
in alledem bleibt die Frage: Macht bergroschen als Tagelohn, sandte er sie
mich nur meine Leistung aus? -
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in seinen Weinberg. 3 Und er ging aus Nimm, was dein ist, und geh! Ich will
um die dritte Stunde und sah andere aber diesen Letzten dasselbe geben wie
müßig auf dem Markt stehen 4 und dir. 15 Oder habe ich nicht Macht zu
sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in tun, was ich will, mit dem, was mein
den Weinberg; ich will euch geben, was ist? Siehst du scheel drein, weil ich so
recht ist. 5 Und sie gingen hin. Aber- gütig bin? 16 So werden die Letzten die
mals ging er aus um die sechste und Ersten und die Ersten die Letzten sein“
um die neunte Stunde und tat das- (Matthäus 20, 1 - 16).
selbe. 6 Um die elfte Stunde aber ging Um keine Missverständnisse
er aus und fand andere und sprach aufkommen zu lassen: Jesus ent-
zu ihnen: Was steht ihr den ganzen wirft hier kein futuristisches Kon-
Tag müßig da? 7 Sie sprachen zu ihm: zept für Lohnpolitik. Es handelt sich
Es hat uns niemand eingestellt. Er um eine Gleichniserzählung unter
sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin der Überschrift: „Das Himmelreich
in den Weinberg. 8 Als es nun Abend ist gleich einem Weinbergbesitzer“.
wurde, sprach der Herr des Weinbergs Es geht um das Reich der Himmel
zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und seinen Hauptakteur, um Gott.
und gib ihnen den Lohn und fang an Und der legt hier ein Verhalten an
bei den letzten bis zu den ersten. 9 Da den Tag, das uns in unseren Vorstel-
kamen, die um die elfte Stunde einge- lungen von Leistung und Gerech-
stellt waren, und jeder empfing seinen tigkeit schockiert, ja schockieren
Silbergroschen. 10 Als aber die ersten muss. Dabei ist es nicht unbedingt
kamen, meinten sie, sie würden mehr die soziale Komponente, die Ärger
empfangen; und auch sie empfingen auslöst: dass Kurzarbeiter den vollen
ein jeder seinen Silber-groschen. 11 Lohn erhalten. Vielleicht haben sie
Und als sie den empfingen, murrten sich ja zuvor ausgiebig, aber eben er-
sie gegen den Hausherrn 12 und spra- folglos um einen Job bemüht. Diese
chen: Diese Letzten haben nur eine noble Haltung ist in Ordnung.
Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns Aber wenn schon, dann bitte in
gleichgestellt, die wir des Tages Last gleichem Maß für alle; dann bitte
und Hitze getragen haben. 13 Er ant- auch für uns das zwölffache des Ta-
wortete aber und sagte zu einem von gelohns!
ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Doch der Weinbergbesitzer hält
Unrecht. Bist du nicht mit mir einig dagegen: du irrst. Unsere Abma-
geworden über einen Silbergroschen? 14 chung war ein Denar für den Tag.
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Das ist eine faire Bezahlung. Du hast Big Boss, mit dem man in Gehalts-
deinen Lohn erhalten. Also sind wir verhandlungen treten könnte. Wer
quitt. Bitte keinen unnötigen Ärger. Gott wirklich durch Jesus Christus
Und außerdem: Bin ich nicht Herr kennen lernt, dem stellt er sich als
über mein Vermögen? Bist du etwa Vater vor. Mit dem Vater macht
neidisch über meine Güte? man als Kind keine Geschäfte, son-
Da ist es wieder: das Stichwort dern wird beschenkt.
„Güte“. Das war der Schock, und Wer diesen Gott kennen lernt,
das war der Faux-pas: Gott lässt der fängt an, allmählich zu begrei-
Gnade vor Recht ergehen. Er erweist fen: Ich selbst bin ein überreich Be-
seine Güte. schenkter – weit hinaus über alles,
Jesus will mit dieser Erzählung was ich jemals getan habe. Auch ich
bewusst schockieren. Er will unsere bin beschenkt wie diese „Einstün-
Rechnerei aufsprengen. Noch ein- der“ im Weinberg. Paulus hat Recht
mal: Es geht nicht um den richtigen mit seiner Frage: „Was hast du, das
Stundenlohn in einem Job in der du nicht empfangen hast? Wenn du
Wirtschaft. Sondern es geht um die es aber empfangen hast, was gibst
Frage nach Leistung und Verdienst du dann an, als hättest du es nicht
im Verhältnis zu Gott. empfangen?!“
Viele Menschen leben in einer Zu diesen Gaben zählen unsere
Art Tagelöhnerverhältnis mit Gott: ganz natürlichen Begabungen:
Keine feste Bezahlung, sondern das Leben, Gesundheit, Essen und
gelegentliche Begegnung: zum Bei- Trinken, Lebensmöglichkeiten,
spiel in der Kirche oder im Rahmen geistige Begabungen, Eltern, Kinder,
eines einigermaßen ordentlichen Freunde, Entfaltungsmöglichkeiten
Lebens. Und wenn irgendetwas in der Zukunft etc. Dies ist alles
Unangenehmes passiert, kommt andere als selbstverständlich, wie ein
prompt die Rechnung: Womit ha- schlichter Vergleich mit Millionen
be ich das verdient? Ich habe doch von Mitmenschen weltweit zeigt.
meine Seite ordentlich ausgeführt Aber dann auch: Unser Leben darf
– wo bleibt die göttliche Bezahlung? wahr werden vor diesem Gott: in
Beziehungsweise: Warum wird mir dem Eingeständnis unserer Schuld,
nun mit Unheil vergolten? durch den Zuspruch der Vergebung
Jesus macht hier und an vielen um Jesu Christi willen. Damit wird
anderen Stellen klar: Gott ist kein Vergangenheit bereinigt; eine neue
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Denn genau hier steht der riesige die Unterschiede; sie lassen sich
Geldspeicher von Onkel Dagobert. nicht einebnen. Christen sollen
Noch einmal: Wo Gottes Güte ihren nichtchristlichen Zeitgenos-
unsere Gefängnisse und Speicher sen nicht die Regeln des Himmel-
aufsprengt, dort macht sich der reiches um die Ohren schlagen.
Dank breit. Dort bricht Freiheit Aber sie sollen sehr wohl an ihrem
auf gegenüber den harten Kriterien konkreten Ort etwas von der über-
unserer Welt: Wenn ich auf Gottes ragenden Güte ihres Vaters im
Rechnung lebe, dann kann der Himmel durchschimmern lassen.
Betrag auf dem Gehaltsstreifen Ob das nun so ist, dass der Brasili-
nicht mehr meinen absoluten Wert aner Ademar ein Tor für den VfB
angeben. Wenn ich von empfan- Stuttgart schießt und dann überall
genen Geschenken lebe, dann bin sehen lässt: „Gott ist treu“. Oder so,
ich so frei, davon an andere weiter- dass die Pfarrfrau nach der Wende
zugeben: z.B. meine Kenntnisse in der DDR plötzlich zur Bürger-
und Fähigkeiten, mein Wissen, meisterin ihres Dorfes ernannt
meine Zeit, mein Geld. Ich werde wird, weil man von ihr Gerechtig-
überhaupt erst frei, andere in den keit und Fairness erwarten konnte.
Blick zu bekommen – auch die Deutlich wird dabei jedes Mal
Langsameren, die Leistungsschwä- neu: Nein, nicht nur meine Leis-
cheren, die Verlierer. Und ich werde tung macht mich aus. Die ist zwei-
mich an die Gleichniserzählung fellos wichtig – auf den verschie-
Jesu erinnern, nach der bei Gott die densten Gebieten des Lebens. Aber
„Einstünder“ den vollen Tagessatz unendlich viel wichtiger ist Gottes
erhalten. Güte, die mich mitsamt meinem
Auf ein Missverständnis möchte Vermögen und Versagen umgreift
ich noch hinweisen: Manchmal und dabei überreich beschenkt – so
wird von Leuten in der Kirche der reich, dass ich in Freiheit austeilen
Eindruck verbreitet: Was bei Gott kann. Und damit wird mein Leben
gilt, muss nun auch im wirtschaft- top, selbst wenn ich nach den sonst
lichen Leben gelten: also doch ein geltenden gesellschaftlichen Maß-
Modell für einen christlichen So- stäben nur Mittelmaß bin!
zialismus. Doch dem ist nicht so.
Im gesellschaftlichen, politischen,
wirtschaftlichen Bereich bleiben
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