Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung: Was ist ein Medium? Geistes- und
kulturwissenschaftliche Perspektiven:
Von der sprachkritischen zur medienkritischen Wende?
Ein Kommentar zur Mediendebatte in sieben Thesen
Sybille Krämer Institut für Philosophie, FU Berlin
Die Geschichte der Geisteswissenschaften kennt drei aufeinander folgende
paradigmatische Ansätze: Das klassische Zeitalter interpretierte 'Geistals Bewußtsein', das hermeneutische Zeitalter favorisierte 'Geist als Bedeutung', das sprachkritische Zeitalter schließlich behandelt 'Geist als Sprache'. Gegenwärtig zeichnet sich eine neuerliche Umakzentuierung ab, die mit einer kulturwissenschaftlichen Orientierung einher geht und mit dem Kennwort: 'Geist als Verkörperung' charakterisierbar ist. Was zuvor als Sprache, Text oder Kommunikation beschrieben wurde, kommt nun als kulturelle Praktik in den Blick. Die Mediendebatte trägt bei zu diesem kulturalistischen Perspektivenwechsel innerhalb der Geisteswissenschaften. Worin ihr Beitrag zu diesem Wechsel besteht, kann am Leitfaden des Verhältnisses von 'Innen' und 'Außen' erörtert werden. Denn eine Pointe des medienkritischen Ansatzes ist gerade die Aufwertung der Äußerlichkeit als eine unabdingbare Bedingung von Sinn-Phänomenen. Der Topos von der Verschwisterung zwischen 'Geist' und 'Innerlichkeit' hat eine Tradition, die reicht von Platons Überzeugung, daß das wahre Wissen in die Seele eingeschrieben sei, über Descartes' Idee einer Mentalisierung des Geistes im 'cogito', bis zu Hegels Annahme eines absoluten Geistes, der sich von seinen welterzeugenden Entäußerungen zu befreien habe. Die sprachkritische Wende hat mit ihrer pronocierten Hinwendung zum Satz oder zum Sprechakt, sich der sprachlichen Äußerung zwar angenommen, somit die Vorliebe für das Inwendige aufzulösen begonnen, doch sie machte das durchaus halbherzig. Einer der Gründe dafür liegt in der nachhaltigen Prägekraft einer Sprachkonzeption, die davon ausgeht, daß, was an der Sprache regelhaft ist, auch als ein Wissenssystem bei den Sprechern mental repräsentiert sein und damit dem faktischen Sprachverhalten auch zugrunde liegen müsse. Eines der Symptome für die Bewahrung mentalistischen Gedankengutes ist, daß in den Sprach- und Kommunikationstheorien die Sprachlichkeit ohne Stimmlichkeit konzipiert ist. Auf zwei theoretische Konsequenzen dieser Auffassung kommt es hier an: (1) Sprache wird als ein universaler, überzeitlicher Sachverhalt konzipiert, bei dem Medialität auf ein bloßes Realisierungsphänomen reduziert ist. Dies sei das Theorem von derMedienindifferenz von Sprache und Kommunikation genannt. (2) Die durch technische Medien gestützte Kommunikation gilt als ein - mehr oder weniger - Substitut der lebendigen Wechselrede zwischen anwesenden Personen, sie wird zu einem defizitären Modus des Kommunizierens. Dies sei das Theorem von der Uneigentlichkeit technisch mediatisierter Kommunikation genannt. Die Leistung der Mediendebatte besteht nun darin, die Unangemessenheit dieser beiden Theoreme zu tage treten zu lassen. Im labyrinthisch verzweigten Feld des Mediendiskurses kristallisieren sich zwei Zentren aus, deren Gravitationspunkte die sprachlichen und die technischen Medien abgeben. Bei den sprachlichen Medien http://www.netz-kasten.de/lesen/information/cult/kraemer.php3
geht es um die Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener
Sprache, und zwar interpretiert als Sprachpraktiken und als Geistesverfassungen, die in Gestalt der Oralität und Literalität sich zu epochalen kulturgeschichtlichen Konfigurationen verdichten. Zum exemplarischen Scheitelpunkt wird hier der Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit. Bei den technischen Medien geht es um das durch die Datenübertragung eröffnete Phänomen von Tele-Ereignissen, also um das Fernsprechen, das Fernhören und Fernsehen, sowie deren Folgen für die Veränderung von Raum-Zeitverhältnissen, für die Modalitäten unseres Kommunizierens, Wahrnehmens und Erinnerns und schließlich für unsere Realitätsvorstellungen selbst. Zur entscheidenden Zäsur wird hier der Übergang von den analogen zu den digitalen Medien. Eben jenes Distanzierungsverhältnis, in das sich die Mediendebatte zu den traditionellen sprach- und texttheoretisch orientierten Geisteswissenschaften setzt, findet im Verhältnis zwischen der sprach-und technikorientierten Richtung des Mediendiskurses ein Analogon: Die bemerkenswerte Aufmerksamkeit, die das Phänomen der Schrift seit drei Jahrzehnten erfährt, wird in der Perspektive des auf die technischen Apparate zentrierten Diskurses gedeutet als Reflex des drohenden Funktionsverlustes der Literalität im Zeitalter der audiovisuellen Computernetze. Die um sprachliche Medien zentrierte Debatte behandelt Schrift nicht länger mehr als ein Derivat der (Laut-) Sprache, das lediglich der Fixierung des Gesprochenen und damit der Mitteilung unter den Bedingungen der raum-zeitlich Trennung der Kommunizierenden dient. Die Pointe dieser Debatte ist es, das post hoc - propter hoc Mißverständnis zu entkräften, welches darin besteht, aus dem zeitlichen Nacheinander von gesprochener und geschriebener Sprache auf ein empirisches oder begriffliches Abhängigkeitsverhältnis zu schließen. Dabei kristallisieren sich zwei Verwendungsweisen des Schriftbegriffes aus, eine philologische und eine philosophische: In der philologischen Perspektive gelten Schriftlichkeit und Mündlichkeit als mediale Ordnungen sui generis mit ihnen jeweils korrespondierenden kognitiven und kommunikativen Praktiken sowie einer Vielzahl von Übergängen zwischen beiden. In der philosophischen Perspektive dagegen wird die Schrift radikalisiert zur Bedingung der Möglichkeit von Sprache: Die für die Schrift so signifikanten Attribute wie Nachträglichkeit, Iterabilität und Dekontextualisierbarkeit werden dabei zu Auszeichnungen, ohne welche die Idee der Sprache und die Idee des Zeichens überhaupt nicht denkbar sind. Mit dem Terminus Schrift wird nicht mehr - wie noch beim philologischen Schriftbegriff - auf eine bestimmte Sprachpraxis im Unterschied zu einer anderen Sprachpraxis referiert, vielmehr wird Schrift zu einer differentiellen Kategorie de rGrenzziehung, durch welche im unmarkierten Raum symbolischer Vollzüge sich Sprache und Schrift, Mündlichkeit und Schriftlichkeit überhaupt erst unterscheiden lassen. Diesen verschiedenen Schriftbegriffen entsprechen auch unterschiedlich akzentuierte Medienbegriffe. Der philologische Medienbegriff bleibt im Bannkreis des Zeichens: Medien sind das, was am Zeichen raum-zeitlich lokalisierbar ist, sie verkörpern die Exteriorität des Zeichenvollzugs. Der philosophische Medienbegriff dagegen überschreitet den Rahmen der Idee von der Sprache als Zeichen. Er rehabilitiert nicht einfach den Aspekt der Äußerlichkeit, sondern verändert dabei deren Begriff, indem er die Differenz von Innen und Außen, also die Problematik einer verräumlichenden Metaphorik selbst zum Thema werden läßt. Zutage tritt dabei eine paradoxale Konstellation: In einer http://www.netz-kasten.de/lesen/information/cult/kraemer.php3
unterscheidungstheoretischen Perspektive können wir mit Hilfe von
Unterscheidungen, die wir benutzen, zwar etwas als etwas sehen, doch zu dem, was dabei in den Blick kommt, zählt gerade nicht diese Unterscheidung selbst. Derridas Begriff der différance versucht eine Antwort auf eben dieses Paradoxon. Das ist auch medientheoretisch von Belang: Wenn - in einer sehr allgemeinen Perspektive - Medien Unterschiede bereitstellen und fixieren, kraft derer etwas für uns überhaupt erst gegeben bzw. theoretisierbar ist, dann bleiben die Medien selbst immer auch ein blinder Fleck. Die Reflexion auf diese methodische Situation gehört zu einer der Aufgaben einer Philosophie der Medialität. Der zweite Strang der Mediendebatte ist inspiriert nicht von der Sprache, vielmehr von der Technik, genauer: von medientechnischen Apparaten. Die Aufgabe solcher Apparate besteht darin, Ereignisse oder Dinge in Daten zu transformieren, also was phänomenal gegeben ist, in etwas zu verwandeln, das den Status hat, eine Information zu sein; und zwar gerade unabhängig davon ob das, was zu transformieren ist, zuvor von der Natur eines Zeichens oder eines Nicht-zeichens gewesen ist. Informationen sind in Stromzuständen instantiierbar und werden damit der Speicherung, dem Transport und der Verarbeitung zugänglich. Die Folge ist, daß mit den medialen Apparaten eine wachsende symbolische Verfügung über entfernte Orte und entfernte Zeiten verbunden ist. Während in der Epoche der analogen Medien diese Verfügung sich auf das Wahrnehmen des Abwesenden bzw. des Fiktiven einschränkte (Foto, Film, Fernsehen), zeichnet sich mit der medialen Nutzung des Computers die Möglichkeit zu einer Interaktion mit eben dem Abwesenden bzw. dem Fiktiven ab (Hypertext, virtuelle Realität). Der Medienbegriff, der in dieser Debatte zum Zuge kommt, ist zwar technisch orientiert, setzt allerdings eine entscheidende Umakzentuierung im Technikbegriff voraus: In einer traditionellen Sicht wird, was die Technik ist, am Vorbild der Werkzeugtechnik gewonnen. In dieser Perspektive gelten technische Artefakte als Substitute für menschliche Arbeitsleistungen. Doch medientechnische Apparate ersparen und effektivieren nicht einfach Arbeit, sondern eröffnen Spielräume im Erfahren von und Umgehen mit symbolischen Universen, die es ohne Medientechnik nicht etwa abgeschwächt, sondern überhaupt nicht gibt. Technische Medien werden zu Modalitäten unserer Bezugnahme auf symbolische Welten. Wenn das Nachdenken über die Medien Teil einer geistes- und kulturwissenschaftlichen Bewegung ist, die inspiriert wird von der Idee der Verkörperung (embodiment), so darf Verkörperung hier nicht als ein Leib apriori im Sinne einer Orientierung an der vorgängigen menschlichen Körperlichkeit verstanden werden. Vielmehr geht es um die methodische Akzentuierung einer Materialität von Sprache und Geist, von Kommunikation und Kognition, die sich nicht einer naturalistischen, sondern nur einer kulturalistischen Perspektive erschließt. In dieser Materialität zeigen sich die vorprädikativen, die technischen Bedingungen der Erzeugung und Interpretation von Sinn, welche einem hermeneutischen Zugang gerade entzogen bleiben. Medien markieren die Nahtstelle, an der Sinn aus nicht-sinnhaften Phänomenen entsteht. Sie bilden die historische Grammatik der Performativität unserer symbolischen Praktiken.
LITERATUR
Zur Debatte über sprachliche/literarische Medien
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Zur Debatte über technische Medien
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